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Die Baltic Pipe anstelle einer russischen Gaspipeline


Es wäre ein unverzeihlicher Fehler, die unnachgiebige Position hinsichtlich des Baus von „Nord Stream 2“ nur mit der Sorge um den ukrainischen Transit in Verbindung zu bringen. Die Polen haben ambitioniertere Pläne. Und sie hängen mit dem Bau der Gaspipeline „Baltic Pipe“ zusammen. Natürlich, das von Polens Regierung proklamierte Hauptziel der Gasleitung ist, Polen zu einem von den russischen Gaslieferungen unabhängigen zu machen. Bekanntlich läuft der Vertrag mit GAZPROM im Jahr 2022 aus. Die polnischen Offiziellen beabsichtigen, nach dem Jahr 2022 auf den Import russischen Gases zu verzichten.

Inwieweit ist dies real? Im Jahr 2019 machte der Gasverbrauch in Polen etwa 20 Milliarden Kubikmeter aus. Die eigene Förderung belief sich auf weniger als vier Milliarden Kubikmeter. In eben diesem Jahr lieferte GAZPROM dem polnischen Erdöl- und Erdgasunternehmen PGNiG über 9,7 Milliarden Kubikmeter. Die Lieferungen aus der westlichen und südlichen Richtung erreichten 2,5 Milliarden Kubikmeter. Tatsächlich war dies das gleiche russische Erdgas, das durch GAZPROM nach Deutschland oder Tschechien geliefert oder durch europäische Trader an PGNiG verkauft worden war. Weitere 3,43 Milliarden Kubikmeter (nach der Regasifizierung) gelangten in Form von verflüssigtem Erdgas (LNG) über das Terminal in Świnoujście nach Polen. Das Terminal ist in der Lage, bis zu fünf Milliarden Kubikmeter im Jahr umzuschlagen. Doch nach der Inbetriebnahme Anfang 2016 ist es niemals vollkommen ausgelastet worden. Derzeit erfolgen Arbeiten zur Erhöhung der Umschlagsleistung des Terminals bis auf 7,5 Milliarden Kubikmeter. Die Hauptmenge an LNG gelangt entsprechend langfristiger Verträge vor allem aus Qatar und den USA nach Polen. Freilich, LNG ist traditionell teurer als Pipelinegas. Und augenscheinlich wollen die Polen nicht zu viel bezahlen.

Eine neue Route

Im Mai vergangenen Jahres hatte PGNiG erneut den Beginn des Baus der Gaspipeline „Baltic Pipe“ mit einer Leistung von zehn Milliarden Kubikmeter Gas im Jahr bekanntgegeben. Die Gesamtlänge der Gaspipeline beträgt über 900 Kilometer inklusive Offshore-Abschnitte in der Nord- und in der Ostsee mit einer Länge von 385 Kilometern. „Baltic Pipe“ wird Gasfelder in der Nordsee mit der Küste Polens verbinden. Geplant ist, die Bauarbeiten bis Ende des Jahres 2022 abzuschließen. Polen hat sie sogar als eine Alternative zu „Nord Stream 2“ angeboten. Aber hinsichtlich der angegebenen Leistungen wird „Baltic Pipe“ offenkundig der russischen Gasleitung entsprechen können. Die Leistung von „Nord Stream 2“ beträgt 55 Milliarden Kubikmeter Gas im Jahr. Und „Baltic Pipe“ dürfte in der Anfangsphase lediglich einfach eine Gaspipeline zwischen Polen und Dänemark sein. Freilich, nach Abschluss ihres Baus sind ein Anschluss der Gaspipeline an das norwegische Gastransportsystem und ein Transport von Erdgas aus Norwegen via Dänemark nach Polen geplant.

Die Idee des Baus von „Baltic Pipe“ ist mehrfach revidiert worden. Ursprünglich war sie im Jahr 2001 geboren worden, als das dänische Öl- und Gasunternehmen DONG und der polnische Konzern PGNiG ein Abkommen über den Bau einer Pipeline für dänische Gaslieferungen nach Polen unterzeichneten. Damals war beschlossen worden, ein Pipeline-Konsortium zu bilden, in dem den Dänen zwei Drittel der Aktien gehören würden und der polnischen Seite ein Drittel bei einer möglichen Beteiligung am norwegischen Konzern Statoil. In jener Zeit wurde das Vorhaben aber als ein wirtschaftlich unzweckmäßiges verworfen.

Reanimiert wurde die Idee im Jahr 2007, nach der Münchener Rede von Wladimir Putin, in der er von einer Einpoligkeit der Weltpolitik, dem Vorrücken der NATO nach Russland und der sich verändernden Rolle Russlands in der Welt sprach. Gerade nach diesem Auftritt begannen Analytiker, vom Beginn eines neuen Kalten Krieges zu sprechen. Augenscheinlich erschien der damaligen polnischen Führung unter solchen Bedingungen das Setzen auf russisches Gas als ein riskantes. Und sie kehrte zur Idee des „Sich-stützen auf die eigenen Kräfte“ zurück. In diesem Fall wurde aber zur Hauptfrage die Finanzierung des Projekts. Und dabei sind für den Bau gehörige Geldsummen erforderlich. Die Kosten werden im Bereich von 1,8 bis 2 Milliarden Euro geschätzt. Man plant, sie vor allem durch Kredite von europäischen Banken zusammenzubekommen. Außerdem hat die EU für die Realisierung des Projekts „Baltic Pipe“ einen Zuschuss von 215 Millionen Euro bereitgestellt. Das Ostseegas wird jedoch Polen für das Decken aller Bedürfnisse dennoch nicht reichen: PGNiG verfügt über keine eigenen Ressourcen, um eine Auslastung der Gaspipeline zu gewährleisten. Das polnische Unternehmen nimmt freilich an der Erschließung und Ausbeutung von Erdöl- und Erdgasfeldern in der Nordsee teil. Die Förderung in dieser Region übersteigt aber keine 0,5 Milliarden Kubikmeter. Unter Berücksichtigung der letzten Erwerbungen hofft man bei PGNiG, dass die Förderung des Unternehmens auf dem Nordsee-Schelf im laufenden Jahr bis auf 0,9 Milliarden Kubikmeter ansteigen wird.

Gas für die Baltic Pipe

Das polnische Unternehmen PGNiG sucht Gas für die Befüllung der Pipeline „Baltic Pipe“ und schließt langfristige Abkommen mit potenziellen Lieferanten ab. Zur Hauptquelle der dänischen Gaslieferungen für Polen soll das Gasfeld Tyra wessen, dessen Erschließung und Ausbeutung das Danish Underground Consortium (DUC) vornimmt. Dem französischen Konzern Total gehören 43,2 Prozent der Aktien vom DUC, Shell – 36,8 Prozent und dem dänischen Staatskonzern Nordsofonden – 20 Prozent. Betreiber des Projekts zur Erschließung und Ausbeutung des Feldes ist Total. Nach der Wiederaufnahme der Förderung auf dem Gasfeld Tyra wird Dänemark bereit sein, überschüssige Gasmenge nach Polen zu liefern.

Im September vergangenen Jahres wurde jedoch der Betrieb des Feldes zwecks Vornahme von Instandsetzungsarbeiten für eine Erhöhung der Produktionseffektivität unterbrochen. Der Abschluss der Arbeiten und die Wiederaufnahme der Förderung auf dem Tyra-Feld sind für Juli des Jahres 2022 geplant. Die Tagesförderung auf diesem Feld beläuft sich auf 60.000 Barrel im Erdöläquivalent, wobei zwei Drittel Gas ind und ein Drittel Erdöl. Nach Schätzungen von S&P Platts werden auf dem Тyra-Feld etwa zwei Milliarden Kubikmeter Gas gefördert werden. Im Jahr 2018 machte die Gasförderung auf dem dänischen Schelf rund 4,5 Milliarden Kubikmeter aus. Und 90 Prozent dieser Menge wurden auf Tyra gefördert. Laut einer Schätzung der Dänischen Energieagentur wird die Gasförderung in der Nordsee in diesem Jahr 1,1 Milliarde Kubikmeter ausmachen. Dies ist weniger als Dänemark braucht. Daher werden die Dänen die erforderlichen Gasmengen aus dem benachbarten Deutschland importieren. Vor nicht allzu langer Zeit hat PGNIG Supply & Trading – die Handelsfiliale des staatlichen Öl- und Gaskonzerns PGNiG – ein langfristiges Abkommen über den Kauf von Erdgas vom dänischen Unternehmen Orsted unterzeichnet. Entsprechend dem Abkommen wird Orsted Gas nach Polen liefern, das im dänischen Nordsee-Sektor gefördert wird. Die vereinbarte Menge von bis zu 6,7 Milliarden Kubikmeter soll ab Januar 2023 bis einschließlich Oktober 2028 geliefert werden. Orsted – die ehemalige Danish Oil and Natural Gas (DONG) – beutet nicht mehr Schelf-Felder selbständig aus, erwirbt aber weiter Öl und Gas vom Konsortium DUC entsprechend laufender Abkommen. „Der Vertrag zwischen Orsted und PGNiG Supply & Trading wird eine stabile Grundlage für eine weitere Zusammenarbeit zwischen beiden Unternehmen gewährleisten. Dies wird ebenfalls die Zuverlässigkeit und eine Diversifizierung der Gaslieferungen für den europäischen Markt verbessern“, sagte Jerzy Kwieciński, der zu jener Zeit Chef der PGNiG war. Das Management von Orsted ist der Auffassung, dass Dänemark nach Wiederaufnahme der Förderung auf dem Tyra-Feld über überschüssige Gasmengen verfügen werde, was erlaube, Lieferungen ins Ausland aufzunehmen. Es wird erwartet, dass dank der erneuerbaren Energiequellen der Bedarf Dänemarks an Gas zurückgehen und in der Zeit der Geltungsdauer des Vertrages zwischen Orsted und der PGNiG Supply & Trading etwa 1,9 Milliarden Kubikmeter Gas im Jahr ausmachen werde, während die Förderung auf dem Schelf 3,8 Milliarden Kubikmeter im Jahr ausmachen werde, was erheblich mehr sein wird, als einen Monat zuvor erwartet wurde. Die Dänische Energieagentur prognostizierte, dass nach Inbetriebnahme von Tyra die Gasförderung auf dem dänischen Schelf bis zum Jahr 2024 drei Milliarden Kubikmeter im Jahr erreichen könne. Dabei wird erwartet, dass die Erzeugung von Biogas in Dänemark ab 2023 bis einschließlich 2028 4,5 Milliarden Kubikmeter ausmachen werde. Somit wird die Gesamtmenge an Gas, über die Dänemark im ausgewiesenen Zeitraum verfügen wird, 27 Milliarden Kubikmeter oder durchschnittlich 4,5 Milliarden Kubikmeter im Jahr ausmachen. Orsted wäre bereit, ein Viertel dieser Menge über die Gaspipeline „Baltic Pipe“ nach Polen zu liefern. In Polen begreift man zweifellos, dass man außer den Dänen auch andere Lieferanten suchen muss. Daher wurde neben mit Orsted ein langfristiges Abkommen über Gaslieferungen mit dem Unternehmen Aker BP unterzeichnet, was am 16. Oktober 2020 bekannt wurde. Details dieser Vereinbarung – vor allem zu den Mengen und Lieferzeiträumen – werden nicht offengelegt. In den Jahren 2021–2022 ist ein Ansteigen der Anzahl derartiger Vertragsabschlüsse zu erwarten.

Wenn PGNiG keine volle Auslastung der Baltic Pipe sichert, wird der Betrieb der Gaspipeline zu einem unrentablen. Изначально большинство экспертов сомневались в экономической целесообразности проекта Baltic Pipе. Nach einer Schätzung von Experten wird unter Berücksichtigung aller abgeschlossenen Verträge und der Perspektiven für die Förderung durch PGNiG in der Nordsee eine Auslastung der Baltic Pipe zu weniger als ein Drittel gesichert.

Nur die Unabhängigkeit?

Das polnische Webportal Interia macht auch kein Geheimnis daraus, was tatsächlich hinter den Plänen für den Bau von „Baltic Pipe“ steht. Seinen Worten zufolge beabsichtige der polnische Öl- und Gaskonzern (PGNiG), einen Gas-Hub zu schaffen. Die Leser seien daran erinnert, dass ein Gas-Hub ein Zentrum für eine Umverteilung des Rohstoffs und des Handels mit ihm ist, der die Schaffung nicht nur einer Infrastruktur vorsieht, sondern auch einer entsprechenden normativen und Rechtsbasis, die erlaubt, Waren zu vorteilhaften Konditionen frei und sicher zu kaufen und zu verkaufen. Interia behauptet, dass Polen weiter die Quellen für Gaslieferungen diversifiziere und immer mehr LNG erwerbe. Daher sei nach Einschätzung des Portals „dies bei weitem schon nicht jene Situation, die es vor einigen Jahren gegeben hatte, als wir vollkommen vom russischen Gas abhingen“.

Interia beruft sich auf die Meinung des Chefredakteurs des Portals „Biznes Alert“ Wojciech Jakóbik. Er verweist darauf, dass „der Anteil des russischen Gases am Import bis auf 56 Prozent zurückgegangen ist. Dies erfolgte in erster Linie dank dem, dass der Anteil des verflüssigten Gases bis auf 29 Prozent angestiegen ist. Es kommt aus den USA, Qatar und anderen Ländern. Im Rahmen eines polnischen Hubs wird man diesen Rohstoff nutzen und seinen Kunden, beispielsweise der Ukraine, anbieten können. Im Jahr 2019 sind aus Polen dorthin zwei Milliarden Kubikmeter Gas geliefert worden. Gerade die Ukrainer verfügen über große Kapazitäten zu dessen Speicherung“. „Am preiswertesten müsste sich der Rohstoff aus dem Norwegischen Meer erweisen, von den Feldern, auf denen der polnische Öl- und Gaskonzern arbeitet“, fügte Jakóbik hinzu.

Inwieweit ist die alternative (nichtrussische) Variante für die Gasversorgung durchdacht?

In Warschau erklärt man jetzt also, dass man sich nicht anschicke, den langfristigen Vertrag mit GAZPROM zu verlängern, sondern plane, den Brennstoff und Energieträger aus alternativen Quellen zu bekommen. Polens Präsident Andrzej Duda verkündete offiziell den Baubeginn für die „Baltic Pipe“ am 30. April dieses Jahres. Und geplant sei, sie am 1. Oktober 2022 in Betrieb zu nehmen. Der Verzicht auf das russische Erdgas wird in Polen praktisch auf der Ebene einer nationalen Idee proklamiert. Im Dezember des Jahres 2019 erschien die „Gazeta Polska“ mit der Titelschlagzeile „Die Polen wollen kein russisches Gas“. Das Blatt veröffentlichte die Ergebnisse einer Umfrage, die der Konzern PGNiG durchgeführt hatte, und ein Interview des ehemaligen Konzernchefs Piotr Woźniak. Die Polen würden auf einen Verzicht auf das russische Gas warten. Derart sei die Antwort von 84 Prozent der Befragten. Sie würden eine Entwicklung der Zusammenarbeit mit anderen Lieferanten erwarten. In drei Jahren würde der Jamal-Vertrag enden. „Nach dem Jahr 2022 werden wir vollkommen unabhängig von Russland sein“, sagte Piotr Woźniak.

Es gibt die Meinung, dass PGNiG theoretisch bei anderen Unternehmen, die auf dem Schelf arbeiten, Gas zusätzlich kaufen könne. Dennoch wird ein Großteil des norwegischen Gases auf jeden Fall für viele Jahre im Voraus abgeschlossenen Verträgen unterliegen. Und Polen werde für die Lieferungen mehr bezahlen oder einen Swap zum Austausch des norwegischen Gases gegen russisches vornehmen müssen. Der Gewinn für GAZPROM könne jedoch wirklich die Situation hinsichtlich des Erwerbs einer Ressourcenbasis erleichtern.

Ambitionierte Pläne

In diesem Jahr hat der polnische Öl- und Gaskonzern einen Vertrag unterzeichnet. Im Verlauf von sieben Jahren wird er über 150.000 Tonnen verflüssigtes Erdgas an die Firma – auch aus Polen — DUON Dystrybucja liefern, die sich mit dem Vertrieb des Energieträgers über eine eigene Infrastruktur befassen wird. Anliefern wird PGNiG den Energieträger ab dem LNG-Terminal in Świnoujście und von LNG-Produktionsstätten mit geringen Kapazitäten, die sich unter dessen Management befinden. Seit dem 1. April 2020 gibt es noch eine Quelle – die Station für die Übernahme und den Umschlag von LNG im litauischen Klaipeda. Anders gesagt, Polen möchte sich mit skandinavischem und nicht mit russischem Gas nicht einfach versorgen. Das Land erhebt auf weitaus mehr Anspruch. Und zwar auf die Rolle eines neuen Gas-Hubs in Osteuropa. Dafür erweitert Polen das LNG-Terminal in Świnoujście (von einer Kapazität von 5 Milliarden bis auf 7,5 Milliarden Kubikmeter im Jahr) und beabsichtigt, norwegisches Gas über die Pipeline „Baltic Pipe“ zu bekommen. Und die Überschüsse des Brennstoffs, die wäre es gut, wie die gerissenen Pans hoffen, anderweitig abzusetzen.

Wie soll dies realisiert werden? Ende Sommer des vergangenen Jahres wurde die Verlegung des ersten der zwei Stränge der Gaspipeline GIPL aus Polen nach Litauen unter dem Flussbett des Neman (deutsch: Memel) erfolgreich abgeschlossen. Der Abschnitt unter dem Neman hat eine Länge von 750 Metern. Gebaut werden sollen 100 Kilometer der Gasleitung ab dem Dörfchen Jauniūnai (Rajongemeinde Širvintos) bis zur Stadt Alytus. In diesem Jahr ist geplant, die verbliebenen 65 Kilometer der Leitung zu verlegen. Polen und Litauen beabsichtigen, den Bau der GIPL bis Ende des Jahres 2021 abzuschließen. Die Gesamtlänge dieser Gaspipeline beträgt 508 Kilometer. In Warschau träumt man bereits davon, wie man Zugang zu den Märkten Litauens, Lettlands, Estlands und Finnlands bekommt. Polen beabsichtigt, dort das von ihm gekaufte LNG und das Erdgas, das über die künftige „Baltic Pipe“ fließen wird, zu verkaufen. Geplant ist, dass man aus Polen 2,4 Milliarden Kubikmeter im Jahr nach Litauen liefern könne. Und in der Gegenrichtung – 1,9 Milliarden. Die Gesamtkosten der polnisch-litauischen Gaspipeline belaufen sich auf rund 500 Millionen Euro. In diesen Bau investieren der polnische Gasnetz-Betreiber Gaz-System und Litauens Amber Grid. Eine Co-Finanzierung im Umfang von 266,4 Millionen Euro erfolgt auch aus europäischen Strukturfonds. Und dies ist nicht erstaunlich: Im Jahr 2016 gelangte die polnisch-litauische Pipeline auf die Liste der wichtigen EU-Regionalprojekte auf dem Gebiet der Gas-Distribution.

Allerdinds sind auch Polen und Litauen selbst bereit, ernsthaft in diesen Bau zu investieren. So ist früher bekannt geworden, dass der litauische Betreiber des Erdgastransportsystems Amber Grid in der Europäischen Investitionsbank für den Bau der GIPL einen Kredit im Umfang von bis zu 65 Millionen Europa aufnehme. Da geraten freilich Polens Pläne in einen Widerspruch zu den Gas-Ambitionen Litauens. Es sei daran erinnert, dass vor sechs Jahren, am 27. November 2014, im litauischen Klaipeda das Gas-Terminal Independence den Betrieb aufnahm. Ein Flüssiggastanker mit vier LNG-Tanks, deren Gesamtkapazität etwa 170.000 Kubikmeter erreicht. In Vilnius hatte man das Datum des 27. November als eines der bedeutendsten in der Landesgeschichte bezeichnet. Die Beamten versicherten, dass das Terminal „Litauen eine Energieunabhängigkeit von Russland bringen wird“. Bald stellte sich aber heraus, dass der Preis des Rohstoffs der russischen Konzerne NOVATEK und GAZPROM für die litauischen Abnehmer aus der Wirtschaft regelmäßig vorteilhafter als der Preis des europäischen Gases ist. Und Litauen träumt von einer Eroberung der Märkte von Polen an sich, aber auch von Weißrussland und der Ukraine. „Hier ist alles logisch: In Klaipeda steht ein LNG-Terminal, dessen Leistung spielend den Bedarf des gesamten Baltikums deckt. Daher braucht Litauen keine zusätzlichen Gasmengen. Es sollte eher Absatzmärkte für die eigenen überschüssigen Mengen finden.

Polen aber ist – gelinde gesagt – nicht die geeignetste Variante. Seine Energieversorgung ist auch in Ordnung. Es gibt sowohl die GAZPROM-Lieferungen per Pipeline als auch das LNG-Terminal in Świnoujście, das die Polen ausbauen wollen. In der Perspektive soll noch eine Regasifizierungsanlage gebaut werden. Selbst wenn Warschau wirklich auf eine Prolongierung des Jamal-Vertrages mit Russland verzichtet, die Lieferungen über alternative Routen werden vollkommen seinen Bedarf decken. Die Frage ist nur, zu was für einen Preis.

Wie dem auch sein mag, Litauen mit seinen „verlockenden“ Angeboten fügt sich nicht in dieses Schema ein“, meint Alexej Iljaschewitsch, Experte des analytischen Webportals. „Die Pläne für eine Gas-Expansion Polens sehen aber weitaus realistischer aus. Und GAZPROM muss unbedingt eine Antwort auf diese Herausforderung suchen.“

Politische Spiele

In Warschau möchte man den Platz Londons in der Europäischen Union einnehmen. Aber man ist sich sicher, dass Berlin diesen Plänen störe, meint der deutsche Politologe Alexander Rahr. So bewertete er die Worte eines der polnischen Experten, wonach zum neuen wichtigsten Freund der USA in Europa erneut Deutschland anstelle von Polen werde.

Es macht keinen Sinn zu verhehlen, dass zwischen dem gegenwärtigen Führer der Europäischen Union – Deutschland – und das auf eine Führungsrolle Anspruch erhebende Polen (zumindest in Osteuropa) tiefgreifende Meinungsverschiedenheiten bestehen. Wie die Berliner analytische Stiftung „Wissenschaft und Politik“ betont, befinden sich die Beziehungen zwischen Deutschland und Polen in einer Phase von Spannungen. Es geht um strittige Fragen, unter denen der Abschluss der Bauarbeiten für „Nord Stream 2“ keine unwesentliche Rolle spielt. Jedoch sind auch andere Fragen recht brisant. Dies sind nach Einschätzung der Experten der Stiftung die Reparationsforderungen gegenüber Deutschland und das Flüchtlingsproblem.

Alexander Rahr sieht diese Widersprüche als tiefere. Er ist der Auffassung, dass „zwischen Deutschland und Polen ein verdeckter Konkurrenzkampf in Europa erfolgt. In Warschau möchte man nicht, dass die Deutschen und Franzosen die Parade in der Europäischen Union befehligen. Es ist daran interessiert, dass die Stimme der osteuropäischen Länder vernommen wird“. Seiner Meinung nach wolle Polen nach dem Ausscheiden von Großbritannien aus der EU dessen Platz in der Troika der führenden Länder Europas einnehmen, doch „Deutschland lässt es ihm nicht zu, dies zu tun“. „Polen hatte auf einen Sieg von Donald Trump gehofft. Es schien ihm, dass dieser amerikanische Präsident auch weiterhin Deutschland und Frankreich missachten wird, denn ihn hatte mehr der östliche und nicht der westliche Flügel der Europäischen Union interessiert. Vor diesem Hintergrund hatten die Polen gehofft, mit Deutschland und Russland in einer Sprache der Stärke zu sprechen“, erläuterte Rahr.

Mit dem Amtsantritt von US-Präsident Joe Biden „beißen sich die Polen in den Hintern“. „Jetzt sind ihre ambitionierten Pläne zusammengebrochen. Und die Polen suchen nach einem Schuldigen. Biden kann man keinen Vorwurf machen. Doch Angela Merkel kann man alles ankreiden. Überdies reizt Deutschland die Polen in den Fragen der liberalen Werte, wenn es sie Demokratie lehrt. Zwischen den Ländern gestaltet sich keine einfache Situation“, erläutert der Experte.