Russland bezahlt die Errichtung eines Kernkraftwerkes in der Türkei und verspricht dem Iran einen vergünstigten Kredit in einem Umfang von beinahe anderthalb Milliarden Dollar für den Bau eines Wärmekraftwerkes dort. Die ökonomische Effektivität derartiger Projekte löst bei Experten Fragen aus. Die russischen Offiziellen sind jedoch bereit, die Energiewirtschaft anderer Länder zu finanzieren. Präsident Wladimir Putin nahm zusammen mit dem türkischen Staatsoberhaupt Recep Tayyip Erdogan am vergangenen Mittwoch an einer neuen Zeremonie für den Beginn gemeinsamer Infrastrukturprojekte teil. Dieses Mal waren sie per Videokonferenzschaltung bei der Zeremonie des Einbringens von erstem Beton für den dritten Reaktorblock des türkischen AKW „Akkuyu“, das das russische Staatsunternehmen „Rosatom“ errichtet.
Den Startschuss zum Bau dieses aus vielerlei Hinsicht bemerkenswerten AKW hatten die Staatsoberhäupter bereits im April 2018 gegeben. Dabei war das Abkommen über die Errichtung des Kernkraftwerks im Mai des Jahres 2010 abgeschlossen worden. Und ursprünglich war geplant worden, dass die Blöcke des Kraftwerkes nacheinander, mit einem Intervall von einem Jahr ab dem Jahr 2019 bis einschließlich 2022 gebaut werden. Aber die stürmischen politischen und selbst militärischen Ereignisse der letzten Jahre (unter anderem die Geschichte mit dem durch die Türken abgeschossenen russischen Kampfjet) hatten gezwungen, die Termine zu verschieben. Und jetzt bemüht man sich, die Inbetriebnahme zum 100. Jahrestag der Republik Türkei, der im Jahr 2023 begangen wird, vorzunehmen.
Das AKW „Akkuyu“ wird zehn Prozent des Bedarfs der Türkei an Elektroenergie decken, womit die Abhängigkeit des Landes von Gas und Kohle verringert wird. Laut Berechnungen des türkischen Ministeriums für Energiewirtschaft und Naturressourcen könnte im Falle dessen, wenn „Akkuyu“ schon jetzt zu funktionieren beginnen würde, es eine Stadt mit einer Bevölkerung von 15 Millionen Einwohnern wie beispielsweise Istanbul mit Elektroenergie versorgen.
Welche Vorteile die Türkei durch diesen Bau erlangen wird, ist sehr gut bekannt. Darüber wird ausführlich auf unterschiedlichen, „Rosatom“ nahestehenden Informationsportalen berichtet. In der Provinz Mersin, in der die Bauarbeiten erfolgen und die der sehr gut bekannten Tourismusregion Antalya an der Mittelmeerküste sehr nahe gelegen ist, wurde ein Zentrum für öffentliche Informationen des AKW eröffnet, indem zehntausende Besucher bereits erfahren haben, wie dieses erste Kernkraftwerk in der Türkei die soziale und wirtschaftliche Entwicklung des Landes und der Region fördern wird.
Obgleich vor einiger Zeit die Einheimischen unangenehme Emotionen durchmachten, als aufgrund der planmäßigen Sprengarbeiten für die Baugruben gerade für eben diesen dritten Reaktorblock bei vielen die Häuser Schäden erlitten hatten, erzählt man ihnen in dem Zentrum, dass der Bau erhebliche Möglichkeiten für türkische Lieferanten eröffne: Wie erwartet wird, wird die türkische Seite bis zu 40 Prozent aller Arbeiten zur Errichtung des AKW „Akkuyu“ ausführen können. Und die einheimische Community wird Einnahmen aus den Bauarbeiten erhalten. In den Spitzenzeiten werden hier bis zu 10.000 Menschen arbeiten werden. Hier arbeiten bereits mehrere dutzend türkische Ingenieure, die in der Russischen Föderation eine Ausbildung absolviert haben. Allein für die Errichtung des „Städtchens der AKW-Beschäftigten“ können rund 250 Millionen Dollar investiert werden. Und der voraussichtliche Beitrag zum BIP durch dessen Bau und die Zunahme der Aufträge im Handel kann 400 Millionen Dollar erreichen. Die Gesamtkosten des Projekts werden auf 22 Milliarden Dollar geschätzt. Dabei macht der Anteil von „Rosatom“ an dem Vorhaben 100 Prozent aus.
Das russische Institut für Probleme natürlicher Monopole (IPNM) hatte bereits im Jahr 2012 eine sorgfältige Untersuchung der Frage nach der Effektivität des Rücklaufs der durch Russland investierten Haushaltsmittel in dieses Projekt veröffentlicht und festgestellt, dass die Russische Föderation für ihr Geld in Gestalt von „Akkuyu“, dessen Rückzahlung sehr fraglich ist, nicht wenige Risiken erhalte. Erstens sind die Wissenschaftler der Auffassung, dass das Schema an sich riskant sei, dementsprechend das Abkommen realisiert wird. Die Ausschreibung für die Errichtung des ersten türkischen AKW hatte die Türkei bereits im März 2008 vorgenommen. Ab in Vielem aufgrund der Realisierungsbedingungen, die für Projekte solcher Art ungewöhnliche sind, war von den elf Unternehmen aus der ganzen Welt, die ursprünglich für das Vorhaben Interesse bekundet hatten, nur das russische übriggeblieben. Die Realisierungsbedingung heißt Build-Own-Operate (BOO) oder Bauen-Besitzen-Betreiben. Das heißt, gemäß diesem Betreibermodell soll der Lieferant die Finanzierung, den Bau und den Betrieb des AKW gewährleisten. Und der türkische Staat – die Lizensierung und die Garantien für den Erwerb der erzeugten Elektroenergie im Verlauf von 15 Jahren.
Im IPNM warnten davor, dass bei der Nutzung des BOO-Betreibermodells die ausländischen Investoren erhebliche Risiken tragen würden. Die Praxis habe gezeigt, dass die meisten ausländischen Unternehmen, die an der Errichtung von Gas- und Kohle-Wärmekraftwerken teilgenommen hatten, nach Abschluss der Bauarbeiten gemäß solch einem Schema aus den Projekten ausgestiegen seien, wobei sie die an türkische Unternehmen verkauften.
Das Hauptrisiko hänge ihrer Meinung nach damit zusammen, dass durch das Abkommen die russischen Interessen nicht geschützt seien. Die Russische Föderation werde beinahe alle mit dem Projekt verbundenen Risiken tragen. Rosatom hatte geplant, sie mit den türkischen Partnern zu teilen, indem der russische Konzern versuchte, 49 Prozent des Betreiberunternehmens zu verkaufen. Bisher aber haben sich keine Interessenten gefunden.
Das finanzielle Risiko hänge damit zusammen, dass das bereits in Betrieb genommene AKW im Verlauf von 15 Jahren ab dem Zeitpunkt der Inbetriebnahme eines jeden Blocks zur kommerziellen Nutzung die Elektroenergie zu dem fixierten Preis von 12,35 Cent je kWh verkaufen soll. Zu diesem Preis werden 70 Prozent der durch den ersten und zweiten Reaktorblock erzeugten Elektroenergie und 30 Prozent der durch den dritten und vierten Reaktorblock erzeugten Elektroenergie verkauft werden.
Diese Bedingung bezeichnete Professor Bulat Nigmatulin als eine „knechtende“. Überdies habe die russische Seite seiner Meinung nach alle möglichen zusätzlichen Ausgaben und Risiken hinsichtlich der Realisierung dieses Projekts übernommen. Und alle Arbeiten für „Akkuyu“ würden ohne finanzielle Verpflichtungen der Türkei ausgeführt werden. Das heißt, der türkische Etat trage keinerlei finanzielle Risiken.
„Akkuyu“ ist bei weitem nicht das einzige Beispiel in der Energiewirtschaft der Nachbarländer, wo Russland Projekte aus dem Staatshaushalt finanziert. Ende Februar hat Irans Madschles (das Parlament) der Landesregierung die Genehmigung erteilt, bei Russland einen 5-Milliarden-Dollar-Kredit aufzunehmen, der für Infrastrukturprojekte im Iran genutzt werden soll. Im Dezember des Jahres 2019 hatte Irans Energieminister Reza Ardakanian erklärt, dass Teheran plane, diese Mittel für mehrere Infrastrukturprojekte einzusetzen, die unter anderem mit dem Bau und der Modernisierung von drei Kraftwerken verbunden seien.
Im vergangenen Herbst teilte man im Iran mit, dass man Vereinbarungen mit einem neuen russischen Auftragnehmer hinsichtlich der Errichtung des Sirik-Wärmekraftwerkes erzielt hätte, und die gemeinsame Verwirklichung des 1,4-Milliarden-Dollar-Vorhabens werde bald beginnen. Die Zeremonie zur Aufnahme der Bauarbeiten für das Sirik-Wärmekraftwerk hatte bereits im Februar des Jahres 2017 im Beisein des russischen Energieministers Alexander Nowak (heute Vizepremier in der Regierung Russlands – Anmerkung der Redaktion) stattgefunden. Und die Vereinbarung über die Realisierung des Projekts war zwischen Wladimir Putin und seinem iranischen Amtskollegen Hassan Rohani im November des Jahres 2015 erzielt worden.
„Die Errichtung der vier Reaktorblöcke des türkischen AKW „Akkuyu“ mit einer Gesamtleistung von 4800 Megawatt durch die Russische Föderation ist ein Beispiel für die einmalige umfangreiche internationale Zusammenarbeit der beiden Länder im Energiebereich, in deren Rahmen erstmals das zu realisierende Export-Modell „Build-Own-Operate“ eine komplette Abstimmung durchlief und eine Billigung auf allen erforderlichen zwischenstaatlichen gesetzgeberischen, wirtschaftlichen und rechtlichen Ebenen sowie hinsichtlich der Aufsicht, der technologischen und Umweltschutzebenen erhalten hat“, sagte der „NG“ der Chefredakteur des Internet-Informationsportals „Atomenergie 2.0“, Pawel Jakowlew.
„Meiner Meinung nach wird dieses Projekt dem russischen Staatskonzern „Rosatom“ erlauben, auf der Baustelle die modernsten Technologien für einen optimierten Fließ- und Serienbau zu realisieren, eine erhebliche Auslastung der eigenen Produktions- und Personalkapazitäten in Russland vorzunehmen und ein perspektivreiches Finanzmodell hinsichtlich des garantierten Absatzes der im AKW erzeugten Elektroenergie an die türkischen Verbraucher mit einem minimal fixierten Preis und dem in der Perspektive zu erwartenden Erhalt eines erheblichen Gewinns umzusetzen, aber auch der Wirtschaft und der Industrie der Türkei bei der Erzeugung einer gewaltigen Menge von kohlenstoffarmer und sicherer Elektroenergie im Verlauf von mindestens 60 Jahren zu helfen, was zweifellos der wichtigste und aktuellste Grund für dieses Energie-Projekt ist“, sagte der Experte.