Die russische Gesellschaft ahnt einen Wechsel sowohl der Wirtschafts- als auch der politischen Elite voraus. Stark sind aber auch die Befürchtungen, dass die Vertreter der Elite versuchen werden, die derzeitige Situation zu konservieren. Zwischen den Besitzern von Kapital und der übrigen Bevölkerung verstärkt sich die soziale Distanz. Es besteht ein Mangel an gegenseitigem Verständnis, der auf Stereotypen beruht. Davor haben Experten der Moskauer Business-Schule „Skolkovo“ gewarnt. Im Verlauf von Befragungen ermittelten sie, dass unabhängig von der realen Lage der Dinge fast 60 Prozent der Bürger Russlands keinen positiven Einfluss auf die Wirtschaft durch das Wirken der Business-Eliten sehen. Vieles muss in der Wahrnehmung verändert werden: Die Gesellschaft braucht keine „Eliten“, sondern eine „verantwortungsbewusste Klasse“.
Heute ist einer der Haupttrends, dass in den Eliten das schmerzhafte Szenario der Kontinuität realisiert wird. Gleichzeitig damit verstärken sich im Sozium (in der Gesellschaft) die Erwartungen, dass die Wirtschafts- und politischen Eliten zur Etappe eines Wechsels kommen. Schwierigkeiten solch einer Übergangsperiode diskutierte man dieser Tage auf einer Konferenz des Zentrums für die Steuerung des Wohlstands und für Philanthropie von „Skolkovo“.
Iwan Klimow, Leiter einer Forschungsgruppe des Zentrums für die Steuerung des Wohlstands und für Philanthropie der Business-Schule „Skolkovo“, stellte die Ergebnisse einer Untersuchung vor, die dem Porträt des Kapitalbesitzers in Russland und der Haltung der Gesellschaft denjenigen gegenüber, die selbst die Forscher kurz als reiche charakterisierten, galt. Die Haltung ist eine zwiespältige.
Zum Beispiel teilten 83 Prozent der 1555 befragten Bürger Russlands mit, dass der Reichtum in Russland ungerecht verteilt sei. Rund 70 Prozent sind der Annahme, dass die reichen Menschen nicht die Offiziellen beeinflussen dürfen. Und scheinbar 61 Prozent der Befragten sind geneigt, unabhängig davon, wie dieser Einfluss tatsächlich aussehen mag, zu behaupten, dass die Kapitalbesitzer die Entscheidungen und Handlungen der Herrschenden negativ beeinflussen.
Außerdem vermuten 72 Prozent der Bürger Russlands, dass die Ethik und Werte der reichen Menschen keine Anerkennung und Achtung verdienen. Gleichfalls erklärten 62 Prozent der Befragten, dass „die Reichen keine Verantwortung für das Land und die Gesellschaft spüren“. Ungefähr 58 Prozent der Befragten sehen keinen positiven Einfluss der Reichen auf die Wirtschaft. Und ungeachtet all dessen meinen 61 Prozent der Befragten, dass dennoch „unsere Gesellschaft die reichen Menschen braucht“.
Wie Iwan Klimow erläuterte, vergrößere sich die soziale Distanz, verstärke sich der Mangel an gegenseitigem Verständnis zwischen den Kapitalbesitzern und den übrigen Bürgern Russlands. Dabei sagten wieder einer Vorahnung eines Wechsels der Eliten beinahe drei Viertel der Befragten, dass „die reichen Menschen eine abgeschlossene Kaste Auserwählter sind“. Nach Aussagen des Experten würden solche Antworten durchaus mit anderen Daten korrelieren, zum Beispiel mit dem Index für die Qualität der Eliten (Elite Quality Index — EQx) von Tomas Casas i Klett: Entsprechend diesem gehören die Eliten, die in Russland existieren, zum Typ „Rentier“. Im Falle eines Erfolges würden sie danach streben, ihre Business-Modelle zu bewahren, sie zu konservieren. Sie würden solche Institute bilden, die sie bei der Wahrung ihrer Lage begünstigen und die keine anderen in ihren Kreis lassen, folgt aus einer Erläuterung von Klimow.
Er verwies auch darauf, dass selbst die Kapitalbesitzer mitunter auch eine „soziologische Naivität“ gegenüber den übrigen Bürgern demonstrieren würden. Die Optik ist von beiden Seiten her verzerrt, es erfolgt eine gegenseitige Vereinfachung der Motivation. Während die Bevölkerung die großen Wirtschaftsvertreter des Strebens nach Profit und unehrlicher Methoden bezichtigen, erklären die Kapitalbesitzer selbst solche Meinungen mit Neid und Passivität. Die erfolgreichen Businessvertreter würden über die Bevölkerung so urteilen, als würden sie nach Aussagen des Forschers die Bürger einer Subjektivität berauben, und sie (die Businessvertreter) würden keine Bereitschaft zu einem Dialog und zur Schaffung einer Community demonstrieren.
Wenn man aber über die Gesellschaft spricht, so „ergibt sich in ihr ein Bedürfnis nach Verantwortungsgefühl“, nach „einer verantwortungsbewussten Klasse“, wie Klimow erläuterte. Die Ironie der Situation bestehe darin, dass die Kapitalbesitzer an sich oft zu zeigen bestrebt seien, dass sie für die Wirtschaft, für das Land verantwortlich seien, doch die Gesellschaft dies aufgrund einer Nichtübereinstimmung ihrer Ängste und Erwartungen mit dem, was die Kapitalbesitzer interessiert, nicht wahrnehme.
Seine Meinung hinsichtlich dieser Probleme äußerte auf der Konferenz der ehemalige Leiter der Präsidialadministration und Vorsitzende des Direktorenrates der Moskauer Management-Schule „Skolkovo“, Alexander Woloschin. Er lenkte das Augenmerk darauf, dass, wenn wir die Grundeinstellung verändern und die Gesellschaft zu einem Gespräch über sowohl für die Gesellschaft als auch für die Kapitalbesitzer wichtigen Probleme zurückbringen wollen, man mit der Terminologie beginnen müsse.
Er trat beispielsweise mit einer Kritik am Begriff „Elite“ auf, wobei er auf die geeignetere Formulierung „verantwortungsbewusste Klasse“ verwies. Das heißt, dies seien die Menschen, die zu verschiedenen Zeiten Verantwortung für das Business, für das Land, für das Wohlergehen der Bürger übernehmen würden. Gleichfalls war er nicht mit der negativen Konnotation des Begriffs „Rentier“ einverstanden. Die einen würden von Null an Unternehmen schaffen, Innovationen implementieren. Und andere würden die Wirtschaft in einen stabilen Zustand bringen und sich bemühen, ihn zu bewahren. Die Koexistenz solcher verschiedenen Vorgehensweisen und Typen für die Führung des Business sei nach Meinung von Woloschin durchaus möglich und normal.
„Die Aufgabe der Gesellschaft und des Staates besteht darin, dass die eigentumsbedingte Schichtbildung keine zu große ist“, kommentierte die Situation Alim Bischenow, Mitglied des Generalrates von „Business Russia“. Je höher der Grad der Schichtbildung der Gesellschaft entsprechend den Einnahmen, desto stärker seien die negativen Stimmungen gegenüber den Reichen. „Die These von der sozialen Verantwortung der Wirtschaft propagiert oft der Staat, obgleich streng genommen dies gerade eine direkte Pflicht der staatlichen Strukturen ist – die Sorge um die Bürger“, fügte er hinzu. „Das Business hat bereits seine soziale Funktion erfüllt, indem es Arbeitsplätze schuf und die Arbeitsgesetzgebung einhält“.
„Das Bedürfnis an einer sozial verantwortungsbewussten Wirtschaft hat in unserem Land in den letzten Jahren zugenommen“, fuhr Pawel Sigal, 1. Vizepräsident des Wirtschaftsverbands „Stützen Russlands“ fort. „Die Gesellschaft versteht, dass sich die Unternehmen um die Ökologie und ihre Mitarbeiter kümmern müssen. Das Business, das in der einen oder anderen Region arbeitet, kann, indem es Mittel investiert, die Loyalität verstärken und eine wiedererkennbare Marke schaffen“. Laut einer Präzisierung von Sigal seien in vielen Unternehmen Programme für eine soziale Unternehmensverantwortung ausgearbeitet worden, die die Schaffung von Sozialobjekten, den Bau von Kindersportstätten, Hilfe für betagte Bürger, das Sorgen um die Gesundheit des Personals und den Umweltschutz usw. vorsehen würden.
„Damit sich bei der Business-Elite ein Verantwortungsgefühl für die soziale Entwicklung der Gesellschaft herausbildet, müssen ihr auch einige Vollmachten übergeben werden, was wahrscheinlich unmöglich ist. Daher kann sich die Verantwortung des Business (der Wirtschaft) nur auf das Unternehmen beschränken, das zum Eigentum des Unternehmers gehört, aber auch auf karitative Stiftungen oder andere derartige Instrumente“, erläuterte Dmitrij Purin, Leiter der Moskauer regionalen Abteilung der Partei des Wachstums und Vorsitzender des Direktorenrates des Unternehmens „Sovfracht“. „Es ist doch unmöglich, vom Business zu erwarten, dass es durch seine Handlungen die Funktionen des Staates – auf regionaler oder föderaler Ebene – ersetzt“. Seinen Worten zufolge sind für die Lösung der akuten Probleme nationale Projekte verabschiedet worden und werden umgesetzt. An denen kann die Wirtschaft teilnehmen. Andere Funktionen hinsichtlich einer sozialen Verantwortung kann man über eine Finanzierung karitativer Projekte, von Privatinitiativen vorsehen. „Als das am stärksten sozial verantwortungsbewusste würde ich das Business bezeichnen, das die Steuern korrekt zahlt und im Rahmen annehmbarer Normen und Regeln, der einheimischen Traditionen und Gesetzgebung handelt, Gentlemen’s Agreements (nur moralisch, aber nicht rechtlich verbindliche Vereinbarungen, mithin lose Absprachen – Anmerkung der Redaktion) erfüllt und über moralische Qualitäten verfügt“, zählte Purim auf.