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Ein kalter Winter in den Beziehungen Moskaus und Berlins


Der Beginn des Jahres 2021 hat unsere Prognose von Ende Dezember bestätigt, wonach der kollektive Westen und Deutschland weiter den „Faktor Nawalny“ bei der Gestaltung ihrer Politik in Bezug auf Russland nutzt. Die Festnahme des Oppositionellen gleich nach der Ankunft in Moskau am 17. Januar, die sich anschließenden Protestaktionen in russischen Städten, die massenhaften Festnahmen von Bürgern und das Gerichtsurteil gegen Alexej Nawalny haben die Situation im politischen Dialog zwischen Brüssel, Berlin und Moskau auf den Stand vom Oktober des Jahres 2020 gebracht, als – wie es schien – der tiefste Punkt in dessen Zustand erreicht worden war. Die Ereignisse vom Januar und Februar haben jedoch die Krise des gegenseitigen Verstehens und des Vertrauens vertieft. Die sich Ende vergangenen Jahres abgezeichneten Veränderungen bei der Schaffung von Voraussetzungen für eine Stabilisierung der politischen Beziehungen sind zunichte gemacht worden. Und die sich abgezeichneten Referenzpunkte für eine zumindest minimale Annäherung der Positionen sind spurlos verschwunden.

Unter diesen Bedingungen konnte man kaum mit positiven Ergebnissen vom lange erwarteten und vom 4. bis 6. Februar erfolgten Moskau-Besuch von Josep Borrell, dem Hohen Vertreter der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, rechnen. Ungeachtet seiner inhaltsreichen Gespräche mit dem russischen Außenminister Sergej Lawrow war informationsseitig eben jener „Nawalny-Faktor“ zurückgeblieben, der durch die aus der Sicht des Westens skandalösen Ausweisung von Diplomaten Deutschlands, Polens und Schwedens ergänzt wurde. Im europäischen und deutschen Diskurs war solch eine Bilanz als eine Erniedrigung des führenden diplomatischen Funktionärs der Europäischen Union dargestellt worden. Die Außenminister der Europäischen Union äußerten die Bereitschaft, die Frage nach neuen Sanktionen gegen das offizielle Moskau zu behandeln, und Lawrow sandte ein zweites Mal (das erste Mal im Oktober vergangenen Jahres) ein unzweideutiges hartes Signal an Brüssel und Berlin hinsichtlich der Unzulässigkeit von Druck, der zu einem „Abbruch“ der Beziehungen Russlands mit dessen führenden, dabei aber nach seinen Worten „unzuverlässigen“ Partner führen könne.

Vor diesem Hintergrund erfolgte am 19. Februar die Münchner Sicherheitskonferenz, die erstmals in einem digitalen und einem wesentlich reduzierten Format – hinsichtlich der Zeit, der Thematik und auch hinsichtlich der Zusammensetzung der Teilnehmer – organisiert worden war. Im Rahmen der Erörterung der Zukunft der transatlantischen Beziehungen rief Bundeskanzlerin Angela Merkel (wie auch die anderen Teilnehmer hatte sie mehrfach Nawalny erwähnt) die EU und die USA auf, eine gemeinsame Strategie in Bezug auf Russland zu entwickeln, die einerseits die Differenzen in den existierenden Meinungen und Positionen berücksichtigt und andererseits unterschiedliche Vorschläge für eine Zusammenarbeit vorsieht. Gleichzeitig wiederholte sie ihre These, dass Russland ständig die EU-Länder in hybride Meinungsverschiedenheiten hineinziehe (eine deutliche Anspielung auf die bevorstehenden Bundestagswahlen). Sie konstatierte aber auch, dass es keinen Fortschritt bei der Umsetzung der Minsker Vereinbarungen gebe. Wichtig wurde die Präzisierung von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hinsichtlich der Notwendigkeit der Gestaltung einer neuen Architektur für die gesamte Sicherheit, die einen „fordernden Dialog“ mit Russland als „eine notwendige Bedingung für den Frieden in Europa“ einschließt. Die Bundeskanzlerin trat weder während der Veranstaltung noch nach ihr gegen diese These auf.

Am 22. Februar verabschiedete das Außenministerkomitee des EU-Rates einen Beschluss über personengebundene antirussische Restriktionen, die am 2. März in Kraft trat. Bundesaußenminister Heiko Maas, der noch am Tag der Ausweisung der Diplomaten versprochen hatte, Moskau eine adäquate Antwort auf diesen Schritt zu geben, der „den Beziehungen der Russischen Föderation mit der EU schadet“, wurde zu deren Hauptprotagonist.

Dabei bekunden in der außenpolitischen Richtung Berlin und seine europäischen Partner, in erster Linie Paris, nach wie vor ein Interesse an einer mit Moskau gemeinsamen Erörterung und Lösung der wichtigsten Probleme im Nahen und Mittleren Osten sowie an einer Wiederaufnahme des Dialogs mit der NATO. Hinsichtlich der Fragen der Abrüstung und Verringerung der Risiken einer militärischen Konfrontation im europäischen Raum hat Russland die offenkundig destruktive Position der deutschen Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer und von NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg, der mit einer beneidenswerten Beständigkeit aufruft, mit Russland von einer Position der Stärke aus zu sprechen, und fordert, die Verteidigungsausgaben Deutschlands bis auf zwei Prozent des BIP anzuheben (schon heute sind sie fast den analogen Ausgaben Russlands gleich), zu überwinden.

In der Wirtschaft, die das Hauptgerüst der bilateralen Beziehungen bleibt, ist der Bereich der Energiewirtschaft inkl. der erneuerbaren Energiequellen nach wie vor ein vorrangiger. Aktiv diskutiert wird eine neue Richtung – die Erzeugung, Speicherung, der Transport und die Nutzung von umweltfreundlich reinem Wasserstoff. Am 16. Februar hatte in Berlin die traditionelle Jahreskonferenz der Deutsch-Russischen Außenhandelskammer und des Ostausschusses der Deutschen Wirtschaft stattgefunden, an der die Minister Peter Altmaier und Denis Manturow sowie führende Wirtschaftsvertreter teilnahmen, die die Perspektiven für die Zusammenarbeit unter den Bedingungen der Pandemie und des wesentlich zusammengeschrumpften Außenhandelsumsatzes diskutierten. Besonderes Augenmerk wurde den nicht zur Energiewirtschaft gehörenden Bereichen gewidmet, der Pharma-Industrie, den Informations- und Kommunikationstechnologien sowie den Transport- und Logistik-Dienstleistungen.

Am 24. Februar fanden im Bundestag Debatten zu den deutsch-russischen Beziehungen unter Beteiligung von Experten und Spezialisten statt, in deren Verlauf Wirtschafts- und politische Fragen einen zentralen Platz einnahmen. Die Erörterung der Perspektiven für die Kooperation wurde während der Jahresversammlung des Ostausschusses der Deutschen Wirtschaft fortgesetzt, bei deren Auftakt Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier auftrat. Nachdem er den traditionellen Vorbehalt über die roten Linien in den Beziehungen Deutschlands und Russlands geäußert hatte, unterstrich er deren Verantwortung für die Zukunft Europas, aber auch jene wichtige Rolle, die die deutschen Unternehmen in ihrer ausländischen Wirtschaftstätigkeit bei der Vereinigung der Staaten, Völker und Menschen spielen würden. Am Rande sei angemerkt, dass der Online-Auftritt von Wladimir Putin bei Weltwirtschaftsforum von Davos im Januar keine Reaktion beim deutschen Establishment ausgelöst hatte.

Am 6. Mai jährt sich zum 100. Mal der Jahrestag der Unterzeichnung des Zeitweiligen Abkommens zwischen der RSFSR und Deutschland, dementsprechend Handelsvertretungen gebildet worden waren. Dies ist ein guter Anlass für eine Erörterung der Perspektiven für das Zusammenwirken der unternehmerischen Interessensgruppen der Russischen Föderation und der Bundesrepublik Deutschland. In diesem Bereich steht die russische Wirtschaft der deutschen, die innerhalb eines Vierteljahrhunderts einen hocheffizienten Lobbyismus-Mechanismus in Russland geschaffen hat, erheblich nach. Zur jüngsten Errungenschaft der deutschen Unternehmer wurde der im Dezember vergangenen Jahres gebildete Deutsch-Russische Wirtschaftsrat, der die Unterstützung für bundesdeutsche Unternehmen auf den russischen Märkten verstärken soll. Über analoge Strukturen in Deutschland können die russischen Unternehmen vorerst nur träumen. Daher hat es Sinn, die Aufmerksamkeit auf die Rolle der staatlichen Strukturen zu lenken, die in der Lage sind, unter den Bedingungen der Übergangsperiode eine komplexe Unterstützung für die russischen Unternehmen in der BRD zu gewährleisten.

Das offizielle Berlin verteidigt weiterhin „Nord Stream 2“ als einen untrennbaren Bestandteil der Energie-Souveränität der Europäischen Union, wobei es (de facto seit Juli 2017) die Einmischung der USA in die Fragen der europäischen Energiesicherheit konsequent kritisiert. Anfang dieses Jahres, als Washington neue Sanktionen verhängte, kamen Spekulationen über einen Deal der Führung der BRD mit der neuen US-amerikanischen Administration bezüglich gewisser Kompromissvarianten hinsichtlich des Projekts auf. Die wurden aber offiziell durch die deutsche Seite dementiert.

Ungeachtet des erzwungenen Ausstiegs von 18 Unternehmen aus dem „Nord Stream 2“-Projekt Anfang März ist der Bau der Gaspipeline nicht gestoppt worden und wird mit großer Wahrscheinlichkeit im laufenden Jahr abgeschlossen werden. Es ist offensichtlich, dass die Vereinigten Staaten weiter Sanktionsdruck auf die Nord Stream AG und deren Partner ausüben werden, wobei sie versuchen werden, die Inbetriebnahme des dritten und vierten Strangs der Pipeline zu verhindern. Politische Unterstützung werden sie nicht nur von einzelnen antirussischen Vertretern des deutschen politischen Establishments erhalten, sondern auch von der Partei „Bündnis 90/Die Grünen“, die das Vorhaben als eine Bedrohung für die ökologische Sicherheit für den Norden Deutschlands ansieht.

Die Führung der BRD hat öffentlich das russische Vakzin „Sputnik-V“ in der EU unterstützt. Anfang März hat die Europäische Arzneimittel-Agentur eine Prüfung des russischen Impfstoffs in einem beschleunigten Modus gestartet. Die Coronavirus-Pandemie hat die Notwendigkeit einer stärkeren Zusammenarbeit unserer Länder auf dem Gebiet wissenschaftlicher Forschungen – in erster Linie im Bereich der Medizin und des Gesundheitswesens – aufgezeigt.

Im Verlauf des „Superwahljahres“ in Deutschland werden die Kontakte der russischen Führung mit Vertretern des deutschen politischen Establishments fortgesetzt werden. Anfang März besuchte der Bundestagsabgeordnete Johann Saathoff, der im August vergangenen Jahres Dirk im Amt des Koordinators der Bundesregierung für die zwischengesellschaftliche Zusammenarbeit mit Russland, Zentralasien und den Ländern der Östlichen Partnerschaft abgelöst hatte, Sankt Petersburg und Moskau. Bemerkenswert ist, dass die „NG“ zum einzigen russischen Medium geworden war, das ausführlich über dieses Ereignis berichtete.

Vom 8. bis 12 März weilte erneut eine Delegation der Partei „Alternative für Deutschland“ (AfD) in Russland. Wie auch erwartet wurde, löste der Besuch noch vor seinem Beginn eine negative Reaktion in Deutschland aus. Leider war während der Begegnungen von der russischen Seite her keine Kritik hinsichtlich der bekannten anrüchigen AfD-Politiker zu vernehmen, die die Partei zu einer aussätzigen machen, und die vor dem Hintergrund der Entscheidung des Bundesverfassungsschutzes, die Partei unter Beobachtung zu stellen (was durch die AfD recht erfolgreich angefochten wird), durchaus angebracht gewesen wäre.

Wichtig ist, dass sich die russische Seite nicht auf Treffen und Gespräche nur mit einer oder mehreren Oppositionskräften beschränkt, sondern auch mit den Parteien der Regierungskoalition einen Dialog führt.

Zu beobachten ist eine Bewahrung der Asymmetrie in den Beziehungen Russlands und Deutschlands – eine Krise im Bereich der Politik und ein Fortschritt in anderen Bereichen, besonders in der Wirtschaft und Wissenschaft. Der hauptsächlichste destabilisierende Faktor bleibt der Werte-Faktor der Europäischen Union – die Menschenrechte und die demokratischen Normen -, den nach Meinung der europäischen Funktionäre und Politiker das offizielle Moskau grob verletze. Der Druck von Brüssel und Berlin auf die russische Führung konzentriert sich um Nawalny, der für sie zu einem Symbol der Protestbewegung gegen den Kreml geworden ist. Die Spitzenvertreter der EU und Deutschlands, die keine Transformierung der Krise des politischen Dialogs in eine reale Verringerung des bestehenden Zusammenwirkens wollen, beschränken sich auf die Annahme minimaler personengebundener Sanktionen, die keinen ernsthaften Einfluss auf die Zusammenarbeit in den anderen Bereichen der bilateralen Beziehungen ausüben. Gleichzeitig setzt Berlin den Kurs auf eine Unterstützung der wirtschaftspolitischen Zusammenarbeit fort, die der European Green Deal immer mehr beeinflussen wird.

Unter diesen Bedingungen muss die Expertengemeinschaft unserer Länder ihrerseits die aktive Diskussion um die Perspektiven des bilateralen Zusammenwirkens fortsetzen. Die digitalen Plattformen haben, wie das Jahr 2020 zeigte, die Möglichkeiten für Diskussionen und die Verbreitung ihrer Ergebnisse wesentlich erweitert. Meinerseits sei eine vorsichtige Hoffnung auf eine Wiederaufnahme der unmittelbaren russisch-deutschen Begegnungen – zumindest ab Herbst – bekundet. Nötig ist eine aktivere und inhaltsreichere Popularisierung der Veranstaltungen, die im Rahmen des Deutschland-Jahres in Russland und des Deutsch-Russischen Jahres der Wirtschaft und nachhaltigen Entwicklung 2020 – 2022 durchgeführt werden.