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Die Reform des russischen Strafvollzugs reduziert man auf eine Instandsetzung von Toiletten


Russlands Justizministerium nimmt eine abschließende Bearbeitung des Entwurfs für die Konzeption zur Entwicklung des Strafvollzugssystems (SVS) bis zum Jahr 20230 vor. Den Häftlingen wird ein ruhigerer und komfortablerer Aufenthalt versprochen, beispielsweise Einzeltoiletten und Fernsehgeräte in den Zellen. Experten bezeichneten die Neuerungen als populistische und nicht zu einer realen Humanisierung des Strafvollzugs führende. Da sich in erster Linie die Foltern provozierende Wechselbeziehungen von Gefängnis und Untersuchungsbehörden nicht ändern würden. Mehr noch, in der Konzeption ist eine „Erhöhung der Effektivität“ der operativen Aufklärungstätigkeit festgeschrieben worden.

Das Dokument des Justizministeriums verspricht vor allem, die materiellen und Unterbringungsbedingungen der Häftlinge zu verbessern. Ihnen werden mehr Privatsphäre und persönlicher Raum „innerhalb vernünftiger Grenzen“ versprochen. Daher werden in den Toiletten endlich Trennwände und Türen auftauchen.

Man plant, die Zellen in den U-Haftanstalten mit moderner Technik auszustatten – mit Fernsehgeräten, Kühlschränken und Ventilatoren. Erhöht wird die Anzahl der erlaubten Pakete, Telefonate und Begegnungen. Im Entwurf der Konzeption ist ebenfalls von der Arbeitstherapie die Rede. Man wird beginnen, die Häftlinge „aktiver zur Realisierung der staatlichen und kommunalen Aufträge hinzuziehen“, um die sich im Übrigen die Straflager als einziger Lieferant bewerben.

Bis zum Jahr 2030 verspricht das Justizministerium, die auch so abnehmende Anzahl der Gefängnisinsassen um weitere rund 30 Prozent bis auf 250.000 bis 300.000 Menschen zu verringern. Dafür werde in den nächsten Jahren die Anzahl der Plätze für die zu Zwangsarbeiten verurteilten Personen um ein Mehrfaches erhöht.

Eine Reihe von Thesen der sich in Vorbereitung befindenden Konzeption decken sich mit den Empfehlungen des Ministerkomitees des Europarates. Zum Beispiel in dem Teil, in dem es heißt, dass die Häftlinge die Möglichkeit haben müssen, eine Ausbildung zu erhalten, einer Berufstätigkeit nachzugehen und ein individuelles System einer Heilbehandlung zu haben. Das Justizministerium plant, die Möglichkeit einer Verbüßung der Bestrafung am Wohnsitz der Familien der Verurteilten vorzusehen und die disziplinarische Praxis zu vervollkommnen.

Dabei haben Menschenrechtler bereits auch einige potenziell gefährliche Neuerungen festgestellt, unter denen eine „Umverlegung“ von Einrichtungen des Strafvollzugssystems aus den Städten heraus ist. Wie die „NG“ früher berichtete, sollte die bisherige Konzeption, die bis Ende des vergangenen Jahres galt, die russischen Gefängnisse näher an die europäischen Standards heranführen. Auch wenn für eine Humanisierung des Strafvollzugs dutzende Milliarden Rubel ausgegeben wurden, gibt es fast keine Erfolge im Kampf mit den GULAG-Traditionen. Tatsächlich sind hunderte Straflager nicht neu ausgestattet worden. Der Föderale Dienst für den Strafvollzug (Russlands Gefängnisbehörde – Anmerkung der Redaktion) konnte auch nichts mit der Gefängnis-Subkultur machen, sprich: sie verringern bzw. auszumerzen. Und die Anzahl der Misshandlungen und Foltern ist beinahe größer als die bisherige geworden.

Wie der Leiter des Komitees gegen Korruption und Foltern Gulagu.net, Wladimir Osetschkin, meint, „werden neue Modelle von Toilettenbecken und die symbolische Erhöhung der Toilettentrennwände um 20 Zentimeter das Problem der Erniedrigungen, der Unterteilung nach Kasten und des unmenschlichen Umgangs mit tausenden Einsitzenden aus dieser ungeschützten Kategorie nicht lösen“. Er bezeichnete die Ideen des Justizministeriums als eine erneute Imitation, aber in keiner Weise als eine Reform, die real auf eine Humanisierung des Systems des Strafvollzugs abzielt. Mehr noch, die vorgeschlagenen Neuerungen seien keine billigen. Und folglich könne es sich so ergeben, dass ein Teil des Geldes in den Taschen korrupter Beamter hängen bleibt. „Die PR-Leute des Gefängnissystems versuchen, die Ausstattung aller Zellen und Unterkünfte der Häftlinge mit Fernsehgeräten als einen Erfolg darzustellen. Und dies unter Berücksichtigung dessen, dass die sogenannten Entwickler (Häftlinge, die mit der Leitung der jeweiligen Strafanstalt zusammenarbeiten – Anmerkung der Redaktion) mitunter die Lautstärke der Fernsehgeräte so aufdrehen, damit die Nachbarzellen nicht hören, wie man in der „Druck-Kammer“ einen Häftling schlägt, der sich weigert, seine angebliche Schuld für irgendetwas einzugestehen“, erklärte Osetschkin.

Wie Spartak Kruglow, ehemaliger stellvertretender Leiter der Kaderverwaltung des Föderalen Dienstes für den Strafvollzug, betonte, sei anstelle eines Verzichts auf eine operative Arbeit innerhalb der Einrichtungen, was im Grunde genommen auch zur Ursache für das Aufkommen der sogenannten Foltern im Fließbandsystem werde, in der Konzeption „von einer Erhöhung der Effektivität der operativen Aufklärungstätigkeit“ die Rede. Seinen Worten zufolge bedeute dies lediglich eines: Bewahrt werden die Kategorie AWVJ (analoger Wert des Vorjahres) und das Vorgaben-System (dementsprechend geplante Zahlen erreicht werden sollen, auch wenn die Voraussetzungen dafür fehlen – Anmerkung der Redaktion). „Die operativen Beamten in den Einrichtungen des Föderalen Dienstes für den Strafvollzug schaffen weiter, im Streben nach Erreichen von Ergebnissen „Druck-Kammern“ zur Erhöhung der Aufklärungsrate, da dies die einzig mögliche Form innerhalb eines Gefängnisses ist“. Kruglow ist der Annahme, dass die „kosmetischen“ Änderungen vor allem für die PR-Arbeit und eine Verbesserung des Images des Föderalen Dienstes für den Strafvollzug vorgenommen werden.

Der Anwalt Alexander Chrapow – ein ehemaliger Staatsanwalt für die Aufsicht über die Moskauer U-Haftanstalten – erinnerte die „NG“ daran, dass eines der brisantesten Themen im System des Strafvollzugs die „grobe und generelle ungesetzliche Einschränkung des Verfassungsrechts der Beschuldigten und Angeklagten auf eine Verteidigung“ sei. Das nominelle Recht auf Telefonanrufe „wird für weniger als 0,1 Prozent der Festgenommen realisiert“. „Selbst wenn ein Mandant einen Anwalt telefonisch erreicht, werden sie sich wohl kaum am gleichen Tag oder am nächsten aufgrund des Fehlens einer ausreichenden Anzahl von Gesprächszimmern in den U-Haftanstalten sehen können, weshalb in der Hauptstadt eine elektronische Warteschlange eingeführt werden musste“, beklagt er sich. Seiner Meinung nach hätte der Föderale Dienst für den Strafvollzug schon längst Räumlichkeiten der U-Haftanstalten mit Videokonferenz-Mitteln mit einem eingeschränkten Internetzugang ausstatten können, beispielsweise für Kontakte der Inhaftierten mit Anwälten und Familienangehörigen. Die gegenwärtige Variante der Konzeption für die Entwicklung des Systems des Strafvollzugs halte keiner Kritik stand. „Allem nach zu urteilen werden wir die gleichen GULAGs mit den früheren Problemen und Verstößen erhalten… Unter Berücksichtigung meiner großen Erfahrungen hinsichtlich der Aufsicht sehe ich Voraussetzungen für systematische und grobe Verletzungen der Menschenrechte. Solch eine Variante der Konzeption entspricht offenkundig nicht den heutigen Herausforderungen und Bedürfnissen der Gesellschaft“, resümierte Chrapow.

In eine U-Haftanstalt bringt man die Person, deren Schuld noch nicht bewiesen worden ist, erinnerte Jelena Bryljakowa, Vorsitzende des Komitees der Verwandten von Gefangenen, gegenüber der „NG“. Und während für die Häftlinge in den Straflagern Zimmer für lange Begegnungen vorgesehen sind, „durchlaufen hunderttausende Menschen die U-Haftanstalten, in denen es vom Prinzip her nichts dergleichen gibt“. Im Ergebnis dessen ergibt sich, nachdem tausende Menschen drei, vier Jahre in Untersuchungshaft gehalten wurden und auch während der Prozesse in Haft gehalten werden, eine traurige Statistik hinsichtlich zerstörter Familien. „Im Verlauf von zwanzig Jahren versprach man uns eine Humanisierung des Föderalen Dienstes für den Strafvollzug. Und jetzt will man ihn weitere zehn Jahre lang auf dem Papier reformieren“, betonte Jelena Bryljakowa. „Den Plänen bis zum Jahr 2030 nach zu urteilen haben die Beamten aus dem Föderalen Dienst für den Strafvollzug und dem Justizministerium immer noch nicht begriffen, dass man nicht über Resozialisierung der Häftlinge nachdenken, sondern mit der Beseitigung der Ursachen für ihre ursprüngliche Desozialisierung nachdenken muss“.

  1. S. von „NG Deutschland“

Vor dem Hintergrund der geplanten neuen Reformen für den russischen Strafvollzug, in dessen Gefängnissen und Straflagern derzeit 519.615 Personen eine Strafe verbüßen (Russland liegt damit lt. Einer Interfax-Meldung vom 8. April auf Platz 1 unter den Mitgliedsländern des Europarates), fällt einem unweigerlich der Oppositionspolitiker Alexej Nawalny ein. Er befindet sich gegenwärtig im Straflager IK-2 in der Kleinstadt Pokrow. Es gilt laut offiziellen Angaben als eine Muster-Strafkolonie, doch aus irgendeinem Grunde bekommt der Politiker mit seinen derzeitigen gesundheitlichen Problemen dort wohl keine adäquate medizinische Hilfe – Nikotinsäure-Präparate und Diclofenac gegen das Taubheitsgefühl in den Beinen sowie zwei Bandscheibenvorfällen und Protrusionen. Eben daher auch die Besorgnis seiner Anwälte, Anhänger und auch in anderen Ländern. Freilich ist unklar, ob dies zu einer Änderung der Situation in der nächsten Zeit führen wird.