Am 16. und 17. März fand im Auswärtigen Amt in Berlin die VII. Internationale Konferenz „Berlin Energy Transition Dialogue.21“ (7. Berlin Energy Transition Dialogue (BETD)) statt. Das Forum galt Problemen des Erreichens einer Klimaneutralität in Europa bis zum Jahr 2050 und erfolgte teilweise in einem Offline- und teilweise auch in einem Online-Regime. Nach Aussagen der Konferenzmoderatorin Dr. Melinda Crane hätte gerade die Coronavirus-Pandemie die Organisatoren zu deren virtuellen Durchführung gezwungen.
Sicher erlaubte ein derartiges Format einer bedeutenderen Anzahl von bekannten Experten, an der Veranstaltung teilzunehmen und ihre Meinung zu äußern, als dies während der Durchführung ähnlicher Konferenzen früher der Fall war. Am diesjährigen Dialog beteiligten sich unter anderem die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, der Sonderbeauftragte des US-Präsidenten John Kerry, die US-Energieministerin Jennifer Granholm, aber auch (wenn man dem Bundesaußenminister glauben kann) über 50 Außen- und Energieminister verschiedener Länder der Welt.
Das Forum eröffnete Bundesaußenminister Heiko Maas. Vom Wesen her skizzierte der deutsche Minister die Hauptprobleme, die vor Europa im Zusammenhang mit der Realisierung der Ziele für das Erreichen einer Klimaneutralität bis zum Jahr 2050 stehen. Für Russland ist sein Verständnis der Beziehungen mit den Nachbarn Deutschlands im Verlauf der Umsetzung dieser Ziele wichtig.
Der Minister begann seinen Auftritt mit der Erwähnung der zwei Krisen, mit denen die Menschheit heute konfrontiert wurde. Dies sind die Coronavirus-Pandemie und die Klima-Krise. Die Menschheit sei aber nach Auffassung von Maas in der Lage, mit beiden Herausforderungen fertig zu werden. Die Überwindung der Klima-Krise verlange jedoch, wie der Minister meint, von allen, geschlossen und entschlossen zu handeln. Er erinnerte die Forumsteilnehmer an die Worte des Sonderbeauftragten des US-Präsidenten für Klimafragen, John Kerry, dass die Lösung für das Klima-Problem in der Energie-Politik liege. Letztlich gehe es um die Verfolgung einer aus der Sicht des Ministers „richtigen“ Energiepolitik. Und heute sei es für die Menschheit wichtig, eine derartige Politik im globalen Maßstab zu entwickeln und umzusetzen. Der Minister erinnerte, dass gerade Europa sich als erster das Ziel gestellt habe, bis zum Jahr 2050 zu einem klimaneutralen Kontinent zu werden. Und während des Vorsitzes von Deutschland im Europarat sei dieser Prozess wesentlich beschleunigt worden. Bis zum Jahr 2030 werde die Emission von Treibhausgasen um 55 Prozent im Vergleich zum Stand von 1990 reduziert.
Für das Begreifen der Zukunft der Wirtschafts-, ja und auch der politischen Beziehungen Russlands mit der EU ist es wichtig zu betonen, dass der Minister die Klimaneutralität nicht nur in den Windkraftanlagen, E-Autos und Anlaufstellen für deren Auftanken sieht. Es geht um die Veränderung des globalen Kräfteverhältnisses.
Heiko Maas begreift diese Veränderungen als eine Gewährleistung der Zuverlässigkeit der Energieversorgung und energetischen Strukturierung der Handelsströme. Und, was für Russland wichtig ist, die Ausgleichung der Kohlendioxid-Emissionen im Grenzbereich, die von vielen als die Einführung einer grenzüberschreitenden CO2-Steuer (auch: Kohlenstoff-Steuer) verstanden wird. Freilich machte er dabei eine Einschränkung hinsichtlich der Veränderungen, die durch die WTO zumindest gebilligt werden müssten. Der Minister bezeichnete diese Veränderungen „als mit den Forderungen der Welthandelsorganisation kompatible“.
Für das Verstehen der künftigen Politik Deutschlands und folglich Europas ist der Akzent wichtig, den der Minister auf den Wasserstoff als eine Alternative „zur Katastrophe, in die die Nutzung fossiler Brennstoffe die Welt zieht“, legte. Wasserstoff schaffe nach Meinung des Ministers neue Partnerschaften, da Europa in der Zukunft einen Import von Wasserstoff brauche, der buchstäblich an jedem Punkt des Erdballs produziert werden könne. Und daher werde Deutschland Kooperationsbeziehungen mit Ländern aller Regionen brauchen. Wie Maas meint, hätten solche Länder wie Chile, Marokko oder Australien bereits mit Hilfe von Wind- und Solarkraftwerken signifikante Kapazitäten für die Gewinnung von „grünem“ Wasserstoff geschaffen und Pilotanalagen dafür errichtet. Auch Deutschland werde auf dies setzen. Daher beabsichtige Berlin, in den nächsten Jahren zwei Milliarden Euro zu investieren, um die Schaffung eines Weltmarktes für Wasserstoff zu stimulieren.
Eine vor Deutschland stehende Aufgabe sei, wie der Bundesaußenminister meint, der Dialog mit den Ländern, die fossile Brennstoffe fördern und exportieren, solchen wie Russland und Saudi-Arabien, damit sie sich rechtzeitig an die sich vollziehenden Veränderungen anpassen können. Dazu würden „Wasserstoff“-Büros in Moskau und Er Riad eröffnet werden. Die Schaffung eines globalen Wasserstoff-Marktes verlange internationale Vereinbarungen. Es ergebe sich vor allem die Frage, was unter „grünem“ Wasserstoff zu verstehen sei.
Deutschland führt gegenwärtig dazu Verhandlungen mit der Internationalen Energieagentur (IEA), mit der Internationalen Organisation für erneuerbare Energien (International Renewable Energy Agency — IRENA) und der Gruppe G-20. Diese Gespräche sollen zur Schaffung internationaler Instrumente sowie Mechanismen zur Unterstützung und Zertifizierung dieses Prozesses führen, der den Weg für „grünen“ Wasserstoff auf die Weltmärkte bahnen wird.
Als Ergänzung der programmatischen Wortmeldung des deutschen Außenministers verdient die Rede des Bundesministers für Wirtschaft und Energie Peter Altmaier. Aus seiner Sicht stelle die Schaffung von Bedingungen für einen generellen Einsatz von „grünem“ Wasserstoff eine erhebliche technologische Herausforderung dar. Und diese Herausforderung können durch Europa nur unter Beteiligung der USA gemeistert werden. Der Minister bezeichnete dies als eine neue transatlantische Energiepartnerschaft. Zweifellos wird solch eine Partnerschaft das Bündnis Europas und der Vereinigten Staaten festigen und ungeachtet aller Anstrengungen Russlands zur Anbahnung einer Zusammenarbeit im Gassektor noch mehr die gegenwärtigen russisch-deutschen Kontakte schwächen.
Noch klarer markierte die derzeitige EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen die Ziele der Europäischen Union in ihrem Auftritt. Vor allem wurden durch sie konkrete Zahlen für den für Europa erforderlichen Wasserstoff genannt (angemerkt sei, dass sie nur über den „grünen“ oder „dekarbonisierten“ Wasserstoff sprach). Der Wasserstoff sei ihren Worten zufolge für die Realisierung der Ziele des europäischen „Green Deals“ nötig, der auch erlauben werde, bis zum Jahr 2050 eine Klimaneutralität des Kontinents zu erreichen. Angemerkt sei, dass in der EU gegenwärtig Wasserstoff in sehr eingeschränkten Dimensionen genutzt und vor allem aus (oder mit Hilfe) fossilen Brennstoffen gewonnen wird. Daher besteht das europäische Ziel darin, dass in der ersten Phase der Wasserstoff-Strategie (bis zum Jahr 2024) bis zu einer Million Tonnen „grünen“ Wasserstoffs im Jahr erzeugt werden, und in der zweiten Phase bis zum Jahr 2030 – zehn Millionen Tonnen im Jahr. Es ist klar, dass „grüner“ Wasserstoff durch Elektrolyse dank der Nutzung erneuerbarer Energiequellen gewonnen wird. Und dies erfordert im ersten Stadium Kapazitäten von bis zu einem Gigawatt für die Elektrolyse, und im zweiten – bereits bis zu 40 GW.
Der Einsatz von Wasserstoff soll nach Meinung von Ursula von der Leyen schrittweise auf solche Sektoren ausgedehnt werden wie die Stahlerzeugung. Hervorgehoben sei hier, dass in der Green-Deal-Strategie die Rede von einer Herstellung von Lastkraftwagen mit Hilfe von Wasserstoff sowie von einem Einsatz bei der Bahn und im Seetransport ist. Außerdem sollen im dritten Stadium, über das es die EU-Kommissionspräsidentin nicht zu sprechen vorgezogen hatte (ab 2030 bis 2050) die Technologien für die Gewinnung von „grünem“ Wasserstoff so vervollkommnet sein, dass sein Einsatz bereits alle Wirtschaftssektoren erfassen wird, inkl. der, wo gegenwärtig die Realisierung einer Dekarbonisierung auf erhebliche Schwierigkeiten stößt und alternative Lösungen vorerst entweder nicht möglich oder mit erheblichen Kosten verbunden sind.
Warum hatte sich Ursula von der Leyen in ihrem Auftritt gerade auf die Stahlerzeugung konzentriert?
Die Sache ist, dass derzeit in der ganzen Welt eine Überproduktion an Stahl beobachtet wird. Und laut Angaben der OECD erreichen die überschüssigen Kapazitäten zur Stahlerzeugung mehr als 500 Millionen Tonnen. Die in der EU eingeführten Zertifikate für den Handel mit den Treibhausgasemissionen verschärfen die Situation für die europäischen Hersteller und machen sie wettbewerbsschwachen im Vergleich zum Import aus dem Ausland. Nach Meinung von Hans Jürgen Kerkhoff, dem Präsidenten und Hauptgeschäftsführer der Wirtschaftsvereinigung Stahl in Deutschland, „droht die europäische Regulierung des Emissionshandels den europäischen Stahlerzeugern im Zeitraum 2021-2030 mit Verlusten in einem Umfang von 3,5 Milliarden Euro“. Diese Zahl nannte er bereits im Jahr 2018 auf dem sogenannten 1. Nationalen Stahlgipfel in Saarbrücken. Es ist klar, dass die Coronavirus-Pandemie die angeführten Zahlen etwas nivellierte. Doch die Wiederherstellung der Wirtschaft der von der Pandemie heimgesuchten Länder erfolgt mit einem großen Tempo. Und bis zum Jahr 2022 wird die Situation vollkommen wiederhergestellt werden. Und schon jetzt koste eine Tonne Stahl, die in Europa erzeugt wurde, nach Schätzungen von Ursula von der Leyen um 100 Euro mehr als der Import. Bekanntlich wird in Deutschland derzeit geplant, die Preise für eine Tonne Treibhausgas-Emission anzuheben, was natürlich noch mehr die Wettbewerbsfähigkeit sowohl der deutschen als auch insgesamt der europäischen Erzeuger verringert. Und die größten Stahllieferanten in Europa sind China, Russland und die Türkei. Daher wird verständlich, dass die EU-Kommissionspräsidentin gezwungen ist, unter den sich ergebenden Bedingungen von einer Angleichung der Lage der einheimischen und der europäischen Hersteller und der Importeure durch eine Reduzierung des Aufwands an Kohle bei der Erzeugung der zu importierenden Erzeugnisse zu sprechen. Anders gesagt: von der Einführung einer grenzüberschreitenden CO2-Regulierung.
Welche Schlussfolgerungen kann Russland aus den Wortmeldungen der hochrangigen Vertreter Deutschlands und der EU ziehen?
Europa wird vor allem auf eine gesetzgeberische Festschreibung seiner gegen die Kohle gerichteten Position auf internationalen Foren bestehen. Und wahrscheinlich wird dies bereits bei der nächsten, der 26. UNO-Klima-Konferenz erfolgen, die im kommenden November in Glasgow stattfinden soll. Russland muss sich auf solche Schritte vorbereiten. Und daher müssen die Russische Föderation in Glasgow nicht nur Umweltschützer, sondern auch Wirtschaftsexperten vertreten.
Europa plant erhebliche Investitionen für die Erzeugung von „grünem“ Wasserstoff mit dessen weiteren Import aus unterschiedlichen Ländern der Welt. Für die russischen Erzeuger ergibt sich die einmalige Chance, an derartigen Projekten teilzunehmen. Und sie dürfen nicht aufgrund einer anderen Herangehensweise Moskaus an die „grüne“ Thematik verworfen werden.
Die Frage nach einer Aktivierung der Zusammenarbeit Europas mit den USA rückt jedoch wieder (zumindest in den nächsten vier Jahren) in den Vordergrund. Und das militärpolitische Zusammenwirken wird durch das auf dem Gebiet der Energiewirtschaft ergänzt werden. Daher wird der Kreml die Pläne Russlands für ein Losreißen Europas von den Vereinigten Staaten und dessen Verwandlung zu einem eigenständigen Akteur in der internationalen Arena auf die lange Bank schieben müssen.