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Wem schadet die Liste unfreundlicher Länder


Im russischen Außenministerium erklärte man, dass eine Liste von Staaten erstellt werde, die der Russischen Föderation unfreundlich eingestellt seien. Bisher ist unbekannt, wer auf diese Liste gelangt und wer nicht. Doch auf ihr werden bestimmt die Vereinigten Staaten sein. Dies ist offiziell bestätigt worden.

Der Präsident der Russischen Föderation Wladimir Putin unterzeichnete am 23. April einen Erlass, der den Abschluss von Arbeitsverträgen oder zivilrechtlichen Verträgen mit natürlichen Personen, die sich auf dem Territorium der Russischen Föderation befinden, durch diplomatische Vertretungen ausländischer Staaten einschränkt. Anders gesagt: Die Botschaften oder Konsulate der Staaten, deren Liste noch zusammengestellt wird, werden nur eine geringe Anzahl von Bürgern Russlands einstellen können. Wie viele – wird die Regierung entscheiden. Der Erlass sieht auch ein vollständiges Arbeitsverbot für Bürger Russlands in einer diplomatischen Vertretung des einen oder anderen Staates vor.

Es geht dabei um Verwaltungs- und technisches Personal. Die Entscheidung der russischen Offiziellen wird sich natürlich negativ auf die Arbeit der Botschaft und der Konsulate der USA auswirken, die recht oft Bürger der Russischen Föderation einstellen. Mehr noch, die Amerikaner ziehen es vor, dies eigenständig zu tun und nicht über die durch Russlands Außenministerium speziell geschaffene Struktur „Inpredkadry GlavUpDK“ (deutsch: „Personal für ausländische Vertretungen der Hauptverwaltung für das diplomatische Korps“). Die eingestellten russischen Bürger helfen der diplomatischen Vertretung, normal zu funktionieren. Sie durch Amerikaner zu ersetzen, für sie Visa zu organisieren usw., ist schwierig.

Es ist leicht anzunehmen, dass zusammen mit den USA auf die Liste der unfreundlichen Länder auch jene geraten werden, die Wladimir Putin in seiner Jahresbotschaft an die Föderale Versammlung als „sich Shir Khan unterwerfende Schakale Tabaquis“ charakterisiert hatte (im „Dschungelbuch“ von Rudyard Kipling sind Shir Khan und Tabaqui ein Bengal-Tiger bzw. hinterhältiger und listiger Schakal – Anmerkung der Redaktion). Die Staaten an sich waren in der Jahresbotschaft nicht genannt worden. Doch der außenpolitische Diskurs der russischen Offiziellen ist stabil. Daher ist unschwer zu erraten, dass es um mehrere Länder Osteuropas und ehemalige Sowjetrepubliken geht. Deren diplomatischen Vertretungen sind keine so großen wie die der Vereinigten Staaten. Doch in den Visa-Zentren Polens oder Tschechiens arbeiten beispielsweise Bürger Russlands. Dank diesem Umstand hat sich die Praxis der Visa-Ausstellung in den letzten Jahren erleichtert und beschleunigt. Verbote wird sie auf den früheren Stand zurückholen.

Sobald die Regierung den Mechanismus von Restriktionen ausgearbeitet hat und sobald die Liste der unfreundlichen Staaten veröffentlicht worden ist, werden hunderte russische Bürger ihre Arbeit verlieren. Man kann natürlich erklären, dass diese Hunderte ein Tropfen im Meer seien, dass die Sicherheitserwägungen, die Außenpolitik und die Prinzipien wichtiger seien. Es genügt aber sich vorzustellen, was wäre, wenn per Beschluss der Landesführung oder mit deren Billigung irgendein Staatsunternehmen das Personal reduzieren würde. Wenn ein Betrieb Mitarbeiter entlassen würde. Der Präsident und die Regierung würden natürlich begreifen, dass dies eine äußerst unpopuläre Entscheidung ist, die Konsequenzen haben kann, darunter auch innenpolitische.

In den staatlichen Unternahmen arbeiten diejenigen, die das Kernelektorat der Herrschenden ausmachen. Und in den ausländischen Botschaften und Konsulaten stellt man oft Vertreter der Mittelklasse ein. Dies können junge Menschen sein, die eine Ausbildung erhielten, Fremdsprachen beherrschen, mit modernen Verbrauchergewohnheiten und die die Welt als ein offenes System und nicht als ein Feld eines geopolitischen Kampfes wahrnehmen.

Man kann nicht sagen, dass die Offiziellen stets und vollkommen die Interessen solcher Menschen ignorieren. Aber jede herrschende Elite, die bestrebt ist, ihr Mandat für die Verwaltung des Landes zu bewahren, muss regelmäßig klären, welcher Wähler für sie vorrangig hier und jetzt ist und wessen Bedürfnisse man opfern kann. Gegenwärtig sind die russischen Herrschenden auf eine langanhaltende Abkühlung der internationalen Beziehungen eingestellt. Und sie verstehen, dass die Entlassung eines Bürgers der Russischen Föderation aus einer ausländischen Botschaft kein massenhaftes, kein elektoral signifikantes Mitgefühl, keine Solidaritätseffekt („an seiner Stelle kann auch ich sein“) auslöst und das Protestpotenzial der Gesellschaft nicht verstärkt. Mit einem Betrieb oder einem Bergwerk wäre alles anders.

  1. S. der Redaktion „NG Deutschland“

Am Mittwoch erwartet man im russischen Außenministerium die Botschafter aus den baltischen Republiken und der Slowakei, da sich diese Länder solidarisch mit Tschechien erklärt haben und dementsprechend handeln. Zu erwarten sind neue Ausweisungen von Diplomaten, so dass der diplomatische Clinch zwischen Moskau und den EU-Ländern weitergehen wird. Dass dabei der russische Durchschnittsbürger mögliche unangenehme Folgen tragen muss, bleibt vorerst auf der politischen Tagesordnung im Land ausgeklammert.