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In der Personalpolitik Weißrusslands wird auf die Ergebenheit gesetzt


Alexander Lukaschenko korrigiert weiter die Gesetzgebung entsprechend den neuen Realitäten der politischen Krise und des zivilen Widerstands. Die Vertreter der bewaffneten und Rechtsschutzorgane, die die Proteste unterstützten, verloren ihre Titel und Dienstränge. Den Staatsangestellten verspricht man, eine disziplinarische Satzung einzuführen. Experten prognostizieren, dass die „negative Selektion“ in den Machtorganen zu einer politischen Katastrophe führen werde.

„Wir müssen nicht einfach qualifizierte und zielstrebige Spezialisten für den Staatsapparat gewinnen, die in der Lage sind, operativ wichtige Aufgaben zu lösen. Wir brauchen wirklich Staatspersonen. Wenn es Kader geben wird, wird auch das System funktionieren“, erklärte Alexander Lukaschenko am Donnerstag bei einer Beratung zu Fragen der Vervollkommnung der Gesetzgebung über den Staatsdienst. Seinen Worten zufolge „erlangt jetzt besondere Bedeutung das moralisch-ethische Antlitz des Staatsangestellten, sein Verhalten sowohl in der Arbeit als auch im Alltag“. „Die Rechte und Pflichten der Staatsangestellten, die Regeln für ihr Verhalten müssen den militärischen verwandt sein. Und möglicherweise irgendwo auch höhere sein“, meint Alexander Lukaschenko.

Weißrusslands Staatsoberhaupt erläuterte, dass es nicht um eine grundlegende Revision der Gesetzgebung über den Staatsdienst gehe. Man müsse lediglich seiner Entwicklung entsprechend den „aktuellen und perspektivischen Anforderungen des Staates und der Gesellschaft „einen Impuls verleihen“, wobei „das Gleichgewicht von Disziplin und Verantwortung“ eingehalten wird. Gleichfalls wird die Aufgabe gestellt, das Prestige des Staatsdienstes anzuheben. Dabei ist Alexander Lukaschenko mit der geschaffenen Machtvertikale insgesamt zufrieden. „Die Ereignisse des vergangenen Jahres haben gezeigt, dass das aufgebaute System der staatlichen Verwaltung effektiv und stark ist“. Und „selbst in den schwierigsten Situationen funktioniert ist exakt und reibungslos“. „Die beste Bestätigung dafür sind die Konsolidierung der Staatsangestellten und ihre Arbeit unter den Bedingungen des vergangenen Jahres. Dies war doch ein Lackmus-Test“, meint er. Zur gleichen Zeit seien die in den letzten Jahren zugenommenen Gefahren und Risiken „nicht weniger stark“ und „erfordern das Ergreifen entsprechender Maßnahmen zum Schutz unserer Staatlichkeit und Souveränität“.

Veränderungen werden am Gesetz „Über den Staatsdienst“ vorgenommen. Außerdem werden einige Neuerungen durch einzelne Erlasse eingeführt. Und die allgemeinen Anforderungen der Dienstethik der zivilen Staatsangestellten werden durch Anlagen zum Gesetz über den Staatsdienst verankert.

Das Wesen der Änderungen besteht darin, dass im Land ein einheitliches System des Staatsdienstes aufgebaut wird, das aus dem zivilen, dem Militär- und dem Dienst in militarisierten Organisationen besteht. Für all diese Arten werden einheitliche Vorgehensweisen, allgemeine Normen, Prinzipien und Begriffe ausgearbeitet. Eingeführt wird ein Register der zivilen Staatsämter, verändert wird das bestehende System der Klassen von Staatsangestellten. „Vorgesehen wird gleichfalls eine Verstärkung der Disziplin und Verantwortung der Zivilangestellten zwecks Annäherung ihres Rechtsstatus mit dem der Militärangehörigen“, informierte die staatliche Nachrichtenagentur BELTA. Unter anderem wird eine Definition für die Dienstdisziplin der Staatsangestellten gegeben. Und es werden „Methoden zu ihrer Gewährleistung analog zu den Anforderungen der Truppenstatute und Statute der militarisierten Organisationen“ dargelegt werden. Die Anforderungen an die Dienstethik der Zivilangestellten werden den Bestimmungen der geltenden disziplinarischen Satzungen analog sein und das Verhalten nicht nur im Dienst, sondern auch im Alltag reglementieren. Eine Nichteinhaltung der Anforderungen an die Dienstethik wird durch Maßnahmen einer disziplinarischen Einwirkung geahndet werden.

Damit ein Staatsangestellter „in der Menschenmenge auszumachen ist“, schlägt Alexander Lukaschenko vor, ein gewisses spezielles Abzeichen einzuführen und die Staatsangestellten zu verpflichten, es zu tragen. „Dies ist ein Erkennungszeichen eines jeden beliebigen Staatsangestellten. Er muss darauf stolz sein, dass er ein Staatsangestellter ist. Andernfalls muss er kein Staatsangestellter sein“, meint er. „Bei uns tragen einige Abgeordnete keine Abgeordnetenabzeichen. … Ich habe den Eindruck, dass es da zwei, drei Personen gibt, die sich entweder genieren oder Angst haben, mit diesem Abzeichen ins Volk zugehen“, gestand Lukaschenko ein.

Es sei daran erinnert, dass einem „Bulling“ seitens der Bevölkerung Vertreter der bewaffneten und Rechtsschutzorgane, aber auch Staatspropagandisten ausgesetzt wurden. Hinsichtlich der Beamtenschaft hat sich in der Gesellschaft insgesamt bisher keine permanente negative Haltung herausgebildet. Eine Ausnahme bilden jene, die sich durch irgendwelche brutalen Handlungen „ausgezeichnet“ hatten. Mehr noch, laut einzelnen Angaben unterstützt die Mehrheit der Mitarbeiter der staatlichen Verwaltungsorgane nicht die derzeitigen Herrschenden. So hat die ehemalige Mitarbeiterin des Kulturministeriums Natalia Saderkowskaja, die im Januar deshalb entlassen wurde, weil „laut einigen Angaben ihre Anschauungen nicht der staatlichen Ideologie entsprechen“, berichtet, dass die wahren Anhänger der Offiziellen im Ministerium nicht mehr als zehn Personen ausmachen würden. In der Verwaltung bzw. Direktion, die sie geleitet hatte, sei lediglich einer von fünf Mitarbeitern zurückgeblieben. Sogar Lukaschenko selbst gestand im Februar auf der Gesamtweißrussischen Volksversammlung ein, dass im „Kreisexekutivkomitee (Kreisverwaltung – „NG“) die Hälfte Leute mit weiß-rot-weißen Symbolen (Farben der offiziellen Flagge der Weißrussischen Volksrepublik Anfang des 20. Jahrhunderts, die unter Alexander Lukaschenko offiziell verboten wurden, da sie für extremistische Ziele stehe – Anmerkung der Redaktion) sind“. „Was ist denn mit unserer Beamtenschaft passiert?“, fragt er sich und gestand ein, dass sich die einen „umgekleidet“ und andere „hinter der Scheuerleiste versteckt“ haben.

Im Februar-März haben Staatsangestellte Unterschriften unter einem offenen Brief für einen Rücktritt Lukaschenkos gesammelt. Ihn unterschrieben rund 1700 Personen. Allerdings machen sie laut einer Statistik im Land insgesamt 180.000 Menschen aus. Wie in dieser Woche bekannt wurde, haben sich auch 80 Vertreter der bewaffneten Institutionen „umgekleidet“. Lukaschenko unterzeichnete einen Erlass, dementsprechend die Titel und Ränge aberkannt wurden. In der Liste sind sowohl Mitarbeiter der Miliz als auch Militärs. Am Donnerstag wurde eine Liste derjenigen veröffentlicht, die die Dienstränge und Titel und zusammen damit auch die Dienst-Pensionen und Vergünstigungen verloren haben. In ihr sind nicht nur jene, die die Offiziellen während der Ereignisse des vergangenen Jahres kritisiert hatten, sondern auch Menschen, die schon lange nicht mehr im Land arbeiten und leben. Mehr noch, es gibt da solche, die überhaupt nicht unter Lukaschenko gearbeitet hatten.

Nach Meinung von Experten versuche Lukaschenko, indem er Nichteinverstandene bestrafe und die Anforderungen an die bisher noch im Dienst Verbliebenen verschärfe, den monolithischen Charakter seiner Herrschaft zu verstärken und sich vor weiterem Verrat abzusichern. Diesem Ziel dienen auch jene Personalveränderungen, die in der letzten Zeit im Staatssystem zu beobachten sind. Mehrfach wechselte die Führung selbst in den bewaffneten Institutionen. Die „negative Selektion“ in den staatlichen Verwaltungsorganen Weißrusslands ist keine neue Erscheinung. Für die höchsten Staatsämter erfolge schon lange eine Auswahl nach dem Prinzip der Ergebenheit gegenüber den Herrschenden. Jetzt wird dies auch die unteren Verwaltungsebenen betreffen, nehmen einheimische Analytiker an.

In der kurzfristigen Perspektive werde dies das Regime verstärken, meint der Politologe Artjom Schraibman. „Im System bleiben nur die gehorsamsten und loyalsten Menschen. Und dementsprechend werden sie sich nicht Sorgen machen, indem sie jegliche Anweisungen erfüllen“, erklärte der Experte in einem Interview für die Zeitung „Die Weißrussen und der Markt“. Gleichzeitig aber werde dies langfristig zur Gestaltung eines inkompetenten Systems führen. Außerdem mache das Monolithische des Staatssystems die Idee von einer schrittweisen politischen Transformation zunichte. „Unter solchen Bedingungen wird die Transformation nicht durch eine Evolution erfolgen, sondern entsprechend dem Szenario einer politischen Katastrophe, das heißt durch einen Zusammenbruch der gesamten politischen Ordnung“, meint Artjom Schraibman.