Das Oberhaupt der Russischen orthodoxen Kirche hat in einer Videoansprache, die dem Auftakt des X. Gesamtkirchlichen Kongresses für sozialen Dienst gewidmet war, aufgerufen, ungewünschte Kinder der Kirche zu übergeben. Bei der Akzentuierung des schmerzlichen Themas der Schwangerschaftsunterbrechungen, gegen die das Moskauer Patriarchat mehr als ein Jahrzehnt kämpft, konstatierte er: „Wir sind ein großes Land. Wir bedürfen dessen, dass wir mehr sind“. „Wenn Sie nicht ein Kind erziehen können, Sie es aber geboren haben oder bereit sind, es zur Welt zu bringen – töten Sie nicht das Kind, gebären Sie und geben Sie es uns, der Kirche. Und wir werden alles tun, um Ihr Kind zu erziehen und auf die Beine zu stellen. Und wir werden niemals verhindern, dass Sie als Mutter es besuchen und die Einheit mit Ihrem Kind verspüren. Im Gegenteil, wir werden alles dafür tun, dass Ihre Familie erstarkt, auch wenn sie keine vollständige ist, aber einen Wert sowohl vor Gott als auch für unser ganzes Vaterland hat“. Dabei präzisierte der Patriarch nicht, wohin die der Kirche übergebenen Kinder geraten und wo sie erzogen werden.
Derzeit werden laut einem Faltblatt, das durch die Abteilung für kirchliche Wohltätigkeit und sozialen Dienst der Russischen orthodoxen Kirche zu ihrem 30jährigen Bestehen vorbereitet wurde, im Rahmen der Russischen orthodoxen Kirche um die 4500 Projekte entwickelt, unter denen 77 Zentren für den Schutz der Mutterschaft, 94 Obdachlosen-Asyle und 61 Altersheime sind, aber nicht ein Kinderheim oder ein Internat für Waisen und Kinder, die von ihnen Eltern nicht angenommen wurden. Auf der Internetseite über karitative Arbeit „Barmherzigkeit.ru“ sind 30 christlich-orthodoxe Kinderheime ausgewiesen worden, die heute in Russland arbeiten. In Moskau und im Moskauer Gebiet gibt es davon lediglich elf. Dort können im Durchschnitt acht bis 30 Kinder im Alter von 13 bis 18 Jahren leben.
Interessant ist, dass unter den ausgewiesenen kirchlichen Kindereinrichtungen auf der Internetseite auch die „Kinderreiche Familie des Erzpriesters Nikolaj Stremskij“ aus dem Orenburger Verwaltungsgebiet ist. Freilich, erwähnt das kirchliche Internetportal nicht, dass der Erzpriester bereits im September 2019 in Haft genommen wurde und der Vergewaltigung minderjähriger Pflegekinder bezichtigt wird. Im September vergangenen Jahres legte das Untersuchungskomitee Russlands nach langen Aufklärungsarbeiten sein Gutachten vor: „Durch die Hauptuntersuchungsverwaltung des Untersuchungskomitees Russlands ist die Untersuchung der Strafsache hinsichtlich Nikolaj Stremskij, des Leiters der religiösen Organisation „Christlich-orthodoxe Heilige Dreifaltigkeitsheimstatt für Barmherzigkeit Simeons“, die sich in der Siedlung Saraktasch des Verwaltungsgebietes Orenburg befindet, abgeschlossen worden. Er wird angeklagt entsprechend sieben Artikeln des Strafgesetzbuches der Russischen Föderation – der Vergewaltigung, gewaltsamer Handlungen sexueller Art, unzüchtiger Handlungen, Misshandlung, einer unsachgemäßen Wahrnehmung der Pflichten zur Erziehung Minderjähriger und der Involvierung eines Minderjährigen in die Vornahme antigesellschaftlicher Handlungen. Durch die Untersuchungen ist festgestellt worden, dass der Geistliche von 1999 bis einschließlich des Jahres 2019 Verbrechen gegen die sexuelle Unantastbarkeit in Bezug auf elf Kinder verübt hat. Außerdem hat er sie zu einem systematischen Genuss alkoholischer Getränke animiert. Die Strafsache mit der bestätigten Anklage ist an ein Gericht zur Behandlung entsprechend dem Wesen zugeleitet worden“, heißt es im Verdikt der Institution. Derzeit behandelt ein Gericht den Fall Stremskijs. Es ist bekannt, dass neun Kinder aus der Familie des Geistlichen im Weiteren an staatliche soziale Einrichtungen des Verwaltungsgebietes Orenburg übergeben wurden.
Viele Fragen haben die Rechtsschutzorgane auch hinsichtlich der Betreuung von Minderjährigen im Mittelural-Kloster und den Klausen (Einsiedeleien) unter Leitung des ehemaligen Schemahegumen Sergij (Romanow). Heute sind diese Gemeinden aufgelöst, und das Schicksal ihrer Bewohner ist unbekannt.
Im Jahr 2009 wurden Klagen hinsichtlich des brutalen Umgangs mit Mädchen des Heims beim Swjato-Bogoljubowskij-Kloster im Verwaltungsgebiet Wladimir untersucht.
- S. der Redaktion „NG Deutschland“
Zweifellos ist der Beitrag der Russischen orthodoxen Kirche an manchen Orten ein spürbarer, wenn es um die Frage der Schwangerschaftsunterbrechungen geht. Genaue Zahlen darüber, dass gerade dank einer seelsorgerische Betreuung Russinnen den Gedanken über einen Abort, eine Schwangerschaftsunterbrechung verworfen haben, gibt es nicht. Generell kann aber konstatiert werden: Die Zahlen in Russland sind rückläufig. Während im Jahr 2019 etwa 523.000 Schwangerschaftsunterbrechungen im Land vorgenommen wurden, waren es im vergangenen Jahr nur noch rund 450.000. Im Vergleich zum Jahr 2015 ist damit gar ein Rückgang von 35 Prozent zu verzeichnen gewesen, teilte dieser Tage der Vizegesundheitsminister Oleg Salagai mit. Die Offiziellen wollen aber eingedenk der schweren demografischen Krise im Land, sich mit dem jetzigen Stand nicht abfinden. Frauenrechtlerinnen hoffen aber, dass auch künftig die Russinnen selbst entscheiden können, ob sie ein ungewolltes Kind austragen oder abtreiben lassen. Und dies ungeachtet der Anstrengungen der orthodoxen und konservativen Kräfte im Land.