Weißrusslands größtes nichtstaatliches Informationsportal TUT.BY bezichtigt man der Steuerhinterziehung. Experten sind sich gewiss, dass die Offiziellen Wirtschaftsparagrafen für eine politische Verfolgung und Einschränkung der Redefreiheit ausnutzen. Das Geschehen wird nicht nur für die Medienlandschaft, sondern auch für die Wirtschaft insgesamt negative Folgen haben.
Am Dienstag sind in das zentrale Office des größten Informationsportals TUT.BY, dessen regionale Vertretungen, aber auch nach Hause zu Führungskräften und mehreren Mitarbeitern Vertreter aus dem Department für finanzielle Nachforschungen des Komitees für Staatskontrolle Weißrusslands gekommen.
Gleichzeitig damit tauchte auf der Internetseite des Departments die Mitteilung auf, wonach „am 18. Mai gegen verantwortliche Mitarbeiter der „TUT BY MEDIA“ GmbH ein Strafverfahren aufgrund von Anzeichen für eine Straftatbestand eingeleitet wurde, der durch Teil 2 des Artikels 243 des Strafgesetzbuches der Republik Belarus (Hinterziehung von Steuern und Gebühren in einem besonders großen Umfang) eingeleitet worden ist“. In der Mitteilung wird erläutert, dass die „TUT BY MEDIA“ GmbH als ein Resident des Parks für Hochtechnologien (in Minsk – „NG“) einen Erlös aus Tätigkeitsarten erzielte habe, die nicht für die Residenten des Parks vorgesehen sind, und dementsprechend unbegründet Steuervergünstigungen in Anspruch genommen habe, die für die Residenten des Parks vorgesehen sind. „Im Ergebnis der unbegründeten Nutzung der staatlichen Unterstützung durch die „TUT BY MEDIA“ GmbH als ein Resident des Parks für Hochtechnologien wurde dem Staat ein Schaden in einem besonders großen Umfang zugefügt“, heißt es in der Mitteilung des Departments für finanzielle Nachforschungen. Die Institution informiert gleichfalls, dass der Aufsichtsrat des Parks für Hochtechnologien auf der Grundlage der Angaben des Departments der „TUT BY MEDIA“ GmbH den Status eines Residenten des Parkes entzogen habe. Diese Entscheidung ist mit dem 18. Mai datiert worden.
Das Informationsministerium blockierte zur gleichen Zeit die Internetseite www.tut.by und teilte auf seiner Internetseite mit, dass „die Generalstaatsanwaltschaft zahlreiche Fakten von Verstößen gegen das Gesetz über die Massenmedien hinsichtlich der Veröffentlichung verbotener Informationen in einer Reihe von Publikationen auf der Internetseite www.tut.by festgestellt hat“. Unter anderem seien in ihnen Informationen im Namen der nichtregistrierten Stiftung BYSOL enthalten, während „entsprechend Artikel 38 des Gesetzes über die Massenmedien in den Massenmedien auf Internetseiten die Verbreitung von Informationen im Namen von Organisationen, die keine in der festgelegten Art und Weise staatliche Registrierung durchlaufen haben, verboten ist“.
Außerdem wurde bekannt, dass Vertreter der Rechtsschutzorgane zwecks Durchsuchungen in alle Organisationen gekommen sind, die auf irgendeine Weise mit der „TUT BY MEDIA“ GmbH verbunden sind – hoster.by, rabota.by und av.by. Das erste Unternehmen ist der größte Registrator und technische Administrator der nationalen Domänenzone. Die beiden anderen sind thematische Projekte über das Suchen nach Jobs und den Arbeitsmarkt sowie über Autos (Kauf, Verkauf und Reparaturen).
Bis zum Mittagessen wurden die Durchsuchungen in den regionalen Vertretungen von „TUT BY MEDIA“ abgeschlossen. Dort hatte man keinen festgenommen, aber Technik eingezogen. Etwas später endete die Durchsuchung im Haus der Chefredakteurin von www.tut.by Marina Solotowa. Bei ihr wurde gleichfalls Technik beschlagnahmt. Und sie selbst wurde mitgenommen. Mitgenommen wurde ebenfalls Sergej Powalischew, Direktor von hoster.by. Festgenommen wurde die frühere Mitarbeiterin von www.tut.by und nunmehrige Chefin des Startups RocketData Daria Danilowa. Die Witwe des Gründers von TUT.BY Jurij Sisser, der vor genau einem Jahr verstarb, befand sich unter Bewachung in der Kardiologie-Abteilung des Ersten Stadtkrankenhauses. Der Aufenthaltsort der TUT.BY-Direktorin Ludmilla Tschekina und Hauptbuchhalterin Anshela Assad, die zusammen mit Marina Solotowa wahrscheinlich die Hauptangeklagten der Strafsache sein werden, war zum Redaktionsschluss unbekannt. Nicht zu erreichen waren bis in die Abendstunden auch andere Mitarbeiter des Unternehmens sowie leitende Redakteure und mehrere Journalisten.
Man kann nicht sagen, dass in der weißrussischen Gesellschaft und in Expertenkreisen das mit dem größten Informationsportal Vorgefallene Erstaunen ausgelöst hat. Die Offiziellen säubern methodisch den Informationsraum. Und es ist logisch, dass das Portal mit einer Reichweite von 60 Prozent im Land und über drei Millionen realen Nutzern nicht ohne das Augenmerk der Offiziellen bleibt. Im Herbst wurde tut.by der Status eines Massenmediums aberkannt. Man nahm Journalisten des Portals fest. Der Staatspropagandist Grigorij Asarenok hatte buchstäblich am 16. Mai gewarnt, dass sich Zügel für TUT.BY finden würden. „Ja, ihr, TUT.BY-Leute, denkt, dass ihr die klügsten seid? Dass ihr, indem ihr Aufrufe über dritte Personen publiziert, ganz saubere bleibt? Meint ihr, dass sich für euch keine Zügel finden werden?… Litauische Visa werden euch nicht helfen. Und den Werbekunden sage ich nur: Zusammenarbeiten mit euch ist genau das gleiche wie ein Ticket für die „Titanic“ zu kaufen“, erklärte er in einer Sendung des Hauptstadt-Fernsehens. Bereits nach der Attacke gegen das Portal teilten in sozialen Netzwerken Weißrussen mit, die in staatlichen Einrichtungen arbeiten, dass ihnen am Vorabend empfohlen worden sei, den Mail-Service von tut.by zu verlassen.
Der wirtschaftliche Hintergrund des Verfahrens gegen das größte nichtstaatliche Portal täuscht keinen. Dies ist eine populäre Methode der weißrussischen Offiziellen. Den Ex-Chef der Belgazprombank Viktor Babariko, der es gewagt hatte, für das Amt des Präsidenten Weißrusslands zu kandidieren, steht ebenfalls aufgrund von Wirtschaftsparagrafen vor Gericht. Der Steuerhinterziehung bezichtigt man die Leitung des Presseclubs, einer Journalisten-Werkstatt, die den weißrussischen Medien half, professionell und modern zu arbeiten. Alexander Lukaschenko mag es zu unterstreichen, dass es in der Gesetzgebung Weißrusslands keine politischen Paragrafen geben würde. Man musste auf die Steuerparagrafen zurückgreifen, da es sehr schwer war, die Journalisten von TUT.BY aufgrund irgendwelcher Desinformationen zu ertappen. Sie haben hochprofessionell gearbeitet, wobei sie stets im Rahmen der Gesetze blieben und mehrfach jene Informationen überprüften, die sie vermitteln, betonen Analytiker und Kollegen.
„Informationen – dies ist das, was der Sommer und Herbst des Jahres 2020 möglich machten. Bereits lange vor dem Auftauchen neuer politischer Führungskräfte und ihrer Kampagnen brodelte es im weißrussischen Volk und war empört angesichts des Verhaltens der Herrschenden in der ersten Etappe der Pandemie“, kommentiert der politische Kommentator Pjotr Kusnezow die Attacke gegen die unabhängigen Massenmedien generell und gegen das größte Portal TIT.BY in Sonderheit. „Die Tatsache, dass die Behörden doch eine neue Attacke gegen eine wirklich einflussreiche Ressource begonnen haben, belegt klar, dass keiner vorhat, die sich abzeichnende Tendenz eines maximalen Drucks auf die unabhängigen Medien aufzugeben“, schreibt er in seinem Telegram-Kanal. Analytiker prognostizieren, dass der Druck auf die unabhängigen Medien fortgesetzt werde, da es nicht gelingen werde, ohne eine vollständige Säuberung des Informationsraumes den Anschein zu erwecken, dass der Protest verstummt sei.
Auf die Attacke gegen TUT.BY hat die Anführerin der weißrussischen Proteste Swetlana Tichanowskaja reagiert. „Heute sind wir alle Zeugen der vorsätzlichen Tötung von Medien und des unabhängigen Portals TUT.BY. 20 Jahre lang hat es den Weißrussen korrekt ehrliche Nachrichten vermittelt und war ein Muster unabhängiger Presse“, schrieb sie in ihrem Telegram-Kanal. „Die Rotte von Leuten, die Macht in Belarus in ihren Händen haben, dies ist auch ein wahres Okkupationsregime. Sie töten Massenmedien, sie töten Parteien und Gemeinschaften, sie bringen uns um – auf den Straßen und in den Gefängnissen“, konstatierte sie. Laut Informationen von Swetlana Tichanowskaja werde sie die Situation um TUT-BY mit der Präsidentin der Europäischen Kommission, mit Ursula von der Leyen, erörtern. „Wir fordern eine unverzügliche Reaktion der EU, den sofortigen Start eines Programms zur Unterstützung unabhängiger Medien sowie einen Schutz für Journalisten und Hilfe für eine Fortsetzung der Arbeit trotz der Repressalien. Wir bestehen darauf, dass man Sanktionen gegen alle für die Repressalien in Bezug auf Redaktionen, Journalisten und Blogger Verantwortlichen verhängt“, erklärte Tichanowskaja.
Nach Meinung von Experten werde dies auch eine neue Welle von Verlegungen von IT-Unternehmen und einzelner Vertreter dieser Branche nach sich ziehen. In der vergangenen Woche teilte Litauens Vizeministerin für Wirtschaft und Innovationen Jovita Neliupsiene mit, dass bereits 43 weißrussische Firmen den Prozess eines Umzugs nach Litauen begonnen hätten, weitere 37 würden sich dies überlegen.