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Die Ukraine konnte sich nicht teurer an „Gazprom“ verkaufen


Auf dem europäischen Markt verteuert sich aufgrund des geringen Tempos des Auffüllens der Brennstoffspeicher rekordverdächtig das Erdgas. Es wirken sich die Handlungen von „Gazprom“ aus, das nicht an den ukrainischen Auktionen zur Nutzung zusätzlicher Transitkapazitäten teilnimmt. Der Konzern erfüllt scheinbar die Hauptforderung des neuen langfristigen Vertrages. Die Ukraine hätte es jedoch gern, dass „Gazprom“ darüber hinaus weitere Kapazitäten gegen eine gesonderte Zahlung bucht. Andernfalls kann dem Konzern eine neue Untersuchung drohen. Der „Betreiber des Gastransportsystems der Ukraine“ rief das Kartellamt der Europäischen Union auf, sich dieser Frage anzunehmen.

Die Politik von „Gazprom“ erfordere die Aufmerksamkeit des Kartellamts der Europäischen Union, der Konzern befasse sich mit einer „künstlichen Einschränkung der (Gas-) Lieferungen nach Europa“, teilte der Chef des ukrainischen Staatsunternehmens „Betreiber des Gastransportsystems der Ukraine“ Sergej Makogon auf seiner Facebook-Seite mit. Die Ukraine selbst aber „war und bleibt ein zuverlässiger Transitpartner der Europäischen Union“.

Das Problem bestehe darin, wie Makogon erläuterte, dass ungeachtet der hohen Gaspreise „Gazprom“ nicht an der Auktion für zusätzliche Transitkapazitäten teilgenommen hätte.

Es sei daran erinnert, dass Ende 2019 die Länder einen neuen langfristigen Vertrag über den Gastransit nach Europa mit einer Laufzeit von fünf Jahren mit der Möglichkeit einer Prolongierung unterzeichneten. Entsprechend diesem Vertrag soll der russische Konzern eine Mindestmenge von 65 Milliarden Kubikmeter Gas im Jahr 2020 und jeweils 40 Milliarden Kubikmeter in den weiteren Jahren durch die Ukraine pumpen.

Demnach muss „Gazprom“ im laufenden Jahr rund 109 Millionen Kubikmeter am Tag über ukrainisches Territorium pumpen. Zusätzlich dazu hat der Konzern bei einer regulären Auktion weitere Kapazitäten für die Beförderung von 15 Millionen Kubikmeter gebucht. Ende April hatte aber der „Betreiber des Gastransportsystems der Ukraine“ beschlossen, darüber hinaus noch eine Auktion in Bezug auf 63,7 Millionen Kubikmeter am Tag auszuschreiben. Und das gleiche tat er auch am 25. Mai. „Gazprom“ ignorierte sowohl die April- als auch die Mai-Auktion.

„Ungeachtet der hohen Gaspreise in der EU hat „Gazprom“ nicht an der heutigen Auktion (vom 25. Mai) zu Kapazitäten für einen Gastransit im Umfang von 63,7 Millionen Kubikmeter täglich im Juni teilgenommen. Dies hätte erlaubt, zusätzlich zwei Milliarden Kubikmeter im Juni nach Europa zu liefern, was die Einspeicherung von Gas in die europäischen Untergrundgasspeicher (UGS) beschleunigt hätte“, teilte Makogon mit.

Es macht Sinn, separat auf die Preise einzugehen. Die Kosten für Gas befinden sich in Europa derzeit nahe dem maximalen Stand. So belief sich am Dienstag der Preis mit einer Lieferung am Mittwoch am Hub TTF in den Niederlanden auf 333 Dollar für eintausend Kubikmeter. Anfang der vergangenen Woche hatte der Preis ein Maximum für die letzten zweieinhalb Jahre mit über 340 Dollar erreicht. Danach war er nach nur wenigen Tagen stark eingebrochen, bis auf 290 Dollar. Danach erfolgte wieder ein Preisanstieg.

Die Dynamik der Gaspreise korrelierte in der letzten Zeit spürbar mit den Ankündigungen und Ergebnissen der zusätzlichen Auktionen über Kapazitäten des ukrainischen Gastransportsystems. So wurden die Ankündigungen der Auktionen Ende April und Ende Mai durch einen Einbruch der Gaspreise begleitet. Dagegen deren Ergebnisse, die ihren Ausdruck darin gefunden hatten, dass der von Alexej Miller geleitete Konzern die von der Ukraine angebotenen zusätzlichen Kapazitäten ignoriert hatte – durch einen neuen drastischen Preisanstieg, wie die russische Nachrichtenagentur Interfax anmerkte.

„Die aktuellen Bedingungen für den Gastransport durch die Ukraine wurden in einer Situation vereinbart, in der die USA den Bau von „Nord Stream 2“ stoppten. „Gazprom“ war faktisch keine Wahl geblieben. Es musste ein neuer Vertrag mit der Ukraine abgeschlossen werden“, erinnert Sergej Kaufman, Analytiker des Investmentunternehmens „Finam“. Jetzt aber erhöhe „Gazprom“ nach seinen Worten bewusst nicht die Gasliefermengen nach Europa. „Erstens erlaubt dies, die Preise auf einem recht hohen Stand zu halten. Zweitens wartet „Gazprom“ wahrscheinlich auf den Abschluss des Baus von „Nord Stream 2“, um bereits durch sie die Lieferungen aufzustocken“.

„Aus wirtschaftlicher Sicht ist es natürlich optimal, in der Zukunft das Gas, das durch die Ukraine geht, zur Pipeline „Nord Stream 2“ umzuleiten“, sagt Kaufman. „Bis zum Jahr 2024 wird dies jedoch aufgrund des laufenden Vertrages unmöglich sein.“ Der Experte präzisierte, dass der hauptsächliche mögliche Hebel für die Ausübung von Druck der EU auf „Gazprom“ „Nord Stream 2“ sei.

Allerdings werde es wohl kaum gelingen, vollkommen auf einen Gastransit durch die Ukraine selbst mit der Inbetriebnahme von „Nord Stream 2“ zu verzichten, wie Natalia Miltschakowa, stellvertretende Leiterin des Zentrums „Alpari“, erläutert, denn „dafür wird man noch „Turk Stream“ bis zum Süden Europas verlängern müssen“.

Der Anstieg der Preise für die Energieträger auf dem wichtigsten Exportmarkt sei für „Gaszprom“ eine vorteilhafte Geschichte, sagt der Chefanalytiker des Unternehmens „Alor Broker“ Alexej Antonow. Er präzisiert aber: „Die Nutzung solcher Hebel für eine Steuerung der Preise birgt auch Risiken in sich“. „Man darf nicht vergessen, dass „Gazprom“ auf dem europäischen Markt der Energieträger faktisch eine dominierende Stellung einnimmt, woran man sich – wie angenommen werden muss – auch in der Europäischen Kommission erinnert. Zu irgendeinem Zeitpunkt kann sich das Kartellamt um die Dynamik der Veränderung der Gaspreise auf dem EU-Binnenmarkt und die Ursachen für das Entstehens eines Defizits kümmern“, räumt der Experte ein. Und dann seien sowohl Strafsanktionen als auch neuen langwierige gerichtliche Untersuchungen ganz und gar nicht ausgeschlossen.

Antonow ist jedoch der Meinung, dass „wahrscheinlich „Gazprom“ vernünftig diese Risiken abschätzen und wohl kaum seine Stellung auf dem europäischen Markt missbrauchen wird“. Schließlich sei dies bereits eine Frage nicht einmal von politischen Ambitionen, sondern einer wirtschaftlichen Zweckmäßigkeit.

Zur gleichen Zeit könne nach Meinung von Miltschakowa keiner „Gazprom“ veranlassen, zwangsweise das ukrainische Gastransportsystem zu modernisieren oder zu kaufen. Obgleich, wie die Expertin erinnert, „vor rund zehn Jahren „Gazprom“ selbst „Naftogaz“ solch eine Variante angeboten hatte. Die ukrainische Seite hatte aufgrund politischer Erwägungen abgelehnt“.