Russlands Vizeaußenminister Sergej Rjabkow hat am Montag erklärt, dass Russland in den kommenden Tagen den USA eine Reihe von Signalen senden werde, die für Washington „unbequeme“ sein würden. Außerdem beklagte er sich, dass sich die Tagesordnungen Moskaus und Washingtons vor dem russisch-amerikanischen Gipfeltreffen in Genf nicht decken würden. Der Stand der Beziehungen zwischen der Russischen Föderation und den Vereinigten Staaten sei seit den Zeiten des Kalten Krieges der tiefste.
Etwa einen halben Monat vor dem Treffen der Präsidenten Wladimir Putin und Joseph Biden hat sich herausgestellt, dass sich die Tagesordnungen Russlands und der USA in Vielem nicht decken würden, erklärte Rjabkow. Nach seinen Worten sei man jedoch im russischen Außenministerium bereit, auf jegliche Fragestellungen seitens der amerikanischen Seite zu reagieren.
Allem Anschein nach hatten zu derartigen Erklärungen Rjabkows die aktuellen Äußerungen von Biden veranlasst, die den am 16. Juni in Genf anstehenden Gipfel mit Putin betrafen. Bei einem Gedenkgottesdienst aus Anlass des am Montag in den USA begangenen Memorial Day (zu Ehren der im Krieg für das Vaterland Gefallenen – Anmerkung der Redaktion) hatte er am Sonntag unterstrichen, dass er beabsichtige, Druck auf den russischen Präsidenten auszuüben, um ihn zu veranlassen, die Menschenrechte zu achten. „In ein paar Woche werde ich mich mit Putin in Genf treffen, um zu verstehen zu geben, dass wir nicht untätig sitzen und ihm erlauben werden, diese Rechte zu verletzen“, zitiert Reuters Biden.
Zuvor hatte das White House recht lakonisch eine Tagesordnung für den Summit vorgestellt. „Die Staatsoberhäupter werden ein ganzes Spektrum dringender Probleme unter Bedingungen erörtern, unter denen wir anstreben, eine Voraussagbarkeit und Stabilität in den Beziehungen der USA und Russlands wiederherzustellen“, heißt es in dessen Mitteilung. Unter Berücksichtigung der bekannten Besorgnis der amerikanischen Demokraten um die Situation mit den Menschenrechten in der ganzen Welt, kann man vermuten, dass mit „ein ganzes Spektrum dringender Probleme“ auch eine akribische Behandlung dieses Themas bei den Gesprächen mit Putin gemeint ist.
Dabei signalisiert die US-Administration recht offenkundig, dass keinerlei beeindruckender Durchbruch in den Beziehungen mit Moskau vom Genfer Gipfeltreffen zu erwarten sei. Die geringen Erwartungen belegt auch die Tatsache, dass die Begegnung der Präsidenten innerhalb kürzester Frist organisiert worden ist, faktisch nach den Gesprächen von Außenminister Sergej Lawrow und dem Chef des US State Departments Anthony Blinken am Rande der Tagung des Arktischen Rates am 19. Mai in Reykjavik. Denn Veranstaltungen solch eines Niveaus werden mehr als einen Monat lang über diplomatische Kanäle vorbereitet, um reale Ergebnisse zu erzielen.
Derweil erklärte man im Kreml, dass Putin und Biden planen würden, „den Stand und die Perspektiven für die weitere Entwicklung der russisch-amerikanischen Beziehungen, die Problematik der strategischen Stabilität, aber auch aktuelle Fragen der internationalen Tagesordnung inkl. des Zusammenwirkens im Kampf gegen die Coronavirus-Pandemie und der Beilegung regionaler Konflikte zu erörtern“.
Nach Aussagen von Dmitrij Peskow, des Pressesekretärs des russischen Präsidenten, würden auf der Tagesordnung Fragen der strategischen Stabilität und Rüstungskontrolle stehen. Sie seien derzeit besonders aktuell, da in Russland die Prozedur eines Ausstiegs aus dem Open-Skies-Vertrag durchlaufen werde, aus dem die USA bereits im Jahr 2020 unter Ex-Präsident Donald Trump ausgestiegen waren. In Moskau rechnet man gleichfalls damit, dass in Genf das Thema des Zusammenwirkens von Russland und den Vereinigten Staaten im Cyber-Raum angesprochen wird. Zumal Biden von Plänen gesprochen hat, internationale Standards für die Bekämpfung der Cyber-Kriminalität auszuarbeiten und diese Initiative mit Putin zu diskutieren. Insgesamt aber erwartet der Kreml keine Lösung aller Meinungsverschiedenheiten, und schon ganz zu schweigen von einem Neustart, in den Beziehungen Moskaus und Washingtons nach der ersten Begegnung beider Staatsmänner.
Rjabkow, der sich über die Differenzen in den Tagesordnungen Russlands und der USA beklagte, warnte davor, dass die amerikanische Seite von Moskau recht unangenehme Signale zu erwarten habe. „Die Amerikaner müssen davon ausgehen, dass eine ganze Reihe von Signalen aus Moskau – ich spreche in diesem Fall nicht vom Treffen auf höchster Ebene – für sie unbequeme sein werden, unter anderem in den bevorstehenden Tagen“, zitierte die staatliche russische Nachrichtenagentur RIA Novosti Rjabkow. Das Wesen dieser Signale hatte der Vizeaußenminister aber nicht offengelegt.
Die Besonderheit des bevorstehenden Treffens der Präsidenten in Genf bestehe nicht darin, dass es allem Anschein nach vor dem Hintergrund „unvollständiger“ diplomatischer Beziehungen und der Aufnahme der USA in das Verzeichnis der für Russland unfreundlichen Länder erfolgen werde, meint Wladimir Wassiljew, leitender wissenschaftlicher Mitarbeiter des USA- und Kanada-Instituts der Russischen Akademie der Wissenschaften. „Der Summit erfolgt praktisch ganz zu Beginn des Wirkens der demokratischen (Präsidial-) Administration von Joseph Biden und Kamala Harris, die das Mandat für die Führung Amerikas bis zu den Präsidentschaftswahlen von 2024 hat“, sagte er der „NG“. „Dieser Umstand gibt Anlässe, eine Parallele zwischen der bevorstehenden Begegnung in Genf und dem Wiener Treffen von 1961 zu ziehen. Wenn das Gipfeltreffen Putins und Bidens entsprechend dem Szenario „man hat sich getroffen, miteinander gesprochen und ist auseinandergegangen“ erfolgt, so kann die russische Seite zu der Schlussfolgerung gelangen, dass man mit dieser demokratischen Administration, die von der fixen Idee einer für die Demokraten fatalen russischen Einmischung in die Wahlen von 2016, die den Republikaner Donald Trump an die Macht gebracht habe, besessen ist, ganz bestimmt keinen Brei kochen kann“.
Ihrerseits könne die amerikanische Seite entscheiden, dass die Verhandlungen mit der russischen Seite Moskau nicht von dessen derzeitigen Positionen sowohl hinsichtlich der Menschenrechte als auch bezüglich der Außenpolitik abbringen werden. „Und dies bedeutet, dass ein neues „Fenster von Möglichkeiten“ für einen konstruktiven Dialog zwischen Russland und den USA für eine unbestimmt lange Zeitdauer, die Jahre ausmachen werde, vertagt wird. Wenn es nur nicht zu irgendeiner außerordentlich heftigen Erschütterung in der internationalen Arena kommt, die direkt die grundlegenden Interessen der nationalen Sicherheit beider Länder tangiert“, nimmt Wassiljew an.