Die weißrussischen Protestierenden haben eine neue Initiative vorgelegt, den Plan „Peramoga“. Sein Wesen besteht in der Bildung einer geheimen Bürgerwehr, die zu einem geeigneten Zeitpunkt zu handeln beginnen wird. Die weißrussische Revolution ist nicht beendet. Die Menschen warten gleichfalls auf einen geeigneten Moment, sagen Experten.
Am Donnerstag hat eine Unterstützung für die Initiative „Peramoga“, was in der Übersetzung aus dem Weißrussischen „Sieg“ bedeutet, die Anführerin der weißrussischen Protestierenden Swetlana Tichanowskaja signalisiert. „Der Plan „Peramoga“ ist kein Versuch, einen großen Marsch zusammenzubekommen. Dies ist eine Form, effektiv und verantwortungsbewusst die gemeinsamen Kräfte zu nutzen, damit jeder eine Aufgabe erfüllen und zum geeigneten Zeitpunkt mit dem Nutzen bringen kann, was er hat“, heißt es in ihrer Mitteilung aus diesem Anlass. „Es ist die Zeit gekommen, sich zu vereinen und sein Land zu verteidigen“, erklärte Swetlana Tichanowskaja und rief die Weißrussen auf, sich der Initiative anzuschließen. „Der Massencharakter ist ein wichtiger Unterpfand für den Erfolg des Plans „Peramoga“. Daher kann jeder seinen Freunden, Nachbarn und Bekannten über ihn erzählen“, meint sie.
Über die Initiative an sich war bereits in der vergangenen Woche informiert worden. Sie war jedoch im Wirbel der weitaus relevanteren Ereignisse, ausgelöst durch die erzwungene Landung des Flugzeugs der irischen Airline „Ryanair“ in Minsk und die Festnahme des Journalisten und Blogger Roman Protasewitsch, verloren gegangen.
Die neue Initiative startete das neue Situations- und analytische Zentrum, das „mit Unterstützung von Swetlana Tichanowskaja unter Beteiligung von BYPOL (einer Vereinigung ehemaliger Vertreter der bewaffneten und Rechtsschutzorgane – „NG“) gebildet wurde“. Der Öffentlichkeit haben sie die früheren Mitarbeiter der Rechtsschutzorgane Oleg Talertschik (in der Vergangenheit – Oberstaatsanwalt einer Abteilung der Generalstaatsanwaltschaft) und Alexander Asarow (in der Vergangenheit – Abteilungsleiter der 3. Verwaltung der Hauptverwaltung für die Bekämpfung der organisierten Kriminalität und Korruption (HVBOKK) des Innenministeriums) vorgestellt. Der erste war 19 Jahre in den Rechtsschutzorganen tätig und kündigte im Oktober vergangenen Jahres im Range eines Justizrates. Er unterstützte das sogenannte Volksultimatum, das von Swetlana Tichanowskaja verkündet worden war. Der zweite hatte im August gekündigt und reagierte damit auf die Gewalt hinsichtlich der friedlichen Einwohner seitens der Vertreter der bewaffneten und Rechtsschutzorgane. Bis dahin hatte er selbst in diesen über 20 Jahre gearbeitet, davon elf Jahre in der HVBOKK. Er hat den Dienstgrad eines Oberstleutnants der Miliz. Nachdem beide in den Rechtsschutzorganen gekündigt hatten, verließen sie Weißrussland und schlossen sich den Strukturen der Protestierenden an, die im Ausland etabliert wurden.
„Zwecks Gewährleistung der Hoheit des Rechts, der Gewährleistung der Gesetzlichkeit und Rechtsordnung in Belarus erlangt der friedliche Volksprotest eine Organisationsstruktur“, erläutern die Initiatoren des Plans „Peramoga“ das Ziel seiner Ausarbeitung. Sie gestehen ein, dass dies unter anderem dadurch ausgelöst wurde, dass die „derzeitige Taktik der Proteste leider keine Ergebnisse brachte“. „Deshalb ändern wir die Taktik“, konstatieren die Initiatoren der neuen Initiative. Sie rechnen damit, dass sich dem Plan in erster Linie Vertreter der bewaffneten und Rechtsschutzorgane anschließen werden, betonen jedoch, dass in ihm auch alle anderen Weißrussen inkl. Hausfrauen und Rentner ihren Platz finden können. „„Peramoga“ ist dazu bestimmt, Weißrussen mit unterschiedlichen politischen Anschauungen zu vereinen“, heißt es in einer Mitteilung.
Unter den Zielen des Plans „Peramoga“ werden die „Wiederherstellung der Gesetzlichkeit und Rechtsordnung im Land durch eine organisierte und friedliche Machtübergabe an das Volk“, aber auch der „Schutz der territorialen Integrität und Souveränität der Republik Belarus“ genannt. Die Initiatoren gestehen ein, dass sie vom Wesen her die Bildung einer Bürgerwehr beginnen. Sie rufen alle Interessenten auf, sich über einen Chat-Bot zu registrieren, und versichern, dass dies ungefährlich sei, da man dort keinerlei Angaben über sich angeben müsse.
„Das Hauptprinzip des „Peramoga“-Plans ist die Anonymität. Wir begreifen, wie wichtig dies unter den Bedingungen der harten politischen Repressalien ist. Für einen Beitritt zum Plan genügt es, eine Registrierung in einem Chat-Bot vorzunehmen und einen kleinen Fragebogen auszufüllen. Für uns wird dies ausreichend sein, um zu wissen, dass Sie unsere Anschauungen teilen und zu bestimmten Handlungen für das Erreichen des für alle Weißrussen gemeinsamen Ziels bereit sind“, heißt es in einem Begleitschreiben zum Plan. Empfohlen wird, keinen über seine Teilnahme zu informieren. Im Weiteren würden die Mitglieder der Bürgerwehr in Gruppen von maximal drei Personen, die einander vertrauen, agieren. Das Führungsorgan sei das Situations- und analytische Zentrum.
Die Bürgerwehrkräfte würden jegliche Hilfe für die „illegitimen Herrschenden“ durch Kräfte illegaler bewaffneter Formationen aus Nachbarstaaten und die Entfesselung eines inneren Konflikts „durch destruktive Kräfte aus Nachbarstaaten im Land“ verhindern. Gleichfalls würden sie beabsichtigen, eine Einnahme von Grenzgebieten durch illegale bewaffnete Formationen und ein „Eindringen destruktiver Kräfte über die Staatsgrenze“ nicht zuzulassen.
Vorerst erfolgt eine Formierung der Bürgerwehr. Die strategische Operation „für einen friedlichen und organisierten Machtwechsel“, der das Ziel der neuen Initiative ist, werde durchgeführt, wenn sich dafür günstige Bedingungen herausbilden. Solche könnten eine Verschlechterung der Wirtschaftssituation, ein Rückgang der Bevölkerungseinnahmen, eine Abwertung der nationalen Währung, die Annahme neuer Gesetzesakte, die die Lage der Bürger verschlechtern, weitere Repressalien, aber auch „eine eigene Suspendierung von der Wahrnehmung der Pflichten der Landesführung oder ein Fehlen am Arbeitsplatz“ sein. Außerdem wird betont, dass die Bürgerwehr die strategische Operation zum Machtwechsel beginnen könne, wenn sie fühle, dass sie genug Kräfte und Mittel dafür habe. Er werde von einer Protestaktion begleitet werden, der größten in der Geschichte Weißrusslands, sind sich die Initiatoren des Plans „Peramoga“ gewiss.
Die Autoren des „Peramoga“-Plans handeln entsprechend den Stimmungen der Gesellschaft. Und ihre Logik wird durch die Meinungen von Experten hinsichtlich dessen untermauert, wie sich jetzt die Situation in Weißrussland entwickeln kann. „Die weißrussische Revolution, die im Jahr 2020 begann, ist nicht zu Ende. Derzeit machen wir die Zeit einer Konterrevolution oder Reaktion innerhalb des revolutionären Prozesses durch. Und im Land herrscht ein außerordentlicher, ein Notstands-, faktisch ein Kriegszustand“, meint der Politologe Andrej Jegorow. Er behauptet, dass das System in solch einem Zustand nicht lange existieren könne. Und es „müsse sich öffnen“. „Und eben dieses Öffnen kann, denke ich, zu einem zweiten Akt des revolutionären Prozesses werden“, nimmt der Experte an. Dies könne nach seinen Worten in einer Perspektive von zwei Jahren erfolgen.
Dem Protest sei nicht der Atem ausgegangen. Die Protestierenden hätten sich einfach versteckt, seien abgetaucht, denn der Preis für ein Herauskommen auf die Straßen sei ein sehr hoher, sagen einheimische Analytiker. Die Anzahl der politischen Häftlinge, die offizielle diesen Status erhalten haben, nähert sich der Zahl 500. Festnahmen erfolgen tagtäglich (über 300 Menschen im Mai), die Gerichte sprechen im Fließbandverfahren (harte, unbegründet und überdies absurde) Urteile (über einhundert im Mai). Der beispiellose Grad an Repressalien hat die Aktivität der Menschen verringert, sie aber nicht veranlasst, ihre Anschauungen zu ändern. „Für einen erheblichen Teil der Gesellschaft hat sich die Vorstellung von einem unvermeidlichen Scheitern Lukaschenkos lediglich aus dem Bild von einer konkreten nahen Zukunft in eine abstrakte nahe Perspektive verlagert. Ja, zum heutigen Zeitpunkt wird der persönliche Preis der Teilnahme an Protesten für viele zu einem untragbaren, was man als eine durch das Regime gewonnene Kampfrunde bewerten kann. Lukaschenko hat dabei jedoch keine Liebe gewonnen und die Gruppe für seine Unterstützung erweitert. Und dies bedeutet: Seine verstummten Gegner warten lediglich auf ein Fenster von Möglichkeiten“, charakterisierte der politische Kommentator Pawljuk Bykowskij die Situation in einem Beitrag für das Internetportal www.naviby.by.