Dmitrij Gudkow hat bestätigt, dass er beschloss hat, faktisch aufgrund einer Nötigung der Herrschenden zu emigrieren. Er erklärte, dass das Herausdrängen aus Russland organisiert worden sei, um ihn aus der Duma-Wahlkampagne herauszustreichen. Unabhängig davon, inwieweit diese Behauptungen der Wahrheit entsprechen, ist klar, dass Gudkow eine der Varianten gewählt hat, die für die Offiziellen eine akzeptable ist, obgleich in deren Arsenal auch härtere Methoden sind. Jedoch geht es, allem nach zu urteilen, nicht so sehr um die Befürchtungen, dass die Opposition gewinnen wird, als vielmehr um den Unwillen, die Proteste der Nichteinverstandenen, nachdem sie einen Misserfolg erleiden, niederzuschlagen. Der Kreml bemüht sich, vorab und auf maximale Weise das Potenzial einer unweigerlichen Skandalisierung der Wahlen auf null zu bringen.
Gudkow hat in den sozialen Netzwerken eine Erklärung über die Ausreise zwecks Emigration veröffentlicht, die gleichzeitig sowohl wie eine Erläuterung der Gründe seiner Entscheidung als auch wie deren Rechtfertigung aussieht. Die Sache ist die, dass die kremltreuen Medien ihn bereits der Feigheit bezichtigten, wobei man ihm die Inhaftierung von Alexej Nawalny nach dessen demonstrativen Rückkehr nach Russland vorhält. Gudkow ist jedoch offenkundig mit der Berechtigung solcher Vergleiche nicht einverstanden. Zumal sich ein Großteil der Führungsspitze der Nawalny-Vertreter – unter anderem der ehemalige Koordinator der Stäbe Leonid Wolkow – bereits seit langem im Ausland befindet. Und erklärt wird dies nicht nur mit einer pragmatischen Zweckmäßigkeit – schließlich müsse doch irgendwer den Kampf gegen das Regime fortsetzen und dabei in Freiheit bleiben.
Etwa solche Argumente führt auch Gudkow selbst in seinen Posts vom 7. Juni an. Es sei daran erinnert, dass er zuvor seine eilige Ausreise in die Ukraine bereits am Vortag, in den Abendstunden erläutert hatte. Dabei hatte er noch behauptet, dass solch eine Reise schon lange geplant gewesen wäre. Nun aber gibt es darüber keinerlei Erwähnungen. „Nicht so wollte ich meine Abreise bekanntgeben und sie nicht in solch einer Hast organisieren. Aber was ist, das ist. Ein Strafverfahren, zwei Tage in der Petrowka (Hauptquartier der Moskauer Polizei – Anmerkung der Redaktion) und neue Androhungen gegenüber Verwandten haben gezwungen, die Entwicklung der Ereignisse ist blöd gelaufen“. Das heißt: Gudkow gesteht ein, dass der Gedanke über eine Emigration durch ihn gründlich durchgearbeitet wurde, und erläutert, dass die letzten Änderungen der Gesetzgebung und insgesamt der politischen Situation – die neuen Verbote vor den Wahlen und die Zerschlagung aller Strukturen Nawalnys – daran schuld seien.
Gerade dies habe angeblich auch alle elektoralen Pläne Gudkows untergraben, der erklärte, dass er schon keine Illusionen mehr gehabt hätte. Aber er hätte dennoch die Erklärung darüber aufgeschoben, dass er nicht an den Wahlen „aus dem einfachen Grunde“ nicht teilnehmen könne: „Es ist unmöglich“. Die Führung der Partei „Jabloko“, mit der der Oppositionelle Gespräche über eine Nominierung geführt hatte, war letztlich dazu gekommen, dass sie anfangs nichts garantieren wollte und dann ganz und gar über die Entsendung eines anderen Kandidaten in den Gudkow-Wahlbezirk in Moskau informierte. Allerdings macht Gudkow den „Jabloko“-Vertretern auch keine Vorwürfe. „Wenn ich ehrlich bin, ich wusste, dass man auf „Jabloko“, die einzige Partei, von der ich hätte gewählt werden können, ohne mich der erniedrigenden und sinnlosen Prozedur des Sammelns von Unterschriften auszusetzen, einen überaus starken Druck ausgeübt hatte“.
Freilich, jetzt unterstreicht Gudkow, dass die Idee an sich, doch an den Wahlen teilzunehmen, eine sinnlose gewesen sei, denn schließlich wäre er ja doch ins Gefängnis geraten. „Ich denke, indem ich auf freiem Fuß geblieben bin, ich Russland mehr Nutzen bringen werde“, merkte er an und gab bekannt, dass er sich anschicke, den politischen Häftlingen durch ein Sammeln von Mitteln und eine informationsseitige Unterstützung zu helfen. Gudkow beabsichtigt, die in Russland bleibende Bevölkerung, die unzufrieden über die Herrschenden ist, aufzuklären, wobei er erläuterte, dass dies derzeit im Land an sich auch unmöglich sei. „Man kann sagen, dass die öffentliche Politik in Russland aufgehört hat, denn jetzt ist ein Politiker eine Zielscheibe. Und gerade daher denke ich, dass, wenn ich im Land bleibe, ich unter den Bedingungen nicht effektiver sein kann, unter denen vom Wesen her jegliche politische Aktivität nicht nur für die eigentlichen Politiker, sondern auch für ihre Anhänger und Verwandten zu Gefängnisstrafen führt“, schrieb Gudkow in den sozialen Netzwerken. Somit hat er die gleiche hehre Position eingenommen, die vor ihn die Führungskräfte der Nawalny-Vertreter einnahmen.
Gerade diese Worte kann man als eine gewisse Rechtfertigung der Emigration ansehen. Gudkow musste sich jedoch auch erklären. Und alles daher, weil bereits selbst im Oppositionsmilieu Verdachtsmomente hinsichtlich des für ihn allzu leichten Übertritts der Staatsgrenze aufgekommen sind. Als eine Erklärung gegenüber den Anhängern kann man solch eine Aussage ansehen: „Nach der U-Haft-Anstalt in der Petrowka hat man mir klar gesagt: Reise entweder aus, oder die Frage über deine Nichtteilnahme an den Wahlen wird „auf jegliche beliebige Weise“ geklärt“. Übrigens, den Fotos aus Kiew nach zu urteilen, ist mit Gudkow auch sein Mitstreiter Alexander Solowjow ausgereist, der erste Chef der Bewegung „Offenes Russland“ von Michail Chodorkowski noch vor deren Einstufung als eine in der Russischen Föderation unerwünschten Organisation.
Bei Solowjow hatten in der vergangenen Woche Hausdurchsuchungen stattgefunden, die zeitgleich zu solchen bei Gudkow erfolgt waren. Die Polizei hatte ihn aber nicht festgenommen. Jedoch hat auch er alles klar verstanden und analog vieler Oppositioneller, die in der letzten Zeit das Land massenhaft verlassen, die Freiheit gewählt. Und damit befriedigen sie vollkommen den Wunsch der Offiziellen, die beabsichtigt, sich ihrer zu entledigen. Obgleich der bereits erwähnte Gudkow dem Kreml auch androht, als politischer Emigrant noch gegen ihn zu kämpfen, ist klar, dass das Regime darauf mit einem alten Witz über den Zarensohn Iwan und den Drachen antworten wird: Bevor man eine Herausforderung zum Kampf stellt, muss man zuerst einmal von irgendwo herunterkommen. Vom Prinzip her hätten es die Offiziellen natürlich nicht gern, die Zahl der politischen Häftlinge zu erhöhen, obgleich man ihnen jüngst den Ex-Chef von „Offenes Russland“ Andrej Piwowarow hinzugesellte, der bereits für zwei Monate in Untersuchungshaft genommen wurde. Aber auch solch eine Situation wäre für sie generell keine schlechte. Es sei angemerkt, dass all diese Inhaftierungen und dieses Fliehen direkt vor dem Beginn der Wahlkampagne erfolgen, deren offiziellen Startschuss der Kreml soweit wie möglich hinauszuschieben versucht. Augenscheinlich auch aus diesem Grunde.
Interessant ist in diesem Kontext die Mitteilung Gudkows über den Druck auf die Partei „Jabloko“. Es sei daran erinnert, dass die Partei erklärte, dass für sie die Wahlen entsprechend von Parteilisten die Priorität hätten. Die Wahlbezirke aber versprach sie, als gesamtoppositionelle Franchise zu beackern. Es ist offensichtlich, dass die Offiziellen solch eine Vorgehensweise nicht zu schätzen wussten und beschlossen haben, „Jabloko“ zu sterilisieren, indem man ihr sowohl Gudkow als auch Solowjow und Piwowarow sowie noch viele andere Nichteinverstandene, deren Probleme bereits in der nächsten Zeit bekannt werden, genommen hat.
Jedoch liegt die Ursache wahrscheinlich hier nicht in den Befürchtungen der Offiziellen, dass die Oppositionellen anfangen würden, massenhaft zu siegen – sowohl direkt als auch über das „Smart Voting“ der Nawalny-Vertreter. Es scheint, dass der Kreml wahrscheinlich nicht gewollt hat, Straßenproteste zu unterdrücken, die die Nichteinverstandenen zuerst hinsichtlich der Ablehnungen einer Registrierung und dann aufgrund der Ergebnisse der dreitägigen Abstimmung organisieren könnten. Es ist möglich, dass die Herrschenden spüren, dass sie dann zu härteren Methoden für ein Auseinandertreiben der Protestierenden hätten greifen müssen, das heißt, es Lukaschenko oder zumindest den Offiziellen einer Reihe europäischer Länder gleich machen müssten. Scheinbar steht Präsident Wladimir Putin der Notwendigkeit äußerst negativ gegenüber, sich in eine ganze Reihe einzuordnen, wonach für ihn objektiv die Position einer moralischen Überlegenheit über den übrigen Staatschefs verloren geht. Und gerade solch eine Skandalisierung der Wahlen wird für den Kreml als inakzeptabel angesehen. Daher kupieren sie die Rechtsschützer jetzt auch.