Baku hat sich darauf vorbereitet, drei Gruppenspiele und ein Viertelfinal-Match der Fußball-Europameisterschaft auszurichten. Aserbaidschan hat recht große Erfahrungen hinsichtlich der Durchführung großer Sportveranstaltungen, die für den Landesetat recht teure gewesen waren. In den letzten fünf Jahren fanden die European Games, die Spiele der islamischen Solidarität, Formel-1-Rennen um den Grand Prix von Aserbaidschan, ein Finale in der UEFA-Europa-Liga und noch mehrere Welt- und Europameisterschaften in anderen, weniger populären Sportarten. In diesem Jahr finden die Wettbewerbe vor dem Hintergrund des Bergkarabach-Konflikts, der Gerüchte über Korruptionsfälle in der UEFA und der Pandemie-Restriktionen statt.
Bis vor kurzem hatten die offiziellen Vertreter den Akzent darauf gelegt, wie diese Veranstaltungen das Ansehen des Landes erhöhen und dem Haushalt Einnahmen aus dem Tourismus bringen. Es gibt aber keinen offenen Bericht über die Ausgaben. Und die Tourismus-Einnahmen konnten die Ausgaben für die Durchführung der großen Wettbewerbe nicht wettmachen. Beispielsweise erfolgte die jüngste Formel-1-Etappe in diesem Jahr ganz und gar ohne Zuschauer. Die Errichtung des neuen Olympia-Stadions mit 67.000 Zuschauerplätzen zu den European Games von 2015 kostete fast eine Milliarde Dollar unter Berücksichtigung der Ausgaben für die Infrastruktur. Riesige Summen wurden für die Eröffnungs- und Abschlusszeremonie und für engagierte Stars ausgegeben. Die Medien berichtete, dass das Honorar allein nur für Lady Gaga, die bei der Eröffnung der European Games aufgetreten war, zwei Millionen Dollar betrug. Nach Schätzungen des Wirtschaftsexperten Zohrab Ismayil hatten die die Spiele an sich damals etwa vier Milliarden Dollar gekostet. Dennoch ist der Wunsch der Offiziellen Aserbaidschans offenkundig, im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit der internationalen Presse zu sein. Geplant wurde einst sogar, in Baku die Olympischen Sommerspiele 2024 auszurichten, doch hatte die Bewerbung von Paris gewonnen.
Die Vorbereitung zu den EM-Spielen erfolgte vor dem Hintergrund von Gerüchten darüber, auf welche Art und Weise Baku das Recht zur Ausrichtung der Fußballspiele des Championats Euro-2020 erhalten konnte. Im Juni 2019 war der Präsident der Europäischen Fußballföderation (UEFA) Michel Platini unter einen Korruptionsverdacht geraten und musste seinen Rücktritt einreichen. Man hatte ihn vor allem einer voreingenommenen Haltung in Bezug auf mehrere Bewerbungen bezichtigt. Und in deren Ergebnis sei u. a. die Fußball-Weltmeisterschaft 2022 an Qatar vergeben worden. Schon damals hatten westliche Medien über mögliche Manipulationen geschrieben, durch die Baku das Recht zur Organisierung des Europa-League-Finals 2019 und von vier Spielen der Europameisterschaft erhalten habe. Ein Argument war die Tatsache, dass Aserbaidschans staatlicher Ölkonzern SOCAR einer der Hauptsponsoren der UEFA ist. Und im Ergebnis dessen wird auf „wundersame Weise“ die Nationalelf der Türkei zwei Spiele der Gruppenetappe in Baku bestreiten, das heißt beinahe bei sich zu Hause (am 16. und 20. Juni – Anmerkung der Redaktion).
Aserbaidschan hatte früher auch andere „fußball-politische“ Schwierigkeiten gehabt. Ende Mai des Jahres 2019 fand in Baku das Europa-Liga-Finale statt, in dem zwei Londoner Teams – der FC Chelsea und FC Arsenal – gegeneinander antraten. Die Probleme fingen an, bereits als bekannt wurde, dass die „Kanoniere“ nach Baku kommen werden, für die zu jener Zeit Henrich Mchitarjan, der Kapitän der Auswahl Armeniens, spielte. Er hatte damals entschieden, nicht nach Aserbaidschan zu kommen, obwohl ihm auf staatlicher Ebene die Sicherheit garantiert worden war. Im Vorfeld des Finales hatte sich einige Zwischenfälle ereignet. Einheimische Polizisten hatten Londoner „Arsenal“-Schlachtenbummler in T-Shirts mit der Aufschrift „Mchitarjan“ zwecks Überprüfung der Dokumente angehalten.
In den Tagen des zweiten Bergkarabach-Krieges im vergangenen Herbst ereignete sich ein sehr unangenehmer Zwischenfall, der Baku ganz und gar das Recht gekostet hätte, Gastgeber der Euro-2020-Spiele zu sein. Damals hatte der Pressesekretär des Fußballklubs „Karabach“ (im deutschsprachigen Raum bekannt als Qarabağ Ağdam) Nurlan Ibragimov unter dem Eindruck des Raketenbeschusses der aserbaidschanischen Stadt Barda in den sozialen Netzwerken aufgerufen, die Armenier zu töten. Dafür wurde „Karabach“ mit einer 100.000-Euro-Strafe belegt. Und der Pressesekretär an sich wurde für immer von einer Tätigkeit im Fußball suspendiert.
Gegenwärtig sind die Befürchtungen hinsichtlich möglicher Provokationen ebenfalls große. Möglich sind beispielsweise antiaserbaidschanische und antitürkische Losungen, Mahnwachen und Demonstrationen während der Spiele. Es genügt, sich des Zwischenfalls im Gruppenspiel der UEFA Champions League zwischen „Karabach“ und dem luxemburgischen Team FC F91 Dudelange zu erinnern, als Schlachtenbummler mit einer Drohne eine Flagge der nichtanerkannten Republik Bergkarabach auf das Spielfeld fallen ließen. Unter diesen Bedingungen haben die Organisatoren und Rechtsschutzorgane viel für eine Verstärkung der Sicherheitsmaßnahmen zu tun. Während der früheren großen Sportveranstaltungen haben die Behörden Aserbaidschans dafür Experten aus Israel und Russland eingeladen.
Offen bleibt dabei die Frage nach dem epidemiologischen Schutz. Gegenwärtig ist in Baku das Quarantäneregime gelockert worden. Für das Euro-2020-Turnier hat man sogar den öffentlichen Nahverkehr an den Wochenenden wiederaufgenommen, erstmals seit Beginn des Jahres. Völlig unklar ist aber, wie die Behörden die Ansammlung von Fans auf den Straßen der Stadt und auf dem Primorje-Boulevard zu kontrollieren beabsichtigen.
Bei einem glücklichen Zusammentreffen der Umstände können die Fußballer aus der Russischen Föderation zu einem Viertelfinal-Match nach Baku kommen. Westliche Journalistenkollegen sind aus irgendeinem Grunde der Auffassung, dass sich die Aserbaidschaner negativ gegenüber Russlands Nationalelf verhalten könnten, und stellen gar die Frage, was passiere werde, wenn die russische Mannschaft tatsächlich in die Play-Off-Runde gelangt und zu einem Match nach Baku kommt. Tatsächlich hat Russlands Sbornaja in Aserbaidschan sehr viele Anhänger, obgleich dies nicht die Möglichkeit von Provokationen seitens der Nationalisten ausschließt, die über die Präsenz russischer Friedenstruppen in Bergkarabach ungehalten sind.