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„Jabloko“ schickt alle zum Parteitag


Der Kongress der Partei „Jabloko“ ist für den 3. und 4. Juli geplant. Sein erster Tag soll hinter verschlossenen Türen erfolgen, um ohne Dritte die Widersprüche hinsichtlich der Kandidaten für die Staatsduma-Wahlen zu lösen. Der zweite Tag wird zu einer Präsentation der ausgewählten Anwärter. Man wirft der Partei vor, dass sie unter dem Druck der Offiziellen begonnen habe, auf eine Unterstützung radikaler Oppositionspolitiker zu verzichten. In der Partei „Jabloko“ erklärt man, dass man bereit sei, für die Nichteinverstandenen eine vereinigende Kraft zu bleiben. Experten bezweifeln aber, dass sie eine zwangsweise Filterung der Parteilisten zu umgehen vermag.

Der Wahlparteitag ist nicht nur nach Tagen aufgeteilt worden, sondern auch geografisch. Der erste Teil wird augenscheinlich in der Stadt Moskowskij vor den Toren der russischen Hauptstadt stattfinden. Und am 4. Juli werden die „Jabloko“-Vertreter ins alte Moskau zurückkehren. Dort werden sie die Kandidatenlisten verkünden. Bei „Jabloko“ präzisierte man: Das Programm des Parteitages und der Veranstaltungsort würden später bekanntgegeben werden.

Nach der Ausreise des Oppositionspolitikers Dmitrij Gudkow aus Russland, der unter anderem mitgeteilt hatte, dass die Partei von Grigorij Jawlinksij ihm faktisch eine Nominierung in ihrem Namen versagt hätte, kamen unter den Nichteinverstandenen Verdächtigungen auf, dass „Jabloko“ auch weiterhin dem Druck der Herrschenden nachgeben werde. Gudkow selbst erklärte beispielsweise, dass seine Emigration scheinbar „„Jabloko“ von großen Kopfschmerzen befreit“. Seinerseits unterstrich Parteichef Nikolaj Rybakow in einer seiner letzten Erklärungen, dass gerade diese politische Struktur auch der Hauptopponent der Herrschenden sei. Das Gesetz über das Verbot für die Bürger, die mit „extremistischen Organisationen“ affiliiert sind, als Abgeordnete gewählt zu werden, sei ein Gesetz gegen die Liste der „Jabloko“-Kandidaten, erläuterte er.

Die „NG“ versuchte, die Glaubwürdigkeit der Behauptungen Gudkows zu überprüfen, dass er solche Gespräche mit den „Jabloko“-Vertretern geführt hatte, die letztlich zu einem Verzicht der Partei auf eine Zusammenarbeit mit ihm führten. Das „Jabloko“-Büromitglied Boris Wischnewskij erinnerte die „NG“ daran, dass es gegenwärtig „keinerlei andere oppositionelle Kraft, die alle demokratischen Kräfte konsolidieren kann“, gebe. „Dies ist eine vollendete Tatsache“. Bei „Jabloko“ sind die Hälfte der Kandidaten traditionell parteilose. Und bei diesen Wahlen werde dies auch so sein, merkte er an. Die Äußerung Gudkows hält Wischnewskij für eine uneindeutige. „Wenn es keine Namen gibt, so ist es auch unmöglich, diese Worte zu bestätigen. Daher: Sage den Namen desjenigen, mit dem konkret gesprochen wurde, oder schweige! Und bei uns gibt die Partei jedem Kandidaten keinerlei Nominierungsgarantien, denn der Parteitag stimmt ab. Dmitrij hat einen anderen Weg als die Wahlen gewählt. Er ist einfach ausgereist. Ihm hat keiner eine Nominierung verweigert. Bei uns werden stets zuerst Anträge gestellt. Und danach erfolgen die Verhandlungen“.

Und natürlich wies er die Vermutungen über irgendwelche mit den Offiziellen abgestimmten Kandidaten ab. Denn die Partei werde jene parteilosen Kandidaten nominieren, die sie für nötige halte. „Natürlich, man wird auf die Kandidaten an sich Druck ausüben, man kann gegen sie Extremismus-Verfahren einleiten. Man kann sogar die ganze Partei von den Wahlen ausschließen. Die Nominierung aber wird auf natürlichem Wege erfolgen. Die Namen nennen wir vorerst nicht, da bisher Gespräche erfolgen. Wir rechnen damit, einen Teil der Anhänger Nawalnys zu nominieren, aber nicht nur… Schließlich gibt es keinen juristischen Begriff „Anhänger Chodorkowskis“ oder „Anhänger Nawalnys“. Es gibt aber Menschen, die in verschiedenen Strukturen gearbeitet haben“, erläuterte Wischnewskij.

Der stellvertretende „Jabloko“-Parteichef Iwan Bolschakow bestätigte, dass die Aufteilung des Parteitages nach Tagen mit der Erörterung der Namen der Kandidaten zusammenhänge, wobei er gegenüber der „NG“ anmerkte, dass die Offiziellen die Nominierung nach Wahlbezirken aufmerksamer als nach (Partei-) Listen verfolgen würden. „Die Herrschenden versuchen, jegliche, nach ihrem Verständnis nichtlegale Opposition auszurotten, indem man sie mit den Etiketten ausländischer, unerwünschter oder extremistischer Organisationen versieht. In Gefahr ist auch „Jabloko“. Wir haben in den Dokumenten einen Punkt über die Nichtanerkennung der Krim, weshalb in der Staatsduma ständig Aufrufe erklingen, uns zu verbieten“, unterstrich er. Bolschakow bestätigte gleichfalls, dass mit Gudkow Verhandlungen über eine Nominierung geführt worden seien, doch über das Gespräch, das Gudkow erwähnt hatte, sei ihm nichts bekannt. Dennoch aber: Es „war wirklich eine Vorabvereinbarung erzielt worden“, sagte Bolschakow. Und er fügte hinzu: „Dabei können wir den Kandidaten keine konkreten (Wahl-) Bezirke versprechen. Endgültig entscheidet der Parteitag über alle Frage“. Der stellvertretende „Jabloko“-Chef erinnerte daran, dass Gudkow überhaupt vor dem Regionalrat der Moskauer Organisation hätte auftreten müssen, zumal bei einem Teil von ihm Beanstandungen hinsichtlich der Präsidentschaftswahlkampagne von 2018 hätten auftreten können. Bolschakow erklärt, dass „Jabloko“, wie auch verkündet worden sei, anstrebe, eine konsolidierende demokratische Kraft zu sein. „Wir haben nie mit dem Kreml Listen und Kandidaten abgestimmt und haben nicht vor, dies zu tun. Daher nominieren wir selbst Bürger- und demokratische Aktivisten von anderen Kräften, Menschenrechtler usw.“, erklärte er.

Der Leiter der Politischen Expertengruppe Konstantin Kalatschjow präzisierte jedoch, dass „Verhandlungen mit den Offiziellen hinsichtlich der Kandidaten alle Parteien führen. Und „Jabloko“ als eine halbe Systempartei hat sich diesbezüglich konsultiert“. Daher würden wahrscheinlich jene Kandidaten, die die Offiziellen für toxische halten, wohl kaum zu nominierten Kandidaten von der Partei werden. „Selbst ohne irgendeine große Vereinigung wird „Jabloko“ auf dem Stimmzettel wie ein unikales Angebot für die Anhänger der demokratischen Kräfte aussehen: entweder die Kandidaten von „Einiges Russland“ oder die „Jabloko“-Vertreter. Diese Position verkündete bereits Maxim Resnik“, erinnerte der Experte. Dabei könne „Jabloko“, da sich die Offiziellen mit „einer Nivellierung der Kandidaten“ befassen würden, stets damit die Nichtaufstellung der einen oder anderen Personen im eigenen Namen begründen. Kalatschjow nimmt an, dass die Vertreter der Rechtsschutzorgane ein großes Maß an Autonomie erhalten hätten. Ergo könnten sie sich durchaus auch ohne klare Signale von oben mit einer Säuberung vor der Wahlkampagne befassen, wobei sie wissen würden, dass „ganz bestimmt keinerlei Sanktionen dafür gegen sie folgen werden. Da man auch im Kreml keinerlei Skandale bei den Wahlen möchte, werde man dort einverstanden sein, die Frage mit den oppositionellen Kandidaten vor den Wahlen zu klären.

Alexej Makarkin, 1. Vizepräsident des Zentrums für politische Technologien, erläuterte der „NG“, dass, allem nach zu urteilen, „in dieser Situation „Jabloko“ auch gar nicht vor hatte, Gudkow zu nominieren, der Verdacht besteht, dass die Partei den Offiziellen einen für sie akzeptableren Kandidaten vorschlagen wollte“. Jedoch Gudkow direkt eine Absage zu erteilen, wäre unhöflich gewesen. Daher habe man ihm wohl auch von gewissen Schwierigkeiten erzählt. Der Experte betonte, dass die Jawlinskij-Partei im Frühjahr ihre Beziehungen mit den Herrschenden markiert habe, als sie Alexej Nawalny als einen Politiker hart kritisierte, das heißt, einen nonverbalen Konsens mit den Parlamentsparteien demonstrierte. Makarkin hält dies für eine Erscheinung eines pragmatischen Herangehens an jene Situation, in der man sich jetzt von den Radikalen distanzieren müsse. „Offenkundig hält „Jabloko“ als Hauptaufgabe eine Teilnahme an den Wahlen über Parteilisten, wobei die Partei mit, wenn nicht mit einem Einzug in die Staatsduma, so zumindest mit einer staatlichen Finanzierung rechnet“, betonte er. Zur gleichen Zeit würden die „Jabloko“-Vertreter seitens der Wähler Kritik fürchten. Daher werde man, pflichtet er bei, das Aussieben eines Teils der Kandidaten gerade mit Repressalien seitens der Offiziellen und nicht mit der eigenen Position begründen. „Derzeit wird es „Jabloko“ wohl kaum gelingen, zu einer konsolidierenden Kraft zu werden, da entsprechen den neuen Gesetzen eine Vielzahl von Kandidaten eine Ablehnung erhalten werden. „Jabloko“ wird sich bei den Wahlen wahrscheinlich nicht als eine konsolidierende Kraft, sondern als eine Partei positionieren, die allen Anhängern eines demokratischen Weges ideell am nächsten ist. Die Offiziellen werden jedoch wohl kaum „Jabloko“ „nivellieren“. Dies wäre für den Kreml selbst nicht vorteilhaft. Das Protestelektorat würde zur KPRF abfließen. Und schließlich werden bei weitem nicht die Vertreter der Rechtsschutzorgane für die Wahlergebnisse geradestehen“, sagte Makarkin der „NG“.

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Derweil räumen laut einer Umfrage des Levada-Zentrums, wie die Autoren des Telegram-Kanals „Meister“ (https://t.me/maester) hinweisen, nur 28 Prozent der Bürger Russlands die Möglichkeit relevanter politischer Proteste im Land ein, 30 Prozent – Proteste mit ökonomischen Forderungen. „Im Januar waren die Zahlen höhere – 45 bzw. 43 Prozent. Die Bereitschaft, an Protesten gegen eine Verringerung des Lebensniveaus teilzunehmen, erklärten 21 Prozent der Befragten (plus 4 Prozent gegenüber dem Januar), an Meetings mit einem politischen Hintergrund – 16 Prozent (plus 1 Prozent). Die Daten der Umfrage belegen insgesamt eine Verringerung des Protestpotenzials im Land bei Beibehaltung einer bestimmten inneren Unzufriedenheit der Bevölkerung. Diese Unzufriedenheit trägt jedoch vorrangig einen wirtschaftlichen Charakter und ist eine direkte Folge der Pandemie. Im Falle eines Erfolgs der staatlichen Maßnahmen zur Unterstützung der Bevölkerung und zu einer weiteren Wiederbelebung des Wirtschaftslebens in Russland. Und der ohnehin geringe Prozentsatz derjenigen, die bereit sind, auf die Straßen zu gehen, wird noch stärker fallen. Und dies bedeutet, dass die Situation für die anstehenden Wahlen günstig aussieht. Die Versuche, das Land von außen her unter den Bedingungen der Ruhe der russischen Gesellschaft ins Rudern zu bringen, sehen wie perspektivlose aus“.

„Wladimir Ryschkow hat beschlossen, bei den Nachwahlen zur Moskauer Stadtduma für „Jabloko“ im Gagarin-Wahlbezirk zu kandidieren. Dabei muss er dennoch aber Unterschriften sammeln. Die Partei wird dem Politiker aber moralische und organisatorische Unterstützung gewähren“, betont „Temnik“ (https://t.me/polittemnik). „In dem gleichen Wahlbezirk wird auch Ilja Jaschin als Selbstläufer antreten. Zwischen den Oppositionspolitikern sind bereits Spannungen aufgekommen. Jaschin deutet an, dass Ryschkow ein Agent des Bürgermeisteramts sei. Die Politiker streiten sich gleichfalls, wer als erster die Pläne verkündete, im Gagarin-Bezirk zu kandidieren. Es wird eine weitere Eskalation innerhalb der Opposition erwartet. Dabei muss betont werden, dass Ryschkow mehr Chancen hat, registriert zu werden und letztlich zu gewinnen“.