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Die Einführung einer Pflichtvakzinierung in der Moskauer Region soll das ganze Land schützen


Die Moskauer Behörden haben einen entschiedenen Schritt getan, um den Versuch zu unternehmen, die Ausbreitung des Coronavirus zu stoppen. Im Dienstleistungsbereich, wo eine große Anzahl von Kontakten zwischen Menschen registriert wird, sollen obligatorisch 60 Prozent der Mitarbeiter vakziniert werden. Die Leiter der entsprechenden hauptstädtischen Unternehmen sollen diesen Wert hinsichtlich der ersten Komponente des Corona-Impfstoffs bis zum 15. Juli erreichen, hinsichtlich der zweiten – bis zum 15. August. Der Übergang zu dieser neuen Strategie ist durch die ernsthafte Verschlechterung der epidemischen Situation in Moskau und der Hauptstadtregion ausgelöst worden. Und die Moskauer Offiziellen wurden vor die Wahl gestellt – die Städter zu verpflichten, sich impfen zu lassen, oder strengere restriktive Maßnahmen zu verhängen. Die Erfahrungen der Staaten, die mit der Weiterverbreitung der Krankheit erfolgreich fertig werden konnten, beispielsweise Israel, haben gezeigt, dass es unmöglich ist, ohne eine Massenvakzinierung die Pandemie zu beenden.

Das Coronavirus verbreitet sich in Moskau außerordentlich schnell. In der Megapolis sind am Donnerstag 6195 neue COVID-19-Fälle gemeldet worden (am Mittwoch – 5782), zur stationären Behandlung sind 1854 Menschen in Krankenhäuser eingeliefert worden (1778 am Mittwoch), und künstlich beatmet werden 532 Patienten (481 am Mittwoch). Dabei sind 73 neue Todesfälle aufgrund von COVID-19 registriert worden (am Mittwoch 75). In den vergangenen 24 Stunden sind in Russland 14057 neue Coronavirus-Fälle (13.397 am Mittwoch) in 84 Regionen gemeldet worden. Moskau war die erste Megapolis, in der eine umfangreiche Impfkampagne begann (am 4. Dezember vergangenen Jahres), und über 1,8 Millionen Einwohner haben bereits eine Corona-Impfung erhalten. Für einen vollwertigen Schutz der Stadt vor COVID-19 hat sich dies jedoch als wenig erwiesen. Und um eine Weiterverbreitung des Virus zu verhindern, wurde in der Moskauer Region beschlossen, eine obligatorische Vakzinierung anzuordnen. Bisher nicht für alle, sondern nur für die Mitarbeiter einiger Branchen, die viel mit Menschen Kontakt haben. Die getroffene Entscheidung bezeichnete Moskaus Bürgermeister Sergej Sobjanin als eine „äußerst schwere“. Er erklärte jedoch, dass dies in der gegenwärtigen schwierigen Situation der beste Ausweg sei.

„Letzten Endes ist dies eine Sache eines jeden – sich impfen zu lassen oder nicht –, solange du zu Hause oder auf der Datscha sitzt“, erklärte der Bürgermeister. „Wenn du aber an öffentliche Orte kommst und mit anderen Menschen in Berührung kommst, wirst du gewollt oder ungewollt zu einem Beteiligten des epidemiologischen Prozesses, zu einem Glied der Kette zur Weiterverbreitung des gefährlichen Virus. Mehr noch, wenn du in einer Einrichtung arbeitest, die einen unbestimmten Kreis von Menschen bedient, so ist dies unter den Bedingungen der Epidemie bestimmt nicht nur deine persönliche Angelegenheit, welche individuelle Schutzmittel du auch nutzen magst“.

In Moskau nehmen gegenwärtig 25 Krankenhäuser COVID-19-Patienten auf, wobei es gelungen ist, die Anzahl der COVID-Betten von 12.000 bis auf 16.000 zu erhöhen. Die Ärzte weisen auf eine Zunahme der Zahl der erkrankten Personen hin, die aktiv öffentliche Orte aufsuchen (Einkaufszentren, Freizeitstätten, Sportveranstaltungen, Parks, Bars, Restaurants) und die öffentlichen Nahverkehrsmittel nutzen.

Wer aber muss sich unbedingt impfen lassen? In das entsprechende Verzeichnis wurden die Beschäftigten der Einzelhandelsunternehmen, Beauty- und Kosmetiksalons, SPA- und Massagesalons, Sonnenstudios, Dampfbäder, Saunen, Sport- und Fitness-Zentren und -Klubs, Schwimmbäder und Pools, der Dienstleistungsbetriebe (Wäschereien und chemische Reinigungen), der Gastronomie, Kundenabteilungen von Banken und Postämtern, der Zentren für staatliche Dienstleistungen „Meine Dokumente“ sowie die Mitarbeiter des Transportwesens (inkl. der Taxi-Fuhrunternehmen), des Bildungs- und Gesundheitswesens, des Sozialbereichs, der kommunalen Wohnungswirtschaft und Energieversorgung. Außerdem sollen jene vakziniert werden, die sich mit der Organisierung von Kultur- und Freizeitveranstaltungen befassen, Mitarbeiter von Kinderspielzimmern und Freizeitzentren, Kinder-Tageslagern sowie anderer Kinderbetreuungszentren, aber auch von Theatern, Kinos und Konzertsälen. Auch die Mitarbeiter regionaler und föderaler staatlicher Behörden, der Organe der örtlichen Selbstverwaltung und der ihnen unterstellten Einrichtungen sollen sich einer obligatorischen Vakzinierung unterziehen.

Der Beschluss der hauptstädtischen Abteilung der Verbraucherschutzbehörde Rospotrebnadzor sieht vor, dass bis zum 15. Juli mindestens 60 Prozent all dieser Einrichtungen mit der ersten Komponente eines der russischen Vakzine oder mit einem Ein-Komponenten-Impfstoff geimpft werden sollen, bis 15. August soll die Vakzinierung mit der zweiten Komponente abgeschlossen sein. Dabei müssen die Arbeitgeber die Informationen über die geimpften Mitarbeiter ab 1. bis einschließlich 15. Juli über das Internetportal www.mos.ru einreichen. Und danach werden sie eine Benachrichtigung darüber erhalten, ob die Vakzinierungsaufforderung erfüllt wurde oder nicht.

Viele Mediziner sind sich sicher, dass eine obligatorische Vakzinierung erlauben werde, nicht nur die Einwohner Moskaus und der Region um Moskau zu schützen, sondern auch jene, die in anderen Landesregionen leben. Schließlich ist die Hauptstadt der Russischen Föderation ein großer Transport- und Tourismus-Hub, über den eine Vielzahl von Transportwegen verlaufen. Hunderttausende Bürger passieren die Hauptstadt als einen Transitpunkt auf dem Weg zur Arbeit oder in den Urlaub. Und sie können, wenn sie sich in der Megapolis anstecken, zu Verbreitern des Virus bereits zu Hause werden. Besonders wichtig ist da ein komplexes Vorgehen. Und nicht zufällig haben Moskau und das Moskauer Gebiet synchron die obligatorische Vakzinierung angeordnet. In der hauptstädtischen Region leben etwa 20 Millionen Menschen. Und etwa 900.000 Menschen kommen als Pendler mit Vorortzüge nach Moskau und etwa eine halbe Million mit Bussen.

P: S. der Redaktion

Die angeordnete obligatorische Vakzinierung erfolgt vor dem Hintergrund der Tatsache, dass selbst Präsident Putin mehrfach auf den freiwilligen Charakter der Impfungen gegen das Coronavirus hingewiesen hat. Die Arbeitgeber sollen nun für die Impfungen werben, können jedoch die Arbeitnehmer legal nicht dazu zwingen, erklären Moskauer Experten. Und die Skepsis und das Misstrauen gegenüber den russischen Corona-Impfstoffen sind nach wie vor groß. Daher besteht die Gefahr, dass mancher Arbeitgeber die „ausgelobten“ Strafen bei Nichterfüllung der Anordnung zahlen muss und möglicherweise auch die „Impfunwilligen“ entlassen wird. Bereits am Tag nach Bekanntwerden der Entscheidung der Moskauer Behörden wurde deutlich: Sie bringt den Stadtvätern keine Pluspunkte. Praktisch zwei Drittel der Befragten (63 Prozent) sind gegen eine obligatorische Corona-Impfung. Der Anteil der Gegner solch eines Vorgehens in der Altersgruppe 35 bis 44 Jahre liegt gar bei 67 Prozent, wie das Forschungszentrum des Internetportals www.superjob.ru mitteilte. Und unklar ist auch, was mit den ausländischen Arbeitnehmern in den betroffenen Branchen getan werden soll, denn die wurden ja bisher von der freiwilligen Impfkampagne ausgeschlossen. Last and least muss auch konstatiert werden: Die obligatorische Corona-Vakzinierung zerstreut nicht das Misstrauen gegenüber den russischen Impfstoffen, zumal die Entwickler von „Sputnik-V“ selbst eingestanden haben, dass bis zu 10 Prozent der geimpften Russen überhaupt keine Antikörper entwickelten.