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Die Regionen bestimmen eigene COVID-Risikogruppen


Bereits rund ein Dutzend russischer Regionen haben beschlossen, im Zusammenhang mit der drastischen Zunahme der Anzahl von neuen COVID-19-Fällen zu einer obligatorischen Vakzinierung eines Teils der Bevölkerung überzugehen. Wobei in jeder Region die Zusammensetzung der Risikogruppen auf eigene Art und Weise bestimmt wird. Und neben dem Handel, Dienstleistungsbereich und Transportwesen, mit denen die Vorreiter-Regionen begannen, hat man in einigen Regionen das Arbeiten und den Erhalt von Lohn bzw. Gehalt auch bereits in Industriebetrieben von einer Corona-Impfung abhängig gemacht. Im Arbeitsministerium signalisiert man dabei die Möglichkeit, diejenigen von der Arbeit zu suspendieren, die sich weigern, vakzinieren zu lassen, wobei sofort präzisiert wird, dass es unmöglich sei, einen Arbeitnehmer aufgrund der Ablehnung, sich impfen zu lassen, zu kündigen. Experten sind der Auffassung, dass die föderalen Behörden und Offiziellen wohl kaum das von ihnen erklärte Prinzip der Freiwilligkeit aufgeben werden. Doch vor den Arbeitgebern sei die durchaus konkrete Aufgabe gestellt worden, mit allen Mitteln eine Erhöhung der Anzahl der vakzinierten Menschen um ein Mehrfaches zu gewährleisten.

Die Anzahl der Regionen, die eine obligatorische Vakzinierung anordnen und einführen, nimmt stetig zu. Am Sonntag haben die Behörden des Autonomen Bezirks der Nenzen bekanntgegeben, dass der regionale operative Stab beschlossen habe, eine obligatorische Vakzinierung von 60 Prozent der Menschen im Alter von 60 Jahren und älter, der Beschäftigten von Gesundheits- und Bildungseinrichtungen, der Mitarbeiter der Multifunktionalen Zentren, der Einrichtungen für soziale Betreuung und der Mitarbeiter mit chronischen Erkrankungen einzuführen. Gleichfalls werde dort geplant, mindestens zwei Drittel der sogenannten Wachtowiki (Arbeitnehmer, die jeweils für einen bestimmten Zeitraum zum Arbeiten in die Region auf der Basis des Rotationsprinzips kommen – Anmerkung der Redaktion), der Beschäftigten der Transport- und Energieunternehmen, der Mitarbeiter der Rechtsschutz- und staatlichen Kontrollorgane, der Wehrpflichtigen und Militärs, der Beschäftigten des Dienstleistungs- und Handelsbereichs sowie der Studenten im Alter von über 18 Jahren zu impfen.

Im Verwaltungsgebiet Tula ist man noch weiter gegangen. Dort sollen von einer obligatorischen Vakzinierung neben den verständlichen Berufen, die mit häufigen Kontakten mit Menschen verbunden sind, 171 Unternehmen des Militär-Industrie-Komplexes, des zivilen Maschinenbaus, der Chemie- und Metallurgie-Industrie sowie des Brennstoff- und Energie-Komplexes erfasst werden. Die Chefin der russischen Verbraucherschutzbehörde Rospotrebnadzor, Anna Popowa, erzählte Medienvertretern, dass die obligatorische Vakzinierung Risikogruppen betreffe, die ständig mit Menschen Kontakt haben. Darauf sagte wer, dass in den Betrieben und Fabriken die Menschen nicht so häufig kommunizieren würden, zumal die Kriterien für eine Kommunikationshäufigkeit nicht festgelegt worden seien.

Bei Redaktionsschluss des vorliegenden Beitrages hatten etwa ein Dutzend Regionen derartige Maßnahmen eingeführt. Neben den Verwaltungsgebieten Sachalin und Kemerowo hat sich ihnen das Gebiet Twer angeschlossen, wo mit Stand vom 18. Juni die tägliche Erkrankungsrate um 42,3 Prozent im Vergleich zum Monatsbeginn zugenommen hat. Die Einführung einer obligatorischen Vakzinierung hat man auch im Verwaltungsgebiet Magadan erwogen. In allen Regionen wird die Aufgabe gestellt, bis zum 15. Juli mit der ersten Komponente die geforderte Anzahl von Menschen zu impfen, mit der zweiten – bis Mitte August.

Ungeachtet der Möglichkeit, sich kostenlos vakzinieren zu lassen, die die Bürger nicht in allen Ländern haben, machen dies die Bürger Russlands nach wie vor recht ungern. Laut Umfragen wollen sich bis zu 60 Prozent nicht impfen lassen. Und einer jüngsten Umfrage nach zu urteilen, die der Internetservice www.superjob.ru durchgeführt hat, werden 22 Prozent sich nur in dem Falle impfen lassen, wenn dies eine obligatorische Bedingung für eine Einstellung oder die Möglichkeit, weiter arbeiten zu können, ist. Doch 35 Prozent erklärten, dass sie sich unter keinerlei Umständen vakzinieren lassen werden.

Die Behörden versuchen, die Situation im Zusammenhang mit der drastischen Zunahme der Neuerkrankungen (19. Juni – 17.906, 20. Juni – 17.611, 21. Juni — 17378) in Griff zu bekommen, und sind von den Versprechungen, Autos und Wohnungen unter den Neugeimpften auszulosen, zu härteren Maßnahmen übergegangen. Im Arbeitsministerium hat man unzweideutig erklärt, dass die Vakzinierungsverweigerer ohne Lohn bzw. Gehalt bleiben würden. Der Mitarbeiter, der keine Vakzinierung absolviert hat, könne von der Arbeit suspendiert werden, wenn in der jeweiligen Region ein Beschluss über eine obligatorische Vakzinierung gelte, erklärte Arbeitsminister Anton Kotjakow (für den Zeitraum der Geltungsdauer des jeweiligen Beschlusses – Anmerkung der Redaktion).

Wenn die Entscheidung über eine obligatorische Vakzinierung aufgrund epidemischer Parameter durch den Chefhygiene- und Sanitätsarzt des Subjekts getroffen worden ist, so wird für die Beschäftigten, die in dem entsprechenden Dokument ausgewiesen worden sind, die Vakzinierung zu einer obligatorischen, unterstrich Kotjakow. Er fügte hinzu, dass, „wenn es keine objektiven Ursachen für eine Nichtvakzinierung des Mitarbeiters gibt, so kann der Arbeitnehmer für die Zeit der Epidemie von der Wahrnehmung der Pflichten ohne Beibehaltung des Arbeitsverdienstes suspendiert werden“. Allerdings hatte Kotjakow zuvor erklärt, dass in der Arbeitsgesetzgebung der Russischen Föderation keine Entlassung wegen Ablehnung einer Vakzinierung vorgesehen sei.

In Russland müsse das Tempo der Vakzinierung forciert werden. Die Entwicklung neuer Vakzine und Coronavirus-Heilpräparate werde fortgesetzt, erklärte Präsident Wladimir Putin am Sonntag in einer Videogrußbotschaft zum Tag der Beschäftigten des Gesundheitswesens. Ende Mai hatte er die Idee von einer obligatorischen Vakzinierung zurückgewiesen. Nach seiner Meinung „müssen die Menschen dies selbst begreifen“.

Vizeregierungschefin Tatjana Golikowa berichtete am Samstag über Symptome einer Erkrankung mit dem sogenannten indischen Stamm, dem Stamm Delta: Schnupfen, Halsschmerzen und Kopfschmerzen wie bei einem gewöhnlichen Rachenkatarrh. Dabei betonen Experten, dass, um den neuen Stamm einzudämmen, eine stärkere kollektive Immunität gebraucht werde, und es müssten bereits nicht 60 Prozent, sondern ganze 70 Prozent der Bevölkerung vakziniert werden.

„Auf föderaler Ebene ist die Vakzinierung als eine freiwillige verkündet worden, da aber das Ansteckungsrisiko ein sehr großes ist, wurde den Regionen die Aufgabe gestellt, auf maximale Weise den Anteil der vakzinierten (Menschen) zu erhöhen, ohne dabei die Gesetze zu verletzen“, sagte der „NG“ der Co-Vorsitzende des Allrussischen Patientenverbands Jan Wlassow. „In Jakutien war es zu einem Fehlstart gekommen. Dort wollte man für alle obligatorische Impfungen anordnen. Man hat sie aber „korrigiert“. Dabei schafft man in den Regionen Bedingungen, unter denen für die Anzahl der Geimpften die Arbeitgeber verantwortlich sein werden. Die Risikogruppen bestimmt man eher ausgehend davon, wo eine maximale Erfassung durch Vakzine möglich ist. Irgendwo haben die regionalen Behörden ausgerechnet, dass man dies schneller und einfacher in Industriebetrieben tun kann, und hier und da in den Wachtowiki-Siedlungen“.

Der Experte sieht keinen großen Unterschied zwischen einer Erfassung von 60 und 70 Prozent. „Das Wichtigste ist, von dem Stand wegzukommen, auf dem wir uns derzeit befinden. Das Vakzin hat man als einer der ersten entwickelt, doch hinsichtlich des Vakzinierungstempos befinden wir uns nur in der vierten Zehnergruppe der Länder. In Israel ist die Hälfte der Bevölkerung vakziniert worden. Und da gibt es im Großen und Ganzen schon keine Probleme. Die Schulen sind offen, die Klubs. Man vakziniert bereits auch Minderjährige. Und das Wichtigste ist, die Menschen wissen und begreifen, dass unter den Vakzinierten 15mal weniger jener sind, die sich erneut infizieren. Dabei überstehen die Vakzinierten eine erneute Erkrankung weitaus leichter“.

„Das COVID-Dissidententum ist bei uns ein sehr ernsthaftes. In den Netzwerken hat sich eine ganze Front gegen die Vakzinierung herausgebildet. In der Regel treten jedoch keine Spezialisten als Gegner auf, sondern häufiger machen die Menschen mit irgendwelchen ungeprüften Informationen einander Angst. Das Hauptproblem sind m. E. das gegenseitige Misstrauen in der Gesellschaft und die mangelnde Ausbildung der Ärzte. Die Menschen können von ihnen oft keine genauen Informationen über die Folgen einer Vakzinierung gerade bei ihrer (konkreten) Erkrankung erhalten“, sagt Wlassow.

Die Behörden und Offiziellen haben einen mächtigen Hebel in der Reserve, betont der Experte, hofft aber, dass der Grad des Widerstands gegen eine Vakzinierung in eben jenen Industrieunternehmen nicht zu solchen Ausmaßen zunimmt, dass man ihn einsetzen muss. „Wenn man COVID-19 als eine sozial gefährliche Krankheit anerkennt wie beispielsweise Tuberkulose, AIDS oder Syphilis, so wird die Ablehnung einer Vakzinierung zu einer strafrechtlich zu ahndenden. Ich hoffe, dass bei uns alles dennoch, genauso wie in Israel, einem militarisierten Land, mit freiwillig-nötigenden Maßnahmen erfolgen wird“, sagte der Experte.