In der Moskauer Christus-Erlöser-Kathedrale hat vom 26. bis einschließlich 28. Mai eine Plenumstagung der Interkonzilären Versammlung – eines beratenden Organs der Russischen orthodoxen Kirche, das bei der Vorbereitung von Entscheidungen hinsichtlich des Lebens der Kirche Unterstützung leistet – stattgefunden. Im Verlauf von drei Tagen Diskussionen unter dem Vorsitz des Patriarchen von Moskau und Ganz Russland Kirill (Gundjajew) sind die Entwürfe von vier Dokumenten erörtert und gebilligt worden: „Über die Unantastbarkeit des Menschenlebens ab dem Zeitpunkt der Zeugung“, „Über die weltliche Arbeitstätigkeit von Geistlichen“, „Bestimmung über kanonische Kirchenstrafen und disziplinarische Bestrafungen von Geistlichen“, aber auch „Über das Segnen orthodoxer Christen für die Ausübung der militärischen Pflicht“. Das letztere löste ein breites Echo aus, ungeachtet dessen, dass der endgültige Wortlaut für ein allgemeines Kennenlernen erst auftauchen wird, nach dem er beim Bischofskonzil, das für November dieses Jahres angesetzt wurde, behandelt worden ist.
Beinahe sofort nach Abschluss des Plenums tauchten in den Medien Meldungen auf, wonach die Russische orthodoxe Kirche plane, von der Weihe von Waffen Abstand zu nehmen. In der Kirche beeilte man sich zu versichern, dass dem nicht ganz so sei. „Der Terminus „Weihe“ darf sich nur auf die Gegenstände beziehen, die Gott gewidmet werden: Gewänder, Gefäße und anderes. In allen übrigen Fällen kann man von einem Segnen sprechen“, erläuterte der Leiter der Redaktionsgruppe für die Arbeit mit den Dokumenten der Interkonzilären Versammlung, der Bischof von Selenograd Sawwa (Tutunow). „Der Hauptadressat des Segnens ist ein Kämpfer und keine Waffe. Waffen können mit Weihwasser besprengt werden, aber gerade im Kontext des Segnens jener Kämpfer, die diese Waffen nutzen werden. Anders gesagt: Die Praxis des Segnens von Waffen außerhalb des Kontexts des Segnens von Kämpfern widerspricht den gottesdienstlichen Texten, ja und auch dem Sinn des kirchlichen Handelns“.
„Ich verstehe, dass eine mediale Entstellung eine unausweichliche Sache ist. Aber doch nicht bis zu solch einem Maße“, reagierte Wladimir Legoida, Leiter der Synodalabteilung für die Beziehungen der Kirche mit der Gesellschaft und den Massenmedien. „Erstens ist der Entwurf des Dokuments „Über das Segnen orthodoxer Christen für die Ausübung der militärischen Pflicht“ ein ernsthafter theologischer Text, der das Zusammenwirken der Kirche und der Armee betrifft. Und es gibt da keine solchen Formulierungen. Zweitens sind die Dokumente, die durch die Interkonziläre Versammlung verabschiedet werden, Entwürfe. Und etwas darüber zu sagen, was die Kirche machen werde oder beabsichtige zu tun, ist nach deren Inkrafttreten richtig“.
In dem neuen Wortlaut werden angeblich keine Massenvernichtungswaffen erwähnt. „Zugelassen wird ein Segnen der persönlichen Waffe. Für alle übrigen aber ist ein Besprengen mit Weihwasser vorgesehen. Möglicherweise werden in der Zukunft noch schrecklichere und zerstörerische als die Kernwaffen auftauchen. Daher haben die Mitglieder der Kirchenversammlung beschlossen, die Waffentypen nicht einzeln zu erwähnen“, erzählte der russischen staatlichen Nachrichtenagentur RIA Novosti der Vertreter des Moskauer Patriarchats bei europäischen Organisationen, Archimandrit Philipp (Rjabych). Ursprünglich hieß das Dokument „Über die Praxis des Weihens von Waffen in der Russischen orthodoxen Kirche“. Und dort hieß es unter anderem: „In der Tradition der orthodoxen Kirche hat der Ritus keinen Niederschlag gefunden und entspricht nicht dem Inhalt des eigentlichen Ritus des Segnens von Kämpferwaffen. Und daher muss die Nutzung dieses Ritus für ein „Weihen“ jeglicher Arten der Waffen, deren Verwendung den Tod einer unbestimmten Anzahl von Menschen nach sich ziehen kann, darunter der Waffen mit einer nichtselektiven Wirkung und von Massenvernichtungswaffen ausgeschlossen werden“. Bisher ist unklar, ob dieser Formulierung in der endgültigen Variante des Textes bleibt, der bereits seinen Namen geändert hat.
Die Diskussion darüber, ob ein Christ Massenvernichtungswaffen segnen kann, erfolgt nicht erst ein Jahr. Und bisher ist offensichtlich kein Konsens erzielt worden. Ein vehementer Verteidiger dieser Idee war der ehemalige Vorsitzende der Synodalabteilung des Moskauer Patriarchats für das Zusammenwirken mit den Streitkräften und Rechtsschutzeinrichtungen, Erzpriester Dmitrij Smirnow, der im Oktober vergangenen Jahres verstarb. Dagegen trat der Bischof von Klin Stefan (Priwalow) auf, der ebenfalls als Leiter der Synodaleinrichtung für das Zusammenwirken mit den Streitkräften wirkte, im April dieses Jahres aber von der Funktion entbunden worden ist.
„Der nunmehrige Leiter der Synodalabteilung für das Zusammenwirken der Kirche mit den Streitkräften, Bischof Sawwatij (Sagrebelnyj), sagt nicht zufällig: Die Militärs sind ungehalten darüber, dass die Massenvernichtungswaffen aus der Praxis des generellen Weihens von Waffen ausgeklammert werden können“, berichtete der „NG“ Dozent Boris Knorre, wissenschaftlicher Oberassistent der Nationalen Forschungsuniversität „Hochschule für Wirtschaftswirtschaften“. „Zugunsten der Anhänger der Praxis des Weihens von Waffen gibt es Präzedenzfälle sowohl im Byzantinischen Reich als auch im zaristischen Russland. Es gibt beispielsweise bei dem Geistlichen Valentin Swenzizkij, der als Prediger in der Freiwilligenarmee diente, eine Erzählung darüber, wie er schwankt, Waffen zu weihen, sie dann weiht und fühlt, dass die Waffen beseelte Wesenszüge erlangen, das Metall lebendig wird, die Kanonen sich scheinbar vor dem Banner mit dem Kreuz verneigen usw.“.
Nach Meinung von Knorre würden die Menschen in der Führung des Staates und der Armee, die Entscheidungen hinsichtlich des Einsatzes von Massenvernichtungswaffen treffen, ihre Mission als eine sakrale auffassen. „Ja, an der Grenze von Leben und Tod, aber eine für den Schutz einer festgelegten Ordnung bestimmte“, erläuterte der Experte. „In der Kirche ist überhaupt Vieles mit einer Sakralisierung des Todes oder von extremen Zuständen, die den Menschen an den Tod erinnern, verbunden. In Russland kommt dazu ein Mobilisationsbewusstsein, das von der Gesellschaft eine äußerte Anspannung der Kräfte verlangt. Dieses Bewusstsein färbt vieles in heroische Töne ein. Wenn Opferbereitschaft und eine äußerste Kräfteanspannung obligatorisch sind, wird der Mensch schon nicht geschätzt, wird er zu Verbrauchsmaterial, empfindet sich aber selbst als ein Held“. Knorre ist der Auffassung, dass sich die gegenwärtige russische Politik als eine recht erfolgreiche erwiesen habe, da die Menschen den Mobilisationsaufruf erhört hätten, der ihnen aus den Zeiten der „sowjetischen Größe“ gewohnt sei. „Wenn sich darauf die militaristischen Traditionen des orthodoxen Christentums legen, ergibt sich eine Symbiose“, sagte der Religionskundler.
Knorre präzisierte, dass die Haltung der Kirche in Bezug auf die Massenvernichtungswaffen in Vielem vom politischen Kontext abhänge. 1986 gab der Synod der Russischen orthodoxen Kirche die Botschaft „Über den Krieg und den Frieden im Nuklearzeitalter“ heraus, in der er den Nuklearkrieg außerhalb des Rahmens eines gerechten Krieges gestellt hatte, da bei einem globalen Konflikt Millionen unschuldige Menschen ums Leben kommen. „Damals lief aber alles in Richtung einer Abrüstung“, erinnerte der Experte. „Nunmehr verläuft alles in Richtung einer Konfrontation der Staaten. Die Kirche passt sich auch dem an. … Mehr noch, die Kirche erweist sich oft in der Avantgarde dieser Verteidigungsstimmung“, fügte Knorre hinzu. „In vielen Fällen provoziert das kirchliche Schutzbewusstsein die Menschen zu einer militärisch-belagerten Lebensvorstellung“. Der Religionsexperte machte dabei den Einwand, dass es in der Russischen orthodoxen Kirche sowohl friedensstiftende Traditionen als auch ein Verständnis über den Wert des Lebens gebe. „Die Tradition ist eine schwierige. Insgesamt aber triumphiert Bestreben nach Sicherheit. Dieser manichäische Dualismus fördert eine Zunahme des respektablen Charakters des militärischen Bereichs als etwas geistig Relevantes“, resümierte der Experte.