Tadschikistan hat in der Nacht zum Montag über 1000 afghanische Militärs aufgenommen, die nach Gefechten mit Einheiten der „Taliban“-Bewegung (die in Russland verboten ist) in den nördlichen Provinzen Afghanistans gezwungen waren zurückzuweichen. Washington vereinbart im Rahmen des Abzugs seiner Truppen aus Afghanistan mit den Ländern Zentralasiens eine Erweiterung der strategischen Zusammenarbeit und schlägt vor, die Möglichkeit der Vornahme von Operationen zur Aufklärung und Rekognoszierung durch amerikanische Militärs vom Territorium der Länder der Region aus zu prüfen. Erörtert wird gleichfalls die Frage nach der Gewährung zeitweiligen Asyls für afghanische Flüchtlinge.
US-Außenminister Anthony Blinken und Pentagon-Chef Lloyd Austin haben sich mit den Außenministern Usbekistans und Tadschikistans getroffen, die zwecks Teilnahme an bilateralen politischen Konsultationen nach Washington gekommen waren. Auf der Tagesordnung der Gespräche steht die afghanische Frage, die die Amerikaner bis zum 11. September dieses Jahres, das heißt bis zum Tag des vollständigen Abzugs der US-Truppen aus Afghanistan lösen müssen. Am 2. Juli verließen die Amerikaner den Luftwaffenstützpunkt in Bagram, der 60 Kilometer von der Hauptstadt Kabul entfernt ist, nachdem sie ihn an die Regierungstruppen übergeben hatten. Die Frage ist aber, können sie den halten oder überlassen sie ihn den Taliban, wie dies derzeit in den meisten Regionen Afghanistans geschieht, die eine nach der anderen unter die Kontrolle der Radikalen gelangen.
So haben in den letzten 24 Stunden die Taliban die Kontrolle über neun Kreise der Provinz Badachschan und zwei Kreise der Provinz Tachar im Nordosten Afghanistans, über einen Kreis in Paktia im Landesosten und noch einen in der südlichen Provinz Kandahar errungen. Im Ergebnis dessen kontrollieren die Taliban laut Medienangaben zum gegenwärtigen Zeitpunkt 110 der 370 Kreise des Landes. Mehrere hundert afghanische Militärs haben Zuflucht im benachbarten Tadschikistan gefunden. Dennoch sei, wie das Pressezentrum der Grenztruppen Tadschikistans meldete, „die Situation an der tadschikisch-afghanischen Grenze unter Kontrolle“. Zuvor waren 54 Afghanen nach Usbekistan geflohen. Doch nach Gesprächen mit Vertretern usbekischer Dienste hat man sie alle zurückgeführt.
Die Emigrationsstimmungen sind unter den afghanischen Zivilisten stark ausgeprägt, besonders unter jenen, die auf den Militärstützpunkten der USA und bei unterschiedlichen, von Washington finanzierten Projekten arbeiteten. Kurzum bei jenen, die den amerikanischen Soldaten Hilfe leisteten. Im Übrigen hat die Biden-Administration ihnen zugesagt, Einwanderungsvisa auszustellen. Der Prozess zieht sich aber in die Länge. Allem nach zu urteilen wollen die Amerikaner bei sich keine Karawanen afghanischer Flüchtlinge sehen. Die USA haben den Oberhäuptern Tadschikistans und Usbekistans vorgeschlagen, bei sich 9.000 afghanische Flüchtlinge aufzunehmen. Dabei könne solch eine Vereinbarung zu einem Teil eines größeren Deals zwecks Anbahnung einer weiteren Zusammenarbeit mit den Ländern Zentralasiens in Bezug auf Afghanistan werden, meldete die Nachrichtenagentur Bloomberg unter Berufung auf ihre Quellen.
„Es geht um eine zeitweilige Unterbringung afghanischer Flüchtlinge auf dem Territorium der drei Länder Zentralasiens – Kasachstans, Usbekistans und Tadschikistans. Genaue Termine werden nicht ausgewiesen. Dies kann sowohl für ein Jahr als auch zwei oder fünf Jahre sein. Möglicherweise aber für einen Monat. Theoretisch wird dies durch die Amerikaner zwecks Vermeidung einer Wiederholung der Geschichte mit der Evakuierung von Einwohnern Saigons getan, als mit einem Schlage rund 100.000 Helfer aus den Reihen der Südvietnamesen in die USA gekommen waren. Und für Joseph Biden ist solch eine Assoziation wie ein scharfes Messer. Sie wird überhaupt nicht gebraucht“, sagte der „NG“ Andrej Grosin, Leiter der Abteilung für Mittelasien und den Kaukasus des Instituts für die GUS-Länder. Nach seiner Meinung sei eine „elegante Lösung“ gefunden worden. Die nötigsten Afghanen nimmt man mit. Und die weniger wertvollen und, was aber das Wichtigste ist, die zahlreicheren übergibt man zeitweilig den Ländern Zentralasiens.
Es ist offensichtlich, dass alle Probleme im Zusammenhang mit dieser Entscheidung, wenn sie realisiert wird, den zentralasiatischen Ländern und nächsten Nachbarn aufgebürdet werden. Das Gefährlichste besteht aber darin, dass mit den Flüchtlingen auch Radikale in die Region kommen können. „Einerseits können dies durch die westlichen Geheimdienste ausgebildete Spezialisten sein, Doppel-, Dreifachagenten, die für die unterschiedlichsten Kräfte arbeiten, darunter für die radikalen Islamisten oder internationale Terrororganisationen. Und es gelingt physisch nicht, mehrere Tausend Menschen zu filtern“, meint Grosin. Nach seiner Meinung sei es irreal, diese Aufgabe bis zum 11. September 2021, das heißt bis zum vollständigen Abzug der amerikanischen Truppen aus Afghanistan zu lösen. „Die Amerikaner setzen aber die Zentralasiaten mit einem Angebot unter Druck, das man nicht ausschlagen kann“.
Was aber die Gewährung der Möglichkeit angeht, eine Aufklärung von den Territorien der Länder Zentralasiens aus vorzunehmen, so werden sie nach Meinung des Experten dem nicht zustimmen, wenn Peking und Moskau gegen dieses „Projekt“ auftreten. „Überdies begreift man doch beispielsweise in Taschkent, dass die Taliban früher oder später die Macht ergreifen oder in die Strukturen der Regierung eindringen werden, wobei sie zu einem Teil einer gewissen vereinigten afghanischen Herrschaft werden. Mit ihnen muss man Kontakte anbahnen und sie zumindest nicht verderben. Und Aufklärungszentren zu schaffen, die, wie die USA erklären, lediglich in Bezug auf Afghanistan arbeiten werden – dies ist ein direkter Schritt zu einer Konfrontation mit diesen Herrschenden“, betonte Grosin.
Nach Meinung von Alexander Knjasew, einem Experten für Zentralasien und den Mittleren Osten, sei ein Machtantritt der Taliban nicht real. Ihre Offensive werde gestoppt. Die Taliban hätten keine Ressourcen, um die eingenommenen Gebiete zu halten und gleichzeitig die Offensive fortzusetzen. Dabei werde der Widerstand seitens der Bürgerwehren und politischen Parteien zunehmen.
„Jetzt hängt alles von der Regierung von Präsident Aschraf Ghani ab. Wenn sie der Bildung einer Koalitionsregierung zustimmt, werden sich die Taliban früher oder später an den Verhandlungstisch setzen. Eine andere Sache ist, dass sie Trümpfe in den Händen haben – die eingenommenen Territorien, irgendwelche strategisch wichtigen Punkte. Und die Taliban werden schachern. Die Aufgabe der Taliban ist, von starken Positionen aus zu einer neuen Verhandlungsetappe zu kommen. Und es gibt auf jeden Fall keine Alternative zu Verhandlungen, selbst wenn man eine Ergreifung der Macht in Kabul als eine Version akzeptiert, denn dies kann nur eine sehr kurzfristige sein. Die Gegenreaktion auf die Taliban-Offensive ist stark. Dies sind nicht nur die Regierungsaktionen. Der Widerstand ist in der Gesellschaft an sich ein starker, in der politischen Elite, die nicht an der Herrschaft beteiligt ist“, sagte Knjasew der „NG“. Nach seiner Meinung stehe vor der Taliban-Bewegung, die nach einer internationalen Anerkennung strebe, die Aufgabe, normale Beziehungen mit den Nachbarländern herzustellen. „Und daher wäre es in höchstem Maße unproduktiv, für die Nachbarn Probleme zu schaffen“, meint Knjasew.