In der vergangenen Woche kam es zu mehreren Ereignissen, die die Aufgabe der erklärten Pläne, Forderungen und Verpflichtungen durch den Staat demonstrierten. Präsident Wladimir Putin berichtete am Mittwoch in seiner „Bürgersprechstunde“, wie die Regierung die Idee von einer obligatorischen Vakzinierung gegen das Coronavirus aufgrund des Ausbleibens einer Unterstützung in der Staatsduma (Unterhaus des russischen Parlaments – Anmerkung der Redaktion) fallen ließ. Einen Tag zuvor hatte der Pressesekretär des Präsidenten, Dmitrij Peskow, bekanntgegeben, dass der Staat auf das Erreichen eines Vakzinierungsgrades von 60 Prozent der Bevölkerung bis zum Herbst verzichte.
„Es gab Vorschläge von Kollegen, die Vakzinierung gegen die COVID-Infektion in diesen Abschnitt der nationalen Impfungen, des nationalen Plans aufzunehmen“, erzählte Putin am vergangenen Mittwoch. Tatsächlich sind die „Vorschläge von Kollegen“ die Gesetzesvorlage der Regierung Nr. 1179765-7 über den obligatorischen Charakter der Coronavirus-Impfungen, die Anfang Juni durch die Staatsduma in erster Lesung angenommen wurde. Danach aber war dieser Entwurf ganz und gar von einer weiteren Behandlung vor Abschluss der Tätigkeit der Staatsduma faktisch ausgeklammert worden. Es ergibt sich da aber, dass bereits Anfang Juni die russische Regierung geplant hatte, die Coronavirus-Impfungen zu obligatorischen zu machen. Doch jetzt hat sie diesen Plan aufgegeben. Mehr noch, nunmehr heben die föderalen Offiziellen für sich sogar die früher verkündete Orientierungsmarke für die Vakzinierung (60 Prozent der Bevölkerung) auf. Und die Ursache dafür liegt nicht nur in der Vielzahl der Impfgegner, sondern auch im banalen Fehlen einer ausreichenden Menge von im Land vorzunehmenden Impfungen.
Der faktische Flopp der Impfkampagne in der Russischen Föderation ist vor dem Hintergrund von Rekordzahlen in Bezug auf die Sterblichkeit der Bevölkerung zu beobachten. In der vergangenen Woche wurde vier Tage in Folge jedes Mal ein neuer „Tagesrekord“ für die Sterblichkeit registriert. In der Russischen Föderation sterben heute täglich offiziell rund 700 Menschen aufgrund des Coronavirus. Diese Kennziffer nimmt weiter zu, und die gescheiterte Vakzinierung kann die gigantischen Bevölkerungsverluste nicht stoppen.
Von den Plänen zur Bekämpfung der Epidemie distanzieren sich nicht nur die föderalen, sondern auch regionale Behörden. Vor einer Woche hatten die Offiziellen der Verwaltungsregion Krasnodar angeordnet, dass ab 1. Juli nur bei Vorhandensein eines negativen PCR-Tests oder eines Dokuments, dass eine Vakzinierung gegen das Coronavirus bestätigt, gebuchte Zimmer in Hotels, Pensionen und Sanatorien bereitgestellt werden. Und ab 1. August sollen die Kurorte dieser Region nur geimpfte Gäste empfangen. Eine Ausnahme bilden jene, die medizinische Gegenindikationen haben. Nun aber machen die regionalen Behörden einen Rückzieher und lassen derartige Forderungen fallen. Am Freitag erklärte Vizeregierungschefin Tatjana Golikowa, dass mit den Behörden der Region Krasnodar Vereinbarungen über eine Lockerung der Beschränkungsmaßnahmen hinsichtlich der Unterbringung von Urlaubern in Hotels und Pensionen erzielt worden seien. Die Region werde ab 1. August weiter nichtgeimpfte Touristen empfangen. Scheinbar verspüren die lokalen und föderalen Offiziellen gelinde gesagt kritische Schwierigkeiten bei der Vakzinierung selbst jener, die in Sotschi Urlaub machen wollen. Nunmehr versprechen die Beamten der Region Krasnodar, sich mit den Vakzinierungsforderungen am 8. Juli, also am kommenden Donnerstag festzulegen.
In der Nacht zum vergangenen Donnerstag informierte die russische Statistikbehörde Rosstat über einen erneuten Rückgang der Höhe der Renten im Land. Anders gesagt: Der Staat erfüllt nach wie vor nicht seine Pflichten bezüglich der „Gewährleistung eines Tempos für ein stabiles Wachstum der Bevölkerungseinkommen und des Grades der Rentenversorgung, das nicht unterhalb der Inflationsrate liegt“. Diese Verpflichtung war im Mai-Erlass von Präsident Putin aus dem Jahre 2018 verankert worden. Dieser Erlass wurde im Juli vergangenen Jahres wesentlich überarbeitet. Doch die Forderung nach „Gewährleistung einer Zunahme der Rentenversorgung nicht weniger als die Inflationsrate“ ist auch im Juli-Erlass des vergangenen Jahres erhalten geblieben.
Staatliche Pläne vermag man nicht nur in Russland zu revidieren und über den Haufen zu werfen, sondern auch in der Bruderrepublik Weißrussland. Am Donnerstag unterbreitete Alexander Lukaschenko den Vorschlag, sich über eine neue „langfristige Integrationsstrategie des Unionsstaates bis zum Jahr 2030“ Gedanken zu machen. Und dies, obgleich die Bestimmungen des Vertrages über die Bildung des Unionsstaates von 1999 nicht umgesetzt werden. Probleme haben sich Ende der Woche auch im Verlauf der Diskussionen über die Bedingungen für eine Realisierung der Forderungen zur Einschränkung der Ölförderung in den Teilnehmerländern des OPEC+-Abkommens. Im Kreml bekundete man jedoch die Hoffnung, dass ein Konsens hinsichtlich einer Anhebung der Förderquoten ab August erzielt werde.