Der Schaden für die russische Wirtschaft aufgrund von COVID-19 hat im vergangenen Jahr um das 1,4fache die Gesamtverluste aufgrund der übrigen Infektionskrankheiten übertroffen und erreiche eine Billion Rubel, hat die Hygieneaufsichtsbehörde des Landes Rospotrebnadzor berechnet. Laut Angaben der Nationalen Ratingagentur koste jede Epidemie-Welle eine Billion Rubel. Im Institut für volkswirtschaftliche Prognostizierung der Russischen Akademie der Wissenschaften teilte man der „NG“ mit, dass man den negativen Einfluss der Pandemie auf die Wirtschaft im vergangenen Jahr mit fünf Prozent des BIP beziffern könne. Ausländische Finanzexperten sind zu der Schlussfolgerung gelangt, dass sich ein geringes Tempo der Vakzinierung negativ auf die Stabilität der nationalen Währungen der Entwicklungsländer auswirken könne. Unter anderem verwiesen sie dabei auf Russland.
Die Bewertung des wirtschaftlichen Schadens, der durch COVID-19 verursacht wird, ist mit großen Schwierigkeiten verbunden, betonte man in Rospotrebnadzor. Die Behörde von Anna Popowa hat jedoch trotzdem versucht, die Verluste zu klassifizieren. „Allein mehrere direkte Zahlungen aus dem föderalen Haushalt für die COVID-19-Bekämpfung (Unterstützung der Bevölkerung und von Unternehmen) haben in der Summe mindestens 515,95 Milliarden Rubel ausgemacht. Nur einige der aus dem Landeshaushalt bereitgestellten Mittel, die unmittelbar für die Organisierung und Gewährung medizinischer Hilfe für COVID-19-Kranke bestimmt waren, beliefen sich in der Summe auf mindestens 189,452 Milliarden Rubel. Somit beliefen sich allein die direkten Zahlungen aus dem Etat für die Bekämpfung der Coronavirus-Infektion in der Summe auf mindestens 705,402 Milliarden Rubel“, wird in dem Bericht „Über den Zustand des sanitär-epidemiologischen Wohlergehens der Bevölkerung in der Russischen Föderation im Jahr 2020“ (ist auf der offiziellen Seite des Amts am Montag veröffentlicht worden) mitgeteilt.
„Ausgehend von den veröffentlichten Ergebnissen der Berechnung der Kosten für die Heilbehandlung von in Krankenhäuser eingelieferten COVID-19-Patienten … haben allein die direkten Ausgaben für die stationäre Behandlung im Jahr 2020 rund 183,06 Milliarden Rubel ausgemacht“, betonte man in Rospotrebnadzor. Außerdem sind im Berichtsjahr über 90 Millionen COVID-19-Tests vorgenommen worden. Und „bei einem Durchschnittswert der Laboruntersuchung von 1200 Rubel haben die Gesamtausgaben für das Testen über 108,6 Milliarden Rubel ausgemacht“.
„Die aufgezählten Etatausgaben als Folge der Ausbreitung von COVID-19 summierend, kann man die Schlussfolgerung ziehen, dass selbst ohne eine Berücksichtigung der Verluste des nichtproduzierten nationalen Bruttoprodukts aufgrund der letalen Ausgänge, der Ausfallzeiten und der zeitweiligen Arbeitsunfähigkeit der Schaden für die Wirtschaft aufgrund der neuen Infektion wertmäßig im Jahr 2020 über 997,06 Milliarden Rubel ausmachte“, resümiert Rospotrebnadzor. Und dies sei nach deren Angaben um das 1,4fache mehr als der summarische Schaden aufgrund der übrigen Infektionskrankheiten.
Diese Wertungen sehen relativ bescheiden aus. Nach Schätzungen der Nationalen Ratingagentur beispielsweise „kostet jede neue epidemische Welle Russland ein Prozent des BIP“, teilte Alina Rosenzwet, die Generaldirektorin der Agentur, in einem Interview für das Nachrichtenportal „Prime“ mit. Dies entspreche etwa einer Billion Rubel.
„Der Rückgang des BIP Russlands betrug im Jahr 2020 drei Prozent. Die Wirkung der Antikrisenmaßnahmen bewerten wir mit etwa 1,5 Prozentpunkten. Somit kann der negative Einfluss der Pandemie auf die Wirtschaft unter den Bedingungen des Jahres 2020 auf rund fünf Prozent vom BIP geschätzt werden“, teilte Alexander Schirow, Generaldirektor des eingangs erwähnten Instituts für volkswirtschaftliche Prognostizierung, der „NG“ mit.
Obgleich der Wirtschaftsexperte präzisierte, dass „natürlich ein Großteil des Rückgangs im Jahr 2020 mit dem Schock auf dem Erdölmarkt zusammenhing“. „Der zweite Teil aber stand mit dem Rückgang der Aktivität im Sektor der Nichtproduktionsleistungen, des Transportwesens usw. in einem Zusammenhang. Es wirkte sich die erhöhte Bevölkerungssterblichkeit aus“, betonte Schirow.
Noch eine unangenehme Nachrichte betrifft den Rubelkurs. Wie die Nachrichtenagentur Bloomberg unter Berufung auf Schlussfolgerungen von Analytikern der französischen Bank Crédit Agricole meldete, würden im zweiten Halbjahr die Leistungen bei der Vakzinierung zu einem Faktor für die Differenzierung zwischen den sich entwickelnden Märkte werden. Obgleich sich gleichfalls andere wirtschaftliche, aber auch politische Faktoren auswirken würden.
Die ausländischen Analytiker verweisen unter anderem auf die Situation in der Republik Südafrika und in Russland, wo – Angaben des speziellen Bloomberg-Trackers nach zu urteilen – eine Anzahl von Dosen für eine Vakzinierung von drei bzw. 13 Prozent der Bevölkerung in den staatlichen Umlauf gebracht wurde. Laut einer Präzisierung von Bloomberg waren im Juni der russische Rubel und der südafrikanische Rand unter den Währungen, die innerhalb von drei Monaten eine erste Reduzierung des Index für die Währungen der sich entwickelnden Märkte provozierten. Außerdem hatten sich in Russland, in der RSA und in Ländern Asiens mit einem relativ geringen Vakzinierungstempo im Juni die Indexe für die Geschäftsaktivitäten verringert, während in den Ländern Osteuropas und Lateinamerikas, wo das Vakzinierungstempo höher war, die Indexe hauptsächlich in die Höhe gingen, präzisierte die Agentur.
Wie kann sich konkret das Vakzinierungstempo auf den Rubelkurs auswirken? Den Schlussfolgerungen der ausländischen Analytiker nach zu urteilen, besteht eine mittelbare Verbindung. Je geringer das Tempo umso größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass neue Restriktionen unterschiedlichen Härtegrades eingeführt werden müssen. Dies wiederum wird sich auf die Wirtschaftsaktivität negativ auswirken und Druck auf die nationale Währung ausüben.
„Indirekt kann auch die Dynamik des BIP Einfluss auf den Rubelkurs ausüben, auf die wiederum die Situation mit dem Coronavirus wesentlich einwirkt“, präzisierte auch Rosenzwet. „Die dritte Pandemiewelle verursacht Risiken für den Rubel. Das Nachlassen der wirtschaftlichen Aktivitäten kann zu einem Trigger für den Rückgang der Produktion, eine Verlangsamung der Wiederbelebung im Dienstleistungsbereich und die Veränderung der Verbraucheraktivität der Bürger werden. Daneben verschlechtern die Erwartungen hinsichtlich eines Rückgangs der Wirtschaftsaktivität das Potenzial für einen Investitionszufluss“, pflichtete Jewgenij Mironjuk, Analytiker des Investitionsunternehmens „Freedom Finance“, bei.
„In dem Fall, dass das gegenwärtig realisierte Programm der massenhaften Vakzinierung nicht die geforderten Ergebnisse und eine Befreiung der Wirtschaft von den „Virus“-Verlusten bringt, so wird es nicht gelingen, einem Druck auf den Rubel bis zum Ende des laufenden Jahres auszuweichen“, meint Oleg Tscherednitschenko, Dozent an der Russischen Wirtschaftsuniversität. „Bei einem negativen Trend wird man bis Ende des laufenden Jahres eine Rückkehr zu den Antirekorden von 2020 erwarten können, als der Dollar über 80 Rubel kostete“.
„Im Falle des Auftretens einer Trendwende wird man mit einer Stärkung der russischen Währung rechnen können. Die wird aber zweifellos keine unbegrenzte sein“, fuhr der Wirtschaftsexperte fort. „Als eine untere Bewertungsgrenze für den Dollar kann man einen Wert von 70 Rubel ansehen. Freilich, ein stärkerer Rubel kann wiederum die russische Export-Komponente „treffen“, was unter den heutigen Bedingungen unzulässig ist“.
Und folglich werden auch die Handlungen der Finanzbehörden für das Auffinden einer gesunden Währungsbalance nicht auf sich warten lassen, wie Tscherednitschenko vermutet.
Obgleich sich allein mit der Vakzinierung die Probleme für die Wirtschaft nicht erschöpfen. „Das geringe Vakzinierungstempo beeinflusst in geringerem Maße den Rubelkurs als die weltweite Wirtschaftssituation und die Ölpreise“, betonte der Leiter des analytischen Departments des Investitionsunternehmens „AMarkets“, Artjom Dejew.
Russlands Industrie- und Handelsminister Denis Manturow plädierte in einem Interview für die staatliche Nachrichtenagentur TASS für eine obligatorische Vakzinierung in der Industrie. „Da davon die Effektivität der Arbeit jener Branchen abhängt, für die wir als Ministerium verantwortlich sind“, erläuterte er. Nach seinen Angaben, die eine Reihe von Unternehmen in 22 Branchen betreffen, könne man schon jetzt rund ein Drittel der Beschäftigten als „geschützte“ ansehen. Dies seien vor allem vakzinierte, aber auch früher an COVID-19 erkrankte und nunmehr gesundete. Unter Berücksichtigung der Beschleunigung des Vakzinierungstempos könne der Anteil der geschützten Mitarbeiter 50 Prozent erreichen, folgt aus dem Interview. „Dies wird zu einer Garantie dafür, dass die Unternehmen nicht aufgrund eines Ausfalls von Mitarbeitern wegen einer Krankschreibung die Arbeit einstellen“, ist sich der Minister gewiss. Manturow verwies auf die negativen Folgen von Lockdowns und fügte hinzu, dass, je mehr Menschen geimpft werden, umso weniger harte Einschränkungsmaßnahmen angewandt werden.
Wie jedoch die Erfahrungen anderer Länder zeigen, hebt selbst eine aktivere Vakzinierung nicht für immer und nicht vollkommen die Notwendigkeit auf, Vorsichtsmaßnahmen einzuhalten. Und sie garantiert auch nicht, dass lokale Lockdowns der Vergangenheit anheimfallen. Besonders wenn man berücksichtigt, dass sich eine Immunität nicht sofort nach einer vorgenommenen Impfung herausbildet. Es besteht ein bestimmter Zeitraum zwischen dem Beginn einer aktiven Vakzinierungskampagne und dem Erreichen einer kollektiven Immunität.