Die Offiziellen Weißrusslands haben die Säuberung des Informationsfeldes fortgesetzt. Die Internetseiten beinahe aller nichtstaatlichen Medien sind blockiert worden. Die Anzahl der festgenommenen Journalisten nimmt zu. Diejenigen, die es geschafft haben, das Land zu verlassen, versuchen, aus dem Ausland zu arbeiten, indem sie „Spiegelvarianten“ ihrer Internetseiten schaffen.
Der vergangene Donnerstag ist zu einem neuen schwarzen Tag für die weißrussischen Medien geworden. Begonnen hatte er mit einer Durchsuchung in der Redaktion und den Wohnungen von Mitarbeitern der ältesten weißrussischen Zeitung „Nascha Niwa“ („Unser Feld“) und dem Verschwinden ihres Chefredakteurs Jegor Martinowitsch zusammen mit Hündin Alma. Danach begannen Meldungen aus den Regionen über Durchsuchungen in regionalen Medien einzutreffen – in der „Brestskaja Gazeta“ (Brest), bei Intex-Press (Baranowitschi des Verwaltungsgebietes Brest) und in der Redaktion der Nachrichtenseite www.orsha.eu (Orscha des Verwaltungsgebietes Witebsk). Dabei war es nicht mehr möglich, in Weißrussland die Internetseite von „Nascha Niwa“ aufzurufen. Das Informationsministerium teilte mit, dass die Seite aufgrund der Veröffentlichung verbotener Informationen auf ihr blockiert worden sei. Eine geraume Zeit war auch die Internetseite über die IT-Industrie www.dev.by nicht aufrufbar, doch bis zum Tagesende wurde ihre Arbeit wiederhergestellt. Diesbezüglich hatte das Informationsministerium keine Erklärungen abgegeben.
Bis zur Tagesmitte waren fast alle Durchsuchungen abgeschlossen worden. Jegor Martinowitsch fand sich zusammen mit seiner Hündin bei den Rechtsschützern wieder. Jedoch brachte man ihn nach der Hausdurchsuchung zum Verhör in das Untersuchungskomitee. In den Abendstunden wurde ein Rettungswagen (SMH) zu ihm geholt. Über den Gesundheitszustand des Journalisten ist nichts mitgeteilt worden, jedoch wurde bekannt, dass er sich im Status eines Verdächtigen gemäß Teil 1 des Paragrafen 342 des Strafgesetzbuchs von Weißrussland (Organisierung oder Vorbereitung von Handlungen, die die öffentliche Ordnung grob verletzen, oder Teilnahme an ihnen) befindet. Martinowitsch ist bisher für 72 Stunden festgenommen worden, nach deren Verstreichen man ihn entweder entlassen oder gegen ihn Anklage erheben muss. In der weißrussischen Praxis der letzten Zeit ist das zweite wahrscheinlicher.
Am gleichen Tag wurden Journalisten aus Orscha festgenommen oder zum Verhör gebracht. Zwei Mitarbeiterin der Zeitung „Nascha Niwa“ wurden entlassen, nachdem sie unterschrieben hatten, keine Informationen preiszugeben. Der Aufenthaltsort einer Reihe von Mitarbeitern der oben erwähnten Medien war bei Redaktionsschluss unbekannt. Fortgesetzt wurden punktuelle Durchsuchungen in den Regionen.
Somit sind in Weißrussland nunmehr alle populärsten Informationsressourcen mit sozial-politischen Inhalten blockiert. Dabei arbeiten sie aus dem Ausland weiter und sind von dort aus auch aufzurufen. In Weißrussland ist der Zugang zu ihnen nur über VPNs möglich, die helfen, Blockierungen zu umgehen. Sie haben auch eigene Seiten in den sozialen Netzwerken, und sie betreiben Telegram-Kanäle.
Am Donnerstag gab die populärste Informationsressource des Landes TUT.BY, die durch die Behörden bereits am 18. Mai zerschlagen wurde, den Start einer Spiegelvariante ihres Nachrichtenportals bekannt. Die Journalisten teilten mit, dass sie sich im Ausland befinden und die Spiegelvariante betreiben würden, solange sie den Zugang zur eigentlichen Seite von TUT.BY nicht wiederherstellen können. Die Behörden schliefen nicht, und buchstäblich nach ein Paar Stunden nach dem Launch der Seite ist sie blockiert worden. Jetzt kann man sie Weißrussland auch nur über VPNs lesen. Die meisten Journalisten aller verbotenen und blockierten Medien haben Weißrussland verlassen und arbeiten aus dem Ausland weiter. Ihre Arbeit setzen zwei, drei weniger große nichtstaatliche Informationsressourcen fort. Jedoch sei deren Blockierung, wie Experten voraussagen, eine Frage der Zeit.
Es sei daran erinnert, dass der Politologe Valerij Karbalewitsch buchstäblich vor einigen Tagen in einem Kommentar für die „NG“ eine totale Beseitigung der unabhängigen Massenmedien in Weißrussland prognostizierte: „Für die Journalisten der unabhängigen Medien, die in Weißrussland arbeiten, ergibt sich ein Dilemma – entweder ausreisen oder ins Gefängnis kommen oder den Beruf aufgeben“ (https://ngdeutschland.de/lukaschenko-kam-auf-die-liste-der-feinde-der-pressefreiheit/). Solch eine Meinung bekundeten auch andere Experten.
Die Offensive gegen die Medien verbinden die Analytiker nicht nur damit, dass die Herrschenden nicht ihren Sieg spüren, über den die staatlichen Propagandisten sprechen, solange es auch andere Informationen gibt, sondern auch mit der Vorbereitung auf anstehende Ereignisse. „Es ist sehr möglich, dass die Umgebung Lukaschenkos eine Desorganisation des Informationsfeldes in der nächsten Zeit braucht. Zeit für die Präsentation der Verfassung und Zeit für das Anschieben neuer Informationsressourcen. Auf den ersten Blick gar nicht einmal machttreuer, sondern mit solch einem mehr oder weniger „erlaubten Touch an oppositionellem Charakter““, kommentierte der Politologe Igor Tyschkewitsch die Ereignisse des vergangenen Donnerstags auf seinem Internet-Account. Er erinnert an zwei markante Ereignisse der vergangenen Tage. Erstens ist bekanntgegeben worden, dass im August der Verfassungsentwurf zur Prüfung Lukaschenko vorgelegt werde. Überdies kursieren Gerüchte, dass das Referendum, das für Januar kommenden Jahres geplant wurde, bereits im November stattfinden könne. Zweitens ist der wichtigste weißrussische „Terrorist-Journalist“ Roman Protasewitsch, wegen dessen Festnahme ein Ryanair-Jet in Minsk zur Landung gezwungen worden war, nicht einfach unter Hausarrest gestellt worden, sondern hat sich auch einen Twitter-Account zugelegt.
Igor Tyschkewitsch vermutet, dass für eine erfolgreiche Abhaltung des Referendums zum Verfassungsentwurf erforderlich sei, dass auf dem weißrussischen Informationsfeld nur loyale oder Illoyalität imitierende, aber vollkommen kontrollierte Medien existieren. Die Aufgabe der Offiziellen ist, die Kontrolle über jene Informationen, die der sogenannte Sumpf konsumiert, für den Zeitraum der Durchführung der Verfassungskampagne zu erlangen. „Wofür? Das Verfassungsreferendum brauchen die Offiziellen als eine Methode zur Aktualisierung der Legitimität. Es ist eine elektorale Kampagne mit einem von vornherein für Lukaschenko positiven Ergebnis. Eine neue Verfassung (wird angenommen – „NG“) – „Väterchen Zar hat ein wenig Freiheit geschenkt“. Die alte (bleibt – „NG“) – „das Volk liebt Lukaschenko“, urteilt Tyschkewitsch. „In dieser Verbindung wird kein lauter Rummel nichtkontrollierter Stimmen gebraucht“. Nach seiner Meinung „lohnt es nicht, den Faktor Russlands unberücksichtigt zu lassen“. „Die Beschleunigung (um einen Monat) mit der Verfassung zeugt indirekt von einem Druck aus Moskau. Nachdem der Kreml anfangs die unklare Perspektive für Änderungen an der Macht „bereits im Jahr 2022“ geschluckt hatte, forciert er schrittweise den Druck, wobei das Feld für ein Manövrieren eingeengt und Termine sowohl für innerweißrussische als auch äußere Prozesse gesetzt werden“, meint Igor Tyschkewitsch.
- S. der Redaktion „NG Deutschland“
In den Abendstunden des Donnerstags wurde derweil bekannt, dass der Inlandsgeheimdienst von Weißrussland eine neue Operation in der Republik startete. Großangelegt werde jetzt gegen „radikal eingestellte Personen“ vorgegangen, teilte der stellvertretende Leiter der Untersuchungsverwaltung des weißrussischen KGB Konstantin Bytschek mit. „Es werden unaufschiebbare Untersuchungshandlungen und andere prozessuale Schritte durchgeführt, unter anderem Durchsuchungen und Festnahmen, in deren Rahmen die Beteiligung eines jeden Teilnehmers an der Verübung verbrecherischer Handlungen überprüft wird“, sagte er in einer Abendsendung des staatlichen TV-Kanals „Belarus 1“. „Die Sache ist in Gang gekommen. Wir können bereits genau sagen, dass die Schuldigen entsprechend dem neuen Erlass des Präsidenten der Republik Belarus haften werden.“ Es ist also damit zu rechnen, dass nach der neuen Verhaftungswelle auch eine entsprechende Welle von Prozessen beginnen werden, wobei deren Ausgang schon heute klar ist.