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Die Käfige in Russlands Gerichten werden wieder legitim


Die Berufungsinstanz hat es abgelehnt, den Aufenthalt von einem Angeklagten in einem Metallkäfig während der Gerichtsverhandlungen als eine Menschenrechtsverletzung anzuerkennen. Mehr dies, dies wurde als berechtigt anerkannt – unter Berücksichtigung der Persönlichkeit und des Verhaltens des Angeklagten, aber auch anderer Umstände. Nach Meinung der einheimischen Justiz sei es erforderlich, in jedem Fall unbedingt zu beweisen, dass die Unterbringung in einem Käfig moralischen Schaden zufügte und als ein Faktor wirkte, der das Wesen des Urteils beeinflusste. Die russische Rechtsprechung demonstriert weiter, dass sie nicht vorhat, gegen die Traditionen der GULAGs und anderen Überbleibsel der Vergangenheit zu kämpfen. Und traurig ist, dass dies gerade die Berufungsgerichte tun, die, wie gedacht worden war, eine Veränderung der Tendenz zum Fällen hauptsächlich von Schuldsprüchen fördern werden.

Ein ehemaliger Verurteilter hatte den Versuch unternommen, die Verletzung seiner Rechte zu bestätigen, die sich in Form eines mehrfachen Unterbringens seiner Person in einem Käfig während des Prozesses ausgedrückt hatte. Er verwies auf zahlreiche Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), der in ihnen auf die Unzulässigkeit solch eines Vorgehens hinweist – unabhängig davon, ob ein Käfig oder eine Plastikbox – ein sogenanntes „Aquarium“ – genutzt wird.

Es sei daran erinnert, dass der Gesetzentwurf über die Demontage derartiger Vorrichtungen seit Februar 2019 in der Staatsduma (das Unterhaus des russischen Parlaments – Anmerkung der Redaktion) ohne eine Bewegung herumliegt, obgleich zuvor die Vorsitzende des Föderationsrates (das Oberhaus des russischen Parlaments – Anmerkung der Redaktion) Valentina Matwijenko in ihren Erklärungen unterstrichen hatte, dass es „inhuman und unwürdig“ sei, die Menschen in Käfig zu halten, die noch nicht als schuldige befunden worden sind. Die Anwälte haben ihre Argumente. Sie haben mehrfach vorgeschlagen, dass die Angeklagten für eine effektivere Verfolgung der Linie der Verteidigung neben ihnen sitzen, zumal so etwas in den meisten Ländern ohne irgendwelche tragischen Folgen praktiziert werde.

Das Krasnojarsker Regionalgericht hat jedoch erstmals die Auffassung vertreten, dass der Käfig keine außerordentliche Maßnahme gewesen sei, er nicht als eine Erniedrigung der Ehre und Würde angesehen werden könne. Schließlich wären in ihm für den Angeklagten die Bedingungen geschaffen worden. Sie „haben ihm erlaubt, zu sitzen, zu stehen, haben die Zufuhr von Sauerstoff und Licht nicht eingeschränkt und nicht die Teilnahme an der Gerichtsverhandlung behindert“. Später hat auch das Achte Berufungsgericht den Käfig gebilligt, wobei es darauf verwies, dass unter Berücksichtigung der Persönlichkeit des Angeklagten, der Schwere seines Verbrechens und des Verhaltens insgesamt die Unterbringung in ihm (dem Käfig – „NG“) als eine durchaus gerechtfertigte aussehe. Dabei wurde auch die Meinung des EGMR erwähnt, dass in ausschließlichen Fällen eine Nutzung von Käfigen und „Aquarien“ zulässig sei. Das Wichtigste aber sei, dass der Kläger doch keine „unbestreitbaren und hinreichenden Beweise“ dafür vorgelegt hätte, dass ihm ein physischer Schaden oder psychologische Leiden zugefügt worden wären.

Konstantin Dobrynin, Staatssekretär der Föderalen Anwaltskammer und Senior Partner des Anwaltskollegiums „Pen & Paper“ hält solch eine Entscheidung der Kassationsinstanz für eine „durchaus gesetzmäßige“. Das Gericht sei faktisch der Möglichkeit ausgewichen, eine Präzedenzentscheidung zu fällen. „Einer analogen, aber gesetzgeberischen Entscheidung weicht mehrere Jahre lang das russische Parlament aus, in dem wie eine tote Last ein (Gesetz-) Entwurf liegt, der durch den Föderationsrat und die Föderale Anwaltskammer ausgearbeitet wurde und der die Käfige in den Gerichtssälen als einen Atavismus der Vergangenheit beseitigt, der die menschliche Würde erniedrigt und beeinträchtigt“, erinnerte er. Ja, wenn aber die dritte Instanz keine Angst gehabt hätte, eine positive Entscheidung zu treffen, so hätte dies eine gesellschaftliche und rechtliche Resonanz auslösen können, um informationsseitig den künstlichen gesetzgeberischen Pfropfen durchzudrücken. Das russische Gericht sei aber in allem ein ängstliches, merkte Dobrynin an, was den Schutz der grundlegenden Menschenrechte angeht. „Der heutige bürokratische Apparat hat eine Hauptregel – keine heftigen Bewegungen zu unternehmen. Und es ist wünschenswert, überhaupt nichts zu unternehmen. Ein Status quo ist gegenwärtig das offiziell angenommene Dogma für ein politisches, gesetzgeberisches und bürokratisches Überleben“.

Wie gegenüber der „NG“ der Anwalt und Vorsitzende des Moskauer Anwaltskollegiums „Inconsult“ Alexej Kirsanow erinnerte, reduziere sich die Erörterung der Frage nach der Unzulässigkeit von Käfigen in den Gerichtssälen auf zwei Thesen. Erstens dürfen dem Angeklagten keine physischen und moralischen Leiden über das Maß hinaus zugefügt werden, dass für eine Gewährleistung der Sicherheit erforderlich ist. Zweitens, die Bedingungen für seine Unterbringung dürfen ihn nicht bei der Vornahme der Verteidigung, darunter die Kommunikation mit dem Anwalt behindern. „Übrigens, ein Metallkäfig ist weitaus komfortabler als ein „Aquarium“ aus Panzerglas, da durch letzteres das Hören weitaus schlecht ist“, erinnerte der Experte, präzisierte ab, dass beide Thesen gegen die Käfige sich auf solche wertenden Faktoren wie den „Grad der Leiden“ und die „Suffizienz“ stützen würden. Sie aber seien äußerst subjektiv, erläuterte Kirsanow, und würden im Bereich der Rechtskultur denn der Rechtsprechung liegen. „Wenn die Rechtskultur geringe Standards für das Verhalten gegenüber einem Angeklagten zulassen, so werden dem sowohl die Tendenz zu Schuldsprüchen als auch das Akzeptieren zweifelhafter Beweise und der berüchtigte Käfig, der offensichtlich das geringere Übel unter allem Aufgezählten ist, folgen. Wenn aber die humanistischen Standards in der Rechtskultur hoch sind, so kann und muss es einen Käfig oder ein „Aquarium“ nur für diejenigen geben, die schwerer Gewaltverbrechen angeklagt werden oder zur Flucht neigen“.

„Man kann wohl kaum die Beibehaltung der Käfige in den Gerichtssälen bei der Behandlung der überwältigenden Mehrheit der Strafverfahren als human ansehen“, betonte der Anwalt Wjatscheslaw Golenjew. Nicht nur die internationale Rechtspraxis, sondern auch Offizielle der Russischen Föderation haben die Notwendigkeit eines Ersetzens der Käfige in den Gerichtssälen anerkannt. Ja, aber das Kassationsgericht hat recht willkürlich die Position des EGMR ausgelegt. Dort ging es um einen konkreten Fall und ganz und gar nicht um „außerordentliche Situationen, in denen ein Käfig zulässig ist“. Tatsächlich wird nicht einmal das Wesen der Verbrechen, denen eine Person angeklagt wird, an und für sich durch Straßburg als hinreichende Rechtfertigung für das Vorhandensein eines Käfigs angesehen, unterstrich der Experte. Die übrigen Entscheidungen des EGMR verweisen auf eine eindeutige Missbilligung der Praxis von Käfigen in den Gerichtssälen. Die Position der Kassationsinstanz widerspiegele jedoch, fuhr er fort, auch ein anderes Problem – das Erscheinungsbild der russischen Justiz. Viele hätten auf die neuen Kassationsgerichte der ordentlichen Gerichtsbarkeit wie auf eine Gerichtsinstanz gehofft, die imstande ist, viele Probleme der Rechtsprechung zu lösen. „Man rechnete auf mehr Gerechtigkeit und sogar wohl Menschlichkeit hinsichtlich der Antragsteller. Scheinbar aber werde auch weiter der Trend zu Schuldsprüchen als die dominierenden anhalten. Zum Beispiel hat das erste Kassationsgericht laut Aussagen von Golenjew praktisch alle Freisprüche aufgehoben, die im Jahr 2020 im Verwaltungsgericht Belgorod gefällt worden waren.

Der geschäftsführende Partner der Anwaltsfirma AVG Legal, Alexej Gawrischew, erinnerte daran, dass ein Ersetzen der Käfige durch andere Orte für die Angeklagten viel Zeit und eine ernsthafte Finanzierung erfordere, die es faktisch nicht gebe. „Bei weitem nicht in allen Gerichten ist eine Demontage der Käfige vorgenommen worden. Im Zusammenhang damit muss man dies als eine Gegebenheit hinnehmen, womit sich die Gerichte vom Wesen her auch befassen“, unterstrich er. Leider könne nicht erwartet werden, dass die Gerichte „Käfig-Prozesse“ als Verletzungen der Verfassungsrechte der Angeklagten anerkennen werden, erklärte seinerseits Alexander Inojadow, Leiter der Abteilung für Strafrechtspraxis der „BMS Law Firm“. Er nimmt an, dass, selbst wenn sich die Zahl der Käfig auch verringern werde, zulässige Begründungen für die Nutzung der verbliebenen doch vorgesehen werden würden.

Das Einpferchen eines Angeklagten in einen Käfig oder ein „Aquarium“ widerspricht Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention, der ein unbedingtes Verbot „für die Anwendung von Foltern, einen unmenschlichen oder die Würde erniedrigenden Umgang oder eine Bestrafung“ festlegt, wies Anwalt Viktor Borodin hin. Es gebe bereits auch eine Standardhöhe für Kompensationszahlungen, die im EGMR für erniedrigende Haftbedingungen festgelegt wird – dies seien 7500 Euro. „Da aber bei weitem nicht alle im EGMR Klage führen, ist es für die Behörden sicherlich billiger, die Kompensationen zu zahlen als die Käfige zu entfernen. Obgleich es zu Sowjetzeiten weder sie noch „Aquarien“ gegeben hatte. Die Angeklagten setzte man auf die Anklagebank. Und abgegrenzt wurde sie vom Richter lediglich durch eine Barriere aus Holz“, merkte der Experte an.

Heute hätte man, sagte Timur Bajasitow, stellvertretender Vorsitzender des Anwaltskollegiums „Kortschago & Partner“, in vielen Gerichten die Metallkäfige bereits durch gläserne Absperrungen ersetzt. Hinsichtlich des Komforts würden sie sich wenig (von den Käfigen) unterscheiden. Für die Öffentlichkeit würden sie aber zivilisierter aussehen. Der Experte an sich unterstützt eine Isolierung jener Angeklagten, für die eine Festnahme als Unterbindungsmaßnahme ausgewählt wurde, von den übrigen Prozessteilnehmern.

Das Mitglied der Vereinigung der Juristen Russlands Tatjana Sawjalowa sagte der „NG“, dass für sie das Verhalten des Gerichts verständlich sei, dass sich nicht sicher war, dass sich der Mensch nicht aggressiv verhalten wird. Schließlich gebe es nicht wenige Beispiele, als ein Angeklagter versuchte, Beweise zu zerstören und wichtige Dokumente zu zerreißen. Es gehe also um die Sicherheit im Verlauf der Prozesse. Die Gesetzgebung sei in dieser Hinsicht aber weit von einer Vollkommenheit entfernt. Ja, und da sehe der Richter auch den einzigen Ausweg, den Angeklagten mit der Möglichkeit zu isolieren, die bestehe.