Ungeachtet der Pandemie hatte diese Rundtischdiskussion dennoch stattgefunden – am 15. Mai 2020 im Alexander-Solschenizyn-Haus des russischen Auslands. Dutzende Forscher aus vielen Ländern der Welt und natürlich aus Russland sprachen nach dem Tag des Sieges per Videokonferenzschaltung über die Teilnahme russischer Emigranten am Widerstandskampf gegen den Nazismus in den Jahren des Zweiten Weltkriegs.
Eigentlich war das erste große Forum zu diesem Thema vor sechs Jahren veranstaltet worden, in den Tagen der Feierlichkeiten zum 70. Jahrestag unseres großen historischen Ereignisses. Im gleichen Moskauer Haus des russischen Auslands hatte die große Konferenz „Die russische Emigration im Kampf gegen den Faschismus“ stattgefunden, die zu einer wichtigen Etappe bei der Wiederherstellung der Erinnerungen an russische Helden wurde. Herausgegeben wurde ein großer Sammelband. Und nun ist heute, ungeachtet aller Schwierigkeiten noch ein Buch zu diesem Thema erschienen. Der Redakteurin, der Historikerin zu Fragen der Emigration Marina Sorokina, die in ihre Sache verliebt ist, ist es gelungen, interessante Beiträge zusammenzutragen, die vor allem uns unbekannte Seiten aus dem Leben von Teilnehmern der russischen Résistance aufschlagen.
Natürlich erschüttern mitunter die Brüche, das Zickzack der Schicksale unserer Landsleute im Schmelztiegel des 20. Jahrhunderts. So berichtet die serbische Forscherin Milana Zivanovic, wie nach dem Konflikt von Stalin und Tito die Helden der Partisanenbewegung – der bemerkenswerte Philologe und Poet Ilja Golenistschew-Kutusow, der Comics-Autos Jurij Lobatschjow und der Zoologe Krill Martino – in jugoslawische Gefängnisse geworfen wurden. In einem Bescheid der Verwaltung für Staatssicherheit hieß es, dass sie am Kampf gegen den Faschismus „nicht zwecks Gewährung von Hilfe für die jugoslawischen Völker bei der Befreiung, sondern um die Interessen der Sowjetunion voranzubringen“, teilgenommen hätten.
Und zur gleichen Zeit erfahren wir vom Schicksal anderer unserer Landsleute – von Fjodor Machin und Wladimir Smirnow, die zu Generälen der jugoslawischen Armee geworden waren. Der Ingenieur Wladimir Smirnow hatte es vermocht, während der Offensive der Deutschen über den Fluss Neretva eine Fährverbindung zu schaffen, womit er das Leben von über 4.000 Verwundeten rettete. Marina Sorokina rekonstruiert das Schicksal des wunderbaren Poeten – des Seekadetten Alexej Durakow, der buchstäblich mit seinem Körper eine Partisaneneinheit gedeckt hatte, die über schmale Pfade zurückweichen musste. Posthum wurde er mit dem sowjetischen Vaterländischen Kriegsorden ausgezeichnet.
Natürlich nimmt in dem Buch Frankreich einen besonderen Platz ein. So Vieles verbindet die russische Emigration mit diesem Land. Darunter auch der gemeinsame Kampf gegen den Nazismus. Xenia Sak berichtet über die schwere und lange Entscheidung der sowjetischen Führung, unsere Landsleute – Teilnehmer des Widerstandskampfes – zu ehren. Unter ihnen war posthum die legendäre Vicky (Vera) Obolenskaja, die 1944 durch Gestapo-Leute hingerichtet worden war, ausgezeichnet worden.
Sicherlich wissen wenige, dass man in der UdSSR geplant hatte, einen Film über Obolenskaja zu drehen. Und für die Hauptrolle wollte man Marina Vlady engagieren. Darüber kann man ebenfalls in dem Sammelband nachlesen. Wie man sich auch mit den Memoiren des Sprachforschers Alexander Isatschenko über die Kindertreffen mit der späteren Heldin des Widerstandskampfes vertraut machen kann. Diese Materialien stellte Professor Fjodor Poljakow von der Wiener Universität zur Verfügung.
Wir blättern durch das Buch und tauchen buchstäblich in den Schmelzkessel der berührenden Schicksale ein. Natalia Turygina berichtet uns über Alexander Agafonow (Gljanzew), der durch die Gestapo verhaftet worden war, aus einem Lager entfloh und unter die Walze der Stalinschen Repressalien geriet. Dank Sergej Kislizyn erblicken wir das Auf und Ab des Schicksals von German Blindman, der verwundet worden war, in Gefangenschaft geriet und es geschafft hatte, unter Kriegsgefangenen eine Untergrundarbeit zu entfalten. Nach dem Krieg wurde Blindman noch lange mit Misstrauen gegenüber seiner Person konfrontiert, wurde aber später zu einem der führenden Europa-Historiker in der UdSSR. Michail Gorinow Jr. entfaltet vor uns das Lebensbild von Nikolaj Roller, eines Kriegsteilnehmers in Spanien auf der Seite der Republikaner und des späteren Organisators einer illegalen Druckerei in Paris, die die Zeitung „Russischer Patriot“ druckte. Alexej Wowk macht mit den Biografien von Georgij Schemetillo, des bulgarischen Arztes Ivan Monov und Alexej Schaposchnikow, des Vaters von Valentin Bakst, bekannt. Sie alle hatten in der sogenannten freien Zone Frankreichs gegen die Okkupanten gekämpft, soweit dies möglich gewesen war. Sie versteckten jüdische Kinder und geflohene sowjetische Kriegsgefangene.
Der Militärhistoriker Konstantin Semjonow stellt uns Materialien vor, die Alexander Urgrimow und der durch ihn gegründeten Widerstandszelle in der bei Paris gelegenen Kleinstadt Dourdan gewidmet sind. Der Ingenieuragronom, der noch zu Zeiten Sowjetrusslands mit einem „Philosophendampfer“ (Aktion der bolschewistischen Regierung Sowjetrusslands, bei der missliebige Intellektuelle im September und November 1922 mit mindestens fünf Schiffen außer Landes gebracht wurden – Anmerkung der Redaktion) aus dem Land verwiesen worden war, wurde mit dem Militärkreuz für die Tapferkeit im Kampf gegen die Faschisten ausgezeichnet. Aber 1947 bereits aufgrund sowjetischer Sympathien aus Frankreich ausgewiesen wurde. Zu Hause erwarteten ihn aber zum großen Bedauern Repressalien.
Und man kann in dem in diesem Jahr in Moskau erschienen Sammelband „Die russische Emigration und die Widerstandsbewegung in den Jahren des Zweiten Weltkrieges“ noch eine Publikation von Jelena Slominsky über den antisemitischen Terror der Faschisten in Nizza und einen Beitrag von Natalia Likwinzewa über die karitative Tätigkeit von Mutter Maria (Maria Skobzowa, eine russische Dichterin, Nonne und Gerechte unter den Völkern, die während des Zweiten Weltkriegs Mitglied der französischen Widerstandsbewegung war und am 31. März 1945 in den Gaskammern des KZ Ravensbrück den Tod fand – Anmerkung der Redaktion) und der Vereinigung „Christlich orthodoxe Sache“ im von den Deutschen besetzten Paris nachlesen. So hatte es Mutter Maria geschafft, auf die Radrennbahn zu gelangen, wo man jüdische Kinder eingepfercht hatte, und vier von ihnen in Müllkübeln herauszubringen.