Um die „wirtschaftliche Trägheit“ zu überwinden, müsse man in der Russischen Föderation einen neuen Investitionszyklus mit einem Sich-stützen auf die Inlandsnachfrage anschieben. Dazu müsse ein Wachstum der Bevölkerungseinkommen gewährleistet werden, wobei zeitgleich die Struktur der Beschäftigung verändert und ein Übergang zu höheren Standards bei der Entlohnung vorgenommen wird, erklärt man im Institut für volkswirtschaftliche Prognostizierung der Russischen Akademie der Wissenschaften. Die Pandemie zwinge, sich damit zu beeilen. Nach Schätzungen des Akademie-Instituts werde eine Verringerung des Anteils der geringqualifizierten Beschäftigten an der Beschäftigungsstruktur von 26 bis auf 20 Prozent helfen, den Rückgang der Nachfrage wettzumachen, der mit der Verschlechterung der demografischen Situation zusammenhängt.
Unter den Bedingungen einer Stagnation der Auslandsnachfrage werde die Inlandsnachfrage die Wirtschaftsperspektiven bestimmen. Die Einkommen der Bürger würden bis zu 50 Prozent der Gestaltung des BIP seitens der Nachfrage bestimmen. „Daher sieht jegliches konstruktives Entwicklungsszenario für die russische Wirtschaft die Bewahrung einer positiven Dynamik der Bevölkerungseinkommen vor“, heißt es im Bericht des Instituts für volkswirtschaftliche Prognostizierung, der der Sozialpolitik in der Russischen Föderation gewidmet ist.
Die Autoren präzisieren: Diese Aufgabe muss unter den Bedingungen des Anschiebens eines neuen Investitionszyklus gelöst werden, der als sein Ziel eine Modernisierung des Produktionspotenzials der russischen Wirtschaft hat. „Wir sind der Auffassung, dass das Wachstum der Einkommen genau solch ein notwendiges Element für das Anschieben des Investitionszyklus wie auch die Stimulierung von Investitionen an sich ist“, erläuterte der „NG“ Institutsdirektor Alexander Schirow.
„Insgesamt wird beim Übergang von einem trägen Szenario für die Entwicklung der Wirtschaft (bei dem das durchschnittliche Jahrestempo des wirtschaftlichen Anstiegs nach unseren Schätzungen 1,8 Prozent ausmachen wird) zu einem Szenario mit einem Tempo im Bereich von 3,2 Prozent (was dem durchschnittlichen internationalen Tempo nahekommt – „NG“), das eine Realisierung des vorhandenen Wachstumspotenzials annimmt, Schlüsselbedeutung die Dynamik der Bevölkerungsnachfrage haben, die eine Beschleunigung des Tempos des BIS um 0,6 Prozentpunkte sichert“, wird in dem Bericht mitgeteilt.
Es ist möglich, solch eine Beschleunigung für den Zeitraum 2021-2025 zu gewährleisten. Übrigens, der Beitrag der anderen Faktoren zur Beschleunigung ist bescheidener. Beispielsweise wird der Faktor der Investitionen für das Grundkapital durch die Forscher mit 0,4 Prozentpunkte bewertet, des staatlichen Verbrauchs – mit 0,3 Prozentpunkte und des Exports mit 0,3 Prozentpunkte.
„Ein solch signifikanter Beitrag des Verbrauchs der Haushalte zur Wirtschaftsdynamik belegt ein weiteres Mal, dass ohne dessen Intensivierung ein Übergang zu einem Wachstumstempo auf dem Niveau der internationalen praktisch unmöglich ist“, schlussfolgert das Akademieinstitut für volkswirtschaftliche Prognostizierung.
Wie aber Schirow betonte, seien vor dem Hintergrund einer Zunahme der Rentabilität der Wirtschaft und der Einnahmen des Staates vorerst keine klaren Signale hinsichtlich deren aktiven Umverteilung zugunsten der Bevölkerungseinnahmen auszumachen. Den Institutsmaterialien nach zu urteilen, könne man entsprechend den Ergebnissen des Jahres 2021 mit einem Ansteigen der realen Einkommen der Bevölkerung in einer Höhe von 3 bis 3,5 Prozent rechnen. „Was nicht schlecht ist, wenn man nicht berücksichtigt, dass die Einkommen derzeit um fast zwölf Prozent hinter dem Stand von 2013 liegen“, präzisierte Schirow. Übrigens, wie früher im Ministerium für Wirtschaftsentwicklung mitgeteilt wurde, habe das Ministerium vorerst die Prognose bezüglich des Wachstums der real zur Verfügung stehenden Bevölkerungseinkommen im Jahr 2021 auf einem Stand von drei Prozent beibehalten.
Dabei zwingt die Pandemie jetzt, sich mit der Lösung der Probleme zu beeilen, die mit den Einkommen der Bürger zusammenhängen. „Zu einem Faktor, der die Dynamik der Bevölkerungsnachfrage in der mittelfristigen Perspektive negativ beeinflusst, wird die Verschlechterung der demografischen Situation in Russland sowohl im Ergebnis des Wirkens der langfristigen Trends als auch durch die Übersterblichkeit der Bevölkerung in der Zeit der Pandemie des neuen Coronavirus“, wird in dem Bericht ausgewiesen. „Nach unseren Schätzungen verringert allein der Rückgang der Bevölkerungszahl das potenzielle Tempo des Wirtschaftswachstums im Zeitraum bis zum Jahr 2025 um etwa 0,2 Prozentpunkte“.
Im Institut lenkt man das Augenmerk auf Folgendes: „Den Rückgang der Nachfrage der Haushalte aufgrund der hohen Sterblichkeit kann man nur durch eine positive Dynamik der Einkommen der Bevölkerung und im Ergebnis von Veränderungen in der Struktur ihres Konsums wettmachen“. Laut Berechnungen des Instituts für volkswirtschaftliche Prognostizierung müsse zur Sicherung eines Tempos für das Wirtschaftswachstum auf dem Stand des durchschnittlichen weltweiten Tempos „der durchschnittliche Jahresanstieg des Verbrauchs der Haushalte in den Jahren 2021-2025 2 bis 2,8 Prozent und im Zeitraum der Jahre 2026-2030 2,3 bis 3,5 Prozent ausmachen“.
„Zu wichtigen Elementen einer Veränderung der Einkommensstruktur müssen eine schrittweise Veränderung der Beschäftigungsstruktur der Bevölkerung auf der Basis einer Modernisierung … und der Übergang zu höheren Standards der Entlohnung sowohl im privaten als auch in den aus dem Haushalt finanzierten Sektoren der Wirtschaft werden“, wird in dem Bericht erläutert.
Nach Schätzungen von Wirtschaftsfachleuten gewährleiste beispielsweise allein eine Verringerung des Anteils der gering qualifizierten Beschäftigten in der Beschäftigungsstruktur von 26 bis auf 20 Prozent „bei anderen gleichen Bedingungen ein Ansteigen der Ausgaben der Bevölkerung um 0,2 Prozentpunkte, was praktisch vollkommen den Rückgang der Verbrauchernachfrage wettmacht, der mit der Verschlechterung der demografischen Situation in Russland verbunden ist“.
Außerdem erlaube eine Überführung von 50 Prozent der gering qualifizierten Beschäftigten in die Gruppe der qualifizierten Arbeitnehmer der Industrie sowie des Bau- und Transportwesens laut Angaben von Wirtschaftsfachleuten, die Struktur und die Umfänge des Konsums der Bürger wesentlich zu verändern. Dem Bericht nach zu urteilen, geht es vor allem um die Haushalte mit mittleren Einkommen.
Im Endergebnis könne der Anstieg der Einnahmen in den durchschnittlich abgesicherten Bevölkerungsschichten eine Zunahme der Ausgaben in den Haushalten, die vor allem dank Einkommen aus dem Etat existieren, für eine Entwicklung des menschlichen Potenzials – für das Bildungs- und Gesundheitswesen, die Kultur, die Erholung usw. — fördern.
Es sei schwer, den Schlussfolgerungen des Instituts nicht beizupflichten, meinen die von der „NG“ befragten Experten. Obgleich sie auch ihre eigenen Akzente setzten. „Für Russland ist es wichtig, die wirtschaftlich gefragten Richtungen der Produktion zu entwickeln, um die eigene Bevölkerung mit den nötigen Erzeugnissen zu versorgen. Und der Export wird dabei eine zweitrangige Aufgabe sein. Die Investitionsnachfrage wird bei den hohen Gewinnnormen bereits später zunehmen, denn das Business (darunter auch das ausländische) wird sich davon überzeugen: Diese Erzeugnisse muss man herstellen. Die Nachfrage ist eine ständige, es gibt ein Exportpotenzial. Anfangen muss man stets mit einer Erhöhung der Bevölkerungseinkommen. Die Menschen sichern eine ständige Nachfrage“, betonte der private Investor und Gründer der Schule für das praktische Investieren Fjodor Sidorow. Der Export hänge auch stark von der internationalen Konjunktur ab, von der Stabilität der gesamten globalen Wirtschaft.
„Der internationale Wettbewerb verlangt eine tiefe Integration in den internationalen Ketten der Wertschöpfung. Das heißt: Der Export hört auf, Selbstzweck zu sein, und wird zu einem Zwischeninstrument beim Erreichen von Erfolg. Es ist unmöglich, einen Investitionszyklus mittels eines Zauberstabs in Gang zu bringen. Russland hat aber einen wichtigen Köder – einen aufnahmefähigen inländischen Absatzmarkt“, sagt Konstantin Ordow, Lehrstuhlleiter an der Russischen G.-V.-Plechanow-Wirtschaftsuniversität. Er präzisierte jedoch, dass es möglich ist, administrativ die Löhne und Gehälter anzuheben, aber nur für einen kurzen Zeitraum. Aber die Programme für eine Erhöhung der Arbeitsproduktivität in Russland kommen aber in der Regel nicht unseren Hauptkonkurrenten hinterher“. Unter den Bedingungen einer relativ geringen Arbeitslosigkeit würden aber nicht so viele von jenen bleiben, die man umverteilen können, fügte der Wirtschaftsexperte gleichfalls hinzu.
In der gegenwärtigen Etappe sei es nach Aussagen des geschäftsführenden Partners der BMS Group Alexej Matjuchow notwendig, die Folgen der Pandemieeinschränkungen zu überwinden. „Irgendwo müssen neue Prinzipien für ein wirtschaftliches und politisches Zusammenwirken gestaltet werden (und zwischen den nationalen Wirtschaften auch). Und irgendwo müssen auch die Businessmodelle geändert werden“. „Nachdem sich die Wirtschaft adaptiert, wird man natürlich ein Wirtschaftswachstum sehen können, darunter auch eine Zunahme der Investitionsaktivität und des Konsums, aber auch eine Aktualisierung der Struktur des Arbeitssektors“.