Jeder über das seine. Und das Europäische Gericht für Menschenrechte – über Schwule, genauer gesagt über die grobe Verletzung ihrer Rechte in Russland. Das Strasburger Gericht reagierte auf vor elf Jahren eingereichte Klagen von drei russischen gleichgeschlechtlichen Paaren und erklärte nun, dass im Land das Recht der Bürger auf ein privates und Familien verletzt worden sei. Das EGMR forderte von Russland die Einhaltung der Rechte nichttraditioneller Paare und gewährte das Recht auf die Auswahl einer geeigneten Form zur Legalisierung gleichgeschlechtlicher Lebensgemeinschaften. „Unsere Antwort an Chamberlain“ folgte auf dem Fuße.
Der Vorsitzende des Ausschusses des Föderationsrates (des Oberhauses des russischen Parlaments – Anmerkung der Redaktion) für Verfassungsgesetzgebung Andrej Klischas (Kremlpartei „Einiges Russland“) versprach höflich: „Wir werden noch einmal aufmerksam die Europäische Menschenrechtskonvention durchlesen, probieren, dort irgendetwas über die Notwendigkeit einer Anerkennung gleichgeschlechtlicher Paare in der einen oder anderen Art seitens des Staates zu finden, und erst danach werden wir uns hinsichtlich der Möglichkeit einer Umsetzung des Beschlusses des EGMR festlegen“.
Der stellvertretende Vorsitzende des Oberhauses Konstantin Kosatschjow („Einiges Russland“) erklärte: „Die nationale Gesetzgebung ist der Europäischen Menschenrechtskonvention untergeordnet. Da wir sie ratifizierten, ist sie zu einem Teil unserer Gesetzgebung geworden“. Dabei fügte er aber hinzu: „Finden Sie mir in der Konvention eine Erwähnung über gleichgeschlechtliche Ehen. Dort gibt es dies gar nicht. Dies sind alles Interpretationen des EGMR“.
Senator Alexej Puschkow („Einiges Russland“) betonte, dass das EGMR Russland nicht zwingen könne, gleichgeschlechtliche Ehen offiziell zu registrieren, genauso wie es auch einige Länder der Europäischen Union nicht dazu nötigen könne. Nach seinen Worten sei dies lediglich eine Form von Druck, die keine Folgen haben werde.
Der Vorsitzende der Staatsduma (des Unterhauses des russischen Parlaments – Anmerkung der Redaktion) Wjatscheslaw Wolodin (Kremlpartei „Einiges Russland“) empfahl den europäischen Richtern, sich zur verdienten Ruhe zu setzen. „Die Richter des EGMR müssen bei der Annahme solcher Entscheidungen die nationale Gesetzgebung des Landes kennen, auf das sie sich erstreckt. Und sich von ihr leiten lassen, wenn sie Vorrang hat. In dieser Frage haben die Richter das Fehlen einer Qualifikation demonstriert, indem sie eine vom Wesen her der nationalen Gesetzgebung widersprechende, eine widerrechtliche Entscheidung getroffen haben. Richtiger wäre es für sie in diesem Zusammenhang, den Rücktritt einzureichen“. Der Chef des russischen Unterhauses ist sich sicher, dass ein Aufdrängen nichttraditioneller Werte zu zerstörerischen Prozessen führen werde. Als Beispiel führte er die jüngsten Zusammenstöße in Georgien an, auch aufgrund der Haltung zu den Schwulen.
Der stellvertretende Vorsitzende des Duma-Ausschusses für Staatsaufbau Michail Jemeljanow („Gerechtes Russland“) versicherte, dass Russland die Empfehlung des EGMR nicht erfüllen werde, da sie der Verfassung widerspreche, in der gesagt wird, dass die Ehe ein Bund von einem Mann und einer Frau sei. Und die Normen der Verfassung Russlands würden Vorrang gegenüber den Entscheidungen der europäischen Richter haben. Jemeljanow ist der Auffassung, dass der Beschluss des EGMR von einer Nichtübereinstimmung der Werte Russlands und Europas zeuge und die Notwendigkeit einer Beteiligung Russlands am Europarat in Zweifel ziehe.
In dem mehrstimmigen Chor der russischen Politiker, die den europäischen Richtern eine Abfuhr erteilten, erklang erwartungsgemäß auch die Stimme des Abgeordneten des Unterhauses Vitalij Milonow („Einheitliches Russland“): „Sie haben dies getan, um Russland so oder so zu zwingen, die innere Einstellung zu brechen, und von uns zu verlangen, dies zu erfüllen. Dank der erneuerten Verfassung sind wir nicht verpflichtet, die Forderungen des EGMR zu erfüllen, da die Erfüllung dieser Forderungen die Rechte und Freiheiten der Bürger der Russischen Föderation verletzen wird. Und alles, weil in Russland keinerlei andere Form der Ehe außer der natürlichen – des Bundes von einem Mann und einer Frau – verankert worden ist“, erklärte der Parlamentarier.
An dieser Erklärung ist schwerlich herumzunörgeln, wenn Sie in den gleichen christlichen moralischen Grenzen wie auch Milonow leben. Ich bekenne mich auch zum orthodoxen Christentum und weiß, dass die Sodomie in sechs Fragmenten des Alten und des Neuen Testaments eindeutig verurteilt wird, wie es auch im Judaismus und Islam, in den beiden anderen abrahamitischen Religionen, verurteilt wird. Jedoch ist dem ehemaligen Studenten der Orthodoxen Universität des Heiligen Tichon für Geisteswissenschaften und der Sant Petersburger Geistlichen Akademie Milonow sicherlich die Statistik bekannt, wonach im Grunde genommen in Russland die gläubigen Christen, das heißt diejenigen, die beichten und das Abendmahl empfangen, fünf bis sieben Prozent ausmachen. Macht es da also Sinn, unsere Dogmas und Verbote auf die ganze Nation auszudehnen? Besonders wenn sich die Nation in ihrer Masse damit abgefunden hat, dass ihre herrschende Klasse systematisch und zynisch das Bibelgebot „Du sollst nicht stehlen.“ verletzt?
Als ein Journalist weiß ich ganz sicher, dass in den hohen russischen Machtkorridoren (zumindest der gesetzgebenden Gewalt) die „Gay-Fauna“ nie ausgestorben ist und nicht aussterben wird. Es sei denn, durch ein Wunder. Diese Tatsache beschäftigt mich jedoch nicht weder als ein Journalist noch als ein Bürger. Die Herrschenden, dies ist eine Funktion. Ihre Handlungen beurteilt man durch das Prisma der Gerechtigkeit und Effektivität, wobei die Hautfarbe, die Schädelform, die Körpergröße, das Gewicht und die Vorlieben im Bett seitens der am Machtruder Stehenden ausgeklammert bleiben. Erfüllen Sie Ihre Arbeit zum Wohle der Mitbürger, nehmen Sie keine Schmiergelder an und leben Sie dabei ob nun mit volljährigen Frauen oder mit Männern oder gar mit Schnecken!
Für mich ist überhaupt unverständlich, warum in der heutigen Welt, die voll von realen Gefahren und Tragödien ist, dass Thema der sexuellen Orientierung solch eine mystische Macht über die Geister auf beiden Seiten der wachsenden Mauer zwischen dem „kollektiven Westen“ und dem einsam dastehenden Russland erlangte.
Und nicht nur Russland! Buchstäblich kurz bevor das Europäische Gericht für Menschenrechte die für Russland unangenehme Entscheidung fällte, fand in Brüssel ein Treffen der Staats- und Regierungschefs der Länder der Europäischen Union statt, das, wie Reuters schreibt, „von der erbittertsten Auseinandersetzung der Führungskräfte des Blocks seit langen Jahren geprägt wurde“. Zur Ursache wurde das kürzlich in Ungarn verabschiedete Gesetz, das Gay-Propaganda in Gruppen unter 18 Jahren verbietet und Bildungsprogramme, Filme und die Werbung betrifft. Der Skandal geriet ins Blickfeld des amerikanischen konservativen Politologen Patrick Joseph Buchanan, der zu verschiedenen Zeiten als Berater der Republikaner-Präsidenten Richard Nixon, Gerald Ford und Ronalds Reagan gearbeitet hatte. In seinem Artikel zitiert Buchanan die bei dem Treffen erklungenen Worte des niederländischen Premierministers Mark Rutte, die an Ungarns Regierungschef Viktor Orbán gerichtet waren: „Sie müssen das Gesetz aufheben. Wenn Sie aber erklären, dass Ihnen das nicht gefällt und dass die europäischen Werte nicht Ihre Werte sind, dann müssen Sie sich darüber Gedanken, ob Sie in der EU bleiben“. „Wenn das ungarische Volk und der Staat der Auffassung sind, dass die Werte der EU in einen Konflikt mit ihren katholischen und nationalen Werten treten, muss Ungarn seine Unabhängigkeit von der EU erklären, der nicht mehr als ein Handelsblock ist, resümiert Patrick Joseph Buchanan.
Die sexuelle Orientierung wählt man nicht aus. Wie man überhaupt auch die intimen Neigungen nicht auswählt. Mir persönlich gefallen Blondinen im Post-Balzac-Alter. Meinem Universitätskollegen und Altersgefährten aber scheinen gar 30jährige Damen veraltete zu sein. Die Orientierung wählen auch nicht die Gays und Lesben aus. Und zumindest deshalb darf man sie nicht öffentlich steinigen, wie dies die Islamisten praktizieren.
Unklar ist anderes.
In zivilisierten Ländern verhalten sich die Menschen mit Achtung gegenüber dem privaten Raum anderer Menschen und stecken die Nase nicht ins Bett des Nachbarn (wenn der Nachbar kein Star ist). Solch eine Haltung zum Leben verdient Achtung. Dass die Gesellschaft das Privatleben ihrer Mitglieder verteidigt, ist eine der Haupterrungenschaften der modernen westlichen Zivilisation. Das Privatleben eines Bürgers ist sein Eigentum, das man nicht antasten darf, da es fast „sakral“ ist. Dies ist durch die Europäer auf der Ebene der Gene verinnerlicht worden.
Die Frage besteht darin, wie sich Straßenumzüge, deren Teilnehmer allein nur die Libido vereint, mit solch einem Etikett vertragen? Schließlich ist dies einer der geheimsten und intimsten Lebensbereiche des Menschen. Außerdem diskriminiert man in den zivilisierten Ländern keine Schwule. Und in Russland, auf jeden Fall in den „russischen Verwaltungsgebieten“, demütigt man sie auch nicht. Daher stört das Verbot für eine offizielle Ehe die sexuellen Minderheiten nicht, einen ihrem Herzen lieben Lebensstil zu führen. Warum ist da also dieses delikate Thema durch die Anstrengungen westlicher Politiker zu einem wichtigen Punkt der internationalen Tagesordnung geworden?
Was aber die heroischen Anstrengungen der russischen Kämpfer gegen die Gay-Seuche angeht, so hat sich der Professor vom University College London Wladimir Pastuchow nicht schlecht zu diesem Thema geäußert: „Mir scheint, dass dies eine Art Substitutionstherapie ist, da die Anführer all dieser Bewegungen an der Macht Menschen sind, hinsichtlich deren „natürlichen sexuellen Orientierung“ ich persönlich große Zweifel empfinde“.