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„Jabloko“ sammelt sowohl ihre als auch fremde Wähler


Die Leiterin der Zentralen Wahlkommission Ella Pamfilowa hat erklärt, dass die Beschwerde von „Jabloko“ beim Obersten Gericht hinsichtlich der Modalitäten für die Videobeobachtung bei den Wahlen „nicht nur eine absurde, sondern eine recht verantwortungslose und gar gemeine Klage“ darstelle. In der Partei von Grigorij Jawlinskij ist man der Auffassung, dass die Zentrale Wahlkommission, indem sie ihre Handlungen kommentiere, die Vollmachten überschreite. Laut Informationen der „NG“ ist das Datum für die Behandlung der Klage bisher nicht bestimmt worden sei, doch die informationsseitige Wirkung sei, meinen Experten, bereits erreicht worden. Das Aufbauen der Wahlkampagne durch „Jabloko“ auf einem Media-Hype sei der Versuch, aus dem ideologischen Reservat mit Pluspunkten in Form eines nicht geringen Teils des gesamten Protestelektorats herauszukommen.

Pamfilowa erinnerte am 21. Juli bei der Sitzung der Zentralen Wahlkommission daran, dass beispielsweise die Übertragung aus den Wahllokalen für das Internet nur allein aus Moskau laut Berechnungen der hauptstädtischen Behörden fast eine Milliarde Rubel gekostet hätte.

„Stellen Sie sich nur einmal vor, eine Milliarde für die Befriedigung der simplen Neugier von auf den Sofas sitzenden (Wahl-) Beobachtern! Die dreitägige Übertragung im ganzen Land würde natürlich weitaus teurer werden. Sind die Wähler, darunter auch von „Jabloko“, bereit, solche Mittel „in die Esse zu schreiben“, zumal die Zentrale Wahlkommission eine optimal ausgewogene Alternative vorschlägt, die erlaubt, einen einfachen Zugang aller Teilnehmer des Wahlprozesses zur Videoübertragung zu gewährleisten, die dieses Mal eine beispiellos große Anzahl von Wahllokalen erfassen und vom Umgang um praktisch das 15fache zunehmen wird?“, erklärte Pamfilowa.

Vorwürfe machte sie „Jabloko“ auch aufgrund der geringen Aktivität bei der Vorbereitung einer direkten (Wahl-) Beobachtung in den Wahllokalen. „Ich hoffe, dass die Partei dieses Mal weitaus besser als üblich arbeitet, wenn es von ihr den meisten Rummel, aber erbärmlich wenig Beobachter gibt“. Es sei daran erinnert, dass „Jabloko“ am Vorabend informiert hatte, dass es beim Obersten Gericht eine Verwaltungsklage zwecks Anerkennung des Beschlusses der Zentralen Wahlkommission über die Videobeobachtung als nicht gesetzeskonform eingereicht hätte. Am 14. Juli hatte die Zentrale Wahlkommission beschlossen, auf allgemein zugängliche Internet-Übertragungen im Verlauf der dreitägigen Abstimmung im Zusammenhang mit einem Mangel an Finanzen zu verzichten.

„Die Videoübertragung aus den Wahllokalen ist ein zusätzlicher Mechanismus, der das Prinzip der Offenheit der Tätigkeit der (Wahl-) Kommissionen gewährleistet»» wird in der Klageschrift von „Jabloko“ betont. „Sie erlaubt den Bürgern, selbständig das Abstimmungsprozedere und die Arbeit der Wahlkommissionen zu beobachten“. Die Entscheidung der Zentralen Wahlkommission aber „beeinträchtigt und schränkt die Wahlrechte der Bürger im Vergleich mit dem ein“, wie deren Inhalt durch das Gesetz „Über die Hauptgarantien“ bestimmt worden sei. Und dies sei aber bereits eine Verletzung der Verfassungsprinzipien. Daher wird in der Klageschrift behauptet, dass die Kommission ihre Vollmachten überschritten habe, indem sie den Boden für Verletzungen der Bürgerrechte in dem Bereich geschaffen hätte, der die Kontrolle des Wahlprozesses betreffe. „Wenn man die Entscheidung trifft, den Kreis der Personen einzugrenzendem die Online-Übertragung zugänglich ist, bedeutet dies, dass in den Wahllokalen etwas Ungutes vorbereitet wird“, unterstrich „Jabloko“-Vorsitzender Nikolaj Rybakow. .

Der Leiter des Parteistabs Grigorij Grischin war über die Worte Pamfilowas empört: „Die Leiterin der Zentralen Wahlkommission geht über die Grenzen ihrer Kompetenz hinaus. Die Zentrale Wahlkommission hat kein Recht, den Handlungen von Parteien und Bürgern eine Wertung zu geben. Sicherlich kann man alles der Emotionalität zuschreiben, doch uns haben einige Erklärungen erstaunt. In der Zentralen Wahlkommission weiß man ausgezeichnet, dass wir massenhaft unserer Beobachter in die Wahllokale im Status von Mitgliedern der (Wahl-) Kommission mit beratender Stimme entsenden. Solcher Menschen gibt es zehntausende. Und sie sind reale im Unterschied zu den anderthalb Millionen machttreuen Fake-Beobachtern“. Grischin erinnerte die „NG“ daran, dass gerade „Jabloko“-Wahlbeobachter im Jahr 2011 in flagranti Fälscher erwischt hatten, was zu Massen-Protestmeetings führte — und später dazu, dass es in Moskau transparente Wahlen gab.

Grischin präzisierte, dass die Klage am 19. Juli beim Obersten Gericht eingereicht wurde. Eine Antwort hat es dazu bisher nicht gegeben. Doch laut Gesetz hat das Gericht fünf Arbeitstage für eine Antwort -–ist die Klage zur Behandlung angenommen worden oder nicht. „Wir hoffen, dass man die Klageschrift annimmt. Obwohl es unmöglich ist, in unserem Land etwas vorauszusagen. Wir sind aber verpflichtet, die Interessen aller Wähler zu verteidigen, und nicht nur jener, die für „Jabloko“ votieren“, unterstrich er. Und dies kann man als ein Eingeständnis dessen ansehen, dass die Partei „Jabloko“, die die ganze Zeit erklärt, dass sie nur das Votum des ideologischen Elektorats für sie brauche, dennoch versucht, auch auf dem Feld des generellen Protestelektorats zu agieren. Das Hauptziel ist, die Aufmerksamkeit der berüchtigten „erzürnten Städter“ zu gewinnen, die übrigens aufgrund unterschiedlicher Anlässe Unzufriedenheit und Unmut empfinden. Folglich ist auch die Initiative von „Jabloko“ über die Verhängung eines Lockdowns im Land im Zusammenhang mit COVID-19, aber mit einer Bezahlung der Ausgaben seitens der Bürger und des Business keine fehlerhafte Erklärung, sondern ein durchaus durchdachter Informationsanlass. Unter den Bedingungen der halbtoten Sommer-Wahlkampagne ist der allgemein oppositionelle Wähler bereit, auf alle möglichen Hypes zu reagieren.

Der Leiter der Politischen Expertengruppe Konstantin Kalatschjow bestätigte, dass, obgleich „Jabloko“ verbal für eine Bewahrung der Identität und Reinheit der Prinzipien kämpfe, tatsächlich versuche, aus dem elektoralen Reservat herauszukommen, indem sie jedes Mal Initiativen unterbreite, die bei verschiedenen Wählergruppen populär seien. „Während die Lockdown-Initiative unter den Liberalen bei weitem nicht populär ist, kann sie dagegen teilweise auch durch das machttreue Elektorat unterstützt werden. Und die Geschichte mit der Klage beim Obersten Gericht ist ein Vordringen zum generellen oppositionellen Elektorat. Die Partei möchte offensichtlich in die Staatsduma einziehen und schafft daher spektakuläre Informationsanlässe, die in der Lage sind, die Sympathie der „erzürnten Städter“ auszulösen“, erläuterte der Experte. Er erinnerte daran, dass sich im Großen und Ganzen ja auch die Kommunisten Sorgen machen um das Verbot einer breiten Videobeobachtung. Die aber würden aus irgendeinem Grunde im Fahrwasser der Tagesordnung der Offiziellen agieren. Die „Jabloko“-Vertreter aber würden versuchen, eine eigene zu schaffen. Kalatschjow ist der Auffassung, dass letzteres vorteilhafterer sei, zumal „Jabloko“ bisher solche Themen finde, die die Herrschenden wohl kaum verstimmen würden. Folglich, auch wenn es letztlich „Jabloko“ nicht gelinge, die Protest-Tagesordnung zu monopolisieren, werde sie offensichtlich einen Teil der Stimmen der Unzufriedenen erhalten.

Alexej Makarkin, 1. Vizepräsident des Zentrums für politische Technologien, merkte an, dass „Jabloko“ offenkundig versuche, den liberalen Teil des gesamten Protestelektorats zu gewinnen. „Wenn das Kernelektorat der Partei eine Unterart des liberalen Elektorats ist, so ist das liberale Elektorat an sich eine Unterart des gesamten Protestelektorats. Das Setzen nur auf den eigenen Kern würde „Jabloko“ nicht mehr als ein bis zwei Prozent bringen. Und es würde (dann) nicht einmal eine staatliche Finanzierung geben. Daher besteht das Ziel, das gesamte rechte Elektorat unter der Ägide von „Jabloko“ zusammenzubringen, zumal bei den Wahlen diese Partei faktisch zu einer monopolistischen liberalen Kraft geworden ist. Da es aber bisher nicht klappt, alle Liberalen zu konsolidieren, schafft „Jabloko“ eine Tagesordnung, um auch andere Wähler zu gewinnen“. Der Experte erinnerte daran, dass alle Parteien vom Prinzip her, zwei Herangehensweise an das Publikum hätten, eine emotionale und eine rationale. „Jabloko“ hätte zuerst versucht, das angepeilte Publikum der „erzürnten Städter“ mit Hilfe von Emotionen zu gewinnen. Bisher gelinge es aber nicht, das Negative hinsichtlich der Partei zu überwinden. Folglich könne man auch weiter spektakuläre Initiativen „in den Bahnen des gesamten Protestelektorats liberaler Orientierung“ von „Jabloko“ erwarten. Jedoch werde sich „Jabloko“ näher zu den Wahlen hin, nimmt der Experte an, wahrscheinlich auf eine rationale Vorgehensweise stützen: Sozusagen, stimmt für die einzige liberale Partei, die die Rechte und Freiheiten verteidigt und für einen westlichen Entwicklungsweg eintritt.