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Karjakin vermochte den Schach-Weltcup nicht erringen, da er Duda im Finale unterlag


Die Schach-Weltpokal-Turniere der Männer und Frauen, die vor fast vier Wochen in Krasnaja Poljana (Wintersportzentrum bei Sotschi – Anmerkung der Redaktion) begannen, sind abgeschlossen worden. Am Montag wurde der Name der Siegerin des Frauenturniers bekannt, und am Donnerstagabend wurden die zweiten Partien der Mini-Auseinandersetzungen des Männer-Cups gespielt, die (gemäß Reglement) sowohl den Gewinner des Männerturniers als auch den Gewinner der Bronzemedaille nennen konnten. Doch noch davon kam es bei beiden Turnieren zu wahrhaft sensationellen Ereignissen.

Beginnen wir mit dem Frauen-Finale, in dem zwei Vertreterinnen Russlands aufeinandertrafen – entsprechend dem Rating die Favoritin des Turniers Alexandra Gorjatschkina und ihre weitaus mehr gepushte und in der Schachwelt bekanntere Namensvetterin — die Ex-Weltmeisterin Alexandra Kostenjuk. Es macht Sinn besonders hervorzuheben, dass die herausragenden Ergebnisse, die von Gorjatschkina in der letzten Zeit bei Männerturnieren demonstriert worden waren, aber auch ihre „maskuline“ Spielweise die Vizeweltmeisterin nicht nur einfach zur Hauptanwärterin auf den Sieg im Turnier, sondern auch zu einer Schachspielerin machten, deren Weg zum ersehnten Ziel (selbst bei dem äußerst lotterieähnlichen Cupformat) nur ein Wunder versperren konnte. Im Grunde genommen hatte sich solch ein Wunder beinahe im 1/8-Finale ereignet, im Match von Alexandra mit der Ex-Weltmeisterin, der Bulgarin Antoaneta Stefanova. Jene Leichtigkeit und Bestimmtheit, mit denen Gorjatschkina mit dem im Verlauf dieses Duells aufgetretenen Problemen fertig wurde, bestätigten jedoch nur das Gefühl, dass dieser Weltcup „ihr Turnier“ ist.

Im Nachhinein ertappen wir uns bei dem Gedanken, dass sich unsere Wahrnehmung der Auftritte von Gorjatschkina und Kostenjuk auf dem Weg zum Finale signifikant unterschieden, da erste von beiden in allen Duellen als klare Favoritin angesehen worden war, während die zweite in den Auseinandersetzungen mit Maria Musytschuk, Valentina Gunina und Zhongyi Tan nicht mehr als eine gleichwertige Kontrahentin. Jene unglaubliche Bestimmtheit, mit der sich Kostenjuk aus den überaus verzwickten Schwierigkeiten herausgekämpft hatte und entgegen allem in diesen Duellen als Gewinnerin hervorgegangen war, provozierte jedoch ungewollt den beinahe mystischen Eindruck, dass der sich abgezeichnete Trend auch auf die entscheidende Auseinandersetzung erstrecken kann.

Im Grunde genommen hatten dies gerade auch die Fans in der ersten Partie des Mini-Matchs der beiden Alexandras zu sehen bekommen, die de facto zur entscheidenden wurde. Lange Zeit verlief das Spiel unter dem Diktat von Gorjatschkina, die sowohl ein blendendes Begreifen der Position als auch eine ausgeprägte Präzision bei der Umsetzung ihres strategischen Plans demonstrierte. Man kann natürlich bemängeln, dass die weißen Figuren bei 29. Zug exakter agieren konnten, doch auch jene Entscheidung, die die Vizeweltmeisterin getroffen hatte, musste den weißen Figuren für einen Sieg reichen. Nach dem gewagten Bauernopfer führte der Weg zum Erfolg für sie über einen hinsichtlich seiner angedeuteten Stärke fantastischen „stillen“ Positionswechsels der Turmfigur, wobei der Preis der getroffenen Entscheidungen in der entstandenen überaus komplizierten Situation so einer war, dass einzelne Makel einen, wie es so schön heißt, schicksalsschweren Charakter trugen.

Nein, selbst nach zwei ausgelassenen Möglichkeiten ist die Position der weißen Figuren zu keiner schlechten geworden. Sie hätten die Ambitionen über den Haufen werfen und sich mit einem Remis der Auseinandersetzung abgeben müssen. Im Grunde genommen konnte dies auch Gorjatschkina tun, nachdem sie beim 40. Zug ein ewiges Schach für den König der Kontrahentin forciert hatte. Doch vom Kampfesfieber erfasst, beschloss sie, „noch ein wenig zu spielen“, und geriet in ein für sie offenkundig schlechteres Endspiel, das sie letzten Endes nicht zu retten vermochte, indem sie kurz vor Toresschluss einige aus psychologischer Sicht durchaus erklärbare Fauxpas beging.

Etwa so sahen aus der Sicht der Gorjatschkina-Fans die Ereignisse aus, die sich in dieser Partie abspielten. Wenn man aber über das Geschehen aus der Sicht von Kostenjuk spricht, so muss man sich an der völlig unglaublichen Kaltblütigkeit begeistern, die von ihr in der Extremsituation an den Tag gelegt worden war. Schließlich wäre ein einziger von der Ex- Weltmeisterin im Vorfeld einer Zeitnot begangener Fehler durchaus ausreichend gewesen, damit alle kritischen Überlegungen hinsichtlich der Handlungen ihrer gefährlichen Opponentin jeglichen Sinn verloren hätten. Der schwarze König hat einfach ein Matt bekommen! Interessant ist, dass Kostenjuk diese, ihre besten Qualitäten auch in der zweiten Partie an den Tag legte, in der es für sie ausreichend war, mit den weißen Figuren ein Remis zu erreichen. Die verzweifelten Versuche Gorjatschkinas, einen Kampf zu entfesseln, stießen jedes Mal auf die tadellosen Gegenzüge der Konkurrentin. Und als das Ergebnis der Partie – ein Sieg der weißen Figuren – keinerlei Zweifel mehr auslöste, bot die Ex-Weltmeisterin nobel ein für sie siegreiches Remis an, das die Bilanz dieser dramatischen und unwahrscheinlich attraktiven Auseinandersetzung zog.

Während es aber die Favoritin des Damenturniers entsprechend dem Rating wohlbehalten bis zum Finale geschafft hatte, schied der Hauptfavorit des Männer-Schachpokals – Magnus Carlsen – bereits im Halbfinale aus dem Ringen um den Sieg aus. Als Widersacher des Champions hatte sich der junge polnische Großmeister Jan-Krzysztof Duda erwiesen. Als die beiden „langsamen“ Partien dieses Duells mit einem Remis endeten, hatten wir auf dem YouTube-Kanal Makarychev Chess die Vermutung bekundet, dass sich die beim Übergang zum Tie-Break vorzunehmende Verringerung der Zeit für ein Überlegen und Durchdenken der Züge bei weitem nicht für Carlsen, sondern für Duda als günstiger erweisen könne. Die Sache ist die, dass Jan-Krzysztof im Unterschied zu Sergej Karjakin und Fabiano Caruana – den Rivalen von Magnus bei den letzten zwei Duellen um den Weltmeistertitel – gerade beim Schnell- und Blitzschach sehr stark ist. Möglicherweise hatte auch der Umstand seine Rolle gespielt, dass, auch wenn der Champion in den ersten drei Partien keine realen Chancen zum Siegen hatte, er dabei keinen ernsten Druck seitens des Kontrahenten verspürte. Wie dem auch sei, im Debüt und im frühen Mittelspiel der zweiten Partie des Tie-Breaks hatte sich Carlsen scheinbar, der die weißen Figuren hatte, buchstäblich das Ziel gestellt, sich selbst auszutricksen, indem er sich selbst in eine offenkundig schlechte Position brachte. Wonach er nicht wenig Erfindungsreichtum an den Tag legte, wobei er beinahe gepasst hätte, aber im Läuferendspiel einen Fehler beging, eine Niederlage erlitt und aus dem Kampf um den Schachweltpokal ausschied.

Im Ergebnis dessen kamen die Fans nicht auf das von allen erwartete Mini-Remake des New Yorker Matches von 2016, da den Platz des Champions sein Widersacher einnahm, der sich mit Sergej Karjakin auseinandersetzte. In der ersten Partie gelang es unserem Großmeister, der mit den weißen Figuren spielte, nicht, dem Kontrahenten ernsthafte Probleme zu bereiten. Im Ergebnis dessen kam ein kurzes Remis heraus. Die zweite Partie erwies sich als die entscheidende. Wie auch drei Tage zuvor im Match gegen Carlsen dominierte in ihm der polnische Großmeister. Ja, natürlich hatte Sergej mit dem Debüt danebengelegen. Doch es scheint, dass es auf jeden Fall nicht leicht gewesen wäre, dem Kontrahenten zu widerstehen, der an diesem Tag mit einem unwahrscheinlichen Drive und einer großen Inspiration spielte.

Bei der Bilanzierung der Weltpokal-Spiele kann man konstatieren, dass beide Finalisten ihre Hauptaufgaben erfüllt haben. Sie errangen entsprechend dem Regelwerk eine Teilnahmeberechtigung für das Turnier der Herausforderer des nächsten Zyklus. Früher war bereits solch eine Berechtigung dem Großmeister Teimour Radjabow aus Baku gewährt worden. Und zu noch einem Herausforderer wird entweder Jan Nepomnjastschij oder Magnus Carlsen, derjenige von ihnen, der beim bevorstehenden Match um die Schach-WM-Krone im November verliert.

Derweil ging im Netz das Chessable Masters zu Ende, ein Online-Turnier der sogenannten Championsserie, an dem (erstmals seit Beginn seiner Durchführung) aus einem durchaus berechtigten Grund der Weltmeister Magnus Carlsen nicht teilgenommen hatte. In einem packenden Finale errang der Amerikaner Wesley So einen überragenden Triumph gegenüber den furios aufspielenden Vietnamesen Liem Quang Le. Recht beachtlich hatten sich in diesem Turnier auch der russische Großmeister Wladislaw Artemjew, der Japaner Hikaru Nakamura und Levon Aronjan aus Armenien geschlagen.