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Wenn man die Herrschaft der Taliban anerkennt, muss man mit ihnen zusammenarbeiten


Die Länder Zentralasiens haben die Gerüchte dementiert, dass Afghanistans Präsident Aschraf Ghani, der der verbotenen „Taliban“-Bewegung die Macht überlassen hat, in der Region untergetaucht sei. Sein Aufenthaltsort ist nicht genau bekannt. Die Offiziellen der Länder Zentralasiens verfolgen aufmerksam die Entwicklung der Ereignisse in Afghanistan und bereiten sich auf die unumgängliche Aufnahme von Flüchtlingen vor. In der Region ist Verwirrung aufgrund des rasanten Machtwechsels in Kabul zu spüren. Einige internationale Zentren sind bereit, die Taliban anzuerkennen, andere sind kategorisch dagegen. Unter den Bedingungen der Mehrvektoren-Politik, die die dortigen Staatschefs proklamiert hatten, ist es schwierig, eine Entscheidung zu treffen.

70 Länder der Welt, darunter die Europäische und die USA, haben die Taliban aufgerufen, die Grenzen zu öffnen und alle Interessenten aus dem Land zu lassen. „Die Straßen, Flughäfen und Grenzen müssen offene bleiben, es muss die Ruhe aufrechterhalten werden. Das afghanische Volk hat es verdient, in Sicherheit und würdig zu leben. Und die Mitglieder der internationalen Gemeinschaft sind bereit, ihnen Hilfe zu leisten“, heißt es in ihrer gemeinsamen Erklärung.

Von den Ländern Mittelasiens hat nur Tadschikistan die Bereitschaft signalisiert, aus Afghanistan 10.000 Menschen aufzunehmen. Dabei ist es an der tadschikisch-afghanischen Grenze bisher ruhig, Flüchtlinge sind nicht zu sehen. An der ganzen Grenze sind drei Verteidigungslinien geschaffen worden, an denen Kräfte und Mittel der Grenztruppen, des Verteidigungsministeriums, des Staatskomitees für nationale Sicherheit und des Innenministeriums, aber auch Reservisten zum Einsatz gebracht worden sind, meldete die Nachrichten-Internetseite „Asia Plus“. Kasachstan hat keine gemeinsame Grenze mit Afghanistan, doch hier bereitet man sich auf die Aufnahme afghanischer Flüchtlinge vor.

Diese Frage wurde bei einem Telefonat von Kasachstans Außenminister Muchtar Tleuberdi mit dem US-Außenminister Anthony Blinken erörtert. Es ging um die Aufnahme von 2000 Afghanen, die für die Regierung der Vereinigten Staaten gearbeitet hatten. Am 15. August bestätigte das Außenministerium Kasachstans die Tatsache der Gespräche, dementierte jedoch die Informationen über die Flüchtlinge. Derweil führte Präsident Kasym-Schomart Tokajew eine Beratung mit den Leitern der bewaffneten und Sicherheitsorgane zur Situation in Afghanistan durch und erteilte den Auftrag, Maßnahmen zur Gewährleistung der Sicherheit der Bürger Kasachstans und der Diplomaten, die sich in Afghanistan befinden, zu ergreifen. „Kasachstan ist über die Eskalation der Spannungen in Afghanistan beunruhigt und verfolgt aufmerksam die Entwicklung der Ereignisse“, schrieb Tokajew auf Twitter.

Das Afghanistan-Thema war das hauptsächliche in einem Telefongespräch der Staatsoberhäupter Russlands und Usbekistans, Wladimir Putin und Shavkat Mirziyoyev. „Erzielt wurde eine Vereinbarung über die Fortsetzung der engen Kontakte und des Zusammenwirkens über die entsprechenden Institutionen beider Länder in Bezug auf Fragen zur Gewährleistung der regionalen Sicherheit und Stabilität“, heißt es in einer verbreiteten Erklärung des Pressedienstes des usbekischen Präsidenten.

„In den Ländern Zentralasiens ist unter Berücksichtigung ihrer generellen multivektoralen Ausrichtung Verwirrtheit aufgrund des rasanten Machtwechsels in Afghanistan zu spüren. Einerseits bestehen die westlichen Länder auf eine Nichtanerkennung der „Taliban“-Bewegung. Unter anderem hat Großbritanniens Premierminister Boris Johnson die westlichen Länder vor einer verfrühten und einseitigen Anerkennung der „Taliban“ als legitime Herrschende in Afghanistan gewarnt. Andererseits sind Russland und China an der Grenze zu einer Anerkennung, obgleich sie sich auch nicht beeilen, darüber zu sprechen“, sagte der „NG“ der Experte für Zentralasien und den Mittleren Osten Alexander Knjasew. Die Frage einer Abstimmung der Anerkennung der „Taliban“-Bewegung sollte am 16. August bei einer Sondersitzung des UN-Sicherheitsrates diskutiert werden, ist jedoch letztlich vertagt worden.

Der Afghanistan-Beauftragte des russischen Präsidenten, der Direktor des 2. Asien-Departments im Außenministerium Russlands, Samir Kabulow, teilte mit, dass sich Moskau nicht mit der Anerkennung der Taliban beeilen werde. Nach seinen Worten beabsichtige Russland zu gucken, „wie sich das Regime verhalten wird“. Er rechnet jedoch mit freundschaftlichen Beziehungen mit den Taliban, „wobei sich auf das in den letzten Jahren erarbeitete und gesammelte Material gestützt wird“. Dabei teilte Kabulow gegenüber dem hauptstädtischen Hörfunksender „Echo Moskau“ mit, dass die Taliban den Außenbereich der russischen Botschaft in Kabul unter ihre Bewachung gestellt hätten. Am Dienstag traf sich der russische Botschafter in Afghanistan Dmitrij Schirnow mit Taliban-Vertretern und bezeichnete anschließend die Begegnung als eine konstruktive und positive.

„Wenn man die „Taliban“ anerkennt, muss man mit ihnen zusammenarbeiten. Das Problem besteht darin, dass die „Taliban“-Bewegung dämonisiert worden ist. Und es wird schwierig werden, der eigenen Bevölkerung die Zusammenarbeit mit ihr zu erklären. In der vorteilhaftesten Situation ist Usbekistan, das seit 2017 Verhandlungen mit den Taliban führt, sie in Taschkent empfing und mit ihnen die Realisierung von Infrastrukturprojekten erörterte. In Turkmenistan wird keiner keinem nichts erklären. Dies ist auch klar. Am schwierigsten ist es für Tadschikistan mit seiner scharfen Anti-Taliban-Linie. Zumal in Tadschikistan eine bestimmte ethnische Solidarität mit den afghanischen Tadschiken besteht. Und obgleich dies keine nationale Idee ist, ist sie (die Solidarität) aber recht verbreitet“, meint Knjasew.

Die Situation hängt auch noch davon ab, ob sich die in der Provinz Pandschscher lebenden ethnischen Tadschiken auf einen Kontakt mit den Taliban einlassen werden. Die Sache ist, dass einer der jungen Anführer der Tadschiken – Amrullah Saleh – mehrere Konvois mit Waffen und Munition nach Pandschschir geschickt hat. Ein Teil der tadschikischen Afghanen beabsichtigt, den Taliban Widerstand zu leisten. In ihren Widerstand haben sie den Sohn des legendären Anführers der Nordallianz Achmad Schah Massud involviert. Angesehene Pandschschir-Politiker – Achmad Wali Massud und Achmad Zia Massud sowie Yunus Kanuni – und weniger bekannte Personen führen derzeit Verhandlungen in Islamabad über die Bedingungen einer Koexistenz mit den Taliban. „Die Situation ist eine explosionsgefährliche, die geringste Provokation kann eine Kettenreaktion in Afghanistan auslösen. Wenn sich Tadschikistan unter solchen Bedingungen anschickt, den afghanischen Tadschiken zu helfen, wird es einen politischen Fehler begehen“, meint Knjasew. Bei alle dem ist für die Länder Mittelasiens, den Iran und selbst für Pakistan die Aufnahme von Flüchtlingen nicht nur eine humanitäre Aktion, sondern auch eine Bedrohung für die Landessicherheit. Unter anderem lebt in dem bereits erwähnten Tadschikistan die Bevölkerung auch in Armut. Was wird passieren, wenn man die Grenze für tausende afghanische Flüchtlinge öffnet, die man mit Essen und Trinken versorgen muss. Dies ist eine offene Frage.