Die Vorbereitung zur am 24. August erfolgenden zweiten Etappe des Parteitages von „Einiges Russland“ erfolgt unter der persönlichen Kontrolle des Präsidenten. Dies wurde aus dem Auftritt von Wladimir Putin vor einer Gruppe von (Spitzen-) Kandidaten von „Einiges Russland“ für die Staatsduma (das Unterhaus des russischen Parlaments – Anmerkung der Redaktion) am Sonntag deutlich. Den Vertretern der Kremlpartei ist der Status der Partei des nationalen Führers zurückgegeben worden, ihr Rating vor den Wahlen entspricht bisher nicht dieser Stellung. Unter den Experten bleiben Meinungsverschiedenheiten in den Wertungen, wird „Einiges Russland“ weiter schwächer oder erstarkt sie. Die Daten der Meinungsumfragen kann man unterschiedlich auslegen. Doch in ihnen wird auch ein gewisser Trend für die Zunahme der Unzufriedenheit über die Herrschenden fixiert. Unter solchen Bedingungen würde ein möglicher Höhenflug von „Einiges Russland“ wie ein soziologisches Paradoxon aussehen.
„Ich rechne sehr damit, dass „Einiges Russland“ ihre Positionen bewahrt und die Möglichkeit haben wird, auf gesetzgeberischer Ebene die notwendigen Entscheidungen im Interesse des Landes zu treffen“, erklärte Putin bei der Begegnung mit 26 Staatsduma-Kandidaten der Partei (wobei unter anderem Außenminister Sergej Lawrow und Verteidigungsminister Sergej Schoigu gar nicht beabsichtigen, künftig im Unterhaus zu arbeiten – Anmerkung der Redaktion).
Laut Medienberichten wird am 24. August die zweite Etappe des Parteitages der Kremlpartei unter Beteiligung von Präsident Putin stattfinden, um das Wahlkampfprogramm zu bestätigen, dass die Vertreter von „Einiges Russland“ selbst als „Volksprogramm“ bezeichnen. Die Veranstaltung, die am 22. August unter Teilnahme des Staatsoberhauptes erfolgte, kann man sowohl als letzte Probe vor dieser zweiten Etappe als auch eine gewisse Einweisung, die die regierende Partei vom nationalen Leader erhielt, ansehen. Letztere hat ihr damit ihre Stellung zurückgegeben. Im Internet gab es allerdings in den letzten Tagen eine Vielzahl von Überlegungen hinsichtlich dessen, dass bei der vorangegangenen Etappe des Parteitages der Subjektcharakter von „Einiges Russland“ als ein vollwertiger Teilnehmer der Wahlkampagne etwas geschmälert worden war. Und jetzt müsste man ihn grundlegend aufwerten, das heißt: den Kandidaten selbst das Recht auf eine Initiative geben.
Die Sache ist die, dass für den Konsumenten der Massenmedien damals die Initiativen des Präsidenten in den Vordergrund gerückt waren, der mit Vorschlägen hinsichtlich einer zusätzlichen Finanzierung des Sozialbereichs und von Infrastrukturprojekten, das heißt mit einem gewissen Plan für eine Erneuerung des Landes aufgetreten war. Doch auch die Tagesordnung der zweiten Etappe diktiert, wie sich herausstellte, der Präsident. Genauer aber: Er erinnert die regierende Partei daran, dass sie nicht vergessen dürfe, in den Wortlaut des Programms all das aufzunehmen, worüber gerade er gesprochen hatte. Bei dem Treffen Putins mit den 26 Kommissaren von „Einiges Russland“ waren auch neue Erklärungen zu Zahlungen an Veteranen und Militärs, aber auch zu anderer nötigen Wahlkampf-Schokolade zu vernehmen. Details sind hier aber weniger wichtig. Als jene strategische Entscheidung, die – allem nach zu urteilen – bereits getroffen worden ist: Der Präsident wird, wie auch angenommen worden war, in der für „Einiges Russland“ schwierigen Situation doch die Verantwortung für das bevorstehende elektorale Resultat übernehmen. Gleichzeitig bedeutet dies traditionell auch einen Vorschuss von Indulgenzen im großen Umfang für die unmittelbaren Vollstrecker der Wahlen – der politischen Administratoren vom Staraja Plostschad („Alter Platz“, Moskauer Stadtviertel, in dem sich ein Großteil der Putin-Administration befindet – Anmerkung der Redaktion) und der Staatsduma-Abgeordneten, der Gouverneure und Bürgermeister sowie Polittechnologen und Konsultanten jeglichen Couleurs.
Wenn Putin wirklich zum Oberkommandierenden der Kampagne von „Einiges Russland“ wird, so werden deren Akteure umfangreiche Reserven aus dem Hauptquartier des Oberkommandierenden zur Nutzung erhalten. In erster Linie ist dies natürlich das Rating der Unterstützung für den Präsidenten, das sich freilich schon lange nicht mehr auf dem „Krim“-Niveau befindet, aber kategorisch analoge Werte von „Einiges Russland“ übertrifft und damit in den Schatten stellt. Wenn man sich jedoch die letzten soziologischen Untersuchungen anschaut, ist es bisher schwer, Anzeichen für den Beginn einer gewissen Großoffensive auszumachen. Einige Versuche, eine Attacke darzustellen, gibt es, sie hat aber scheinbar Probleme mit der Tiefgründigkeit. Dies ist gut an den Untersuchungen der öffentlichen Meinung zu sehen, die die kremlnahen Meinungsforschungsinstitute VTsIOM (Gesamtrussisches Meinungsforschungszentrum) und FOM (Stiftung für öffentliche Meinung) wöchentlich veröffentlichen.
Erstens macht es Sinn zu betonen, dass die Differenzen zwischen ihnen hinsichtlich der Situation um das Rating von „Einiges Russland“ nicht verschwunden sind. FOM weist beispielsweise aus, dass Mitte August das Rating der regierenden Partei bis auf 30 Prozent gestiegen sei, obgleich sie den Monatsbeginn an der 27-Prozent-Marke begonnen hatte. VTSIOM dagegen weist „Einiges Russland“ nach wie vor an der 27-Prozent-Marke aus, wobei man eine Zunahme von 0,1 Prozent innerhalb einer Woche unbeachtet lassen kann. Zweitens sind sich beide Dienste dahingehend einig, dass die Unterstützung für die KPRF unter den Befragten zunimmt, wenn auch nicht sprunghaft, so aber allmählich. In der elektoralen Soziologie sind jedoch Trends und deren Dynamik wichtiger als Veränderungen in den Zahlen, die auch nicht über die Fehlergrenze hinausgehen können.
Dabei sieht der dritte Aspekt der soziologischen Artillerievorbereitung wichtiger aus. Sie sollte eigentlich die gegnerischen Reihen treffen. Scheinbar hat sie aber die Zielkoordinaten durcheinandergebracht. Denn weder VTsIOM noch FOM weisen eine Zunahme des generellen Vertrauens der Bürger gegenüber den Herrschenden und eine Zunahme der Zufriedenheit über deren Tätigkeit aus. Im Gegenteil, sie fixieren, dass die Tendenz zur Verstärkung der Unzufriedenheit anhält. FOM gibt beispielsweise ein Bild vom auf der Stelle tretenden Indikator „Arbeitet Putin gut oder schlecht?“. Es gibt auch einen leichten Anstieg des Misstrauens gegenüber dem Präsidenten. VTsIOM agiert mit Zehntelprozenten, doch auch sie weisen eine Abnahme der Werte für die Billigung und des Vertrauens gegenüber dem Staatsoberhaupt aus. Beide Meinungsforschungsinstitute haben gleichfalls eine Verschlechterung der Haltung zur Arbeit der Regierung von Michail Mischustin ausgemacht, obgleich das persönliche Rating des Premiers noch mehr oder weniger ein stabiles ist. Da aber ergibt sich ein soziologisches Paradoxon: Wie wird man unter solchen Bedingungen über eine sprunghafte Zunahme der Unterstützung für „Einiges Russland“ sprechen können, die man zu den Ergebnissen des schicksalsschweren Parteitages hervorheben muss?