Der Journalistenverband und der Rat für Menschenrechtsfragen beim Präsidenten der Russischen Föderation haben das Justizministerium gebeten, die Kriterien zu erläutern, denen entsprechend Medien oder einzelne Journalisten als ausländische Agenten eingestuft werden können. Sie sind gleichfalls der Auffassung, dass die Staatsduma (das Unterhaus des russischen Parlaments – Anmerkung der Redaktion) der nächsten Legislaturperiode das entsprechende Gesetz korrigieren müsse. „Nach der gestrigen Begegnung von Mitgliedern des Präsidialrates für Menschenrechtsfragen mit einem Vertreter des Justizministeriums (am 23. August mit dem stellvertretenden Direktor des Departments für Fragen nichtkommerzieller Organisationen Roman Tsyganow – Anmerkung der Redaktion) wurde klar, dass dieses Gesetz real eine große Korrektur erfordert. Jeder beliebige Journalist, jedes beliebige Medium können sehr leicht ins Register der ausländischen Agenten geraten, es aber zu verlassen wird – oh weh – sehr schwer, nur auf dem Gerichtsweg“, sagte der Vorsitzende des Journalistenverbands Wladimir Solowjow in einer Sendung des hauptstädtischen Hörfunksenders „Echo Moskaus“.
Sowohl bei dem Treffen mit Mitgliedern des Präsidialrates für Menschenrechtsfragen als auch in einer Veröffentlichung auf der eigenen Internetseite haben Vertreter des Justizministeriums die Aufnahme des Fernsehkanals „Doschd“ (jetzt in der Russischen Föderation als ein ausländischer Agent anerkannt) in das Register kommentiert. Eine der Ursachen für solch eine Entscheidung ist, dass der Kanal 130.000 Euro von der Europäischen Union in Gestalt der Europäischen Kommission erhalten hatte. Ein anderer Grund sind die „Verbreitung und das Zitieren von Materialien ausländischer Massenmedien, die Funktionen eines ausländischen Agenten wahrnehmen“ (https://minjust.gov.ru/ru/events/48553/).
Gerade der zweite Punkt hat beim Journalistenverband und beim Präsidialrat für Menschenrechtsfragen Unverständnis ausgelöst. Schließlich nehmen alle Medien beim Zitieren ausländischer Agenten die notwendige Anmerkung vor. Ist dies etwa unzureichend? Das Justizministerium erläuterte: Ja, es kommt vor, dass dies unzureichend ist. Im Ministerium verweist man auf Artikel 6 des „Gesetzes über die Massenmedien“, in dem es wirklich heißt, dass eine natürlich oder Rechtsperson als ausländische Agenten eingestuft werden können, wenn sie Mitteilungen und Materialien verbreiten, die durch ausländische Agenten geschaffen wurden, und dabei Gelder oder anderen Besitz von ausländischen Staaten und deren Behörden oder ausländischen Bürgern, aber auch internationalen Organisationen erhalten. Es scheint, dass die Journalisten und Menschenrechtler vom Justizministerium keine anderen Erklärungen erhalten werden. Ja, und es ist keine Tatsache, dass die erneuerte Staatsduma solch ein bequemes Gesetz ändern möchte.
Wie dem auch sei, man muss vorsichtig über dieses Thema sprechen. Unklar ist, wo du über einen neuen Fallstrick stolpern wirst. Wenn man dem Kommentar des Justizministeriums folgt, so können scheinbar die Medien und natürlichen Personen, die nicht einen einzigen Euro aus dem Ausland bekommen, auch weiter Quellen zitieren, die als ausländische Agenten eingestuft worden sind, und sogar deren Materialien verbreiten. Man kann die eigentliche Notwendigkeit der Einführung solcher Regeln anfechten. Dies ist aber zumindest eine klar formulierte Regel. Jedoch ist „scheinbar“ hier ein wichtiges Wort. Die Behörden für die Aufsicht und das Bestrafen haben ein sehr reichhaltiges Rechtsinstrumentarium bekommen. Sie haben sich mit Normen gewappnet, die verschiedene Interpretationen erlauben. Daher gibt es keine Garantien dafür, dass eine Finanzierung aus dem Ausland das Einzige ist, was hindert, sich auf ausländische Agenten in Gestalt von Massenmedien zu berufen.
Die Behörden scheinen den Medien zu sagen: Wenn du sauber bist, das heißt finanziell unabhängig vom Ausland, hast du nichts zu befürchten. Wenn du Angst hast, bedeutet dies, dass irgendetwas nicht mit dir stimmt. Die Medien verstehen aber bisher nicht, wie sie arbeiten sollen, auf welche Art und Weise sie beispielsweise eben jene Tatsache der Einstufung einer Internetseite oder eines Fernsehkanals als ein ausländischer Agent deutlich machen müssen. Die Prinzipien für einen normalen Journalismus sehen vor, dass man allen Seiten die Gelegenheit gewährt sich zu äußern. Was aber tun, wenn das einem ausländischen Agenten eingeräumte Wort dann aber dem zum Schaden gereicht, der es gewährt hatte? Wird dies als ein unerwünschtes Zitieren und Verbreiten von Informationen interpretiert?
Die Massenmedien wollen zumindest nach bekannten Regeln leben und arbeiten. Die normativen Anforderungen an jegliches Gesetz sind stets standardmäßige. Es muss eine dicke Linie zwischen Legitimem und Strafbarem ziehen. Wenn diese Anforderungen nicht erfüllt wird, erhält der Staat das Recht zu Willkür. Aber Willkür ist durch nichts besser als Gesetzlosigkeit. Das heißt: nicht besser als solch eine Situation, in der es überhaupt keinerlei Gesetze gibt. Gesetzlosigkeit und Willkür sind für einen Staat gleichermaßen zerstörerisch. Und verderblich für die Moral und die Gesellschaft. Darüber kann es keine zwei Meinungen geben.