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Die deutsche Wirtschaft plädiert für eine Wiederaufnahme der Russland-EU-Gipfeltreffen


In Berlin hat online die Jahres-Pressekonferenz des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft stattgefunden. Es handelt sich dabei um einen führenden Unternehmer-Verband, der Firmen vereint, die mit Russland, postsowjetischen Staaten, Ländern des ehemaligen sozialistischen Lagers sowie mit der Volksrepublik China zusammenarbeiten und Handel treiben. Sein Vorsitzender Oliver Hermes präsentierte sechs Kernforderungen an die künftige Bundesregierung, die entsprechend den Ergebnissen der Bundestagswahlen vom 26. September gebildet wird.

Hermes rief zu einer Erweiterung der Kontakte mit den Ländern Osteuropas und Zentralasiens, einer Aktivierung der Arbeit mit ihnen zur Rettung des Klimas sowie einer Entwicklung der Beziehungen mit der Eurasischen Wirtschaftsunion (EAWU), mit Russland und den Ländern des Westbalkans, die versuchen, einen eigenen gemeinsamen Wirtschaftsraum zu bilden, auf. In Bezug auf Russland forderte Hermes von der neuen Bundesregierung, die Anstrengungen fortzusetzen, die durch Bundeskanzlerin Angela Merkel jüngst zur Einberufung eines EU-Russland-Gipfels unternommen wurden.

Dabei werden in einer Pressemitteilung des Ost-Ausschusses die Entwicklung einer neuen Strategie in den Beziehungen mit den Ländern Zentralasiens und die Verbesserung des Zusammenwirkens mit den Ländern der „Östlichen Partnerschaft“ (Aserbaidschan, Armenien, Weißrussland, Georgien, Moldawien und Ukraine) als ein richtiger Schritt seitens der EU bezeichnet. Es wird aber eine wichtige Anmerkung vorgenommen: Solange diese Anstrengungen der EU nicht mit einem Dialog mit der EAWU verknüpft werden, seien deren Perspektiven beschränkte. Mehr noch, die europäische Wirtschaft bedürfe eines „institutionalisierten Meinungsaustauschs zwischen der EU und der EAWU über die Gestaltung eines gemeinsamen Marktes“.

Nur die Gestaltung eines starken gemeinsamen Wirtschaftsraums von Lissabon bis Wladiwostok ermögliche, die Technologien und das marktwirtschaftliche Potenzial West- und Osteuropas, aber auch Zentralasiens zu vereinen. Dafür sei es nötig, dass die EU und die EAWU solche Barrieren wie die Handelsrestriktionen, Einreisevisa, die Unterschiede in den Normen, Standards und bei der Zertifizierung überwinden. Bereits seit 2018 wirken auf Initiative des Ost-Ausschusses für die Lösung der gestellten Ziele in Deutschland und Russland zehn Gruppen mit jeweils 50 Experten für eine Abstimmung der technischen Normen und Standards der EU und der EAWU. Im Mittelpunkt müssten bei der Realisierung der eurasischen Kooperation drei Bereiche stehen – die Digitalisierung, der Klimaschutz und das Gesundheitswesen.

Im Großen und Ganzen bringt Hermes die äußerst wichtige Frage nach der Zukunft der Beziehungen der EU mit Russland und der von ihm etablierten EAWU auf die Tagesordnung. Es ist kein Geheimnis, dass die „Östliche Partnerschaft“ auf eine Entwicklung der Kontakte der Europäischen Union mit sechs postsowjetischen Staaten abzielt. Dort betrachtet man dieses Projekt als eine Zwischenetappe auf dem Weg zum Beitritt zur EU. Und in Brüssel – als den Versuch, sie dem Einfluss Russlands zu entziehen. Allem nach zu urteilen, beabsichtigt die Europäische Union nunmehr, ein analoges Vorhaben hinsichtlich der früheren Sowjetrepubliken in Zentralasien zu verwirklichen. In diesem Zusammenhang warnt der Ost-Ausschuss die Brüsseler Beamten vor unbedachten Schritten, da die Interessen der europäischen Wirtschaft über dem politisch schmalspurigen Herangehen der Europäischen Kommission an das Integrationsproblem im postsowjetischen Raum stehen würden.

Laut Angaben des Wiener Instituts für Internationale Wirtschaftsvergleiche (WIIW) werde in den 29 Ländern der Region, in denen der Ost-Ausschuss arbeitet, in den Jahren 2021-2022 ein Wachstum des BIP in einem Umfang von 3 bis 4 Prozent erwartet. Und gerade dieser Faktor ist für die deutsche Wirtschaft der bestimmende.

Wie im Jahresbericht des Ost-Ausschusses betont wird, „befinden sich deutsche und europäische Firmen immer häufiger zwischen den Fronten geopolitischer Konfrontationen. Dabei ist die globale Auseinandersetzung zwischen den USA und China der hauptsächlichste geopolitische Konflikt. Für Europa und besonders für das exportorientierte Deutschland stellt die Aufteilung der Weltwirtschaft in gegeneinander wirkende kontinentale Blöcke eine existenzielle Bedrohung dar. Die Sache ist die, dass Deutschlands Wirtschaft auf einer barrierefreien Globalisierung basiert“.

Ein wichtiger Partner Deutschlands in diesem geopolitischen Wettbewerb kann und muss Russland sein. Hermes zitierte Worte von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier vom 25. Februar 2021: „In dieser schwierigen Phase unserer Beziehungen müssen wir darauf achten, dass nicht alle Verbindungen abreißen“. In diesem Zusammenhang sieht der Ost-Ausschuss günstige Perspektiven für die Zusammenarbeit im Rahmen des jüngst gebildeten Deutsch-Russischen Unternehmerrates und des deutsch-russischen Themenjahres „Wirtschaft und nachhaltige Entwicklung 2020-2022“. Gerade der Ost-Ausschuss, betonte Oliver Hermes, nimmt im Auftrag des Auswärtigen Amtes die Koordinierung der Maßnahmen im Rahmen dieses Themenjahres vor.

Allerdings hat der Appell einer der führenden deutschen Unternehmervereinigungen in nicht einem der bedeutenden deutschen Massenmedien Widerhall gefunden.