Analytiker konstatieren eine „Feminisierung“ der Migrantenströmen in die Russische Föderation. Beobachtet wird ein Trend zur Involvierung von Frauen in die Migration von Arbeitern. Die einen folgen den Ehegatten, um Geld zu verdienen. Es gibt auch eine erhebliche Anzahl von Witwen und geschiedenen Frauen, für die dies auch noch eine Chance ist, sich dem sozialen Druck in der Heimat zu entziehen und das persönliche Leben in Ordnung zu bringen. Insgesamt aber bewerten Experten die Zunahme der Zahl von Frauen unter den Migranten als ein Zeichen dafür, dass eine größere Anzahl von Zugereisten plant, in Russland Fuß zu fassen.
„Bis zu 50 Prozent der aus Kirgisien in die Russische Föderation kommenden sind Frauen“, erklärten Teilnehmer der internationalen Konferenz „Das weibliche Gesicht der Migration“, die im Frühjahr in Jekaterinburg stattgefunden hatte. „Und der Anteil der einreisenden tadschikischen oder turkmenischen Frauen macht nicht geringer als zehn Prozent von der Gesamtzahl der Migranten aus diesen Ländern aus“. Wobei, während die Frauen früher als Familienangehörige kamen und nur episodisch eine Anstellung gefunden hatten, in den vergangenen Jahren ein Trend zu deren Involvierung in die Migration von Arbeitnehmern zu beobachten ist.
„Losgefahren sind die Frauen sowohl mit den Ehemännern als auch ohne. Und der Frauen-Zustrom bedeutet auch eine Zunahme der Anzahl der Migrantenkinder“, betonen Experten. Und der Zustrom von Frauen bedeutet auch eine Zunahme der Anzahl von Kindern der Migranten“, betonen Experten. Laut ungefähren Schätzungen sind unter den Menschen aus den GUS-Ländern, die in der Russischen Föderation eine Arbeitserlaubnis erhalten, sind rund zwanzig Prozent Vertreterinnen des sogenannten schwachen Geschlechts. Sie stellt man gern im Dienstleistungsbereich und in Privathaushalten als Haushälterinnen oder Kinderbetreuerinnen ein. Außerdem gestalten sich die Beziehungen der Migrantinnen mit Polizeibeamten besser. Und mit ihnen gibt es weniger Konflikte mit den Arbeitgebern.
Wie in einem Gespräch mit der „NG“ die Expertin des Forums von Migrantenorganisationen Galina Ragosina betonte, wurde die Einwanderung – hauptsächlich aus den Ländern Zentralasiens – traditionell als eine Männerdomäne angesehen. Dies wird „durch die Mentalität der Länder der Region bedingt, wo die Frau zu Hause sitzen und die Kinder erziehen soll“. Aber die Statistik, ja und auch die Praxis der letzten Jahre zeigen, dass es immer mehr Frauen im Rahmen der Migrationsströme werden.
„Wobei die Frauen-Migration wie auch die der Männer eine recht mannigfaltige ist: Hierher kommen sowohl gut ausgebildete als auch „Entrechtete““, unterstreicht Ragosina. „Wesentlich ist der Anteil von Witwen und Geschiedenen, für die die Reise nach Russland eine Chance ist, ihr Leben zu verändern. Es gibt jene, die den Ehemännern folgen oder zusammen mit ihnen kommen“.
Derzeit, unter den Bedingungen der schwachen Konjunktur, haben die Migrantinnen größere Chancen, einen Job zu bekommen, da sich einige Sektoren des Dienstleistungsbereichs als stabiler erweisen. Bauarbeiten oder die Fertigung in Industriebetrieben werden eingestellt. Es bleibt aber die Arbeit im Einzelhandel. Mehr noch, die Frauen können in vielen Fällen auch Männer ersetzen, indem sie als Kuriere oder in der Produktion arbeiten – dort, wo keine große physische Kraft erforderlich ist.
Zur gleichen Zeit sind die Experten der „NG“ davon überzeugt, dass die Zunahme der Zahl von Frauen unter den Migranten auch noch ein Zeichen dafür sei, dass eine immer größere Zahl von ausländischen Arbeitskräften bereit sei, in Russland Wurzeln zu schlagen. Wenn Familien kommen oder gebildet werden, bedeute dies, dass die Immigration die Migration ersetze. Für die Wirtschaft sei dies sogar vorteilhafter: Ein Migrant bringe Geld aus dem Land heraus, ein Immigrant aber lasse es im Land.
Dr. sc. jur. Ilja Schablinskij bestätigte, dass „unter den ausländischen Arbeitskräften – hauptsächlich Bürgern Zentralasiens – es mit jedem Jahr immer mehr Frauen werden“. Viele kommen zusammen mit den Ehemännern und Kindern. Es gibt aber auch nicht wenige Alleinstehende. Nicht wenige solcher Familien – nicht die Mehrheit, aber eine gewisse nicht geringe Menge – sind bereit, in Russland zu bleiben. „Wenn immer mehr Frauen kommen, bedeutet dies, dass ein etwas größerer Prozentsatz der aus den zentralasiatischen Stammenden bei uns Wurzeln schlagen kann. Möglicherweise ist die Zunahme dieser Bevölkerungsschicht für den Staat von Nutzen. Diese Menschen sind arbeitsliebend, trinken wenig, aus sozial-politischer Sicht aber passiv und anfällig“, betont der Experte.
Das, was für die Offiziellen von Vorteil ist, gefällt aber nicht immer den einfachen Menschen. Schablinskij ist sich gewiss, dass „die Verärgerung im Massenbewusstsein wird noch lange bestehen werden“. Der Staat aber muss einerseits die Rechte dieser Menschen einhalten – wie auch die der Bürger Russlands. Aber zu irgendeinem Zeitpunkt muss vielleicht diese Migration gestoppt werden. Dabei verschlechtert sich allmählich die sozial-ökonomische Situation. Unter den Bedingungen der Krise können sich auch die zwischenethnischen Beziehungen zuspitzen. „Wie der Staat in dieser Situation handeln muss und wie dieser Zustrom eingeschränkt werden kann – dies ist eine gesonderte schwierige Frage. Großbritannien beispielsweise hatte zu Zeiten von Margaret Thatcher versucht, sie zu lösen. Es hatte aber nicht sehr geklappt. In der Russischen Föderation wird dies ebenfalls nicht einfach werden. Wenn Millionen-Massen in einer Richtung eilen, ist es recht schwierig, dem Paroli zu bieten“, unterstrich der Gesprächspartner der „NG“.
Die Zunahme des Anteils der Frauen in den Migrationsströmen sei ein durchaus natürlicher Prozess, der von einer Transformation der äußeren Migration nach Russland zeuge, betonte Michail Burda, Dozent am Lehrstuhl für Politologie und politische Verwaltung des Instituts für Gesellschaftswissenschaften der Russischen Akademie für Volkswirtschaft und Staatsdienst, gegenüber der „NG“. Er selbst war früher Mitarbeiter des Föderalen Migrationsdienstes. Nach seinen Worten sei dies vor fünf Jahren noch ausschließlich eine Migration von Männern gewesen. Heute aber hätten sich die Migrationshorizonte mit Blick auf den Arbeitsmarkt erheblich erweitert. „Darunter durch den Dienstleistungsbereich, wo gerade die Frauenbeschäftigung zu einer immer offensichtlicheren wird“.
Ungeachtet der Krise und der COVID-19-Pandemie lasse, so weiter Michail Burda, die Migrationsattraktivität der Russischen Föderation nicht nach. Und der Bedarf an auswärtigen Arbeitskräfteressourcen sowie der Migrationslobbyismus einzelner Beamter und gesellschaftlicher Organisationen würden immer mehr Wirtschaftsbereiche zu migranten-abhängigen machen. Dies verursache ebenfalls die Zunahme der Anzahl von Migrantinnen. Dabei könne, unterstreicht Burda, die Frauen-Migration nicht nur einen Arbeitscharakter tragen. Er erinnerte auch an solch ein Phänomen wie die „Schwangerschafts-Migration“: „Die Behörden Moskaus zahlen nicht nur den Bürgerinnen Russlands, die Kinder zu Welt bringen, Beihilfen, sondern auch Migrantinnen – 20.000 Rubel (etwas mehr als umgerechnet 241 Euro) für jedes Kind oder 700 Millionen Rubel im Jahr. Dies ist auch ein gewichtiger Stimulus, um nach Russland zu kommen“.
Einerseits werde die Frauenmigration, wenn man im Kontext einer Migrantenfamilie spricht, deren effektivere Integration in die aufnehmende Gesellschaft fördern, ist der Gesprächspartner der „NG“ überzeugt. Andererseits könne die demografische Aktivität der Migranten hinsichtlich der einheimischen Bevölkerung den Effekt eines ethnischen Ersetzens in der langfristigen Perspektive auslösen. In der kurzfristigen aber eher eine Zunahme der sozialen Belastung für das System des Gesundheitswesens sowie der Schul- und Vorschulausbildung.
Die Migration von Arbeitnehmerinnen werde sich auch weiter aktiv entwickeln, ist sich Georgij Fjodorow, Chef der Bewegung „Bürgersolidarität“, sicher, zumal für diese alle Bedingungen geschaffen werden. Allgemein bekannt sei das Problem einer massenhaften Beseitigung von Arbeitsplätzen in den Gesundheitseinrichtungen hinsichtlich des medizinischen Personals der unteren Ebene. Dieses habe man durch Reinigungskräfte ersetzt. „Und wir sehen, wie schnell die Plätze dieser Reinigungskräfte Frauen aus den mittelasiatischen Ländern eingenommen haben. Solche Mitarbeiterinnen sind für die Arbeitgeber sehr bequem. Sie sind billig und pochen nicht auf ihre Rechte. Folglich erweitert sich ständig der Spielraum für die Anstellung von Gastarbeiterinnen“.
Daneben müsse man, fügte er hinzu, auch die Veränderung der Mentalität der Frauen an sich berücksichtigen, die aus den Ländern der ehemaligen UdSSR kommen. Sie seien schon bereit, in traditionellen Männerberufen zu arbeiten.