Die Europäische Union hat sich vom turkmenischen Erdgas losgesagt. Dies wurde nach der dieser Tage stattgefundenen turnusmäßigen Tagung des Gemeinsamen Komitees Europäische Union – Turkmenistan deutlich, in deren Verlauf ein Handels- und Kooperationsabkommen erörtert wurde. Das scheinbar routinemäßige Treffen bescherte dieses Mal Überraschungen, wenn auch hinter den knappen bürokratischen Formulierungen verborgene.
„Die EU ist der viertgrößte Handelspartner Turkmenistans. Ein Großteil des Exports von Turkmenistan in die EU sind Erzeugnisse, die mit Kohlenwasserstoffen verbunden sind. Da die EU und andere Handelspartner eine Dekarbonisierung ihrer Wirtschaft vornehmen und den Import von Kohlenwasserstoffen reduzieren werden, muss Turkmenistan seinen Außenhandel diversifizieren“, heißt es in einer Pressemitteilung der EU-Delegation bei den Verhandlungen. Faktisch setzt diese Passage einen Punkt in der langen Intrige unter dem Titel „Transkaspische Gaspipeline“, die turkmenisches Gas auf den europäischen Markt unter Umgehung Russlands bringen sollte und ein untrennbarer Bestandteil solcher Projekte wie „Nabucco“ und „Südlicher Energiekorridor“ war, die durch das US-Außenministerium und Strukturen der Europäischen Union zu verschiedenen Zeiten lobbyiert wurden. Andererseits hatten die turkmenischen Offiziellen diesen Ideen (und den Intrigen) als spekulatives Argument bei den Verhandlungen mit „Gazprom“ über den Verkauf turkmenischen Erdgases ständig Unterstützung bekundet.
Und natürlich sieht die Türkei, in dem sie unter ihrer Ägide den Rat der Turk-Staaten zusammenzimmert und Turkmenistan mit allen Mitteln in diesen zu holen sucht, als eine der Hauptprioritäten ihre Kontrolle über die Gas-Route aus Turkmenistan nach Europa, wie dies bereits mit ähnlichen Routen aus Aserbaidschan getan wurde.
Die ganzen Intrigen der Hauptakteure um den Zugang zu den Gaslagerstätten Turkmenistans könnte man der neuen Runde des Setzens auf eine Karte (des „Big Games“) zuschreiben, wenn es da nicht einen Haken geben würde. Der Wunsch, in diesem Spiel zu gewinnen, hatte den Westen lange Zeit dazu veranlasst, die Augen vor der erbärmlichen Lage um die Menschenrechte in Turkmenistan zu verschließen. Nein, periodisch wurde Kritik an die Adresse der turkmenischen Offiziellen laut, aber nur dann, wenn es ganz und gar unanständig war zu schweigen – als Antwort auf die massenhaften Repressalien, die durch den ersten Präsidenten Turkmenistans (Saparmurat) Nijasow veranlasst worden waren, auf die Zerschlagung der Zivilgesellschaft, auf das Vorgehen und die Repressalien gegen Journalisten und Ökologen. Anfangs unwillig, langsam, unter dem massiven Druck der Kampagne von Menschenrechtlern „Zeigt sie lebend“ und deren Anhängern, haben die westlichen Strukturen oder die westlichen Bestandteile internationaler Organisationen – der OSZE und der UNO – das Problem der in turkmenischen Gefängnissen Verschwundenen anerkannt und es auf die Tagesordnung der Verhandlungen mit den Offiziellen Turkmenistans gesetzt. Der frühere schweizerische Präsident Didier Burkhalter, der seinerzeit den Vorsitz in der OSZE führte, Bundeskanzlerin Angela Merkel und (frühere) US-Außenminister John Kerry hatten diese äußerst unbequeme Frage Präsident Gurbanguly Berdymuchamedow gestellt.
Die Sache ging so weit, dass sich das Europäische Parlament ungeachtet des vehementen Drucks der Energie-Lobbyisten und innerparlamentarischen „Freunde Turkmenistans“ weigerte, eben jenes Handels- und Kooperationsabkommen zu ratifizieren. Wenn man genauer ist, so hatte angesichts der Unversöhnlichkeit des prinzipiell stärksten Teils der Euro-Parlamentarier und der Perspektivlosigkeit eines Durchkommens dieses Abkommens durch das Europäische Parlament die turkmenische Seite gebeten, es von der Abstimmungsliste zur Vermeidung öffentlicher Debatten aus dessen Anlass zu nehmen, was auch getan wurde. Im Verlauf mehrere Jahre erklingt der Satz „Das Ausbleiben eines Fortschritts auf dem Gebiet der Menschenrechte besitzt eine Schlüsselbedeutung für die Ratifizierung des Partnerschafts- und Handelsabkommens durch das Europäische Parlament.“ Ständig aus dem Munde der europäischen Verhandlungsführer. Und gerade diese Formulierung erklang ein weiteres Mal beim jüngsten Treffen des Komitees Europäische Union – Turkmenistan.
Zweifellos hat eine gewaltige Rolle dabei, dass das turkmenische Gas den Status eines „toxischen“ erlangte, die Veröffentlichung der Nachrichtenagentur Bloomberg über Fernerkundungen von Methanemissionen auf Gasfeldern in der Infrastruktur, die das Gas aufbereitet und für einen Transport vorbereitet, gespielt. Durchgeführt wurden sie im Verlauf der letzten Jahre. Die Spektralaufnahmen aus dem Weltall, die von der kanadischen Firma GHGSat Inc. analysiert wurden, hatten auf dem Territorium Turkmenistans „eine der größten Methan-Emissionen, die jemals in Realzeit beobachtet worden sind, festgehalten“. Die weiteren Untersuchungen machten das vorhandene Bild noch dramatischer. Die Dimensionen der Metha-Emissionen auf dem Territorium Turkmenistans schockieren.
„Diese (Methan-) Schleifen waren ein Beleg dafür, was die Klimaforscher lange vermutet hatten. In der Welt besteht ein ernsthaftes Problem mit den Methanemissionen aus Turkmenistan. Das farb- und geruchlose Methan ist die größte Komponente von Erdgas und kann in großen Mengen aus Energieobjekten entweichen, deren Führungskräfte nicht versuchen, dies zu stoppen… Von den 50 ernsthaftesten Methan-Emissionen bei Erdoperationen mit Erdöl und Erdgas, die seit dem Jahr 2019 durch das Unternehmen Kayrros SAS, das sich mit Fragen eines Monitorings befasst, analysiert wurden, entfallen 31 auf Turkmenistan. Laut Schätzungen der Internationalen Energieagentur waren dessen gesamten Methan-Emissionen nur hinter Russland und den USA zurückgeblieben, in denen die Energieindustrie erheblich größer ist“, heißt es in einem Report.
„Im Zusammenhang mit dieser Geschichte hatte Bloomberg Green bei offiziellen Vertretern des turkmenischen Energieministeriums und des Außenministeriums, aber auch des staatlichen Gaskonzerns „Turkmengaz“ um Kommentare gebeten. Keiner antwortete… Das totalitäre politische System Turkmenistans und der Grad des Personenkults, den Berdymuchamedow für die Festigung seiner Herrschaft etablierte, löst Vergleiche mit einem anderen Emeriten-Reich aus. Sie müssen wirklich auf dies wie auf Nordkorea ohne eine Bombe schauen“, sagt Professor Luca Anceschi von der University of Glasgow, der die Regimes in Zentralasien untersucht.
Die Verhandlungsführer seitens der EU hatten bei dem eingangs erwähnten Treffen die Offiziellen Turkmenistans aufgerufen, sich der Initiative „Global Methane Pledge“ anzuschließen, wobei sie sich gerade auf diese Daten über die Methan-Austritte stützten, denn der Maßstab der Klimagefahren ist wirklich beispiellos. Unter Berücksichtigung der Brisanz der Klima-Agenda in Europa hatten die Verhandlungsführer der EU einfach keine andere Wahl.
Das turkmenische Erdgas ist für Europa zu einem toxischen geworden. Ist das turkmenische Regime selbst nun an der Reihe?