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Die Tragödie eines Buches über eine Tragödie


Das Buch „Und die Hölle folgte ihm… Das Leben und Schicksal von Anatolij Kusnezow“ von Pawel Matwejew über den Schriftsteller Anatolij Kusnezow und sein Hauptwerk – den dokumentarischen Roman „Babij Jar“ – ist genau 80 Jahre nach den bekannten Ereignissen, die sich am damaligen Stadtrand von Kiew ereignet hatten, erschienen. Im Herbst 1941 hatten dort Massenerschießungen begonnen. Innerhalb von zwei Tagen hatten die Nazis in Babij Jar über 33.000 Juden erschossen. Insgesamt aber wurden auf dem Territorium des Waldgebietes laut unterschiedlichen Angaben 70.000 bis 200.000 Menschen umgebracht. Ein Vierteljahrhundert später erschien auf den Seiten der Moskauer Zeitschrift „Junost“ der Roman Kusnezows, der der Tragödie gewidmet war.

Ausführlich über die Geschichte dieser Veröffentlichung erzählend, unterstreicht Matwejew, dass sie – die Publikation — durch die Zensur brutal verschandelt, „vergewaltigt“ worden war. Der Literaturwissenschaftler stellt die gekürzte Romanversion, die in der Literaturzeitschrift veröffentlicht wurde, der ersten unzensierten Ausgabe von „Babij Jar“, die 1970 im Westen erschienen war, gegenüber. „Jedem Leser, der über eine adäquate Wahrnehmung von Informationen verfügt, muss offensichtlich werden, was gerade die sowjetische Zensur aus dem Text von Anatolij Kusnezow herausgestrichen hatte: Zu ihrem Opfer wurden vor allem jegliche, selbst die am meisten verschleierten Analogien zwischen Hitler und Stalin, zwischen dem Nazismus und dem Bolschewismus…“

„Und die Hölle folgte ihm…“ ist nicht nur ein Buch über das Schicksal des Schriftstellers und seines Romans. Dies ist in Vielem eine Untersuchung der Besonderheiten des sowjetischen Staatsaufbaus. Und Matwejew macht aus seiner Haltung zu ihm keinen Hehl, indem er das Regime als ein totalitäres bezeichnet. Die einen Schriftsteller hatten sich mit diesem Regime abgefunden, andere – führten einen Kampf. Kusnezow wollte auf jeden Fall seinen Roman, sein Dokument in einer auf maximaler Weise vollständigen und in einer Form herausbringen, die durch nichts und durch keinen entstellt wurde. Ja, letztlich ist ihm dies gelungen, aber für was für einen Preis… In Russland aber und in der Ukraine begann man, erst beginnend ab 1991 die unzensierte Version von „Babij Jar“ aufs Neue zu verlegen.

Pawel Matwejew hat in das im Kiewer Verlag „Summit-Kniga“ erschienene 206 Seiten umfassende Buch vier Essays aufgenommen. Drei von ihnen wurden früher in den Literaturzeitschriften „Znamja“ („Das Banner“) und „Etaschi“ („Etagen“), aber auch auf dem Internetportal www.colta.ru publiziert. Das vierte – „Kusnezow und Jewtuschenko“ – wird erstmals veröffentlicht. Darin wendet sich der Biograf dem Gedicht von Jewgenij Jewtuschenko über Babij Jar zu, das 1961 veröffentlicht wurde. Doch es war aber an dem Tag konzipiert worden, als die beiden miteinander befreundeten Autoren zusammen an eben jene Kiewer Schlucht gekommen waren. Wie aber haben sich auf unterschiedliche Art und Weise ihre weiteren Lebenswege gestaltet!

Das Sowjetsystem ist vor dreißig Jahren zusammengebrochen. Es schien, dass man beginnen konnte, absolut frei die Wahrheit zu sagen. Doch warum bleiben in der Gesellschaft nach wie vor so viele Meinungsverschiedenheiten?

Anmerkung der Redaktion von „NG Deutschland“:

Im erwähnten Gedicht „Babij Jar“ von Jewgenij Jewtuschenko (zu dem Dmitrij Schostakowitsch seine 13. Sinfonie komponierte) gibt es unter anderem die folgenden Zeilen in einer Nachdichtung von Jörg Morgener:

Die Ängste in Russland sind tot,

Wie Phantome aus alter Zeit,

Alten Frauen gleich im grauen Kleid,

Die vor Kirchen erbetteln ihr Brot.

 

Einst erlebten wir alle mit Schrecken

Die Triumphe der Lügenbagage.

Ängste lauerten rings in den Ecken

Und verschonten nicht eine Etage,

Zähmten die Menschen mit hämischer Fratze,

Druckten allem ihr Siegel auf…