Die sprunghafte Anhebung der Genusssteuern vor dem Hintergrund der stagnierenden Einkommen der Bürger hat die Nachfrage nach illegalen Tabakerzeugnissen in Russland angeheizt. Wie der Rechnungshof mitteilte, habe sich der Anteil des Schwarzmarktes in der Russischen Föderation innerhalb von fünf Jahren um ein Zehnfaches vergrößert. Und die Verluste des föderalen Haushaltes seien um das 15fache gestiegen und nähern sich der 100-Milliarden-Rubel-Marke im Jahr. Laut Expertenprognosen könne sich der Anteil des illegalen Marktes noch um das 3- bis 4fache vergrößern, wenn das föderale Zentrum weiter die Tabaksteuer drastisch anhebe, ohne die Vorgehensweisen in Bezug auf eine Umverteilung der Mittel zwischen den Regionen zu ändern.
Im laufenden Jahr 2021 sind die Genusssteuersätze für beinahe alle Arten von Tabakerzeugnissen in Russland um 20 Prozent angehoben worden, was den Unmut sowohl des Business als auch der Experten-Gemeinschaft auslöste. Gleichzeitig nimmt Jahr für Jahr der Anteil der illegalen Realisierung von Tabakerzeugnissen im Land zu. Diese Faktoren seien, wie der Rechnungshof mitteilte, zu einem Anlass geworden, die Situation zu analysieren.
Mit dem Verwalten der Verbrauchssteuern befassen sich der Föderale Steuerdienst und der Föderale Zolldienst. Laut Angaben des Rechnungshofs hat sich in absoluten Zahlen der Umfang der Haushaltseinnahmen aus den Genusssteuern insgesamt auf die Tabak- und nikotinhaltigen Erzeugnisse um 27 Prozent erhöht – etwa von 483 Milliarden Rubel im Jahr 2016 bis auf 613 Milliarden Rubel im Jahr 2020.
Derweil präzisieren aber die Auditoren: Wenn man die am meisten verbreitete Art von Tabakerzeugnissen – Zigaretten und Papirossa (Zigarettenhülsen mit Mundstück – Anmerkung der Redaktion) – und die Tatsache, dass zwar der Steuersatz eine ständige Tendenz zur Steigerung aufwies, nimmt, „dies nicht immer eine Zunahme der Einnahmen aus den Genusssteuern sicherte“.
„Im Zeitraum 2016-2020 wurde eine signifikante Zunahme der Sätze für die Tabaksteuer registriert. Der Steuersatz für die am meisten verbreitete Art von Tabakerzeugnissen – für Zigaretten und Papirossa – ist um das 1,9fache angehoben worden. Der Umfang der realisierten Erzeugnisse ist im Jahr 2020 um das 1,4fache im Vergleich zum Jahr 2016 zurückgegangen“, teilten Vertreter des Rechnungshofs mit. Allem nach zu urteilen geht es nicht nur um eine Verringerung des Genusses aufgrund dessen, dass sich die Menschen für eine gesunde Lebensweise entschieden haben oder zu elektronischen Zigaretten übergegangen sind, sondern auch um eine sprunghafte Zunahme einer ungesunden Nachfrage nach illegalen, nicht von der Tabaksteuer erfassten Erzeugnissen.
„Vor dem Hintergrund der Erhöhung der Genusssteuern ist eine Zunahme des Anteils der illegalen Realisierung von Tabakerzeugnissen zu beobachten. In einigen Regionen macht sie über 40 Prozent aus“, betonte man im Rechnungshof. Unter Berufung auf Angaben der internationalen Agentur Kantar TNS Russia meldete der Rechnungshof, dass der Anteil der illegalen Tabakerzeugnisse von 1,1 Prozent im Jahr 2016 bis auf 10,7 Prozent im laufenden Jahr angestiegen sei, wobei er im Jahr 2020 gar 12,7 Prozent ausgemacht hätte.
Laut einer Schätzung des Rechnungshofs „macht die Summe der Verluste des föderalen Haushalts durch den Verkauf illegaler Tabakerzeugnisse im Zeitraum 2016 — 1. Halbjahr des Jahres 2021 295,6 Milliarden Rubel aus“. In den vergangenen fünf Jahren – von 2016 bis einschließlich 2020 – haben die Verluste der Staatskasse vor dem Hintergrund des illegalen Absatzes um etwa das 15fache zugenommen. Und allein im vergangenen Jahr haben sie schon beinahe 100 Milliarden Rubel ausgemacht.
„Die Schätzung ist auf der Grundlage von Zahlen des Föderalen Steuerdienstes und der Steuerdeklarationen über den Umfang der Realisierung von Zigaretten (Papirossa) und Daten von Kantar TNS Russia über den Anteil des illegalen Marktes vorgenommen worden. Bestimmt wurde der Umfang des illegalen Absatzes der ausgewiesenen Erzeugnisse. Ausgehend vom Umfang des Absatzes der Erzeugnisse und der Summe der Tabaksteuer ist der mittlere Steuersatz für die Genusssteuer auf Zigaretten und Papirossa bestimmt worden. Und unter Anwendung dieser ist der Umfang der Verluste hinsichtlich der Genusssteuer auf Zigaretten (Papirossa) und in Bezug auf die Mehrwertsteuer geschätzt worden“, erläutert der Rechnungshof.
Eine der Vorschläge des Rechnungshofes besteht darin, einen Teil der Einnahmen aus den Tabaksteuern an die konsolidierten Haushalte der Regionen zu übergeben, um sie dazu zu stimulieren, den Markt legaler zu machen (gegenwärtig gelangt die Tabaksteuer direkt in den föderalen Haushalt). Im Finanzministerium beeilt man sich aber nicht mit einer Billigung solch einer Idee.
Wie der „NG“ der Direktor für Rechtsfragen und äußere Kommunikation des Konzerns BAT für die Subregion Russland, Zentralasien und Weißrussland, Oleg Barwin, mitteilte, hätten zu einer Zunahme des Marktes der illegalen Zigaretten in Russland drei Faktoren geführt: die drastische Anhebung der Genusssteuern, die Verringerung der zur Verfügung stehenden Realeinkommen der Bevölkerung und der auf maximale Weise freie Warenverkehr zwischen den Mitgliedern der Eurasischen Wirtschaftsunion (EAWU).
„Im Ergebnis des Preisanstiegs sind die legalen Erzeugnisse in der Russischen Föderation für die Konsumenten weniger erschwinglich geworden. Zugenommen hat die Nachfrage nach illegalen Zigaretten aus anderen Ländern der EAWU, wo die Preise für eine Schachtel nur die Hälfte oder ein Drittel im Vergleich zu den russischen ausmachen“, teilte er mit.
„Das weitere Wachstum des Marktes für illegale Tabakerzeugnisse können nicht punktuelle, sondern nur komplexe gesetzgeberische Maßnahmen stoppen, aber auch eine Indexierung der Genusssteuern nicht höher als die Inflationsrate“, meint Barwin. Die Situation auf dem Markt hänge auch von der Genusssteuer-Politik der Länder der EAWU ab. Die Kluft hinsichtlich der Steuersätze provoziere derzeit illegale Zigarettenlieferungen nach Russland, präzisierte der Gesprächspartner der „NG“. Daher seien nach seinen Worten übernationale Maßnahmen erforderlich.
„Die Gewährleistung eines moderaten Tempos für die Anhebung der Sätze der Genusssteuern zwecks Vermeidung einer Zunahme des illegalen Handels vermag ein stabiles Wachstum der Steuereinnahmen zu sichern“, ist sich auch Wassilij Grusdjew, Direktor des Tabakkonzerns JTI Russland für die Arbeit mit den staatlichen Behörden, gewiss. Wie er sagte, müsse man neben einer ausgewogenen Akzisen-Politik „die Arbeit zur Vervollkommnung der Gesetzgebung für die Bekämpfung des illegalen Zigarettenumsatzes fortsetzen, die Rechtsanwendungspraxis in allen Regionen des Landes ständig verbessern, eine strafrechtliche Verantwortung für den illegalen Transport von Tabakerzeugnissen im großen Umfang über die Staatsgrenze der Russischen Föderation einführen, die Ordnungsstrafen für den Verkauf illegaler Erzeugnisse um ein Mehrfaches anheben sowie eine obligatorische Registrierung der technologischen Anlagen für die Herstellung von Tabakerzeugnissen einführen“. Im Rahmen der EAWU sei es wichtig, die Abstimmung des Entwurfs für das Abkommen über die Verwendung von Navigationsplomben zwecks Nachverfolgung der Bewegung en von mit Akzisen zu belegenden Erzeugnissen zu beschleunigen, meint der Experte.
Das russische Ministerium für Industrie und Handel stimmt dem zu. Unterpfand für den Erfolg seien eine Unifizierung der Technologien für die staatlichen Markierungssysteme, die durch die Länder der EAWU zu schaffen sind, einheitliche Regeln und eine Annäherung der Gesetzgebung. Dabei lenkte Viktor Jewtuchow, Staatssekretär und stellvertretender Industrieminister, in seinem Kommentar für den Bericht des Rechnungshofs die Aufmerksamkeit darauf, dass „durch die Einführung des Markierungssystems in der Tabakbranche in Russland der Umfang des illegalen Umsatzes von Tabakerzeugnissen von 15,6 Prozent im Jahr 2019 bis auf 10,7 Prozent zu Beginn des Jahres 2021 zurückgegangen ist“.
Im laufenden Jahr ist eine Verringerung des Anteils zu beobachten. Dies sei aber, wie sich aus den Materialien des Rechnungshofs ergibt, eine zeitweilige Erscheinung. „Bedingt wird sie durch die verstärkte Kontrolle an den praktisch geschlossenen Zollgrenzen der Russischen Föderation außerhalb der EAWU aufgrund der Verhängung von restriktiven Maßnahmen wegen der großen Verbreitung der neuen Coronavirus-Infektion“.
Experten schlagen auch andere Maßnahmen zur Verringerung des illegalen Umsatzes vor. Wie der Leiter der Branchen-Nachrichtenagentur „Russischer Tabak“ Maxim Koroljow meint, „muss man die Wahrnehmung der Funktionen zur digitalen Markierung von einem Privatunternehmen an ein Staatsorgan unter der Kontrolle des Finanzministeriums oder des Föderalen Steuerdienstes übergeben“, aber auch, wie gleichfalls der Rechnungshof vorschlägt, „die Hälfte oder zumindest ein Drittel des Akzisen-Erlöses des föderalen Haushalts den Regionen proportional dem Erlös aus den legalen Zigarettenverkäufen in jedem Subjekt der Föderation zukommen lassen“.
Dabei warnte Koroljow, dass, „wenn die zügellosen Sprünge der Akzisen-Sätze andauern, wir die „Talsohle“ noch lange nicht zu sehen bekommen werden. Und der Anteil des illegalen Tabaks kann 30 bis 40 Prozent nicht nur in einzelnen Regionen, sondern auch im Durchschnitt im Land erreichen“. Nach seiner Meinung verhindere eine grundlegende Verbesserung der Situation das Fehlen eines einheitlichen Zentrums für das Treffen von Entscheidungen hinsichtlich der Regulierung der Tabakfragen. Die Vorgehensweisen des Gesundheitsministeriums, des Industrie- und Handelsministeriums sowie des Finanzministeriums seien keine abgestimmten. „Das Gesundheitsministerium beispielsweise ignoriert scheinbar das Problem des illegalen Markts. Und die 300 Milliarden Rubel Haushaltsverluste machen es nicht verlegen“, erklärte Koroljow.
Vizegesundheitsminister Oleg Salagaj, der im Bericht des Rechnungshofs zitiert wird, teilte mit, dass laut Forschungsarbeiten eine Anhebung der Steuern auf Tabakerzeugnisse um durchschnittlich zehn Prozent den Konsum von Tabakerzeugnissen in den Ländern mit einem hohen Einkommensniveau um vier Prozent verringere, und um acht Prozent in Ländern mit einem geringen und mittleren Einkommensniveau. Die Erhöhung der Genusssteuern auf Tabakerzeugnisse würde erlauben, wie Salagaj präzisierte, nicht nur den Tabakkonsum sowie die damit verbundene Erkrankungsrate, Sterblichkeit und die Ausgaben des Gesundheitswesens verringern, sondern auch teilweise die Ausgaben für die Behandlung der Erkrankungen kompensieren.