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Was erwartet Russland in der europäischen Richtung?


Um den 6. bis 8. Dezember wird erwartet, dass die neue Regierungskoalition in Berlin, die als Ampel-Koalition (aufgrund der Farben der an ihr beteiligten Parteien — SPD, FDP und die Grünen) bekannt ist, bzw. zumindest der neue Bundeskanzler vereidigt wird. Im Zusammenhang damit mehren sich in der russischen Presse die Äußerungen hinsichtlich der künftigen Beziehungen Moskaus mit Berlin und Brüssel. Schließlich spielt in der Europäischen Union nach wie vor Deutschland als wirtschaftlich stärkstes Land die erste Geige.

Es ist klar, dass man über die künftigen Beziehungen nur anhand der ersten praktischen Schritte der Regierung in der Außenpolitik ein Urteil abgeben kann. Im umfangreichsten und 177 Seiten umfassenden Koalitionsvertrag ist Russland nicht gerade viel Raum eingeräumt worden. Die Deutsch-Russische Auslandshandelskammer hat den Vertrag analysiert und mehrere Themen ermittelt, die solche Fragen wie die Billigung der Verhandlungen zwischen Moskau und Washington zum Problem einer vollständigen Abrüstung „im substrategischen Bereich“ betreffen. Eine Zusammenarbeit mit Russland wird gleichfalls in solchen Bereichen wie beispielsweise Wasserstoff und Gesundheit sowie bei der gemeinsamen Bewältigung der Herausforderungen in Sachen Klima- und Umweltproblemen angestrebt. Begrüßt wird, dass die neue Koalitionsregierung ebenfalls für einen visafreien Reiseverkehr für solche Bevölkerungsgruppen wie zum Beispiel junge Menschen (unter 25) plädiere. Dabei gibt es im Koalitionsvertrag nicht eine Zeile weder über die wichtigsten wunden Punkte in den bilateralen Beziehungen noch über die Gaspipeline „Nord Stream 2“.

Die ganze Sache liegt daran, dass der Koalitionsvertrag ein Kompromiss von drei konträren (politischen) Kräften ist. Es ist kein Zufall, dass da der Nachrichtensender n-tv sogar von einer neuen Machtstruktur in Deutschland spricht, in der der Chef der Freien Demokraten Christian Lindner und der Co-Chef der Grünen Robert Habeck die Hauptrollen spielen würden. In der neuen Bundesregierung werden sie die Ämter des Finanzministers bzw. des Ministers für Wirtschaft und Klimaschutz übernehmen. Dies sind Schlüsselministerien für jegliche Regierung. Daher wagt n-tv die Schlussfolgerung, dass Olaf Scholz, der zum Kanzler gewählt wird, die zweite Geige spielen könne. Für die außenpolitische Tätigkeit ist aber die Tatsache wichtiger, dass die Vertreterin der Grünen — Annalena Baerbock — in der neuen Regierung das Auswärtige Amt übernehmen wird. Gerade sie aber zeichnet sich durch eine kritische Herangehensweise gegenüber Russland und den von Moskau unternommenen Schritten in der internationalen Arena aus. Es ist unnötig zu sagen, dass sie eine vehemente Gegnerin der Gaspipeline „Nord Stream 2“ ist, wobei sie diese als eine Waffe zur Ausübung von Druck auf Deutschland und Osteuropa ansieht. Es ist auch kein Zufall, dass Baerbock Kiew besuchte und nie in Moskau gewesen ist. Im Unterschied zu ihr war Anfang letzten Jahres Lindner nach Moskau gekommen. Doch das russische Außenministerium hatte ihm wenig Beachtung geschenkt, indem man ihn mit Treffen mit zweitrangigen Beamten abgespeist hatte. Zur gleichen Zeit aber hatte die Führung des russischen Außenministeriums den Führer der deutschen rechtspopulistischen Partei mit offenen Armen empfangen. Es kann angenommen werden, dass sich dahinter Groll im Zusammenhang mit den Auftritten Lindners zur Unterstützung des russischen Oppositionspolitikers Alexej Nawalny verbarg. Aber die rechtspopulistische „Alternative für Deutschland“ hatte nie Chancen besessen, irgendeiner deutschen Regierung selbst auf Länderebene anzugehören, während die Liberalen solche Chancen haben. Der bekannte deutsche Politiker, der erste Kanzler des Deutschen Kaiserreichs Otto von Bismarck hatte seiner Zeit betont: „Politik ist die Kunst des Möglichen“ (aus einem Gespräch mit Friedrich Meyer von Waldeck, Redakteur der St. Petersburger Zeitung, am 11. August 1867 – Anmerkung der Redaktion). Augenscheinlich zieht man es in Moskau bisher vor, draufgängerisch zu agieren und mögliche Partner zu verlieren.

Die wichtigste Frage, inwieweit es Kanzler Scholz unter den sich herausbildenden Bedingungen vermag, die Kontinuität des früheren Ministerkabinetts bei der Bewahrung der Beziehungen mit Moskau auf einem hinreichend akzeptablen Niveau zu sichern, damit man in Berlin die Meinung des Kremls vernehmen und berücksichtigen kann, bleibt vorerst ohne eine Antwort.