Wirtschaftlicher Nationalismus – Egoismus anstatt Globalisierung
Rasant nimmt die aus den Augen der russischen Beobachter entschwindende Evolution der Ideen in der Wirtschaftstheorie und -praxis zu. Die Dogmen, die auf den Thesen des glücklichen Moments der Zeiten des Washingtoner Konsens der ausgehenden 1980 und beginnenden 1990er Jahre basieren, segnen das Zeitliche. Die Berichte der UNCTAD (United Nations Conference on Trade and Development, Welthandels- und Entwicklungskonferenz der Vereinten Nationen), der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds jener Periode hatten nicht allzu sehr die Basisidee des anstehenden globalen Glücks verhehlt: öffne dich, vertraue, delegiere!
Der verborgene Sinn bestand in der nicht an die große Glocke gehängten Idee – zum Schnellhefter des weltweiten Wirtschaftsraums werden die transnationalen Konzerne. Gerade sie werden die Quelle des Transfers von Technologien und der Weitergabe von Führungspraktiken sowie das Instrument für den Zugang zu den Märkten sein. Das Wichtigste bestand aber darin, dass die Basisaufteilung der Hierarchien in der Welt fixiert wurde – das Zentrum und die Peripherie. Das Zentrum ist stets die Quelle des höchsten Mehrwertes, der durch das Wissen, die kreative Energie und die Managementideen des Westens erzeugt wird. Die Peripherie sind die Länder mit einer sich entwickelnden Wirtschaft. So sieht eben der Euphemismus für die Kennzeichnung der Wirtschaftssysteme der zweiten und dritten Ebene aus.
Gerade zu jenem Zeitpunkt haben jene der Bürger Russlands eine zusätzliche Ausbildung erhalten, die zu den Predigern der neuen Ordnung wurden. Ja, was schon für Prediger! Die meisten Geschäftsmänner jener Zeit und Beamten hatten sich doch zu diesem System von Anschauungen und Vorstellungen über den Basisaufbau der Welt bekannt.
Die wirtschaftliche Globalisierung forderte eine großangelegte Liberalisierung der Gesetzgebung in den meisten Ländern der Welt, um einerseits die Bewegung der Finanzströme in der direkten und entgegengesetzten (Ausführung des Gewinns) Richtung zu erleichtern, andererseits um dem ausländischen Kapital das nationale Regime eines voraussagbaren Funktionierens an jeglichem Punkt der Welt zu garantieren.
Ab Ende der 1980er, seit den Zeiten des Washingtoner Konsens (Wirtschaftsprogramm, das lange Zeit vom Internationalen Währungsfonds und der Weltbank propagiert und gefördert wurde – Anmerkung der Redaktion), erhielten diese Ideen eine gesetzgeberische Verankerung in den meisten Ländern unter der unablässigen Kreditkontrolle von Weltbank und IWF. Gerade damals machte der Umfang des unternehmensinternen Austauschs (in den transnationalen Konzernen) 80 Prozent des weltweiten Industriewarenaustauschs aus. Das heißt: Die Logik der Liberalisierung, die hinsichtlich der Form wie eine zwischen den Ländern aussah, erwies sich vom Wesen her als eine zwischen Abteilungen, die den transnationalen Konzernen erlaubte, die Unkosten eines jeden Gliedes ihrer Produktionskette zu reduzieren. Und alles war gut gelaufen, solang sich nicht herausstellte, dass in den letzten zehn Jahren zum Hauptbenefiziar des entstandenen System China geworden war.
Die Doktrin der geopolitisch eingeschränkten Souveränität
Die wunderbare Idee von den „globalen Wertschöpfungsketten“ stieß auf Donald Trump und sein Verständnis der internationalen Arbeitsteilung, wonach das Ungleichgewicht im Handel zugunsten der Volksrepublik China nicht als eine legitime Folge einer höheren Effizienz anerkannt werden könne. Die Kompensierung der Defizite mittels Tarife, der Hauptwaffe im Handel des 20. Jahrhunderts, hatte zuerst durch ihre demonstrative repressive Ausrichtung entmutigt, sich dann aber als ein zartes Gewächs im Vergleich zu den entfalteten Bannern des Sanktions- und diskriminierenden Drucks auf Peking an allen Fronten des finanziellen und wirtschaftlichen Zusammenwirkens der führenden Volkswirtschaften der Welt erwiesen.
Es wurde deutlich, dass das logische Ende für die 30 Jahre der leidenschaftlichen Apologie der Wirtschafts- und Finanzglobalisierung als eine Methode für das Erreichen einer globalen Effizienz von Produktion und Konsumtion gekommen war. Es ist bereits klar, dass die Globalisierung des alten Typs (der letzten 30 Jahre) angenommen hatte, dass der Hauptnutznießer der Finanz- und Handelsliberalisierung immer die westlichen Unternehmen, vor allem die transnationalen Konzerne sein werden. Die Globalisierung mit einem vorausbestimmten Pool von Gewinnern ist vorbei. Zuerst verhängten die Amerikaner sekundäre Sanktionen gegen russische Energieprojekte. Und später haben sie dem chinesischen Technologiegiganten Huawei verboten, Chips zu erwerben, die entsprechender US-Technologien hergestellt wurden. (Im Jahr 2019 macht der Umfang der Einkäufe dieser Komponenten allein in den USA 18,7 Milliarden Dollar aus.) Im Rahmen eben dieser Logik ist auch der Entzug aller US-amerikanischen Handels- und Finanzprivilegien für Hongkong zu sehen. Es sei daran erinnert, dass in Hongkong 1300 amerikanische Unternehmen tätig sind, 85.000 US-Bürger leben. Und der Handelsumsatz zwischen Hongkong und den Vereinigten Staaten macht 67 Milliarden Dollar aus. (Alle Daten gelten mit Stand für das Jahr 2020. – Anmerkung der Redaktion)
Es ist offensichtlich, dass die Strategie der USA von der Notwendigkeit ausgeht, mit der ganzen Kraft ihres Finanz- und Rechtspotenzials die Entwicklung der Schlüsselbranchen in den Ländern auszubremsen, die als Gegner eingestuft werden. Anders gesagt: Die Staaten, deren geopolitischen Interessen mit den Interessen Washingtons auseinandergehen, werden aus den globalen Lieferketten ausgeschlossen. Trump hatte vom Wesen her die Realisierung der Doktrin einer geopolitisch eingeschränkten Souveränität in Angriff genommen, deren Grundgedanke die Verleugnung der Rechte unabhängiger Staaten auf den Besitz geopolitischer Interessen und Präferenzen, die nicht mit den Interessen der Vereinigten Staaten abgestimmt sind, ist.
Großbritannien hatte den G7-Ländern, aber auch Australien, Südkorea und Indien vorgeschlagen, einen 10-Staaten-Pakt für die gemeinsame Entwicklung von G5-Technologien als ein Gegengewicht zur Volksrepublik China zu etablieren. Diese Initiative belegte, dass das Problem nicht in der spezifischen antichinesischen Energie von Trump bestand. Es ging um eine prinzipiell neue Herangehensweise an die Ausbremsung konkurrenzfähiger Projekte von Ländern, die die Merkmale eines völkerrechtlichen Subjekts besitzen. Die ganze Stärke der Staatsmaschinerie der USA ist bei einem stillschweigenden und furchtsamen Zuschauen des übrigen Westens (Europas, Japans, Australiens) auf eine Neuformatierung der Grundprinzipien der internationalen Wirtschaftskooperation mit einem Schwergewicht auf die nationalen egoistischen Wirtschaftsinteressen der Amerikaner ausgerichtet worden.
Zu einer praktischen Konsequenz solch einer Entwicklung der Situation wurde für Russland die Notwendigkeit, die Lieferketten in allen Wirtschaftsbereichen, die eine strategische Bedeutung besitzen, darunter die Rüstungsindustrie, zu überprüfen und in gegebenen Fällen zu revidieren. Es kann nicht zugelassen werden, dass irgendwer die Möglichkeit an sich diktiert, den einen oder anderen Typ von Erzeugnissen für zivile oder militärische Zwecke zu schaffen oder nicht. Zweifellos wird ein Abreißen von Kooperationsketten zu einer Zunahme der Kosten und Verringerung der wirtschaftlichen Effektivität führen. Aber in der gegenwärtigen Entwicklungsetappe der Beziehungen in der Welt muss man eine derartige Realität wie Erwachsene hinnehmen. Und zwar auf der Grundlage der modernen Prinzipien des Risiko-Managements.
Der asymmetrische Charakter der Informationen ist ein Hauptgrund für die Unvollkommenheit des Marktes und die entscheidende Ursache für die Nichtanerkennung einer Niederlage im Ergebnis des Wettbewerbs als eine ungerechte. Der Verlierer ist der Auffassung, dass er nicht aufgrund eigener Schwächen verloren hat, sondern aufgrund einer verdeckten staatlichen Unterstützung für den Konkurrenten. In Bezug auf China dominiert dieses Narrativ. Mehr noch, in den letzten Jahren sind laut Anweisung aus Peking in die Direktorenräte (Vorstände) aller Unternehmen im Land, darunter auch derjenigen mit einer ausländischen Beteiligung, Vertreter der Kommunistischen Partei Chinas eingezogen. Und eben dieses Narrativ ist bis zu der Behauptung verschärft worden: Alle chinesischen Unternehmen lassen sich in ihren Entscheidungen vor allem von den geopolitischen Interessen der KP Chinas leiten.
Jedes der hinsichtlich des Potenzials bedeutsamen Länder wird danach streben, dass zum Gewinner auf den wichtigsten Märkten in erster Linie die nationalen Champions werden. Das Misstrauen gegenüber den geopolitischen Verhaltensmotiven der „Partner“ liegt der Demontage der existierenden globalen Wertschöpfungsketten zugrunde. Die Losung Trumps „America First!“ („Amerika zuerst!“) verwandelte sich vor unseren Augen scheinbar allerorten in „Zuerst ich!“.
Die Zeit Keynes: In einer Rezessionsperiode ist es dumm, ausgeglichene Etats zu bewahren
In den Jahren der Great Depression (Großen Depression), in den 1930er, war der Brite John Maynard Keynes der Ökonom, der den größten Einfluss auf die praktischen Entscheidungen der Regierungen ausgeübt hat. Er hatte vorgeschlagen, die Gesamtnachfrage durch Staatsausgaben künstlich anzuschieben (effektive Nachfrage), was durch einen Multiplikationseffekt die lebenswichtigen Säfte des Kapitalismus aufs Neue fließen lässt.
In einem Brief an Präsident Roosevelt schrieb Keynes 1933: „Es ist nicht meine Aufgabe, bestimmte Ausgabenzwecke auszuwählen. Der Vorzug sollte jedoch denjenigen gegeben werden, die schnell und in großem Stile realisiert werden können, wie zum Beispiel die Sanierung der Eisenbahn. Das Ziel ist es, den Ball ins Rollen zu bringen“ (Quelle: https://keynes-gesellschaft.de/the-general-theory-1936/weltwirtschaftskrise-und-new-deal/brief-keynes-31-12-1933/).
Keynes wusste, dass Wirtschaftsexperten und Politiker seine proaktive Steuerpolitik attackieren würden. Die britischen und amerikanischen Finanziers (Beamte der Finanzministerien) idealisierten einen ausgewogenen Haushalt. Wenn aber die Regierungen den Empfehlungen von Keynes folgen würden, würde das Haushaltsdefizit zunehmen.
„Ja, na und?“, entgegnete Keynes. Während der Rezession sei es dumm, ausgeglichene Etats zu bewahren, da es in einem Haushalt zwei Teile gebe: die Steuereinnahmen und die Ausgaben. Da während der Rezession die Einnahmen einbrechen, verringern sich auch die Steuereinnahmen. Wenn sich eine Regierung um die Ausgeglichenheit des Haushalts Sorgen macht, so muss sie entweder die Ausgaben kürzen oder die Steuern anheben. Aber jede dieser Handlungen führt aufgrund einer Multiplikation zu einem weiteren Schrumpfen der Wirtschaft. Den Haushalt müsse man, meinte Keynes, entsprechend dem gesamten Geschäftszyklus ausbalancieren. Denn in der Zeit eines Prosperierens zahlen die Menschen mehr Steuern. Und die Regierung hat ein Haushaltsplus.
Keynes behauptete, dass eine Wiederherstellung beginnen werde, wenn man alle alten Leute aus dem Finanzministerium Britanniens und der Regierung der USA entlassen werde. Für Keynes bedeutete die Formulierung „die alten Leute aus dem Finanzministerium“, dass sie vom alten Wein der klassischen Wirtschaft berauscht seien, der sich nach seiner Meinung in Essig verwandelt hätte. Keynes hasste das Finanzministerium, das Geduld verschrieb und in der fernen Zukunft eine Gesundung versprach. „Was für einen Sinn hat solch eine Regierung“, fragte Keynes in seinem „A Tract on Monetary Reform“ von 1923. „In der fernen Zukunft sind wir alle tot“.
Nach Meinung des Nobelpreisträgers für Wirtschaftswissenschaften, des Amerikaners Joseph E. Stiglitz (erhielt ihn 2001 zusammen mit George A. Akerlof und Michael Spence für seine Arbeiten über das Verhältnis von Information und Märkten – Anmerkung der Redaktion), bestehe die Hauptlehre der letzten Finanzkrisen in dem Wissen, dass man sich schon längst hätte aneignen müssen: Die Marktwirtschaften an sich sind nicht effektiv, nicht stabil und nicht selbstkorrigierbar. Das Nichtbegreifen dieser Wahrheit bringt Risiken neuer Krisen hervor. Stiglitz erklärt, dass die Krisen ein vorrangig endogenes Wesen hätten.
Stiglitz beharrt: „Die keynesianische Politik der Wirtschaftsstimulierung kann nicht nur zu einem Wachstum des BIP führen, sondern auch strukturelle Veränderungen stimulieren. Dies ist umso effektiver, je genauer die staatliche Finanzierung vorgenommen wird. Und umgekehrt verlangsamen harte Sparmaßnahmen strukturelle Veränderungen“. Die Geldpolitik müsse nach Meinung des Nobelpreisträgers den Fokus in Richtung von Krediten und der Formierung von Krediten verlegen.
Bundeswirtschaftsminister Altmaier: für Deutschland die führenden Positionen bewahren und den ausländischen Investoren nicht erlauben, einen Vorteil aus der Krise zu ziehen
In was für eine Wirtschaftstheorie passen die Handlungen der Offiziellen der USA zwecks Bereitstellung von 2,9 Billionen Dollar für eine Rettung der Wirtschaft, der Business-Strukturen und Bürger, aber auch die Vorbereitung des Gesetzentwurfs über die Bereitstellung weiterer drei Billionen Dollar, von denen eine Billion geradewegs an die amerikanischen Bürger gehen werden? Und wohin, in was für ein theoretisches Modell ist die Entscheidung der Europäischen Union einzutakten – wenn sie von allen 27 Mitgliedsländern gebilligt wird -, 2,2 Billionen Dollar für eine Antwort auf die Probleme bereitzustellen, die durch das Coronavirus hervorgerufen worden sind? Japan hat ein Hilfspaket für die Wirtschaft im Umfang von 1,1 Billionen Dollar angekündigt. Und China – eines von beinahe 800 Milliarden Dollar.
Deutschland schnürte für die deutsche Airline Lufthansa AG ein 9,81-Milliarden-Dollar-Hilfspaket. Dies ist das größte Hilfspaket, das durch ein Land bereitgestellt worden ist. Der damalige Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier erklärte am 25. Juni 2020 unter anderem: „Dies ist eine gute Nachricht für die über 100.000 Beschäftigten. Es ist eine gute Nachricht für die Lufthansa als Unternehmen. Und es ist eine gute Nachricht für den Wirtschaftsstandort Deutschland“. Dabei würde Deutschland seine führende Position in der internationalen Luftfahrt bewahren, wobei er unterstrich, dass das gesunde und traditionsreiche Unternehmen, für das sich im Zusammenhang mit der Coronavirus-Pandemie Probleme ergeben hätten, auch in Zukunft weiter existieren könne. Die getroffene Entscheidung werde den ausländischen Investoren nicht erlauben, einen Vorteil aus der Krise zu ziehen.
Ihm pflichtete Frankreichs Wirtschafts- und Finanzminister Bruno Le Maire bei: „Die Situation ist äußerst klar… Es kann auch nicht die Rede davon sein, dass große französische Unternehmen – Industriegiganten – verschwinden“.
In den USA hatte man in das föderale Paket für eine Stimulierung der Wirtschaft 25 Milliarden Dollar für eine direkte Hilfe für die Fluggesellschaften vorgesehen, damit sie bis einschließlich September 2020 ihren Mitarbeitern die Gehälter auszahlen konnten. Die Gruppe American Airlines erhielt als Hilfe zwecks Auszahlung der Gehälter 5,8 Milliarden Dollar. Überdies hatte sie noch einen weiteren 4,75-Milliarden-Dollar-Kredit beantragt und führte mit dem Finanzministerium Verhandlungen über die Bedingungen für eine Kreditabsicherung. United Airlines bereitete sich darauf vor, einen Zuschuss von 5,4 Milliarden Dollar für Löhne und Gehälter zu bekommen, und hatte das Recht, auf einen 4,6-Milliarden-Dollar-Kredit Anspruch zu erheben. Die Gesellschaft Southwest Airlines erhielt 3,3 Milliarden Dollar für die Gewährleistung der Gehaltszahlungen und beantragte einen 2,8-Milliarden-Dollar-Kredit.
Diese Zahlen und die Position der Führung der entwickelten Staaten belegen, dass in Krisentagen jedes Land maximal pragmatisch handelt. Bewahrt werden die besten Unternehmen und die Branchen, die international wettbewerbsfähig sind. Keiner schickt sich an, irgendwem seinen Marktanteil abzutreten. Wobei dies ohne einen Blick auf die Nachbarn, Konkurrenten, Freunde, Feinde und internationalen Mentoren – die Theoretiker der Marktwirtschaft – getan wird. Die Aufgabe ist heute, auch nach mehr als anderthalb Jahren Corona-Pandemie: überleben, den Beschäftigungsgrad sichern und das Wirtschaftspotenzial für die Zukunft bewahren.
Herangehensweisen an die Makroregulierung in Russland brauchen Reformen
Hervorzuheben wäre, dass in den Jahren des zweifellosen Triumphs von Elvira Nabiullina als Chef der Zentralbank Russlands, die auf die Inflationsrate fokussiert ist, die Realeinkommen der Bürger unablässig zurückgegangen sind. Die Zentralbankchefin ist mit Funktionen eines Mega-Regulators ausgestattet. Entsprechend der Logik muss gerade sie für die Werte sowohl des Wirtschaftswachstums als auch der Zunahme der Einkommen die Verantwortung übernehmen. Dies ist aber nicht der Fall. Solch eine Lage der Dinge kann der Gesellschaft heute nicht recht sein und verlangt eine ernsthafte Korrektur.
Eine Trennung/Zuweisung der Ziele an einzelne Institutionen bzw. Ressorts kann aus bürokratischer Sicht als bequem erscheinen, doch aus der Sicht der Leitung der Makroökonomie hat dies keinen Sinn. Die Makroökonomie ist auf den Beschäftigungsgrad fokussiert, auf ein Wachstum, auf Stabilität und eine Verteilung der Ressourcen. Erforderlich ist ein hohes Niveau an Koordinierung des Einsatzes der verschiedenen Instrumente der makroökonomischen Politik, ausgehend von der Notwendigkeit des Erreichens der unterschiedlichen gesellschaftlichen Ziele.
Das Gleichgewicht, das sich ergibt, wenn unterschiedliche Menschen für verschiedene Instrumente verantwortlich sind und unterschiedliche Ziele verfolgen, ist für das Erreichen der gesamtnationalen Ziele kein optimales. Unter anderem ist eine stärkere Koordinierung der monetären und Fiskalpolitik notwendig. Es scheint, dass die gegenwärtige Etappe der radikalen Transformation der globalen Wirtschaftskontakte uns die Chance gibt, den Inhalt der wirtschaftlichen Basismodelle, die der makroökonomischen Regulierung zugrunde liegen, einer Revision zu unterziehen.
Es ist durchaus möglich, dass die Funktion des Megaregulators an ein neues Organ vom Typ eines Rates für Enzwicklung und Wachstum übergeht. Ihm könnten der Premier, die Minister für Finanzen, Wirtschaft und Industrie, der bzw. die ZB-Chef(in), ein Berater des Präsidenten sowie jeweils ein Vertreter der Großunternehmen und des Mittelstands und beider Parlamentskammern angehören. Die Entscheidungen des Rates müssten in sich die Ziele der Schaffung sowohl einer Inflationsstabilität als auch einer Investitions- und Innovationsattraktivität der Wirtschaft Russlands sowie einer Zunahme der Beschäftigung und der Einkommen vereinen.
Organisationskapital muss in den Schlüsselbranchen der Wirtschaft bewahrt werden
Vor dem Hintergrund der beispiellosen Kreditressourcen hinsichtlich des Umfangs, die für eine Rettung der Schlüsselunternehmen und Wirtschaftszweige der entwickelten Länder eingesetzt werden, muss unsere Regierung mutiger und umfangreicher analoge Handlungen in Russland vornehmen. Unternehmen, Belegschaften und das Potenzial für die künftige Entwicklung zu bewahren, ist das Hauptziel der Anstrengungen der Herrschenden. Bemerkenswert ist, dass die Hilfsprogramme im Westen auf eine konsolidierte Unterstützung der Gesellschaft und Politiker stoßen. Keiner spricht von Lobbyismus. Alle begreifen, dass es nach der Pandemie keine Zeit für ein Warmlaufen geben wird.
Die Kategorie „Organisationskapital“ bestimmt in der Praxis die Effektivität des Einsatzes von Investitionen. Es ist unmöglich, hochtechnologische Anlagen und Ausrüstungen ohne ein ganzes Netz, das aus Menschen mit der nötigen Qualifikation und den entsprechenden Technologien besteht, zu nutzen. Auch nicht ohne die Lieferanten, Konsumenten, Manager, Techniker, Instandsetzungskräfte, Marketing-Experten, Wachpersonal usw. Ebenso ohne eine wissenschaftliche Basis, die Ausbildung von Personal, ohne Mechanismen einer kollektiven Schulung sowie eine Neuausrichtung auf neue Parameter und Ziele, die durch die marktwirtschaftlichen Bewegungen diktiert werden, ohne Partner… Das Vorhandensein von Organisationskapital bestimmt die prinzipielle Möglichkeit einer Wirtschaft voraus, positiv auf Investitionen zu reagieren. Es genügt, sich der Zerstörung des Organisationskapitals in den Branchen des Maschinenbaus sowie des Flugzeug- und Schiffsbaus in den 1990er Jahren zu erinnern. Was für Probleme verspürt das Land nach wie vor bei der Entwicklung beispielsweise neuer Flugzeuge für die Zivilluftfahrt ungeachtet der kolossalen Investitionen und der staatlichen Unterstützung auf Präsidentenebene! In den letzten Jahren haben die führenden Unternehmen Milliarden Dollar ins Organisationskapital gesteckt. Ein Zusammenbruch der Unternehmen würde das Verschwinden eines riesigen Umfangs des angelegten Kapitals bedeuten, dessen Reproduktion von Null an praktisch unmöglich ist. Darin besteht der prinzipielle Unterschied des Preises für einen Arbeitsplatz im Einzelhandel, in der Gastronomie oder in Zustelldiensten und in den Unternehmen mit einem hohen Organisationskapital. Daher ist die Regierung bei Anerkennung des sozialen Wertes eines jeden beliebigen Arbeitsplatzes verpflichtet, sich nüchtern die Unkosten für die Wiederherstellung der Beschäftigungssituation in den verschiedenen Wirtschaftsbereichen vorzustellen.
Das Schuldenmodell der Wirtschaft als Hauptdriver für Wachstum und Entwicklung
Zu Beginn des Jahres 2020 erreichte die globale Verschuldung, die aus den Schulden der Haushalte, der Staaten und Unternehmen besteht, den Rekordwert von 253 Billionen Dollar. Das Verhältnis der globalen Verschuldung zum globalen BIP beträgt heute 322 Prozent. Das Verhältnis der Schulden zum BIP in den USA und in der Europäischen Union liegt bei 383 Prozent. Das Verhältnis der chinesischen Verschuldung zum BIP hat sich dem Wert von 310 Prozent genähert. In den sich entwickelnden Marktwirtschaften nehmen die Schulden rasch zu und machen 72 Billionen Dollar aus.
Es ist offensichtlich, dass sich die heutigen Volkswirtschaften dank Schulden erfolgreich entwickeln. Die Dimension der globalen und Landesverschuldung macht keinem Angst, veranlasst aber, eine verantwortungsbewusste makroökonomische sowie Kredit- und Finanzpolitik zu verfolgen, die bei den Subjekten der Schuldenbeziehungen Vertrauen auslöst. Vertrauen ist eine überaus wichtige Kategorie dieses Marktes. Hier kann Russland sowohl aus der Sicht der Instrumente und Produkte der Schuldenfinanzierung als auch aus der Sicht der Umfänge einer Kreditausstattung wachsen.
Die Stärke des Kapitalismus besteht in der Fähigkeit, die Risiken realistisch einzuschätzen und die zugänglichen Mittel für eine Korrektur der Situation einzusetzen. Die Geschichte ist reich an Beispielen dafür, wie Unentschlossenheit von Offiziellen, die sich unter dem Einfluss idealistischer Träume und Wünsche befanden, zu einer Katastrophe der Nation, des Staates bzw. des Imperiums führte.
Das Beispiel der Aluminiumindustrie
Ich möchte alles oben Gesagte am Beispiel der Aluminium-Branche des Landes illustrieren, dass ich aufmerksamer aufgrund dessen beobachte, da ich einst seine Probleme arbeitsbedingt in allen Einzelheiten gekannt hatte.
Erstens, die Metallurgie ist heute eine der innovativsten Branchen. Der Anteil der Investitionen, die für eine Rekonstruktion und Modernisierung in der Metallurgie-Branche eingesetzt werden, übersteigt wesentlich den Durchschnittswert für Russland und machte 27 Prozent im Jahr 2018 im Vergleich zu den durchschnittlichen 16 Prozent für alle Industriezweige aus. Dabei macht der Anteil der Investitionen für Maschinen und Anlagen am Gesamtumfang der Investitionen für eine Modernisierung in der Metallurgie rund 64 Prozent im Vergleich zum Durchschnittswert für die Wirtschaft von 30 Prozent aus. Innovativ aktiv sind etwa 31 Prozent der Unternehmen der Metallurgie-Branche im Vergleich zu den durchschnittlichen 13 Prozent im Land. Das russische Aluminium, das unter Einsatz von Strom aus Wasserkraft produziert wird, steht bei den Endverbrauchern in der Welt (Autoindustrie, Flugzeugbau, Design) hoch im Kurs, da dort die ökologische Reinheit des Produkts der Standard einer neuen Normalität ist.
Es sei daran erinnert, dass die Entschlossenheit des US-Finanzministeriums in Bezug auf Sanktionen gegen RUSAL (russischer Aluminiumhersteller, der weltweit auf Platz 2 liegt – Anmerkung der Redaktion) auf die kollektive Position hochrangiger Verbraucher des russischen Aluminiums im Westen (Giganten der Automobilindustrie) gestoßen ist, deren Meinung die Amerikaner aus Furcht von Antworthandlungen nicht ignorieren konnten. Ein rascher und qualitätsgerechter Ersatz für das ökologisch saubere und qualitativ hochwertige Produkt aus der Russischen Föderation ist nicht gefunden worden. Die russischen Aluminiumhersteller hatten es bereits verstanden, ihre Nische hinsichtlich einzelner Erzeugnis-Arten mit einem höheren Veredlungsgrad einzunehmen. Die Russische Föderation belegt beispielsweise weltweit den zweiten Platz hinsichtlich des Imports von Aluminium-Extrusionsprofilen durch die EU-Länder.
Die Konkurrenz – vor allem seitens der Volksrepublik China bleibt jedoch eine äußerst große. Und unter Berücksichtigung der wesentlichen Unterstützung der Regierung für die chinesischen Unternehmen ist sie auch noch eine ungleiche. Laut einer OECD-Einschätzung machte die staatliche Unterstützung für die chinesische Aluminiumindustrie in den Jahren 2013-2017 acht bis neun Milliarden Dollar für jeden Hersteller (Chalco oder China Hongqiao) aus.
Zweitens, die Aluminiumwerke sind große Arbeitgeber in den Regionen ihrer Anwesenheit. Und eine Einstellung ihrer Tätigkeit löst ernsthafte soziale Spannungen aus. Die Arbeitseinkommen in den Betrieben übersteigen in der Regel die durchschnittlichen in der jeweiligen Stadt oder Region insgesamt. Im Werk IrkAZ (Irkutsker Aluminiumwerk), das sich in der Stadt Schelechow des Verwaltungsgebietes Irkutsk befindet, beträgt der Durchschnittslohn 53.000 Rubel bei einem Durchschnittsverdienst von 43.000 Rubel in der Stadt und 45.000 Rubel in der Region. Außerdem ist die einheimische Wirtschaft in solchen Regionen (angrenzende Produktionsstätten, Auftragnehmer, der Dienstleistungsbereich – Transportwesen, Gastronomie, Handel, Sozialbereich) in der Regel eng mit dem die Stadt bestimmenden Unternehmen verbunden. Daher führt entsprechend dem Domino-Prinzip eine Einstellung der Arbeit zu einer Freisetzung von Arbeitskräften und einer Verringerung der Einkommen der Beschäftigten der liierten Unternehmen und des Dienstleistungsbereichs.
Drittens führt eine Drosselung der Produktion in der Aluminiumindustrie schnell zu einem Rückgang der Fertigung in einer ganzen Reihe angrenzender Zulieferer-Branchen sowie bei den Herstellern, die auf das Aluminium angewiesen sind, wodurch eine Ausdehnung der Krisenerscheinungen gefördert wird.
Bei der Herstellung von Aluminium handelt es sich um eine lange Kette mit einer großen Anzahl von großen Unternehmen – angefangen bei der Förderung der Rohstoffe und Tonerde-Aufbereitung bis zu den Aluminiumwerken, Gießereikomplexen und den Endherstellern (für Alu-Folie, Autofelgen, Verpackungsmaterialien usw.). Dabei ist es wichtig zu verstehen, wenn man in die Liste der systembildenden Unternehmen lediglich den einen Konzern – RUSAL – aufnimmt, dass dies heute acht Aluminiumbetriebe, drei Tonerde-Betriebe, zwei Bauxit- und eine Nephelin-Grube, drei Folienwalzwerke, zwei Silizium-Betriebe und zwei Betriebe für die Radherstellung auf dem Territorium des ganzen Landes sind.
Viertens, eine erzwungene Reduzierung der Produktion von Aluminium, die eine Fertigung mit einem ununterbrochenen Produktionszyklus ist, führt zu unersetzlichen Verlusten sowohl für RUSAL als auch für die Regionen, in denen der Konzern präsent ist. Das entscheidende Problem bei einer erzwungenen Unterbrechung der Aluminium-Schmelze ist der Ausfall der Elektrolyse-Anlagen (es kommt zu einer Bildung von Rissen). Dabei können sich die Kosten für neue Elektrolyse-Anlagen bis auf 4.000 Euro je eine Tonne Ausstoß belaufen. Für RUSAL besteht das Risiko einer Reduzierung der Produktionskapazitäten um 40 Prozent, was einen Produktionsstopp für Betriebe (die Aluminiumwerke von Kandalakscha, Wolgograd und Nowokusnezk) und eine Drosselung der Produktion im Bratsker und im Irkutsker Aluminiumwerk bedeutet. Der Neustart der Aluminiumerzeugung nach der Konservierung ist ebenfalls ein kostspieliger Prozess. Beispielsweise erforderte das Projekt zur Wiederaufnahme der Fertigung von Flüssig-Aluminium im Wolgograder Aluminiumwerk Kosten im Bereich von sieben bis acht Milliarden Rubel (die Fertigung war im Jahr 2013 eingestellt worden).
Fünftens, unter den Bedingungen der Krise werden den Hauptvorteil aus der Reduzierung der weltweiten Kapazitäten die Aluminiumhersteller aus China erzielen, die eine umfangreiche Unterstützung seitens des Staates genießen.
Unter den Bedingungen der Verlangsamung des Wirtschaftswachstums unternehmen die Offiziellen der Volksrepublik China Schritte für eine zusätzliche Stimulierung des Warenexports jener Wirtschaftssektoren, in denen überschüssige Kapazitäten auszumachen sind. Darauf verweist unter anderem die Steigerung der Aluminiumproduktion in China im I. Quartal des vergangenen Jahres (plus 2,2 Prozent) vor dem Hintergrund der im Land geltenden Quarantäne und der drastischen Schrumpfung des BIP.
Sechstens tangieren die signifikantesten Verluste unter den angrenzenden Sektoren einen der für die russischen Wirtschaft entscheidenden, die Energiewirtschaft.
Die Unterstützung der Aluminium-Industrie muss siebentens als eine Priorität der staatlichen Politik angesehen werden. Wobei die Hilfe nicht nur den eigentlichen Unternehmen der Branche gewährt werden muss, sondern auch den Aluminium-Verbrauchern.
Das Studium der Billionen-Dollar-Programme, die die Regierungen der westlichen Länder ihren Volkswirtschaften offerieren, erlaubt, die Schlussfolgerung zu ziehen, dass ihrer Ausarbeitung das Prinzip eines synchronen Aufschwungs aller Branchen – sobald die Arbeit wiederaufgenommen wird – zugrunde gelegt wurde. Es ist völlig offensichtlich, dass eine Unterfinanzierung zu einer Stagnation der Branchen und zu einer äußerst geringen Reduzierung der Effektivität der Investitionen führt. Der Geizige zahlt doppelt, wie banal dies auch klingen mag.
Meines Erachtens muss die Regierung unterschiedliche Varianten für eine Unterstützung der Branche erörtern, wobei sie die Realisierung aller Arten von Handlungen des Staates unter analogen Bedingungen inkl. einer Auffüllung der Reserven im Blick haben muss.
Ich möchte noch einmal die Logik meines Herangehens an das Problem wiederholen. Die Krise der Globalisierung — der ökonomische Nationalismus bzw. Egoismus – die Nutzung von Sanktionen als Mittel für eine Ausübung von Druck auf die Entscheidungen einzelner Länder – die Notwendigkeit, eigenständig strategisch wichtige Branchen als Grundlage der Souveränität und Verteidigungsfähigkeit – die Bewahrung des Potenzials der besten wettbewerbsfähigen Unternehmen und Industriezweige für diese Ziele.
Es heißt: Während der Wahlkampagne von 1980 hatte Ronald Reagan eine Reihe von Definitionen für Wirtschaftstermini vorgeschlagen: „Eine Rezession liegt vor, wenn Ihr Nachbar den Job verliert. Eine Depression ist, wenn Du selbst ohne einen Job bleibst. Eine Wiederherstellung bzw. Wiederbelebung liegt vor, wenn Jimmy Carter seinen Job verliert“. Ein lehrreiches Apokryph.