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Die Ukrainer bezifferten den Schaden durch den Konflikt mit Russland mit 400 Milliarden Dollar


Ukrainische Experten haben die Gesamtverluste durch die militärische Konfrontation mit der Russischen Föderation im Zeitraum seit dem Jahr 2014 im Bereich von 350 bis 450 Milliarden Dollar geschätzt. Die hauptsächlichen Wirtschaftsverluste Russlands hängen mit dem negativen Einfluss der Sanktionen zusammen und belaufen sich laut unterschiedlichen Berechnungen auf rund 100 Milliarden Dollar. Die flankierenden Ausgaben der Russischen Föderation, die mit dem Wiederaufbau der Krim und der Unterstützung der selbstausgerufenen Republiken zusammenhängen, sind weniger signifikant.

Durch den Verlust der Krim und eines Teils der Verwaltungsgebiete Donezk und Lugansk im Jahr 2014 hat sich das BIP der Ukraine um 8,5 Prozent verringert, teilte das ukrainische Institut für Politik in seiner Untersuchung „Der Preis des Krieges“ mit. Nach Aussagen der Autoren sei dies der erste systematische Versuch in der Ukraine, die wirtschaftlichen Verluste zu beurteilen, die durch die Verringerung des kontrollierten Territoriums und den Krieg im Osten des Landes entstanden sind.

Zuvor hatte Institutsdirektor Ruslan Bortnik bei der Ankündigung der Veröffentlichung des Berichts betont, dass die Gesamtverluste des Landes zwischen 350 bis 450 Milliarden Dollar ausmachen würden.

Im Zeitraum 2014-2020 hat sich das nominelle BIP der Ukraine um 33,6 Milliarden Dollar verringert. Die Anzahl der arbeitenden Unternehmen ist um 35 Prozent (740 Betriebe) zurückgegangen. Beobachtet wird ein erheblicher Einbruch des Ex- und Imports (Verluste im Umfang von 49,1 Milliarden Dollar). Unter Berücksichtigung dessen, dass es im Zeitraum von 2013 bis einschließlich 2021 zu einer Reduzierung des Exports nach Russland um 17,2 Milliarden Dollar und zu einer Zunahme des Exports in die EU-Länder um 1,8 Milliarden Dollar gekommen ist, kann man konstatieren, dass das Land vom Wesen her rund 15,4 Milliarden Dollar seines Exports verloren hat, betonen die Autoren des Reports. „Daher haben die erklärte Umorientierung mit Blick auf die Auslandsmärkte auf die Europäische Union und die Vorteilhaftigkeit der Unterzeichnung des Assoziationsabkommens mit der EU, wegen dem der Euro-Maidan begonnen hatte, die Erwartungen nicht erfüllt“, resümieren sie.

Das Land hat etwa 15 Prozent seiner Bevölkerung verloren. Die Gesamtzahl der Bürger der Ukraine, die auf den nichtkontrollierten Territorien geblieben sind, beträgt ungefähr 5,7 Millionen Menschen. Außerdem macht die Gesamtzahl der Opfer der Kampfhandlungen 42.500 bis 44.500 Menschen aus. Weitere anderthalb Millionen Menschen gehören zu den sogenannten Inlandsflüchtlingen, deren Lebensniveau sich erheblich verschlechtert hat.

Die Experten der „NG“ stimmen insgesamt den Berechnungen und der Methodik der Autoren des Berichts zu, wobei sie betonen, dass in der Russischen Föderation solche detaillierten Berechnungen bisher nicht vorgenommen werden. Dabei heben sie hervor, dass die Erwerbungen Russlands in der Wirtschaft aufgrund dieser Situation die Verluste übersteigen könnten.

„Es gibt keine integralen Daten über die Verluste der russischen Wirtschaft durch die Ereignisse in der Ukraine“, sagte der „NG“ Andrej Susdalzew, Dozent an der Fakultät für Weltwirtschaft und internationale Politik der Moskauer Hochschule für Wirtschaftswissenschaften. „Durch verschiedene Experten werden die Verluste der Russischen Föderation durch die Sanktionen in einer Höhe von 100 bis 500 Milliarden Dollar in all diesen Jahren genannt. Wie sich aber diese Zahlen ergeben haben, ist unbekannt. Es gibt auch keine genauen Daten über den Preis der Unterstützung für die „Donezker Volksrepublik“ und die „Lugansker Volksrepublik“. In der Ukraine beziffert man sie mit zig Milliarden Dollar im Jahr. Aber dem ist nicht so. Unsere Experten nennen Zahlen von 1,5 bis zwei Milliarden Dollar. Nach meinen Schätzungen sind dies eine Milliarde Dollar im Jahr für beide Republiken“, sagt der Experte.

Russland habe keinen geringen Nutzen aus dem Bruch mit der Ukraine aus wirtschaftlicher Sicht erzielt, fährt Susdalzew fort. „Wir haben aufgehört, die schwache Wirtschaft des Nachbarlandes zu subventionieren, womit man sich seit dem Moment der Erlangung der Unabhängigkeit durch dieses befasste. Der Umfang dieser Hilfe ist ebenfalls nicht genau bekannt. Er wird aber im Bereich von 40 bis 80 Milliarden Dollar geschätzt. Im Januar 2015 verließ die Ukraine die Freihandelszone mit den Ländern der GUS. Das bedeutet, dass Nischen für unsere eigenen Hersteller frei wurden. Dies betrifft in erster Linie die Landwirtschaft. Unsere Wirtschaft bekam nicht wenige qualifizierte Arbeitskräfte. Durch die Ausreise vieler Geschäftsleute aus der Ukraine zu uns kam es zu einem gewissen Kapitalzufluss. Es entstanden neue (große und kleine) Unternehmen“, sagt er.

Die Ausgaben für eine Wiederherstellung der Wirtschaft der Krim, die in der Zeit der ukrainischen Staatlichkeit praktisch nicht vorgenommen worden waren, kann man mit etwa 20 Milliarden Dollar beziffern. Das dieser Tage neuformatierte und vom Vorsitzenden der russischen Regierung Michail Mischustin bestätigte staatliche Programm für die Entwicklung der Krim und von Sewastopol sieht Haushaltsaufwendungen von insgesamt 1,37 Billionen Rubel bis zum Jahr 2025 vor. In dessen Rahmen sind bereits über 200 Objekte inkl. der Krim-Brücke über die Meerenge von Kertsch, der Autobahn „Tawrida“, des neuen Flughafens in Simferopol, der Energiebrücke, zwei Heizkraftwerken und einer Wasserleitung geschaffen worden.

Noch ein Objekt, zu dem man die Ausgaben für Russland als „unnötige“ ansehen kann, ist der Marinestützpunkt in Noworossijsk. Sein Bau hatte im Jahr 2005 unter Berücksichtigung des formellen Auslaufens der Pacht des Stützpunktes in Sewastopol im Jahr 2017 begonnen. Nach Aussagen des russischen Präsidenten Wladimir Putin würden sich die Gesamtkosten des Objekts, dessen Bauabschluss für das Jahr 2020 geplant worden war, auf rund 92 Milliarden Rubel belaufen. Dies sind etwa 2,9 Milliarden Dollar entsprechend dem Durchschnittskurs jener Zeit von 31,20 Rubel für einen Dollar. Der Kommandant des Stützpunkts Viktor Kotschemasow berichtete im Jahr 2020, dass die Errichtung der Objekte abgeschlossen werde, dass ein Komplex von Kaianlagen für die Aufnahme von über 100 modernen Kampfschiffen mit einer Wasserverdrängung von 1500 bis 30.000 Tonnen geschaffen worden sei. Errichtet wurden fünf Kais und ein Pier für U-Boote. Selbst wenn die Hauptbauten des Stützpunktes fertig sind, wird dennoch die Notwendigkeit einer Modernisierung dieser Bauten bestehen. Folglich werde auch eine zusätzliche Finanzierung nötig sein, sagte der „NG“ der Militärexperte der russischen staatlichen Nachrichtenagentur TASS Viktor Litovkin.

Alles, was sich in der Ukraine ereignet hätte und weiterhin abspiele, bremse nicht nur die sozial-ökonomische Entwicklung dieses Landes und das Herauskommen aus der System- und Transformationskrise aus, sondern bringe sie auch in eine neue, für das Land sehr gefährliche Phase, sagte der „NG“ Viktor Mironenko, Leiter des Zentrums für Ukraine-Forschungen des Europa-Instituts der Russischen Akademie der Wissenschaften.

„Ich pflichte der Hauptschlussfolgerung der Autoren des Berichts bei, wonach jeder Tag des Kriegs im Donbass die Ukraine umbringt, indem selbst die geringste Möglichkeit für eine Rückkehr zu einem glücklichen, vollwertigen Leben vernichtet wird. Nur gefällt mir nicht das Wort „zurückkehren“. Die Ukraine kann nirgend wohin zurückkehren. Die Ukraine hatte keine Wahl, außer der, die sie getroffen hat. Das russische und das ukrainische Lebensmodell nach dem Zerfall der UdSSR sind objektiv inkompatibel. Das eine basiert auf den Naturressourcen, das andere auf dem menschlichen Faktor. Und der arbeitet, wie wir uns anhand der eigenen Erfahrungen überzeugt haben, nur unter den Bedingungen einer maximal möglichen ökonomischen und politischen Freiheit“, urteilt Mironenko.

„Ein ideales Regime für ein Zusammenleben beider Länder wäre meines Erachtens das Regime einer beschleunigten gekoppelten Modernisierung. Es ist noch nicht zu spät, um zu ihm überzugehen. Dies wäre auch für Russland von Vorteil, denn die Bodenschätze werden früher oder später ausgehen oder billiger werden. Und dann muss man andere Entwicklungswege suchen“, prognostiziert der Experte aus dem Moskauer Europa-Institut. „Auf jeden Fall muss man diesen Proxy-Krieg beenden, solang er nicht zuerst der Ukraine und dann auch uns ein Ende bereitet“, urteilt Viktor Mironenko.

Der Leiter des russischen Rechnungshofs Alexej Kudrin bezifferte dieser Tage die negative Wirkung der Sanktionen mit etwa einem halben Prozent des Wachstums des BIP. Eine einfache Berechnung belegt, dass der nominelle Schaden für die Russische Föderation aufgrund der Sanktionen in den letzten sieben Jahren rund 60 Milliarden Dollar ausmachte.