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Krim-Skandal überschattet ukrainisch-deutsche Beziehungen


Der Leiter des Office des ukrainischen Präsidenten Andrej Jermak hat mitgeteilt, dass für den 26. Januar Gespräche im Normandie-Format geplant seien. An ihnen würden Berater der Staats- und Regierungschefs der Ukraine, der Russischen Föderation, Deutschlands und Frankreichs teilnehmen. Die USA bleiben vorerst außerhalb dieses Verhandlungsformats, obgleich die Entwicklung der Situation vom russisch-amerikanischen Dialog abhänge, wie man in Kiew meint.

Anfang Januar hatten die Berater der Staats- und Regierungschefs des Normandie-Format nicht in kompletter Zusammensetzung Gespräche durchgeführt: Die Vertreter Deutschlands und Frankreichs weilten in Moskau und besuchten danach Kiew. Über Fortschritte im Verhandlungsprozess wurde nichts mitgeteilt. Die Ukraine und Russland halten wie auch früher an ihren Positionen fest. In Moskau verlangt man von Kiew, die Minsker Abkommen in der Art und Weise zu erfüllen, in der ihre Punkte festgeschrieben worden sind.

Dies würde faktisch zu einer Legalisierung der „Donezker Volksrepublik“ (DVR) und der „Lugansker Volksrepublik“ (LVR) und zur Gewährung eines besonderen autonomen Status für diese Gebilde führen. In Kiew stimmt man dem nicht zu. Man beharrt auf einer Aufteilung der Abkommen in zwei Teile und einer Umsetzung in der ersten Etappe aller Punkte, die mit der Gewährleistung der Sicherheit zusammenhängen, in der zweiten – aller Punkte, die der politischen Konfliktregelung gewidmet sind. Dies würde zu einer Liquidierung der DVR und LVR, zur Wiederherstellung der ukrainischen Jurisdiktion und einem Machtwechsel in jenen Gebieten führen, die gegenwärtig nicht durch die Ukraine kontrolliert werden.

In dieser Frage bleiben die Positionen der Seiten unveränderte. Im Januar hatten sich aber neue Ausgangsbedingungen ergeben, inklusive der Forderungen Russlands nach Sicherheitsgarantien. Der fünfte Präsident der Ukraine und Führer der Partei „Europäische Solidarität“ Petro Poroschenko betonte jüngst in einer Livesendung der Talk-Show „Redefreiheit von Sawik Schuster“: „Die Situation hat sich grundlegend verändert. Von 2014 bis einschließlich 2019 bestand die Logik der russischen Seite in der Losung „Nein zur NATO-Mitgliedschaft der Ukraine“. Sie erklärten ihre Ablehnung einer Präsenz der NATO in der Ukraine – von Trainings, Waffenlieferungen, gemeinsamen Manövern und Initiativen. Jetzt sehen wir bereits ein „Nein zur NATO in Osteuropa“. In dieser Situation müssten nach Meinung von Poroschenko und dessen Parteigenossen die ukrainischen Offiziellen eine aktive Position einnehmen. Die Partei „Europäische Solidarität“ forderte, für den 24. Januar eine Sondersitzung der Werchowna Rada (des ukrainischen Parlaments – Anmerkung der Redaktion) einzuberufen, um Änderungen am Staatshaushalt zwecks Verstärkung der Verteidigungsfähigkeit vorzunehmen. Poroschenko erklärte, dass er genau wisse, „was man jetzt tun muss, wo Positionen anzulegen sind, um uns aus den Richtungen Tschernigow und Schitomir zu decken, wie man die Luftstreitkräfte dezentralisieren muss, was mit den Raketen und der Artillerie zu tun ist“.

Die ukrainischen Offiziellen konsultieren sich nicht mit der Opposition, sondern mit den westlichen Partnern, die weiterhin auf die Wahrscheinlichkeit einer „russischen Aggression“ hinweisen. Am Wochenende verbreitete Großbritanniens Außenministerium eine Erklärung, in der es hieß, dass Russland versuchen könne, die Macht in der Ukraine zu ändern. „Als ein potenzieller Kandidat (für die Rolle des neuen Staatschefs – „NG“) wird der frühere Volksabgeordnete der Ukraine Jewgenij Murajew angesehen“. Amerikanische Medien griffen dieses Thema auf. In der Ukraine gehöre Murajew zum Lager der Politiker mit prorussischen Ansichten. Bis 2019 war er Abgeordneter in der Werchowna Rada von der Partei „Oppositionsblock“, die später als „Oppositionsplattform – Für das Leben“ neuformatiert wurde. Murajew hat nach der Trennung von den früheren Genossen seine Partei „Die Unsrigen“ gebildet. Der Politiker wird als Besitzer des Fernsehkanals „Unser“ angesehen, dessen Informationslinie sich nicht immer mit der offiziellen Position Kiews deckt.

In einem Kommentar für das in der Ukraine verbotene Informationsportal „Strana“ („Das Land“) äußerte Murajew Erstaunen darüber, dass sein Name in Nachrichten über eine „Verschwörung“ aufgetaucht war. „Seit 2018 befinde ich mich unter Russlands Sanktionen aufgrund eines Konflikts mit (Viktor) Medwedtschuk (einem der Führer der Partei „Oppositionsplattform – Für das Leben“, den man in der Ukraine des Landesverrats bezichtigt – „NG“). Vermögen meiner Familie sind dort festgesetzt worden. Wie passt dies bei den britischen Geheimdiensten damit zusammen, dass Russland mich angeblich zum Chef einer „Besatzungsregierung“ ernennen wolle?“. Im Außenministerium der Russischen Föderation hat man die Nachricht der westlichen Medien faktisch ausgelacht. Dabei hieß es in einer offiziellen Erklärung: „Die von Großbritanniens Außenministerium verbreiteten Informationen sind noch ein Beweis dafür, dass sich gerade die NATO-Länder unter Führung der Anglosachsen mit einer Eskalation der Spannungen rund um die Ukraine befassen“.

In den letzten Wochen sind die Streitereien über einen „sich in Vorbereitung befindlichen russischen Einmarsch“ zum Hauptthema aller ukrainischen Nachrichten und Gespräche am Küchentisch geworden. Valentin Badrak, Direktor des Zentrums für Studien der Armee, Konversion und Abrüstung, nannte in einem Interview für das Nachrichtenportal „Glavred“ („Chefredakteur“) drei mögliche Szenarios für einen Angriff, unter denen er „beispielsweise eine Anlandungssturm-Operation von der See aus oder aus der Luft“ erwähnte. „Begleitet wird dies durch die Verlegung einer erheblichen Menge von Spezialstrukturen, die versuchen werden, die Macht in der Ukraine zu ergreifen und zu ändern“.

Der Militärexperte Oleg Schdanow zweifelte in einem Interview für das gleiche Medium die Wahrscheinlichkeit eines „großen Krieges“ an. „Keiner beginnt einen Krieg mit einer Werbekampagne. Es wird stets ein Überraschungsfaktor ausgenutzt. Jetzt aber, nach dem langen Rummel hinsichtlich eines sich in Vorbereitung befindlichen Überfalls von Russland, ist es vergebens, mit diesem Faktor zu rechnen. Man kann nicht endlos lang dieses Lied abspielen. Und irgendetwas muss passieren. Schon jetzt sind alle durch die Hysterie geschlaucht. Und im Februar kann es einen letzten Ruck für ein maximales Schüren der Situation geben, um die Sache vom Totpunkt in die eine oder andere Richtung zu bringen. Wozu dies führen wird, ist schwer vorauszusagen. Aber wohl kaum zu einem globalen Krieg“. Der Experte ist der Meinung: „In der gegenwärtigen Etappe erfolgt ein großes Spiel zwischen den USA und Russland. Und die Ukraine ist in diesem Spiel nur ein Instrument, kann aber unglücklicherweise auch teilweise zu einem Ausführenden werden. Die USA versuchen, Russland in eine Sackgasse zu treiben. Daher haben sie das Thema von einem Einmarsch aufgeblasen und erhöhen weiterhin den Grad (der Spannungen), wobei sie Russland zu konkreten Schritten nötigen – entweder angreifen oder sich zurückziehen“.

Der Teil der ukrainischen Opposition, den man in Kiew als prorussischen bezeichnet, fordert von den Offiziellen, sich nicht von der westlichen Politik gängeln zu lassen. Die Partei „Oppositionsplattform – Für das Leben“ veröffentlichte eine Erklärung, in der die Bildung einer Gruppe in der Staatsduma der Russischen Föderation für Kontakte mit der Werchowna Rada der Ukraine, die von Jewgenij Popow (Kremlpartei „Einiges Russland“) geleitet wird, begrüßt wurde. „Unsere Partei ist ein konsequenter und prinzipieller Verfechter eines interparlamentarischen Dialogs“, heißt es in dem Dokument. Die Partei erinnerte daran, dass bereits im November 2019 auf ihre Initiative hin in der Werchowna Rada die fraktionsübergreifende Abgeordnetenvereinigung „Interparlamentarischer Dialog für Frieden: Ukraine – Russland – Deutschland – Frankreich“ gebildet worden war. Die Gespräche, die im Rahmen dieser Initiative geführt wurden, hatten nichts mit der Arbeit des Normandie-Formats zu tun.

Nunmehr wird der Versuch unternommen, das Quartett zu aktivieren. Doch die Vorbereitung zu einem Treffen der Berater der Staats- und Regierungschefs der Ukraine, der Russischen Föderation, Deutschlands und Frankreichs erfolgt vor dem Hintergrund eines überraschenden diplomatischen Skandals. Dieser Tage veröffentlichten deutsche Medien eine Erklärung des Inspekteurs der deutschen Marine, Kay-Achim Schönbach, wonach nach seiner Meinung die Krim niemals in den Bestand der Ukraine zurückkehren werde. Im Zusammenhang damit hatte das ukrainische Außenministerium Deutschlands Botschafterin Anka Feldhusen einbestellt. „Betont wurde die kategorische Unannehmbarkeit der Erklärungen des Befehlshabers der Seestreitkräfte Deutschlands, Kay-Achim Schönbach, insbesondere darüber, dass die Krim niemals in den Bestand der Ukraine zurückkehren wird und dass unser Staat nicht den Kriterien einer NATO-Mitgliedschaft entsprechen kann. Zum Ausdruck gebracht wurde gleichfalls die tiefe Enttäuschung hinsichtlich der Haltung der Regierung Deutschlands zu einer Nichtbereitstellung von Verteidigungswaffen für die Ukraine“, hieß es in einer Mitteilung des Pressedienstes des ukrainischen Außenministeriums.

Am Sonntag meldeten deutsche Medien, dass Schönbach seine persönliche Auffassung zum Ausdruck gebracht hätte, aber auch, dass der Inspekteur der deutschen Marine den Rücktritt eingereicht habe. Der ukrainische Botschafter in Deutschland, Andrej Melnik, schrieb in den sozialen Netzwerken, dass „die Ukraine den zeitgemäßen Rücktritt des Chefs der deutschen Marine, Kay-Achim Schönbach, begrüßt. Dieser Schritt ist für eine Wiederherstellung des völligen Vertrauens in die deutsche Politik unzureichend. Deutschlands Regierung muss ihren Kurs in Bezug auf Kiew ändern“. Unter einer Kursänderung wird wahrscheinlich die positive Beantwortung der Frage über Lieferungen von Verteidigungswaffen an die Ukraine verstanden. Die Ablehnung solcher Lieferungen durch Deutschland könne nach Aussagen des ukrainischen Außenministers Dmitrij Kuleba „Wladimir Putin zu einem neuen Überfall auf die Ukraine stimulieren“.

Diese Situation kann die Atmosphäre der Verhandlungen im Normandie-Format beeinträchtigen. Doch vom Treffen der politischen Berater ist auf jeden Fall keinerlei Durchbruch zu erwarten. Ihre Aufgabe ist es, sich über ein Treffen der Außenminister zu einigen, die die Möglichkeit von Gesprächen der Staats- und Regierungschefs der Staaten diskutieren könnten. Dies ist ein langer Weg. Die USA führen vorerst separate Verhandlungen mit der Russischen Föderation durch. Dieser Tage betonte Außenminister Anthony Blinken bei einer Pressekonferenz in Berlin: „Was das Normandie-Format angeht, so unterstützen die USA dieses vollkommen. Wenn wir im Weiterem durch irgendetwas helfen und die Anstrengungen unterstützen können, sind wir zu jeder beliebigen Zeit bereit, dies zu tun“. Der ukrainische Minister Dmitrij Kuleba sagte gegenüber Radio Liberty, dass Kiew einzelne Gespräche mit allen Partnern in Bezug auf drei Richtungen führe. „Die erste ist, dass alle Partner der Ukraine Russland klar sagen, dass es unzulässig sei, in die Ukraine einzumarschieren. Zweitens, dass Wirtschaftssanktionen vorbereitet werden. Und drittens, dass die Ukraine eine maximale militärische Hilfe erhält“.