Die russische Einwanderungspolitik steht augenscheinlich an der Schwelle großer Veränderungen. Mit ihrer Vervollkommnung, genauer gesagt aber wahrscheinlich mit ihrer Verschärfung wird sich eine speziell durch Präsident Wladimir Putin etablierte institutionsübergreifende Kommission des Sicherheitsrates der Russischen Föderation unter Leitung des stellvertretenden Vorsitzenden des Sicherheitsrates, Dmitrij Medwedjew, befassen. Zu dem neuen Gremium gehören der Generalstaatsanwalt, stellvertretende Vorsitzende der Föderationsrates und der Staatsduma (das Ober- und das Unterhaus des russischen Parlaments – Anmerkung der Redaktion), der Innen-, der Gesundheits-, der Außen-, der Wissenschafts- und der Bildungsminister, der Chef des Inlandsgeheimdienstes FSB, der zuständige Vizepremier sowie Vertreter der Präsidialadministration und eine Reihe anderer Figuren aufgrund ihrer Funktionen.
Dmitrij Medwedjew hat bereits die Migranten-Situation im neuen Status kommentiert. Nach seinen Worten bestehe in Russland das Risiko der Entstehung ethnischer Enklaven, die einen kriminellen Charakter tragen würden, von „kleinen Staaten im Staat“, die gemäß eigener Regeln würden. Ohne eine Aufsicht würden sie sich zu einer „Brutstätte extremistischer und terroristischer Stimmungen“ verwandeln, merkte er an. Und die „Beziehungen zwischen den Bewohnern solcher Gebiete bzw. Viertel und den Einheimischen sind recht misstrauische und argwöhnische, oft sind sie feindselige“. Es sei erforderlich, die Aufmerksamkeit hinsichtlich des Geschehens in solchen Gebieten zu erhöhen, wobei prophylaktische Maßnahmen ergriffen werden müssten, unterstrich Medwedjew. Auseinandersetzungen würden sich jeden Tag ereignen.
Der Gouverneur des Verwaltungsgebietes Kaluga Wladislaw Schapscha ist bereits von Worten zu konkreten Handlungen übergegangen. Nach dem Besuch eines Migrationszentrums bekundete der Chef der Region seinen Unmut darüber, dass die Ankömmlinge „in Bezug auf Russisch keine blasse Ahnung“ hätten, in den Händen aber Zertifikate über die Beherrschung der Staatssprache hätten. Eine offenkundige Anerkennung der Dimensionen der Korruption, die diesen Bereich erfasst hat. Der Gouverneur verkündete ein Verbot für die Einstellung von Migranten anhand von Patenten für die Personenbeförderung, im Handel und in der Gastronomie. Aber auch den Ausstieg der Region aus dem föderalen Programm für eine Unterstützung des Umsiedelns von Landsleuten. Es hat sich herausgestellt, dass es sich in ein Schlupfloch für eine Legalisierung ganz und gar nicht der Menschen im Land verwandelt hat, für deren Unterstützung es eigentlich vorgesehen war.
Zuvor hatte sich der Lösung des Problems der Leiter des Untersuchungskomitees der Russischen Föderation Alexander Bastrykin angeschlossen. Wie Medien berichten, habe er sich an den Präsidenten mit dem Vorschlag gewandt, die Einwanderungsgesetzgebung zu verschärfen. Laut seinen Angaben hätten in elf Monaten des vergangenen Jahres (ohne Dezember) Ausländer 33.500 Straftaten in der Russischen Föderation begangen. Bastrykin hat vorgeschlagen, eine Genom-Registrierung der Ankömmlinge einzuführen und Maßnahmen zur „Bewahrung des ethnokulturellen Gleichgewichts der Bevölkerung“ in den großen Städten zu ergreifen. Und anstelle von Gastarbeitern Bürger Russlands einzustellen, um die sozialen Spannungen zu verringern.
Vom Wesen her legalisieren die Herrschenden vor aller Augen die gegen die Migranten gerichtete Agenda, die noch vor einiger Zeit ein unantastbares Thema marginaler Politiker vom Typ Alexander Potkin (Below) oder Dmitrij Demuschkin gewesen war. Letzterer hatten riskiert, auf die Liste der Extremisten zu geraten. Jetzt aber stellt selbst der Chef des Untersuchungskomitees die Frage beinahe im Format der in der Russischen Föderation verbotenen „Bewegung gegen eine illegale Immigration“. Die Gründe sind verständlich: Die Migration wird zu einem akuten sozialen Problem. Man darf keine soziale Explosion, keine sozialen Spannungen zulassen. Die Überlegungen hinsichtlich der Notwendigkeit einer großangelegten Gewinnung von Gastarbeitern für eine Absicherung der wirtschaftlichen Aktivitäten und des Wirtschaftswachstums, zu denen sich vor einem Jahr noch der russische Vizepremier Marat Chusnullin geäußert hatte, sind schon nicht mehr populär. Im Mainstream liegen Erklärungen über eine vorrangige Versorgung der Bürger Russlands mit Arbeit (wobei die Frage der Höhe der gezahlten Löhne erst einmal in den Hintergrund zu rücken scheint, obgleich gerade geringe Löhne viele Russen abschrecken – Anmerkung der Redaktion). Der Konsens hat bereits nicht nur Vertreter der Rechtsschutz- und Sicherheitsorgane zu einer breiten Koalition vereint, sondern scheinbar auch einen erheblichen Teil regionaler Staatsbeamter und politischer Kräfte. Sie sind bereit, wie zu sehen ist, selbst das langjährige Programm für eine Umsiedlung von Landsleuten zu opfern, wobei sie indirekt eingestehen, dass es floppte.
Dass sich die Offiziellen einer Koordinierung der Migrationspolitik zwischen den Institutionen ernsthaft angenommen haben, die früher keinen Systemcharakter besessen hatte, ist ein positiver Aspekt. Solch eine Abstimmung hätte man schon längst gewährleisten müssen. Bleibt freilich abzuwarten, was für Systemlösungen ausgearbeitet werden. Allein mit richtigen Deklarationen und populistischen Schritten ist das Problem nicht zu lösen.