Unabhängige Zeitung

Private Tageszeitung

Moskau beklagt Ausbleiben einer konstruktiven Antwort aus Washington


Am 17. Februar bestellte das russische Außenministerium den Botschafter der USA in Moskau ein. John Sullivan erhielt nicht nur eine Note mit der Forderung, dass Vizebotschafter Bart Gorman das Land verlassen müsse. Dem Karrierediplomaten wurde auch ein mehrseitiges Schreiben mit der russischen Reaktion auf die zuvor erhaltene amerikanische Antwort zum russischen Entwurf für einen Vertrag zwischen Russland und den USA über Sicherheitsgarantien überreicht. Die Redaktion von „NG Deutschland“ vertritt die Auffassung: Um den herrschenden Ton in den stark angespannten russisch-amerikanischen Beziehungen zu spüren sowie die Argumente Moskaus zu begreifen, ist ein Studium der originalen Dokumente erforderlich. Nachfolgend publizieren wir die Übersetzung des entsprechenden russischen offiziellen Dokuments, dessen Wortlaut die Nachrichtenagentur INTERFAX am Abend des 17. Februar veröffentlichte. Dabei hielten wir es für erforderlich, an einigen Stellen notwendige erläuternde Anmerkungen vorzunehmen, die deutlich gekennzeichnet sind. Außerdem folgten wir der mehrfach von Maria Sacharowa, der Sprecherin des russischen Außenministeriums, formulierten Aufforderung nach einer Nutzung von Originaldokumenten und -quellen. Aus der Sicht von „NG Deutschland“ ist dies ein außerordentlich guter Ratschlag, der er ein Schlaglicht auch darauf wirft, wie man in Moskau Originaldokumente liest.

„ALLGEMEINE CHARAKTERISTIK

Wir konstatieren, dass die amerikanische Seite keine konstruktive Antwort auf die Basiselemente des von der russischen Seite vorbereiteten Entwurfs für einen Vertrag mit den USA über Sicherheitsgarantien gegeben hat. Es geht um einen Verzicht auf eine weitere Erweiterung der NATO, über das Zurückziehen der „Bukarester Formel“ darüber, dass „die Ukraine und Georgien Mitglieder der NATO werden“, und um den Verzicht auf die Bildung von Militärstützpunkten auf dem Territorium der Staaten, die früher zur UdSSR gehörten, und keine Mitglieder der Allianz sind, inklusive der Nutzung ihrer Infrastruktur für die Durchführung jeglicher militärischer Tätigkeit, aber auch um eine Rückkehr der militärischen Potenziale, darunter der Angriffspotenziale, und der Infrastruktur der NATO zum Zustand von 1997, als die NATO-Russland-Grundakte (offiziell Grundakte über gegenseitige Beziehungen, Zusammenarbeit und Sicherheit zwischen der NATO und der Russischen Föderation, eine am 27. Mai 1997 in Paris unterschriebene völkerrechtliche Absichtserklärung zwischen der NATO und Russland – Anmerkung der Redaktion) unterzeichnet wurde. Diese Grundsätze haben für die Russische Föderation prinzipielle Bedeutung.

Ignoriert wurde der Paketcharakter der russischen Vorschläge, aus denen vorsätzlich „bequeme“ Themen ausgewählt worden sind, die wiederum in Richtung der Schaffung von Vorteilen für die USA und ihre Verbündeten „verdreht“ worden sind. Solch eine Vorgehensweise wie auch die begleitende Rhetorik der amerikanischen offiziellen Persönlichkeiten untermauern die begründeten Zweifel daran, dass man in Washington wirklich für eine Behebung der Situation auf dem Gebiet der europäischen Sicherheit ist.

Besorgnis löst die zunehmende militärische Aktivität der USA und der NATO unmittelbar an den russischen Grenzen aus, während sowohl unsere „roten Linien“ und die grundlegenden Interessen auf dem Gebiet der Sicherheit als auch das souveräne Recht Russland auf deren Schutz nach wie vor ignoriert werden. Die ultimativen Forderungen, die Truppen aus bestimmten Gebieten auf dem russischen Territorium abzuziehen, die durch Androhungen einer Verschärfung der Sanktionen begleitet werden, sind inakzeptabel und untergraben die Perspektiven für das Erreichen realer Vereinbarungen.

Bei dem Ausbleiben einer Bereitschaft der amerikanischen Seite, sich über klare, juristisch verbindliche Garantien für die Gewährleistung unserer Sicherheit seitens der USA und ihrer Verbündeten zu einigen, wird Russland zu reagieren gezwungen sein, darunter durch die Realisierung von Maßnahmen militärtechnischer Art.

ZUR UKRAINE

Es gibt keinerlei „russischen Einmarsch“ in die Ukraine, was man seit Herbst vergangenen Jahres auf der offiziellen Ebene der USA und ihrer Verbündeten erklärt, und wird nicht geplant. Daher kann man die Behauptungen über die „Verantwortung Russlands für die Eskalation“ nicht anders als den Versuch werten, Druck auszuüben und Russlands Vorschläge in Bezug auf Sicherheitsgarantien wertlos zu machen.

Das Erinnern an die russischen Pflichten gemäß dem Budapester Memorandum von 1994 in diesem Kontext haben nichts mit dem innerukrainischen Konflikt zu tun und erstrecken sich nicht auf die Umstände, die zu einer Folge des Wirkens innerer Faktoren dort geworden sind. Der Verlust der territorialen Integrität durch den ukrainischen Staat ist das Ergebnis der Prozesse, die sich in ihm vollzogen haben.

Die in der amerikanischen Antwort enthaltenen Beschuldigungen Russlands, dass es „die Krim okkupierte“, halten gleichfalls keinerlei Kritik stand. 2014 ereignete sich in Kiew ein Staatsstreich, dessen Initiatoren mit Unterstützung der USA und deren Verbündeten Kurs auf die Schaffung eines nationalistischen Staates genommen hatten, der die Rechte der russischen und der russischsprachigen Bevölkerung, aber auch der anderen Ethnien, die keine „Titel“-Ethnien sind, beeinträchtigen. Es erstaunt nicht, dass die Krim-Bewohner in solch einer Situation für eine Wiedervereinigung mit Russland votierten (bei einem entsprechenden Referendum am 16. März 2014 – Anmerkung der Redaktion). Die Entscheidung des Volkes der Krim und von Sewastopol über eine Rückkehr in den Bestand der Russischen Föderation war durch eine freie Willensbekundung im Rahmen der Modalitäten für die Realisierung des in der UNO-Charta verankerten Rechts auf Selbstbestimmung getroffen worden. Gewalt oder eine Androhung von Gewalt waren nicht angewandt worden. Die Frage nach der Zugehörigkeit der Krim ist eine abgeschlossene.

Im Falle einer Aufnahme der Ukraine in die NATO ergibt sich eine reale Gefahr, dass das Regime in Kiew versuchen wird, gewaltsam die Krim „zurückzuholen“, wobei die USA und ihre Verbündeten entsprechend Artikel 5 des Washingtoner Vertrages in einen direkten bewaffneten Konflikt mit Russland mit allen sich ergebenden Folgen hineingezogen werden.

Die sich in der Antwort der USA wiederholende These, dass Russland angeblich „den Konflikt im Donbass entfachte“, ist haltlos. Seine Ursachen tragen einen rein innerukrainischen Charakter. Eine Regulierung ist nur durch eine Realisierung der Minsker Abkommen und des „Komplexes von Maßnahmen“ möglich, deren Abfolge und Verantwortlichkeit hinsichtlich der Umsetzung klar festgeschrieben und einstimmig durch die Resolution des Sicherheitsrates der UNO Nr. 2202, darunter durch die USA, Frankreich und Großbritannien, bestätigt wurden (verabschiedet auf der 7384. Sitzung des Sicherheitsrats am 17. Februar 2015 – Anmerkung der Redaktion). Im Punkt 2 dieser Resolution sind als Seiten Kiew, Donezk und Lugansk genannt worden (hier hat die russische Seite nicht Recht bzw. einen Faktenfehler begangen, wenn man sich den offiziellen Wortlaut der Resolution anschaut — https://www.un.org/depts/german/sr/sr_14-15/sr2202.pdf — Anmerkung der Redaktion). Nicht in einem dieser Dokumente ist von einer Verantwortung Russlands für den Konflikt im Donbass die Rede. Russland spielt zusammen mit der OSZE die Rolle eines Vermittlers beim hauptsächlichen Verhandlungsformat – in der Kontaktgruppe – und zusammen mit Berlin und Paris im „Normandie-Format“, das Empfehlungen für die Konfliktparteien formuliert und deren Umsetzung verfolgt.

Für eine Deeskalation der Situation rund um die Ukraine ist die Realisierung folgender Schritte prinzipiell wichtig. Erstens die Nötigung Kiews zur Erfüllung des „Maßnahmenpakets“, eine Einstellung der Waffenlieferungen in die Ukraine, die Abberufung aller westlichen Berater und Instrukteure von dort, der Verzicht der NATO-Länder auf jegliche gemeinsamen Manöver mit den ukrainischen Streitkräften und der Abzug aller früher an Kiew gelieferten ausländischen Waffen vom ukrainischen Territorium.

In diesem Zusammenhang lenken wir die Aufmerksamkeit darauf, dass Russlands Präsident W. W. Putin auf der Pressekonferenz zu den Ergebnissen der Gespräche mit Frankreichs Präsident E. Macron am 7. Februar 2022 in Moskau unterstrichen hat, dass wir zu einem Dialog offen sind und aufrufen, „über stabile Bedingungen für die Sicherheit für alle nachzudenken, die für alle Teilnehmer des internationalen Lebens gleiche sind“.

KRÄFTE-KONFIGURATION

Es sei betont, dass die USA in ihrer Antwort auf die russischen Vorschläge darauf beharren, dass ein Fortschritt bei einer Verbesserung der Situation auf dem Gebiet der europäischen Sicherheit „nur unter den Bedingungen einer Deeskalation hinsichtlich der bedrohenden Handlungen Russlands, die gegen die Ukraine gerichtet sind, erreicht werden kann“, was, wie wir verstehen, die Forderung nach einem Abzug der russischen Truppen von den Grenzen der Ukraine inkludiert. Dabei sind die USA bereit, lediglich über „beiderseitige Pflichten…, sich der Entfaltung ständig stationierter Kräfte mit Gefechtsaufgaben auf dem Territorium der Ukraine zu enthalten“, zu sprechen und „die Möglichkeit der Erörterung des Problems der konventionellen Streitkräfte zu prüfen“. Im Restlichen aber umgeht die amerikanische Seite mit einem Schweigen unsere Vorschläge, die im Absatz 2 des Artikels 4 und Absatz 1 des Artikels 5 des Entwurfs für einen bilateralen Vertrag enthalten sind, und erklärt, dass „die gegenwärtige Kräfte-Konfiguration der USA und der NATO eine eingeschränkte und proportionale ist und vollkommen den Pflichten gemäß der Grundakte Russland-NATO entspricht“.

Wir gehen davon aus, dass die Stationierung der Streitkräfte der Russischen Föderation auf ihrem Territorium die grundlegenden Interessen der USA nicht berührt und nicht berühren kann. Wir würden gern daran erinnern, dass unsere (Streit-) Kräfte nicht auf dem Territorium der Ukraine sind.

Dabei haben die USA und ihre Verbündeten ihre militärische Infrastruktur gen Osten vorgeschoben, Kontingente auf den Territorien der neuen Mitglieder (der NATO – Anmerkung der Redaktion) stationiert. Sie haben die Beschränkungen des KSE-Vertrages (Vertrag über Konventionelle Streitkräfte in Europa, der am 19. November 1990 in Paris unterzeichnet wurde und am 9. November 1992 endgültig in Kraft getreten ist – Anmerkung der Redaktion) umgangen und recht willkürlich die Festlegungen der Russland-NATO-Grundakte über den Verzicht, „zusätzlich substantielle Kampftruppen dauerhaft“ zu stationieren (https://www.nato.int/cps/en/natohq/official_texts_25468.htm?selectedLocale=de), ausgelegt. Die im Ergebnis dieser Handlungen entstandene Situation ist inakzeptabel. Wir bestehen auf einen Abzug aller Streitkräfte und Waffen der USA, die in Zentral- und Osteuropa, Südosteuropa und im Baltikum stationiert worden sind. Wir sind davon überzeugt, dass die nationalen Potenziale in diesen Zonen durchaus ausreichend sind. Wir sind zu einer Erörterung dieses Themas auf der Grundlage der Artikel 4 und 4 des russischen Vertragsentwurfs bereit.

DAS PRINZIP DER UNTEILBAREKEIT DER SICHERHEIT

Wir haben in der Antwort der USA keine Bestätigungen dafür ausgemacht, dass sich die amerikanische Seite in vollem Maße zu einer Einhaltung des unumstößlichen Prinzips der Unteilbarkeit der Sicherheit verpflichtet fühlt. Die allgemeinen Erklärungen über eine Berücksichtigung dieses Postulats durch die amerikanische Seite geraten in einen direkten Widerspruch zu der fehlenden Bereitschaft Washingtons, den kontraproduktiven und destabilisierenden Kurs auf die Schaffung von Vorteilen für sich und seine Verbündeten zu Lasten der Sicherheitsinteressen Russlands aufzugeben. Gerade dies erfolgt im Ergebnis einer hemmungslosen Umsetzung der Politik einer durch nichts eingeschränkten geostrategischen und militärischen Erschließung des postsowjetischen Raums einschließlich des Territoriums der Ukraine durch den Nordatlantikpakt bei der Führungsrolle der USA, was für uns einen besonders sensiblen Charakter trägt. All dies erfolgt unmittelbar an den russischen Grenzen. Somit werden unsere „roten Linien“ und grundlegenden Interessen auf dem Gebiet der Sicherheit ignoriert, und das unbestreitbare Recht Russland, sie zu gewährleisten, wird verworfen. Für uns ist dies – versteht sich – inakzeptabel.

Zusätzlich erinnern wir daran, dass dieses Prinzip in der Präambel des Vertrags zwischen der Russischen Föderation und den Vereinigten Staaten von Amerika über Maßnahmen zur weiteren Verringerung und Begrenzung der strategischen Offensivwaffen von 2011 verankert wurde, dessen Verlängerung um fünf Jahre ohne irgendwelche Entfernungen die Seiten im Februar vergangenen Jahres vereinbart hatten, aber auch in einer ganzen Reihe von auf höchster Ebene angenommenen Grundsatzdokumenten der OSZE sowie Russland-NATO: in der Präambel der Helsinkier Schlussakte von 1975, in der Pariser Charta für ein neues Europa von 1990, in der Grundakte Russland-NATO von 1997, der Istanbuler Europäischen Sicherheitscharta der OSZE von 1999, der Römischen Deklaration von Russland und der NATO von 2002 sowie in der Astana-Deklaration des OSZE-Gipfeltreffens von 2010.

Es sei betont, dass in der erhaltenen Antwort das Festhalten Washingtons an der Konzeption von der Unteilbarkeit der Sicherheit erwähnt wird. Sie wird in dem Wortlaut aber auf das Recht der Staat reduziert, „seine Sicherheitsvereinbarungen einschließlich von Bündnisverträgen frei zu wählen oder diese im Laufe ihrer Entwicklung zu verändern“ (Punkt 8 der Charta, https://www.osce.org/files/f/documents/b/f/125809.pdf – Anmerkung der Redaktion. Diese Freiheit ist nicht absolut und ist lediglich eine Hälfte der bekannten Formel, die in der Europäischen Sicherheitscharta fixiert wurde. Ihr zweiter Teil fordert bei der Realisierung dieses Rechts, die eigene Sicherheit „nicht auf Kosten der Sicherheit anderer Staaten“ zu festigen. Wir können das von der NATO erhaltene Schreiben vom 10. Februar dieses Jahres nicht als eine Antwort auf die von Russlands Außenminister S. V. Lawrow am 28. Januar 2022 gesandte Botschaft an USA-Außenminister A. Blinken zu dieser Frage ansehen. Wir hatten gebeten, eine Antwort im nationalen Rahmen zu geben.

DIE NATO-POLITIK DER „OFFENEN TÜREN“

Die USA bestätigen eine „feste Unterstützung“ für die Politik der „offenen Türen der NATO“. Sie widerspricht aber den Basisverpflichtungen, die im Rahmen der KSZE/OSZE übernommen wurden, vor allem der Verpflichtung, die eigene Sicherheit „nicht auf Kosten der Sicherheit anderer Staaten“ zu festigen. Diese Politik deckt sich nicht mit den Grundsätzen der Allianz an sich, die sich entsprechend der NATO-Ministerratstagung vom 6./7. Juni 1991 in Kopenhagen verpflichtet hatte, „keine einseitigen Vorteile aus der sich veränderten Situation in Europa zu ziehen“, „die legitimen Interessen anderer Staaten nicht zu gefährden“ sowie nicht nach deren „Isolierung“ oder nach dem „Ziehen neuer Trennungslinien auf dem Kontinent“ zu streben (es handelt sich hier um eine Rückübersetzung aus dem Russischen, die sich nur bedingt am originalen Wortlaut des Kommuniqués der Ministertagung des Nordatlantikrats — https://www.bundesregierung.de/breg-de/service/bulletin/kommuniqu%C3%A9-der-ministertagung-des-nordatlantikrats-vom-6-bis-7-juni-1991-in-kopenhagen-786722 — hält – Anmerkung der Redaktion).

Wir rufen die USA und NATO auf, zur Erfüllung der internationalen Pflichten im Bereich der Aufrechterhaltung von Frieden und Sicherheit zurückzukehren. Wir erwarten von den Mitgliedern der Allianz konkrete Vorschläge über den Inhalt und die Formen einer juristischen Verankerung des Verzichts auf eine weitere Osterweiterung der NATO.

DER PAKETCHARAKTER DER VORSCHLÄGE

Wir heben die Bereitschaft der USA hervor, gegenstandsbezogen an einzelnen Maßnahmen zur Rüstungskontrolle und Verringerung der Risiken zu arbeiten. Dabei haben wir fixiert, dass man in Washington endlich die Berechtigung einer Reihe russischer Vorschläge und Initiativen in diesen Richtungen, die in den letzten Jahren unterbreitet worden waren, anerkannt hat.

Zur gleichen Zeit lenken wir noch einmal das Augenmerk der amerikanischen Seite darauf, dass Russland in den von uns vorgelegten Dokumenten zu Sicherheitsgarantien vorgeschlagen hat, den Weg einer komplexen langfristigen Regulierung jener inakzeptablen Situation zu gehen, die sich weiterhin im euro-atlantischen Raum ergibt. Es geht vor allem um die Schaffung eines stabilen Fundaments für eine Sicherheitsarchitektur in Gestalt einer Vereinbarung über den Verzicht der NATO auf weitere Handlungen, die der Sicherheit Russlands Schaden zufügen. Dies bleibt für uns ein unveränderter Imperativ. Bei Fehlen solch einer festen Grundlage werden miteinander verbundene Maßnahmen zur Rüstungskontrolle und Reduzierung der militärischen Risiken, die eine Zurückhaltung und Voraussagbarkeit der militärischen Tätigkeit in den einzelnen Richtungen gewährleisten, selbst wenn es gelingt, sich diesbezüglich zu einigen, in der Perspektive keine stabilen sein.

Somit tragen die russischen Vorschläge einen Paketcharakter und müssen in einem Komplex ohne ein Abklammern einzelner Komponenten von ihm behandelt werden.

Im Zusammenhang damit würden wir gern die Aufmerksamkeit auf das Ausbleiben einer konstruktiven Reaktion von Washington und Brüssel auf die von uns klar markierten wichtigsten Elemente der russischen Initiative akzentuieren. Was die Fragen der Rüstungskontrolle anbetrifft, so betrachten wir sie ausschließlich im Gesamtkontext eines komplexen, eines paketartigen Herangehens an die Regelung des Problems der Sicherheitsgarantien.

„POST-START (-VERTRAG)“ UND „SICHERHEITSGLEICHUNG“

Die USA schlagen vor, sich „unverzüglich“ im Rahmen eines Dialogs zur strategischen Stabilität mit der Ausarbeitung von „Maßnahmen zur Entwicklung des Vertrags zur Verringerung strategischer Waffen“ zu befassen. Dabei versucht jedoch die amerikanische Seite, ein nicht mit uns abgestimmtes Vorgehen zu fixieren, das eine Fokussierung ausschließlich auf die Kernwaffen vorsieht, dabei ohne einen Bezug auf die Fähigkeit der einen oder anderen Mittel, eine direkte Gefahr für das nationale Territorium der anderen Seite zu tragen. Eine derartige einseitige Sichtweise auf die Dinge widerspricht dem Einvernehmen, das beim russisch-amerikanischen Gipfeltreffen vom 16. Juni 2021 in Genf hinsichtlich des komplexen Charakters des strategischen Dialogs erzielt wurde, der dazu berufen ist, die Grundlage für eine künftige Rüstungskontrolle und Maßnahmen zur Verringerung der Risiken zu legen.

Russland plädiert weiterhin für ein integriertes Herangehen an die Strategie-Problematik. Wir schlagen vor, sich mit einer gemeinsamen Ausarbeitung einer neuen „Sicherheitsgleichung“ zu befassen.

Das Spektrum von Elementen der durch uns vorgeschlagenen Konzeption, die in vollem Maße aktuell ist, ist der amerikanischen Seite nahegebracht worden, unter anderem im Verlauf von Treffen im Rahmen des Strategie-Dialogs und in dem von uns am 17. Dezember 2021 übergebenen Arbeitsdokument zu dessen Ausfüllung.

STATIONIERUNG VON KERNWAFFEN AUSSERHALB DES NATIONALEN TERRITORIUMS

In ihrem Dokument haben die USA nicht auf solch ein Element des „Pakets“ der von uns vorgeschlagenen Maßnahmen wie auf das Zurückholen der Kernwaffen auf das nationale Territorium, die außerhalb von ihm entfaltet wurden, und den Verzicht auf deren weiteren Stationierung außerhalb des nationalen Territoriums reagiert und beschränkten sich auf die Erwähnung der Notwendigkeit, sich auf der Plattform des strategischen Dialogs mit der Lösung des Problems der nichtstrategischen Kernwaffen ohne Berücksichtigung der Besonderheiten ihrer Dislozierung und anderer, die Sicherheit der Seiten beeinflussenden Faktoren zu befassen.

Wir möchten gern erläutern, dass es in unseren Vorschlägen um die Lösung des Problems des Vorhandenseins von Kernwaffen der USA auf dem Territorium mehrerer kernwaffenfreier NATO-Staaten – unter Verletzung des Kernwaffensperrvertrags – geht, die in der Lage sind, Ziele auf dem Territorium Russlands zu treffen. Dies würde sowohl eine Liquidierung der Infrastruktur für eine schnelle Entfaltung solcher Waffen in Europa, aber auch die Einstellung der NATO-Praxis von Trainings und Übungen zum Umgang mit diesen Waffen, in die Nicht-Nuklear-Mitgliedsstaaten der NATO involviert werden, einschließen.

Ohne eine Beseitigung dieses Reizfaktors ist eine Erörterung der Thematik der nichtstrategischen Kernwaffen unmöglich.

BODENGESTÜTZTE MITTEL- UND KURZSTRECKENRAKETEN

Wir betrachten diese Problematik als eine der vorrangigen Richtungen des russisch-amerikanischen Dialogs zur strategischen Stabilität. Wir sind der Auffassung, dass die ausgewiesene Kategorie von Waffen eine notwendige Komponente der neuen „Sicherheitsgleichung“ ist, die Russland und die USA gemeinsam auszuarbeiten haben.

Wir gehen weiterhin von der Aktualität der russischen Initiativen auf dem Gebiet eines „POST-INF-Vertrages“ aus, denen die Idee von überprüfbaren entgegenkommenden Moratorien für die Entfaltung bodengestützter Mittel- und Kurzstreckenraketen (nuklearer – Anmerkung der Redaktion) in Europa zugrunde liegt.

Aus prinzipieller Sicht sind wir offen für eine gegenstandsbezogene Erörterung von Wegen für deren praktische Realisierung. Dabei betonen wir die anhaltende Unbestimmtheit in den Herangehensweisen von Washington an die hauptsächlichen Parameter potenzieller Kontrollmaßnahmen hinsichtlich der ausgewiesenen Waffen, vor allem hinsichtlich ihrer Erfassung, die sich auf alle Mittel der entsprechenden Reichweite bei der nuklearen und nichtnuklearen Bestückung erstrecken muss.

Wir haben festgehalten, dass die USA das russische Vorgehen als Grundlage nehmen, das eine beiderseitige Klärung von Besorgnissen von beiden Seiten aus im Kontext des früher geltenden INF-Vertrages (ist seit dem 2. August 2019 außer Kraft gesetzt – Anmerkung der Redaktion) vorsieht. Die von der amerikanischen Seite vorgeschlagene Variante für eine Entwicklung unserer Idee über gegenseitige Maßnahmen zur Verifizierung in Bezug auf die Komplexe „Aegis Ashore“ (landgestützte Raketenabwehrsysteme – Anmerkung der Redaktion) in Rumänien und Polen, aber auch in Bezug auf einige Objekte im europäischen Teil des Territoriums von Russland, kann im Weiteren für eine Durcharbeitung aufgegriffen werden.

Wie in der Erklärung von Russlands Präsident W. W. Putin vom 26. Oktober 2020 unterstrichen und im Weiteren mehrfach der amerikanischen Seite nahegebracht wurde, könnten potenzielle Transparenz-Maßnahmen in Bezug auf abzustimmende russische Objekte eine Kontrolle des Nichtvorhandenseins von russischen 9M729-Raketen dort umfassen. Es sei daran erinnert: Dieser Schritt ist ein Zeichen guten Willens unter Berücksichtigung dessen, dass die Charakteristika der 9M729-Rakete in keiner Weise den Anforderungen des früheren INF-Vertrags widersprechen und dass die USA doch keinerlei Beweise dafür vorgelegt haben, die die Anschuldigungen an die Adresse Russlands bestätigen würden. Dabei hat die amerikanische Seite die von uns in der Zeit des Wirkens dieses Vertrages am 23. Januar 2019 organisierte freiwillige Maßnahme zur Demonstration des Aufbaus und der technischen Charakteristika der 9M729-Raketen und ihrer Startanlage ignoriert.

SCHWERE BOMBENFLUGZEUGE UND SEEKRIEGSSCHIFFE

Hervorgehoben sei die Aufmerksamkeit der amerikanischen Seite für die russische Idee über zusätzliche Maßnahmen zur Verringerung der Risiken in Bezug auf Flüge schwerer Bombenflugzeuge unweit der nationalen Grenzen der Seiten. Wir sehen einen Diskussionsgegenstand und Potenzial für gegenseitig annehmbare Vereinbarungen. Wir erinnern an das nicht weniger wichtige Element unseres „Paket“-Vorschlages, das analoge Einsätze von Kampfschiffen angeht, mit denen gleichfalls ernsthafte Risiken verbunden sind.

MILITÄRÜBUNGEN UND MANÖVER

Die USA haben keine Antwort auf die Vorschläge gegeben, die im Absatz 2 des Artikels 4 des russischen Vertragsentwurfs enthalten sind. Die amerikanische Seite geht augenscheinlich davon aus, dass man die Spannungen im militärischen Bereich durch eine Erhöhung der Transparenz und zusätzliche Maßnahmen zur Verringerung der Gefahr im Rahmen der Vorschläge des Westens zur Modernisierung des Wiener Dokuments verringern kann.

Wir halten solch eine Vorgehensweise für eine unrealistische und einseitige, die auf eine „Durchleuchtung“ der Tätigkeit der Streitkräfte der Russischen Föderation abzielt. Die Maßnahmen zur Festigung des Vertrauens und der Sicherheit im Rahmen des Wiener Dokuments von 2011 sind hinsichtlich der heutigen Situation adäquat. Für den Beginn einer Erörterung der Möglichkeit ihrer Aktualisierung müssen die notwendigen Bedingungen geschaffen werden. Aber dafür müssen die USA und ihre Verbündeten die Politik zur „Zügelung“ Russlands aufgeben und konkrete praktische Maßnahmen zur Deeskalation der militärpolitischen Lage ergreifen, darunter im Rahmen des Absatzes 2 des Artikels 4 unseres Vertragsentwurfs.

Was die Verhinderung von Zwischenfällen auf hoher See und im Luftraum über ihr angeht, so begrüßen wir die Bereitschaft der USA zu entsprechenden Konsultationen. Jedoch kann diese Arbeit nicht die Regulierung der von Russland formulierten Schlüsselprobleme ersetzen.

  1. 17. Februar 2022“