Unabhängige Zeitung

Private Tageszeitung

Bei den Abschlussprüfungen wird man die aktuelle politische Agenda berücksichtigen


Wie der stellvertretende Vorsitzende der Russischen Akademie für Bildungswesen und ehemalige Chefhygieniker des Landes, Gennadij Onistschenko, mitteilte, müsse für die Kinder aus dem Donbass, die als Flüchtlinge aus den dortigen Republiken DVR und LVR gekommen sind, eine komplette Vorsorgeuntersuchung organisiert werden. „Dies ist insgesamt kein kostspieliges Vergnügen für unser Land“, erklärte Gennadij Onistschenko. Nach seinen Worten hätten die Kinder während der Ortswechsel Stress erlebt. In den genannten Republiken hätten sie nach Meinung des 71jährigen Onistschenkos keine Möglichkeit gehabt, eine vollwertige medizinische Hilfe zu erhalten.

Laut einer Mitteilung des Pressedienstes des russischen Bildungsministeriums hatte der Abtransport von Flüchtlingen von den Territorien der LVR und der DVR bereits am 18. Februar begonnen. Im Moskauer Gebiet traf der erste Zug mit Einwohnern aus dem Donbass am 22. Februar in Apreljewka ein. Rund 14.000 Kinder haben die Verwaltungsgebiete Belgorod, Wolgograd, Woronesch, Kursk, Moskau und Rostow aufgenommen. In Wolgograd, wo man Kinder aus dem Donbass empfangen hatte, habe man, wie im Bildungsministerium mitgeteilt wurde, für sie Trainings mit Psychologen absolviert. Und man habe den Kindern aus der Lugansker und der Donezker Volksrepublik die Möglichkeit gegeben, sich mit Altersgefährten aus Russland zu unterhalten und ihre persönlichen Geschichten mitzuteilen.

Die Aufsichtsbehörde für das Bildungswesen Rosobrnadzor hat nun vorgeschlagen, den Schülern aus den Donbass-Republiken, die in russischen Schulen unterrichtet werden, zu erlauben, ohne das Ablegen des Einheitlichen Staatsexamens für ein Hochschulstudium immatrikuliert zu werden. Dies erklärte der Leiter des Amts Anzor Musajew auf einer Pressekonferenz, die einem anderen Ereignis – der unbefristeten Akkreditierung von Hochschulen – gewidmet war.

Gleichfalls teilte er mit, dass Fragen über die Ereignisse im Donbass im Staatlichen Abschlussexamen für Geschichte im kommenden Jahr vorkommen könnten. Dabei unterstrich er aber, dass zuerst die entsprechenden Informationen in den Lehrbüchern auftauchen und den föderalen staatlichen Standards entsprechen müssten. „Wenn das Bildungsministerium schnell reagiert, dies (die Informationen über die Ereignisse im Donbass – „NG“) aufgenommen wird, bedeutet dies, dass dieses Ereignis bei der Prüfung behandelt wird“, betonte Musajew. Er erinnerte daran, dass es im russischen Bildungssystem bereits Erfahrungen mit einer operativen Aufnahme der Ereignisse des „Krim-Fühlings“ und der Rückkehr der Krim in den Bestand Russlands (im März 2014 – Anmerkung der Redaktion) in die Programme gegeben hätte.

Allmählich verändert sich auch die Arbeit mit den russischen Kindern hinsichtlich der Behandlung der aktuellen Situation. Es ist klar, dass es einfach unmöglich ist, die Kinder vor den Informationen abzuschotten, mit denen die gesamten Funk- und Fernsehsendungen sowie das Familienleben ausgefüllt sind. Die Situation wird sogar in Kindergärten diskutiert.

Die ersten zwei Tage, in denen die Erwachsenen in einer Verwirrtheit weilten und sich in den sozialen Netzwerken in „rote“ und „weiße“ aufgeteilt hatten, kopierten die Kinder das Verhalten ihrer Idole. Die älteren Schüler versuchten, sich ihre Meinung unter dem Einfluss von Teenager-Stars und Internet-Idolen zu bilden. Aber bald begannen aus den Regionen Mitteilungen über aus dem Bildungsministerium erhaltene methodische Anleitungen mit Plänen für Unterrichtsstunden im Fach „Gesellschaftskunde“ zur Behandlung der Ereignisse in der Ukraine aufzutauchen.

Im Permer Verwaltungsgebiet wird beispielsweise den Schülern der 6. bis 8. Klassen vorgeschlagen, die Rede des Landespräsidenten Wladimir Putin zu studieren und darüber zu sprechen, warum Nachbarn zu Feinden werden. In den methodischen Anleitungen werden Antworten zu Musterfragen, die die Minderjährigen stellen können, gegeben. Unter anderem wird daran erinnert, dass die Russen und die Ukrainer ein Volk seien und dass es zwischen „unseren Ländern keinen Hass geben kann“. Vorgelegt wird diese Bewertung für die Ereignisse von 2014: In der Ukraine hätte sich damals „ein Staatsstreich, ein verfassungsfeindlicher und blutiger“ ereignet, in dessen Ergebnis „eine proamerikanische Regierung an die Macht gelangte und faktisch eine äußere Verwaltung über diesen souveränen Staat installiert wurde“.

In der Anleitung wird die offizielle Position der Russischen Föderation skizziert: Die Sonderoperation werde für den Schutz der Menschen durchgeführt, die bereits acht Jahre „seitens des Kiewer Regimes Schikanen und einem Genozid ausgesetzt werden“. Russland strebe nach einer „Demilitarisierung und Entnazifizierung der Ukraine, aber auch nach einer Übergabe jene an ein Gericht, die zahlreiche blutige Verbrechen gegen friedliche Einwohner, darunter auch Bürger der Russischen Föderation begangen haben“. In den Plänen unseres Landes stehe keine Okkupation der Ukraine.

Auf die hypothetische Frage von Schülern, ob es möglich gewesen wäre, ohne militärische Handlungen auszukommen, wird den Pädagogen angeraten, so zu antworten: Diese Operation sei eine „erzwungene Maßnahme zur Rettung der Menschen in der Ukraine“.

Von den allgemeinen Antworten, die Psychologen geben, eignen sich für den Zeitraum der Durchführung der am 24. Februar begonnenen Sonderoperation durchaus auch jene, die den Menschen etwas früher gegeben wurden, ganz zu Beginn der COVID-19-Pandemie. Der praktizierende Kinderpsychologe Nikolaj Sorokin empfiehlt unter anderem, nicht in Panik zu geraten. Den Kindern werde die Besorgtheit der Erwachsenen weitergegeben. Man dürfe im Beisein der Kinder keine erbitterten Streitgespräche führen. „Ihre zornigen Posts, die Sie gerade in den sozialen Netzwerken veröffentlicht haben, sollte man nicht laut mit den Kindern diskutieren. Gleichfalls mache es keinen Sinn, die Verantwortung für das Geschehene konkreten Personen zuzuschreiben und schwerwiegende Vorwürfe gegen sie im Beisein der eigenen Kinder zu formulieren. Indem diese Menschen verurteilt werden, würde man dem Kind beibringen, die Verantwortung für eigene Taten anderen anzulasten. „Und suggerieren Sie dem Kind, dass von ihm persönlich nichts abhängt“.

Und nach Möglichkeit sollte man, empfiehlt der Psychologe, das Gespräch mit dem Kind auf Themen lenken, die für dieses aktueller seien. Es müsse sehen und fühlen, dass das Leben ungeachtet aller Umstände weiter gehe.