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Über die russischen Einwanderer ist man in den postsowjetischen Ländern nicht sehr erfreut


Die russisch-ukrainische Krise und die antirussischen Sanktionen haben die Ausreise einer spürbaren Anzahl von Bürgern Russlands in die Länder provoziert, die immer noch für Bürger der Russischen Föderation offen sind. Es handelt sich dabei um Staaten Zentralasiens, des Südkaukasus, des Mittleren Ostens und um die Türkei.

Vor unseren Augen spielt sich etwas Undenkbares ab: Bürger der Russischen Föderation migrieren in Ländern der einstigen UdSSR, während seit dem Zerfall der Sowjetunion eine Migration in der russischen Richtung erfolgte.

Nach der Verhängung von Sanktionen durch den Westen stürzten mehrere Unternehmer los, um ihr Business zu retten, indem sie es aus Russland brachten. Ein Teil der Ausgereisten nennt politische Gründe für die Ausreise. Man reist sogar nach Abchasien aus. Obgleich es unklar ist, wie der teilweise anerkannte Status dieser einstigen georgischen Teilrepublik bei der Rettung oder der Wiederherstellung des Business helfen kann (Abchasien ist lediglich durch Russland, Venezuela und einigen Inselstaaten im Pazifik anerkannt worden – „NG“).

Der in Suchum ansässige Politologe Inal Chaschig tat sich schwer, der „NG“ selbst eine ungefähre Zahl der nach Abchasien gekommenen Bürger der Russischen Föderation zu nennen. „Es ist schwer zu sagen, ob die Russen aufgrund der Ereignisse in der Ukraine zu uns gekommen sind. Sie gibt es hier natürlich, doch es ist sehr schwierig, sie von gewöhnlichen Touristen zu unterscheiden. Und wir haben in den letzten Jahren auch in der Zwischensaison recht viele Bürger Russlands, die zu uns kommen. Sie zu klassifizieren, ist praktisch unmöglich“, sagte Chaschig der „NG“. Dabei unterstrich der Politologe, dass es ja doch keinen Sinn mache, einen übermäßigen Zustrom zu erwarten, allein weil „in Abchasien nach wie vor ein Gesetz gilt, das den Ausländern untersagt, Immobilien zu erwerben“.

Einfacher ist die Situation in Abchasien. Hier hat sich scheinbar hinsichtlich einer massenhaften Einreise von Bürgern der Russischen Föderation nichts verändert. Es gibt keine Migrationsprozesse. „Ich verstehe nicht, wozu man die Flüge aus Russland nach Aserbaidschan canceln musste. Liegt dies an der Sicherheit? Wohl kaum. Genauso verstehe ich nicht, warum die Grenze im Norden zu Dagestan eine geschlossene bleibt. Der offizielle Grund ist COVID-19. Meines Erachtens entspricht dies aber nicht der Wirklichkeit“, sagte der „NG“ der Analytiker Schahin Rsajew aus Baku. Nach seiner Meinung hätten die Offiziellen faktisch die russische Richtung aufgrund einer Furcht vor einem Zustrom von Menschen blockiert: Wenn es keine Migranten gibt, gibt es auch keine Probleme.

Diametral entgegengesetzt ist die Situation in Armenien. Nach Aussagen von Gesprächspartnern der „NG“ empfange in Jerewan der Flughafen „Zvartnots“ täglich beinahe bis zu 20 Flüge aus Russland. An Bord jedes Jets sind rund 200 Passagiere. Somit kann die Zunahme bis zu 4.000 Menschen am Tag ausmachen. Es ist kein Zufall, dass es heute problematisch ist, nicht nur in Jerewan, sondern auch in anderen armenischen Städten eine Wohnung zu mieten oder ein Hotelzimmer zu bekommen. In die Höhe geklettert sind die Preise für Immobilien. Dabei hat man in Jerewan bereits festgestellt, dass es unter den Angekommenen viele Geschäftsleute und Spezialisten aus dem Bereich der IT-Technologien gibt, was nur erfreuen kann, da die Entwicklung dieser Richtung zu einer Staatsaufgabe erklärt worden ist.

Die Belebung ist der Bevölkerungsmehrheit Armeniens nur recht. Arbeit hat sich nicht nur in der Tourismusbranche ergeben, sondern auch im Dienstleistungsbereich. Und der Handel erlebt einen Aufschwung. Und zu einem der markantesten Ereignisse des letzten Wochenendes wurde eine Hochzeit, die Bürger Russlands in Jerewan gefeiert hatten, nachdem sie einen superlangen Konvoi ausschließlich aus Oldtimern aus sowjetischer Fertigung veranstaltet hatten.

Der geringe prowestlich eingestellte Teil der Gesellschaft macht keinen Hehl aus der Besorgnis über solche Pirouetten. Während Armenien auf der Suche nach Arbeit und Existenzmitteln Armenien verlassen, vor allem nach Russland, haben Bürger Russlands begonnen, massenhaft nach Armenien zu kommen. Nach Meinung von Vertretern dieser Gesellschaftsgruppe bestehe die Gefahr einer Veränderung der demografischen Situation – wenn nicht jetzt so in mehreren Jahren. Im Land mit einer Bevölkerung von drei Millionen Menschen und mit einem nichtaufhörenden Exodus der indigenen Bevölkerung kann dies sehr schnell passieren.

Eine noch vorsichtigere Haltung herrscht gegenüber der massenhaften Ankunft von Bürgern in Georgien. Hier landen täglich vier bis fünf Charterflüge aus Russland. Einen regulären Flugverkehr gibt es nicht. Nach Georgien kommt man auch über Jerewan, Minsk, Istanbul und sogar auf dem Land- und dem Seeweg. Die Opposition hat natürlich angefangen, von den Behörden die Verhängung von Beschränkungen zu fordern, zumindest aber die Einführung eines Visaregimes, da „neben den politischen Flüchtlingen Mitarbeiter von Geheimdiensten und andere unerwünschte Elemente aus dem feindlichen Russland nach Georgien gelangen können“. Der einstige stellvertretende Sekretär von Georgiens Sicherheitsrat, Vano Machavariani, hält derartige Befürchtungen für übertriebene. Nach seinen Worten mangele es auch so nicht an Geheimdienstmitarbeitern aus der Russischen Föderation. Man könne sich schwerlich vorstellen, dass es unter den 20.000 bis 25.000 russischen Touristen keine solchen gegeben hätte. Und auch nach seinen Worten sei Georgien, wenn die russischen Touristen anfangen würden, einen Flüchtlingsstatus zu fordern, verpflichtet, ihn zu gewähren, da es eine entsprechende internationale Konvention unterschrieben hat. Und dies werde auf jeden Fall eine ganze Reihe von Problemen verursachen.

Irakli Kadagishvili, Vorsitzender des Parlamentsausschusses für Prozedurfragen, ist der Auffassung, dass es keinen Anlass für Besorgnis gebe. Die Anzahl der Gäste aus Russland übersteige derzeit nicht die Werte der vergangenen Jahre. „Deshalb gibt es keinen Bedarf für die Einführung eines Visaregimes. Zweifellos ist unter den gegenwärtigen Bedingungen eine erhöhte Aufmerksamkeit der entsprechenden staatlichen Dienste im Interesse der Sicherheit der eigenen Bevölkerung erforderlich. Ich wiederhole mich aber: Bisher passiert nichts Außerordentliches“.

Wirtschaftsminister Levan Davitashvili verbindet die massenhafte Einreise von Bürgern Russlands nach Georgien damit, dass „das Land eine kleine Insel der Wirtschaftsfreiheit in der Region bleibt“. Nach seinen Worten gebe es für Ausländer, darunter für die Bürger Russlands, keine Beschränkungen für eine Wirtschaftstätigkeit oder den Erwerb von Immobilien. Das Wichtigste sei, die einheimische Gesetzgebung einzuhalten. Er unterstrich, dass die kontrollierenden Behörden verfolgen würden, dass nach Georgien keine Personen, die sich unter Sanktionen befinden, mit ihrem Business, das auf den schwarzen Listen des Westens steht, gelangen. Davitashvili bestätigte, dass in den letzten Tagen bis zu 25.000 Menschen aus Russland nach Georgien eingereist seien. Er verwies dabei auf Innenminister Wachtang Gomelauri, der der Auffassung ist, dass dieser Wert kein geringer sei, aber keine besonderen Risiken für Georgien in sich berge.

Dennoch ist im georgischen Segment der sozialen Netzwerke Beunruhigung aufgrund des Geschehens zu spüren. Einige Nutzer sind der Meinung, dass heute die ankommenden Bürger Russlands keine Gefahr darstellen würden. Wer könne aber garantieren, dass sich die Situation nicht irgendwann verändere und sich Moskau eines Schutzes der Interessen der Russen annehme, die in Georgien leben.

Wenig angenehme Neuerungen haben mehrere Inhaber gastronomischer Einrichtungen eingeführt. Einkehrende Russen werden nicht bedient, wenn sie nicht eine Erklärung mit einer Verurteilung der Politik Russlands in Bezug auf die Ukraine unterschreiben. Wobei es heißt, dass die hinter dieser Aktion stehenden Nichtregierungsorganisationen versuchen würden, diesen papieren einen gewissen Rechtsstatus zu verleihen, indem sie an irgendwelche Institute der Europäischen Union gesandt werden. Dagegen haben sich Menschenrechtler ausgesprochen, die derartige Handlungen als diskriminierende und vor allem dem demokratischen Image von Tbilissi einen Schaden zufügende bezeichnen.