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Selenskij hat die NATO um Hilfe ohne Einschränkungen gebeten


Der ukrainische Präsident Wladimir Selenskij hat am Donnerstag die NATO aufgerufen, Kiew militärische Hilfe „ohne Einschränkungen“ zur Verfügung zu stellen. Der Außenminister der Ukraine Dmitrij Kuleba forderte seinerseits die EU-Länder auf, sich nicht zu erniedrigen und nicht zur Bezahlung des russischen Gases in Rubeln überzugehen. Die verkündete „Gas“-Entscheidung hatte jedoch scheinbar Moskau erlaubt, seine Agenda am Vorabend der Serie von Gipfeltreffen in Brüssel vorzugeben, wo nicht wenige drohende Statements erwartet worden waren. Eine derartige Wende könnte weiter als ein Stimulus zur Suche nach Kompromissen zwischen den Unterhändlern der Ukraine und der Russischen Föderation dienen, hatten Experten eingeräumt.

Am Donnerstag erörterten die Staats- und Regierungschefs der Länder der NATO, der EU und G/ im Verlauf eines Marathons kurzfristig einberufener Gipfeltreffen in Brüssel ihre Antworten auf die ukrainische Situation. Im Zusammenhang damit hatten Beobachter in nicht geringem Maße nicht wenige spektakuläre Erklärungen erwartet, unter anderem über eine Erweiterung der Waffenlieferungen. Jedoch hatte sich beinahe als das aktuellste Thema für die Teilnehmer der erwähnten Summits die am Vorabend von Russlands Präsident Wladimir Putin verkündete Entscheidung über eine Umstellung der Zahlungen für russisches Gas auf Rubel erwiesen.

Die von Moskau getroffene Entscheidung schafft neue Probleme für die westeuropäischen Länder. Und einige Finanzminister fingen dort gar an, von der Notwendigkeit einer Wiederherstellung der Zusammenarbeit mit den entsprechenden russischen Strukturen zu sprechen, meinte Andrej Kortunow, Generaldirektor des Russischen Rates für internationale Angelegenheiten, gegenüber der „NG“.

Es sei daran erinnert, dass am Donnerstag der ukrainische Außenminister Dmitrij Kuleba auf Twitter die EU-Länder aufgefordert hatte, sich nicht zu erniedrigen, eine verantwortungsbewusste Entscheidung zu fällen und auf einen Übergang zum Rubel zu verzichten.

Zu einer verantwortungsbewussten Entscheidung rief auch der ukrainische Präsident Wladimir Selenskij die Vertreter der Allianz auf. Wie er in seiner Videobotschaft an den NATO-Gipfel unterstrich, „braucht die Ukraine militärische Hilfe ohne Einschränkungen“. Kiew hat bereits um bis zu einem Prozent der NATO-Panzer und -Flugzeuge gebeten. Und am 24. Februar hatte er sich an die NATO-Länder mit der Bitte gewandt, den Himmel über dem Land in jeglichem Format zu einer Flugverbotszone zu machen. „Wir haben keine klare Antwort erhalten“, erinnerte Selenskij.

Derweil sagte NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg am Vorabend auf einer Pressekonferenz, dass die Allianz keine Truppen in die Ukraine entsenden oder nicht versuchen werde, dort eine Flugverbotszone zu etablieren. „Man muss verstehen, dass es wichtig ist, die Ukraine zu unterstützen. Wichtig ist aber auch, einen Krieg zwischen der Russischen Föderation und der NATO zu verhindern“, sagte Stoltenberg. Er fügte hinzu, dass man in der Allianz die Möglichkeit ausschließe, eine Flugverbotszone über der Ukraine einzurichten, da die NATO russische Flugzeuge abschießen müsste. Und dies würde einen Krieg gegen Russland bedeuten. Zur gleichen Zeit kündigte der Norweger die Entscheidung über die größte Verstärkung der eigenen Verteidigung und eine Stationierung von vier Gefechtsgruppen der NATO in Bulgarien, Ungarn, Rumänien und der Slowakei an.

Die Aktualität eines derartigen Schrittes werde, wie Andrej Kortunow betonte, durch das Bestehen eines Interesses von Moskau, NATO-Länder anzugreifen, bestimmt. Bei einem Nichtbestehen solch einer Absicht sehe die erklärte Entscheidung eher wie eine psychologische Geste aus, die dazu berufen sei, die Bevölkerung der Region zu beruhigen. Dabei sei es schwierig, die Annahme zu hegen, fuhr Kortunow fort, dass die Allianz sich in einen Konflikt mit der Russischen Föderation einschalten möchte. Ja, und in Brüssel sprach man auch von einer Erweiterung der Waffenlieferungen an die Ukraine und einer Verstärkung des Drucks auf Russland im Wirtschaftsbereich, aber auch auf politischem und diplomatischem Parkett, beispielsweise im Rahmen der OSZE. Wahrscheinlich ist aber auch eine neue Runde der diplomatischen Kriege mit einer gegenseitigen Ausweisung von diplomatischen Mitarbeitern.

Auf jeden möchte man gern darauf hoffe, wandte der Experte ein, dass die durch die Summits erzielte Abstimmung der Positionen und weiteren koordinierten Schritte als ein zusätzlicher Stimulus für die Suche nach Kompromissen dienen werde. Obgleich die Seiten eine gewisse Annäherung ihrer Positionen signalisierten – was zweitrangige Fragen angeht -, müssen sie aber hinsichtlich der schmerzhaften Fragen, die beispielsweise mit dem Status des Donbass oder der Krim zusammenhängen, noch lange nach Kompromisslösungen suchen. Wobei Russlands Chefunterhändler Wladimir Medinskij am Freitagnachmittag erklärte: Kiew wolle die Verhandlungen verschleppen. Wichtig sei aber, dass die Seiten schneller von den Gefechtshandlungen zu gegenstandsbezogeneren Verhandlungen übergehen. Da jeder Tag der militärischen Kämpfe das Erreichen künftiger Friedensvereinbarungen erschwere, resümierte der Generaldirektor des Russischen Rates für internationale Angelegenheiten.

Derweil spekuliert man in Moskau, dass Russland seine Operation in der Ukraine bis Ende April beenden wolle. Freilich nur unter der Bedingung, dass Kiew sich voll und ganz den von Kremlchef Putin formulierten Forderungen beugt – ohne Kompromisse und nur in einem Gesamtkomplex. Bis dahin werden also auf beiden Seiten weiter Menschen ums Leben kommen oder Verwundungen erleiden. Am Freitagnachmittag legte das russische Verteidigungsministerium neue eigene Opferzahlen vor (erstmals am 3. März). Die russischen Streitkräfte hätten nach Aussagen des 1. Stellvertreters des russischen Generalstabschefs Sergej Rudskoi 1.351 Tote und 3.825 Verwundete zu beklagen. Dies korreliert natürlich nicht mit den ukrainischen Angaben, die höher ausgewiesen werden. Nur ist es gegenwärtig praktisch unmöglich, wahre Zahlen zu ermitteln bzw. offiziell genannte zu verifizieren.