Unabhängige Zeitung

Private Tageszeitung

Über die mögliche Rückkehr der Todesstrafe


Eines der Themen, die in Russland in den letzten Wochen mit einer besorgniserregenden Beständigkeit aufgeworfen werden, ist die Rückkehr bzw. Wiederherstellung der Todesstrafe im Land. Dieses Motiv war auch früher zu vernehmen, besonders als die Gesellschaft durch irgendeine schreckliche, spektakuläre Missetat schockiert wurde. Aber weiter als bis zu publizistischen Äußerungen oder Auftritten einzelner Abgeordneter ist die Diskussion nicht gegangen. „Oben“ hatte man die Rückkehr des höchsten Strafmaßes nicht unterstützt.

Jetzt aber erreicht die Erörterung ein neues Niveau. Bereits zweimal hat sich zu diesem Thema Russlands Ex-Präsident und stellvertretender Vorsitzender des Sicherheitsrates Dmitrij Medwedjew geäußert (er selbst hat Zivilrecht studiert und auf diesem Gebiet promoviert – Anmerkung der Redaktion). Ende Februar erklärte er, dass die Einstellung der Mitgliedschaft der Russischen Föderation im Europarat zu einer guten Gelegenheit werde, „eine Reihe wichtiger Institute für die Verhinderung besonders schwerer Verbrechen im Land – vom Typ einer Todesstrafe für überaus gefährliche Verbrecher – wiederherzustellen“. Damals hatte Medwedjew auch hinzugefügt, dass das höchste Strafmaß aktiv in den USA und in China (aber auch in Saudi-Arabien und in Weißrussland – Anmerkung der Redaktion) angewandt werde.

Vor nicht allzu kurzer Zeit, am 25. März, sagte der stellvertretende Vorsitzende des Sicherheitsrates in einem Interview für die staatliche Nachrichtenagentur RIA Novosti, dass das Moratorium für die Todesstrafe beibehalten werden könne, „wenn alles ruhig sein wird“. Man könne dem höchsten Strafmaß unterschiedlich gegenüberstehen, sagte Medwedjew. Und fügte hinzu, dass zum auslösenden Motiv für das Verfassungsgericht der Russischen Föderation, dass das Moratorium unterstützt hatte, „ohne jeglichen Zweifel die Teilnahme unseres Landes an den Konventionen des Europarates geworden war“. Jetzt aber haben diese Konventionen für uns ihre Gültigkeit verloren.

Die Idee hat bereits eine religiöse Ausgestaltung erhalten. Der Vorsitzende der Zentralen geistlichen Verwaltung der Moslems, Obermufti Talgat Tadschuddin, erklärte, dass die Wiederherstellung der Todesstrafe „völlig natürlich“ sei, wenn dies „schlimmste Verbrechen“ betreffe, beispielsweise Gewalt gegen Kinder. Tadschuddin plädierte im Übrigen auch früher für derartige Entscheidungen.

Zu vernehmen sind auch skeptische Stimmen. Beispielsweise ist Senator Andrej Klischas (Kremlpartei „Einiges Russland“) der Auffassung, dass es keine juristische Möglichkeit gebe, die Todesstrafe zurückzuholen. Das Verfassungsgericht habe nach seinen Worten seine Entscheidung hinsichtlich dieser Frage so formuliert, dass nicht zur höchsten Strafe verurteilt zu werden zu den Bürgerrechten und -freiheiten gehöre. Die Menschenrechtsbeauftragte Russlands, Tatjana Moskalkowa, ist sich gewiss, dass man selbst nach der Aussetzung der Mitgliedschaft der Russischen Föderation im Europarat die Todesstrafe nicht wiederaufleben bzw. wiederherstellen werde.

Dies ist eher eine formulierte Hoffnung. Und eine juristische Möglichkeit wird sich bei einem Wunsch stets finden. Frappierend ist das, dass man beinahe sofort, nachdem die Beziehungen zwischen Russland und der westlichen Welt abzureißen begannen, anfing, von der Todesstrafe zu sprechen. Aufmerksamkeit erregt auch die Offenheit, mit der die Machtvertreter von der Mitgliedschaft in den europäischen Strukturen als einen hemmenden Faktor sprechen. Ist etwa die Freiheit, eine Hinrichtung vorzunehmen, eben das, was Russland in den letzten Jahrzehnten so sehr nicht gereicht hatte?

Es hatte den Anschein gehabt, dass man die Todesstrafe in Russland nicht wiederherstellen werde, da man sich vom Prinzip der Humanität leiten lasse. Die Bestrafung soll, wenn nicht einer Besserung, so doch einem Schutz vor einem Verbrecher dienen. Und eine lebenslängliche Haft ist beispielsweise stets ausreichend. Das Moratorium konnte durch praktische Erwägungen bestimmt werden. Nirgends in der Welt (darunter auch in den USA und in China) hat die Todesstrafe eine Verringerung der Kriminalitätsrate befördert. Und nirgends in der Welt ist man vor richterlichen Fehlern gefeit.

Die juristisch verankerte Aufhebung der Todesstrafe hat in einer demokratischen Gesellschaft auch einen anderen Sinn. Die Möglichkeit, die Höchststrafe anzuwenden, kann zu einem Instrument in den Händen jeglicher politischen Kraft werden, die an die Macht kommt und mit ihren Opponenten abrechnen möchte. Es wird die Auffassung vertreten, dass die Gesetze helfen, solche Anstrengungen zu zügeln.

Wir hören jedoch, dass die russischen Offiziellen nicht diese logischen, vernünftigen und zeitgemäßen Erwägungen, sondern internationale Pflichten gezügelt hätten. Und augenscheinlich ist dies eine Illusion, dass Russland selbst gleichzeitig mit vielen anderen Ländern zu der Schlussfolgerung gelangt sei, dass die Todesstrafe übermäßig und unnötig sei. Und die Konventionen des Europarates diese Einmütigkeit einfach verankerten. Man darf wohl nicht überrascht sein, wenn die Idee, das höchste Strafmaß in Russland wiederherzustellen, bald auch durch soziologische Angaben untermauert wird. Es gibt ja genug kremlnahe „Meinungsforscher“.