Polens Sejm hat für Gesetzesänderungen gestimmt, die den weißrussischen Oppositionellen das Leben erleichtern sollen. Die endgültige Annahme des Dokuments im Senat und die Unterzeichnung durch den Landespräsident werden in den nächsten Tagen erwartet. Polen ist nicht nur eine Basis für den politischen Flügel der Opposition, sondern auch für den militärischen geworden. Das „Weißrussische Haus in Warschau“ organisiert nach Aussagen seines Vorsitzenden die Entsendung von Freiwilligen in das Kastus-Kalinouski-Bataillon.
Polen ist bereit, auch weiterhin aktiv den weißrussischen Emigranten zu helfen. Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja teilte mit, dass der Sejm Beschlüsse gefasst hätte, die das Leben allen erleichtern würden, die gegen die Politik von Alexander Lukaschenko auftreten.
„Verabschiedet sind die folgenden Änderungen für Weißrussen: die Möglichkeit des Erhalts humanitärer Visa für Bürger von Belarus unmittelbar auf dem Territorium Polens… Die Möglichkeit des Erhalts einer zeitweiligen Aufenthaltserlaubnis aufgrund humanitärer Ursachen für drei Jahre… Erweitert wurde die Liste der Personen, auf die sich die Möglichkeit des Erhalts eines polnischen Reisedokuments erstreckt… Diese Prozedur wird den Weißrussen erlauben, deren weißrussischer Pass ungültig ist (er ist abgelaufen, verloren oder beschädigt worden, ein Reisedokument zu erhalten und es für den Grenzübertritt zu nutzen“, informiert der Telegram-Kanal von Tichanowskaja. Nach ihren Worten würden die endgültige Verabschiedung der Gesetzesände3rungen im Senat und die Unterzeichnung des Dokuments durch Polens Präsidenten bis Ende der Woche erwartet werden.
Aber Warschau leistet nicht nur weißrussischen Oppositionellen, die einen politischen Kampf führen, Unterstützung. Ein großes Echo hatte in der vergangenen Woche ein Beitrag in der spanischen Zeitung „La Vanguardia“ ausgelöst, in dem berichtet wurde, dass das „Weißrussische Haus in Warschau“, dessen Leiter der bekannte Oppositionspolitiker Ales Sarembjuk ist, zu einem Zentrum für das Sammeln von Freiwilligen geworden sei. Wobei nicht nur eigentliche Weißrussen, sondern auch Bürger anderer Staaten. Nach einer kurzen Gefechtsausbildung würden sie in die Ukraine zum Standort des „Weißrussischen Kastus-Kalinouski-Bataillons“ entsandt werden.
Gerade in diesem Zentrum hat sich jüngst Swetlana Tichanowskaja mit künftigen Kämpfern getroffen und ihnen jegliche Unterstützung bekundet.
Das Kalinouski-Bataillon ist auf der Grundlage einer Einheit von Weißrussen geschaffen worden, die an der ukrainischen antiterroristischen Operation im Donbass im Jahr 2014 teilgenommen hatten, aber auch aus Teilnehmern der Proteste des Jahres 2020, die in die Ukraine geflohen waren und sich nun ersteren angeschlossen haben. Am 25. März haben die Kämpfer des Bataillons einen Fahneneid abgelegt und sich offiziell in den Bestand der ukrainischen Streitkräfte integriert. „Das Gelübde auf Weißrussisch haben unsere Freiwilligen verfasst. Wir sind uns sicher, dass dieser Text künftig zur Grundlage des Fahneneids für eine wahre weißrussische Armee wird“, heißt es in einer offiziellen Mitteilung, die im Internet im Namen der Einheit gepostet worden war.
Ihre Mitglieder machen keinen Hehl daraus, dass sie beabsichtigen würden, in der Perspektive mit Waffen in den Händen in die Heimat zurückzukehren. Dies erklärt unter anderem das in den Medien auftauchende Gesicht des Bataillons, der bekannte weißrussische Blogger Sergej Bespalow, in seinen Videoclips.
Charakteristisch ist, dass sich bereits noch eine Einheit formiert, die das gleiche Ziel hat, aber mit dem Bataillon konkurriert. Dies ist das Regiment „Pagonja“ (weißrussisch: „Verfolgungsjagd“). Sein Vertreter, der ehemalige Gastronom Wadim Prokopjew, erklärte gegenüber „Euroradio-Live“: „Mit Trauer bin ich einzugestehen bereit, dass wir etwas dahingehend auseinander gegangen sind, wie man die Handlungen gestalten muss. Ich kann die Männer aus dem Kalinouski-Bataillon verstehen. Die Sache ist die, dass es dort Veteranen gibt, die wirklich an Kampfhandlungen teilgenommen haben. Und für sie sind alle Neulinge. Dies ist im Großen und Ganzen etwas Neues und Unklares“. Weiter gab Prokopjew eine sehr bezeichnende Erklärung ab: „Wir brauchen eine Idee für alternative Streitkräfte von Belarus. Jetzt, hier auf diesem Boden. Wir werden nirgends mehr und in keiner Weise mehr eine Kraft bilden, die uns im Jahr (20)20 so sehr gefehlt hatte“. Es ist offensichtlich, dass solch eine Initiative in der Perspektive einen Bürgerkrieg auslösen kann.
Wie effektiv die Vertreter der beiden Verbände an den Kampfhandlungen teilnehmen, ist schwer zu beurteilen. Im offiziellen Telegram-Kanal des Kastus-Kalinouski-Bataillons gibt es bisher keine Belege für dessen Teilnahme an Gefechten. Dafür sind aber umfangreich TikTok-Videos über den Trainings- und Ausbildungsprozess gepostet worden. Und dennoch wird auch über drei bis heute ums Leben gekommene Kämpfer des Bataillons informiert.
Recht bezeichnend ist die Persönlichkeit des Mannes, nach dem die Einheit benannt wurde. Kastus Kalinouski (auch mit dem Vornamen Wincenty bekannt) war einer der Anführer des Polnischen Aufstands 1863-1864 gegen das russische Zarenreich. Er stammte aus einem polnischen Adelsgeschlecht. Die Aufrufe an die Bauern hatte er aber auf Weißrussisch verfasst. Nach der Niederschlagung des Aufstands wurde Kalinouski im Alter von 26 Jahren hingerichtet.
Überraschend ist aber das, dass ihn nicht nur die Oppositionellen, sondern auch die Anhänger von Alexander Lukaschenko für einen Helden halten. Auf der Internetseite der präsidententreuen Bewegung „Weiße Rus“, die jüngst mit der russischen Kremlpartei „Einiges Russland“ ein Abkommen über Zusammenarbeit unterzeichnete, ist beispielsweise ein recht freundlicher Beitrag über den Kämpfer gegen die russische Herrschaft veröffentlicht worden, in dem es die folgende Erläuterung gibt:
„Ja, Kalinouski trat gegen den Zarismus auf, aber bei weitem nicht gegen das russische Volk, das er als Brudervolk bezeichnet hatte: „Das Moskauer Volk wird durch unsere jahrhundertelange Kränkung erschüttert. Es ist unser freier Bruder. Und es möchte kein Unterdrücker sein. Und es legt die Verantwortung gegenüber den Nachfahren für unseren eisernen Unwillen entschieden auf den Zarismus, der zu sterben bereit ist“.
Die Bande der weißrussischen Opposition mit Polen (unter anderem aufgrund gemeinsamer Helden) werden nicht nur die Nachbarschaft beider Länder begründet. Die Sache liegt in Vielem daran, dass das Territorium von Weißrussland lediglich erst 1795 vollkommen zur „Russischen Welt“ gehörte, im Ergebnis der dritten Aufteilung der Rzeczpospolita. Bis dahin hatte sie aber über Jahrhunderte zur „Polnisch-litauischen Welt“ gehört. Mehr noch, das westliche Weißrussland, dessen Fläche etwas weniger als die Hälfte der ganzen Republik ausmacht, gehörte zwischen den beiden Weltkriegen erneut zu Polen.