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Hafensanktionen in Europa können die Bedeutung des Nördlichen Seeweges erhöhen


Vor dem Hintergrund der Sanktionen der Europäischen Union, die das Anlaufen europäischer Häfen durch russische Schiffe einschränken, kann der Nördliche Seeweg, der entlang der nördlichen Seegrenzen Russlands verläuft, zu einer ernsthaften Alternative zu anderen Routen werden. Am Mittwoch beauftragte Präsident Wladimir Putin die Regierung, die Realisierung der Arktis-Projekte nicht auf die lange Bank zu schieben. Unter anderem sei es erforderlich, alle geplanten Eisbrecher und die Navigationsinfrastruktur entlang der gesamten Trasse zu errichten. Separat beschlossen wurde, die Pläne für das Verladen der Rohstoffe von den neuen Lagerstätten und die Transportmöglichkeiten abzustimmen. Bisher gehen die Pläne für die Frachtguttransporte um Millionen Tonnen auseinander.

Die Realisierung der Projekte in Russlands Arktiszone dürfe man aufgrund des Sanktionsdrucks nicht aufschieben. Und das Tempo für ihre Umsetzung müsse man im Gegenteil forcieren, erklärte Präsident Wladimir Putin bei einer Online-Beratung zu Fragen der Entwicklung der Arktis am Mittwoch. „Gegenwärtig, unter Berücksichtigung der unterschiedlichen äußeren Einschränkungen und des Sanktionsdrucks, müssen wir allen Projekten und Plänen im Zusammenhang mit der Arktis besonderes Augenmerk schenken. Sie dürfen nicht aufgeschoben, beiseitegelegt werden. Sondern im Gegenteil, auf die Versuche, unsere Entwicklung aufzuhalten, müssen wir mit einer maximalen Forcierung des Arbeitstempos sowohl hinsichtlich der aktuellen als auch bezüglich der perspektivischen Aufgaben reagieren“, sagte er.

Das Staatsoberhaupt konstatierte, dass jetzt, im Ergebnis der Handlungen der sogenannten unfreundlichen Länder eine Reihe von Transport- und Logistikketten unterbrochen wurden. „Es ist offensichtlich, dass viele Projekte heute einer Korrektur und einer zusätzlichen Unterstützung sowie flexibler, nichtstandardgemäßer Lösungen zur Finanzierung, hinsichtlich der anzuwendenden Technologien und bezüglich der Versorgung mit Materialien und Bautechnik sowie Bauteilen bedürfen“, sagte Putin.

Der Präsident signalisierte die Notwendigkeit, einen zusammenfassenden Plan für die Entwicklung des Nördlichen Seewegs bis zum Jahr 2035 zu bestätigen. Putin forderte von der Regierung, klar in diesem Plan den perspektivischen Güterstrom über den Nördlichen Seeweg zu skizzieren, wobei konkrete Investitionsvorhaben, die Pflichten der Frachtgutversender in Bezug auf die Umfänge, aber auch die Größe und Nomenklatur der notwendigen Eisbrecher-Flotte ausgewiesen werden. Er betonte, dass davon die Pläne für die Entwicklung der Infrastruktur abhängen würden. Putin merkte an, dass es ebenfalls nötig sei, sich auch über jene Schiffe Gedanken zu machen, die hinter den Eisbrechern fahren werden.

Im zusammengefassten Plan für die Entwicklung des Nördlichen Seeweges müssten der Bau und die Unterhaltung einer Havarie- und Rettungsflotte sowie komplexer Havarie- und Rettungszentren des Katastrophenschutzministeriums vorgesehen werden. „Dies ist eine sehr wichtige Aufgabe. Erwähnt wurden eine Hubschrauber-Gruppierung usw. Dies ist aber natürlich unzureichend. Dies ist ein gesondertes Thema. Darüber muss man sich an den Orten der Realisierung der großangelegten, wichtigen Infrastruktur- und Investitionsprojekte Gedanken machen“, sagte das Staatsoberhaupt. Als noch eine Aufgabe bezeichnete Putin die Bestimmung des Umfangs und der Quellen der Finanzierung hinsichtlich aller Maßnahmen des zusammengefassten Plans, „dabei gegenstandsbezogen, mit einer Aufschlüsselung nach Jahren“.

Im vergangenen Jahr macht der Umfang der Frachtguttransporte über den Nördlichen Seeweg 34,8 Millionen Tonnen aus. Und dies ist mehr, als geplant worden war. Entsprechend dem Pass für das föderale Vorhaben „Entwicklung des Nördlichen Seeweges“ sollten bis Ende 2021 32 Millionen Tonnen befördert werden. Im Jahr 2020 beförderte man 32,9 Millionen Tonnen.

Eine strategische Aufgabe sei die Schaffung eines neuen globalen Transportkorridors auf der Basis des Nördlichen Seeweges, erklärte Vizepremier und in Personalunion der Bevollmächtigte Vertreter des Präsidenten im Fernöstlichen Föderalen Bezirk, Jurij Trutnjew, bei der Beratung. Nach seinen Worten müssten den Hauptumfang der Transporte über den Nördlichen Seeweg bis zum Jahr 2024 vier Unternehmen sichern – Novatek, Gazpromneftj, Rosneftj und „Sewernaja Swjesda“ („Nordstern“). „Bei einer Realisierung der Pläne durch diese Unternehmen wird das Volumen der Transporte über den Nördlichen Seeweg bis zum Jahr 2030 200 Millionen Tonnen übersteigen“, sagte er. Ende letzten Jahres hatte der Leiter der Direktion für den Nördlichen Seeweg und stellvertretende Leiter des Staatskonzerns „Rosatom“ Wjatscheslaw Rukscha mitgeteilt, dass der Frachtgutstrom über den Nördlichen Seeweg im Jahr 2030 150 Millionen Tonnen ausmachen werde, von denen 30 Millionen Tonnen auf den internationalen Transit entfallen würden.

Auf der Internetseite von „Nordstern“, das auf Taimyr Lagerstätten von Kokskohle abbaut, heißt es, dass das Unternehmen im Jahr 2025 die projektierte Leistung erreichen und der geplante Umfang der Transport sieben Millionen Tonnen im Jahr ausmachen werden. Das heißt: Der Löwenanteil der Transport wird auf Erdöl und Erdgas entfallen. Unter Berücksichtigung dessen, dass bereits auf russisches Erdöl zur Hatz geblasen wurde und in Europa Stimmen für einen Verzicht auch auf Erdgas immer lauter werden (obgleich am Mittwoch die deutsche Bundesregierung gegen ein unverzügliches Embargo in Bezug auf Öl- und Gaslieferungen aus Russland auftrat), kann angenommen werden, dass diese Erzeugnisse immer seltener in westlicher Richtung unterwegs sein werden. Nach eben jenem Europa. Und man wird wohl die Schiffe in die östliche Richtung schicken, über die man auf dem Nördlichen Seeweg nach Südostasien gelangen, unter anderem nach China und andere Länder, die sich nicht den antirussischen Sanktionen angeschlossen haben.

Diese Route wird nach der Implementierung des Verbots für ein Anlaufen der europäischen Häfen durch russische Schiffe im Rahmen des fünften Sanktionspakets der Europäischen Union noch aktueller. Wobei unter das Verbot nicht nur Schiffe unter der Flagge der Russischen Föderation, sondern auch die Schiffe, die nach dem 24. Februar die Flagge oder Registrierung wechselten, fallen werden. In Erinnerung geblieben ist auch die jüngste Geschichte, als die französischen Behörden einen russischen Stückgutfrachter im Ärmelkanal festhielten, den sie „einer Verbindung mit russischen Interessen, gegen die Sanktionen verhängt worden waren“ verdächtigten.

Insgesamt sind in Russlands Seehäfen im vergangenen Jahr 835 Millionen Tonnen Frachtgut abgefertigt worden. Nach Schätzungen von Marktakteuren mache an diesem Frachtgutaufkommen der Anteil der Frachtgüter, die durch Schiffe unter russischer Flagge transportiert werden, rund zwei Prozent aus, und der der Frachtgüter, die von russischen Reedern befördert werden, ca. zehn bis 15 Prozent. Der Anteil der Exportgüter machte 79,1 Prozent aus. Der größte Teil der russischen Exportgüter, die über die Seehäfen der Russischen Föderation umgeschlagen werden, wird durch Schiffe unter ausländischen Flaggen befördert.

„Unter den Bedingungen der Sanktionen nimmt die geopolitische Rolle des Nördlichen Seeweges zu“, sagte der „NG“ der Abgeordnete der Staatsduma (des russischen Unterhauses – Anmerkung der Redaktion) Alexej Weller (Kremlpartei „Einiges Russland“). „Dies betrifft besonders die EU-Sanktionen gegen die russische Schifffahrt. Auf der Route des Nördlichen Seeweges ist es schwierig, derartige Sanktionen anzuwenden. Kompliziert ist es auch, den Versuch zu unternehmen, gewaltsame Sanktionen aufgrund unserer dort stationierten Nordmeerflotte anzuwenden“. Hier könne der internationale Transit bedeutend zunehmen, sagte der Experte. Zur gleichen Zeit bezeichnet der Parlamentarier die Zunahme der internationalen Transporte über den Nördlichen Seeweg als eine der Alternativen. „Um eine Navigation das ganze Jahr über zu organisieren, muss man den Park der Eisbrecher aufstocken und eine Navigationsinfrastruktur über den gesamten Verlauf des Nördlichen Seeweges einrichten. Ich hoffe, dass man von dem Gerede darüber nunmehr zu dessen aktiven Entwicklung übergehen wird“, sagte der Experte.

Wie Rukscha berichtete, werden zwölf bis vierzehn Eisbrecher für eine Arbeit des Nördlichen Seeweges das gesamte Jahr über erforderlich sein. Der erste der modernen Eisbrecher, der Gigant „Arktis“, der bereits im Jahr 2020 in Dienst gestellt wurde, hat nach einer schwierigen Etappe von Tests und Reparaturen im Januar endlich den ersten Konvoi über den Nördlichen Seeweg bis nach Tschukotka gebracht. Und derzeit begleitet er zwei Frachter aus Pewek nach Archangelsk.

Der Nördliche Seeweg ist nicht nur eine Hoffnung der Produzenten von Kohlenwasserstoffen und anderer Lieferanten von Exporterzeugnissen. Über diese Trasse werden gewaltige Mengen an Brennstoffen, Materialien, Lebensmitteln und von Medikamenten in die im Hohen Norden des Landes liegenden Regionen gebracht, im Rahmen der sogenannten Nordversorgung. Die Offiziellen der Russischen Föderation müssten ein spezielles föderales Gesetz über die Nordversorgung ausarbeiten, das alle Aspekte der Lieferung von Frachtgütern in die schwer zugänglichen Landesgebiete regeln werde, erklärte am Mittwoch Wladimir Putin bei der Bilanzierung der Beratung.

„Eine Aufgabe von besonderer Wichtigkeit ist die vollständige und rechtzeitige Gewährleistung der Nordversorgung auf dem Seeweg. Ich bitte, ein spezielles föderales Gesetz über die Nordversorgung auszuarbeiten. Das Gesetz muss alle Aspekte reflektieren – von der Bestimmung der Liste der Frachtgüter der Versorgung und der Gewährleistung ihres Transports bis zur Planung der Realisierung und Kontrolle der Umsetzung all dieser Maßnahmen“, betonte das Staatsoberhaupt.

Es sei daran erinnert, dass im vergangenen Herbst die Offiziellen mehrerer Regionen der Arktis und des Fernen Ostens Vizepremier Trutnjew gebeten hatten, sich mit der Verzögerung der Frachtgutlieferungen zu befassen. Über eine Nichteinhaltung der Lieferfristen hatte man sich auf Kamtschatka und Tschukotka beklagt. In die Situation hatte sich sogar Dmitrij Peskow, der Pressesekretär des Präsidenten, eingeschaltet, der versicherte, dass sich die Situation mit der Anlieferung der Frachtgüter und den Störungen bei der Versorgung der Einwohner des Fernen Osten bei Wladimir Putin unter Kontrolle befinde. Damals hatten Experten gesagt, dass das Problem im Fehlen eines Zentrums für die Verwaltung und Leitung der Nordversorgung bestehe. Am Mittwoch hat nun der Präsident das Kommando erteilt, solch ein Zentrum zu schaffen.

Am gleichen Tag wurde eine am Tag zuvor unterzeichnete Anordnung der Regierung bekannt, die vom Wesen her gegen die Hafensanktionen gerichtete Maßnahmen einführen. Es geht um ein Verbot für das Anlaufen mehrerer Häfen an der Trasse des Nördlichen Seeweges durch ausländische Schiffe. Die Seehäfen Beringowskij und Prowidenije im Autonomen Bezirk Tschukotka sind für ein Anlaufen durch ausländische Schiffe und die Erbringung von Leistungen für sie gesperrt worden, heißt es in der Anordnung des russischen Ministerkabinetts, die am Mittwoch auf dem offiziellen russischen Internetportal für Rechtsinformationen veröffentlicht wurde. Für die Gewährung von Leistungen für ausländische Schiffe ist auch der Hafen Egwekinot auf Tschukotka geschlossen worden.

 

  1. S. der Redaktion „NG Deutschland“

Nach Redaktionsschluss für den vorliegenden Beitrag meldeten russische Nachrichtenagenturen, dass ab dem Ostersonntag die italienischen Häfen für russische Schiffe gesperrt werden. Dies berichtete unter anderem die staatliche Agentur RIA Novosti unter Berufung auf die italienische Zeitung „La Stampa“. Dieses Verbot gilt dabei auch für jene Schiffe, die die russische Flagge gegen die eines anderen Staates nach Beginn der von Wladimir Putin am 24. Februar befohlenen und im Westen heftig kritisierten Sonderoperation in der Ukraine wechselten. Präzisiert wurde dabei für die bereits in italienischen Häfen liegenden russischen Schiffe, dass sie diese verlassen müssten, sobald sie ihre kommerzielle Tätigkeit abgeschlossen hätten.

Zuvor war bekannt geworden, dass Rumäniens Behörden auch ab 17. April Schiffen unter russischer Flagge verbieten, die Häfen des Landes anzulaufen. Betont wurde freilich, dass eine Ausnahme nur für jene Schiffe gemacht werde, die Hilfe brauchen, in einer Havarie-Situation sind oder Asyl suchen.