Wie die „NG“ erfahren hat, bekräftigte die Partei von Grigorij Jawlinskij bei ihrem letzten Parteitag hinter verschlossenen Türen ihre harte pazifistische Haltung. Veröffentlicht wurden radikal oppositionelle Erklärungen pazifistischen Charakters. „Jabloko“ hat gleichfalls den Beginn der Bürgeraktion „Sag‘ dem Frieden JA!“ bekanntgegeben und Anträge für 1.-Mai-Meetings in fünf Städten Russlands eingereicht. Dabei wird derzeit radikaler Pazifismus, der in Aktionen und öffentlichen Erklärungen artikuliert wird, durch die russischen Gesetze streng bestraft. Verfolgungen ausgesetzt wurden dutzende Aktivisten, was die Frage nach der Zukunft der Partei aufwirft.
Nach dem am 16. April erfolgten Parteitag hat „Jabloko“ den Start der Bürgeraktion „Sag‘ dem Frieden JA!“ bekanntgegeben. Das Ziel der Aktion, den Menschen die Möglichkeit zu geben, ihre staatsbürgerliche Position hinsichtlich der sich abspielenden Ereignisse mit Hilfe literarischer Werke – Gedichte, Prosa und Liedern – zu bekunden. An der Aktion kann jeder Bürger Russlands teilnehmen. Dazu muss ein Video mit dem Zitieren von Fragmenten aus Büchern oder mit der Darbietung eines Musikwerkes mit einer Antikriegsausrichtung – von klassischen bis modernen — vorgestellt werden. Die Vertreter der „Jabloko“-Partei versprechen, dass alle Videos auf YouTube-Kanälen veröffentlicht werden. Dabei warnt man die Aktivisten streng davor, dass es in den Videos keinerlei staatlicher und politischer Symbole geben dürfe. Und es wird auch ein Verzeichnis von Werken vorgeschlagen.
Ungeachtet des praktisch totalen Verbots von Straßendemonstrationen hat „Jabloko“ gleichfalls Anträge auf 1.-Mai-Umzüge in fünf Städten – Moskau, Jekaterinburg, Tscheljabinsk, Miass und Magnitogorsk – gestellt. (In Moskau ist bereits durch die Stadtregierung unter dem fadenscheinigen Verweis auf die sanitär-epidemiologische Situation eine Absage erfolgt, während die Feiern zum Beitritt der Krim zu Russland im Luschniki-Stadion am 18. März zehntausende Menschen vereint hatten. – Anmerkung der Redaktion)
Publiziert wurden sowohl Wortmeldungen vom Parteikongress als auch Beschlüsse der Partei über die weitere Tätigkeit. Grigorij Jawlinkij lenkte das Augenmerk auf die schwierige Situation, in der Russland geraten sei, wobei er sie als eine „Katastrophe“ bezeichnete und erklärte, dass das eigentliche Bestehen des Landes in Frage gestellt werden könne. Verurteilt wird auch die am 24. Februar begonnene „militärische Sonderoperation“ in der Ukraine. Doch der Auftritt überschritt nicht die Verbotslinie und enthielt auch keine durch das Gesetz verbotene Worte und Behauptungen über diese. Jawlinskij erklärte, dass das Wichtigste sei, dass die Menschen, die keine ideellen Anhänger der Sonderoperationen seien, begreifen, dass sie im Land nicht allein seien. „Im praktischen Sinne bedeutet dies eine Gewinnung offizieller und entsprechend dem Parteistatut registrierter Anhänger für die Partei. Heute macht die Zahl solcher Anhänger der Partei etwa 860.000 aus. Die politische Aufgabe besteht darin, dass unter Ausnutzung des Domino-Effekts die Anzahl der offiziellen bewussten Anhänger mehrere Millionen Menschen ausmacht. Von diesen Positionen aus werden wir weitaus effizienter unsere politische Agenda propagieren können“, verheißt Jawlinskij. Hervorgehoben sei, dass im Internet auch ein Videointerview Jawlinskijs auf dem YouTube-Kanal „Noch nicht Pozner“ aufgetaucht ist, welches bisher eine rekordverdächtige Anzahl von Menschen aufgerufen hat – 1,3 Millionen.
Die Erklärungen über die Wichtigkeit der Gewinnung neuer Anhänger für die Partei harmonieren mit der alten „Jabloko“-Kampagne „Verstärkt die Stimme!“, als die Aufgabe stand, eine Million Menschen in die Reihen der Partei zu bringen. Nach der Parteireform, die beim Kongress vom 16. April abgeschlossen wurde, ist dies jedoch unmöglich geworden, da sich die Partei nunmehr aus einer Massen- in eine Kaderpartei offiziell verwandelt.
„Jabloko“-Chef Nikolaj Rybakow hat beim Parteitag ebenfalls eine spektakuläre Erklärung abgegeben. Er sagte, dass die erstrangige Aufgabe der Partei der Kampf für Frieden sei. Und er bekräftigte gleichfalls die frühere „Jabloko“-Ziele, und zwar die Schaffung eines öffentlichen Fernsehens, die Freilassung politischer Häftlinge, eine Aufhebung der Restriktionen bei den Wahlen usw.
Nach Beginn der international umstrittenen „militärischen Sonderoperation“ sind dutzende „Jabloko“-Vertreter bei Straßenaktionen verhaftet wurden, erlebten Hausdurchsuchungen und erhielten Strafen entsprechend von Paragrafen des Ordnungsrechts, wobei gegen mehrere Aktivisten aus den Regionen gleich zwei, drei Protokolle über Verstöße gegen das Ordnungsrecht erhielten. Beispielsweise sind am 21. April gegen das Mitglied der „Jabloko“-Partei Iwan Menschenin aus Khanty-Mansiisk gleich zwei Protokolle über Verstöße gegen das Ordnungsrecht ausgefertigt worden. Er ist zum elften Parteimitglied geworden, der aufgrund seiner pazifistischen Haltung zur Verantwortung gezogen wurde. Am 20. April sind gar gleich drei derartige Ordnungsrechtsprotokolle gegen den Vorsitzenden der „Jabloko“-Stadtorganisation in Welikij Nowgorod Viktor Schaljakin ausgestellt worden. Am 17. April wurde in Pskow der kommunale „Jabloko“-Abgeordnete Nikolaj Kusmin festgenommen. Gegen ihn waren zwei Protokolle über Verstöße gegen das Ordnungsrecht ausgestellt worden. Eingeleitet wurden gleichfalls bereits erste Strafverfahren. Zum Beispiel gegen das „Jabloko“-Mitglied und den Chefredakteur des Mediums „Neuer Fokus“ Michail Afanasjew aufgrund der Verbreitung angeblicher Fakes über die Sonderoperation unter Ausnutzung der Dienststellung.
Die pazifistische Tätigkeit der Partei wird für sie zur Hauptidee und zum Sinn des Bestehens. In diesem Zusammenhang ergibt sich die Frage nach dem Schicksal von „Jabloko“ an sich. Möglich sind sowohl Soft-Varianten als auch harte. Zu den milden Varianten für das Handeln der Offiziellen gehört das Abschieben der Partei von Jawlinskij in eine spezielle Nische für „Looser“ und sogar für „Nationalverräter“, an deren Beispiel man den marginalen Charakter eines Unterstützens von Pazifismus vorführen kann. Zu den harten Optionen gehört die Liquidierung der Partei als eine Rechtsperson, wobei sowohl entsprechend formalen Gründen (aufgrund von Fehlern in Dokumenten, im Statut usw.) als auch politischen. Zum Beispiel kann „Jabloko“ theoretisch zur ersten Partei im Status eines „ausländischen Agenten“ werden.
Die Experten tendieren bisher stärker dazu, dass man entsprechend einem sanften Szenario gegen die Partei vorgehen werde, da „Jabloko“ keine Gefahr für die Offiziellen darstelle.
Der Leiter der Politischen Expertengruppe Konstantin Kalatschjow sagte der „NG“, dass sich als „politischer Benefiziar“ der Sonderoperation gerade „Jabloko“ erwiesen hätte, da die Partei die konsequenteste pazifistische Position einnehme. „Die Beachtung für die Partei und ihre Unterstützung haben um ein Mehrfaches zugenommen. Sie stellt aber vorerst für die Herrschenden kaum eine elektorale Gefahr dar. Wenn entsprechend der geheimen Soziologie das elektorale Rating von „Jabloko“ zehn Prozent erreichen würde, so könnte man von der